Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestimmung des zuständigen Gerichts durch den BFH
Leitsatz (NV)
1. Bei negativem Kompetenzkonflikt zwischen Arbeits- und Finanzgericht ist die Vorlage an den BFH zur Bestimmung des zuständigen Gerichts zulässig.
2. Der Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts nach § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG entfaltet für das FG Bindungswirkung hinsichtlich des Rechtswegs, wenn er nicht offensichtlich unhaltbar ist.
3. Das Gericht, an das verwiesen wird, hat nach seiner eigenen Verfahrensordnung zu entscheiden.
Normenkette
FGO § 39 Abs. 1 Nr. 4; GVG § 17a Abs. 2 S. 3
Tatbestand
Der Kläger war eigenen Bekundungen zufolge in den Jahren 2000 bis 2004 bei der Beklagten als Sachbearbeiter für die Auftragserfassung und das Korrektorat tätig und hat aus dieser Tätigkeit Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt. Auf der Lohnsteuerkarte für das Jahr 2003 hat die Beklagte die Dauer des Arbeitsverhältnisses vom 1. Januar bis 31. März 2003 angegeben und den dabei erzielten Arbeitslohn mit 495 € bescheinigt. Auf der Lohnsteuerkarte für 2004 ist eine Beschäftigung nicht ausgewiesen. Der Kläger hält die Angaben auf den Lohnsteuerkarten für falsch. Er ist der Auffassung, dass das Arbeitsverhältnis im Jahre 2003 ganzjährig bestanden habe und er in dieser Zeit einen Arbeitslohn von 1 980 € erzielt habe. Im Jahre 2004 habe das Arbeitsverhältnis bis zum 31. März bestanden. Der Beklagte lehnte die vom Kläger erstrebte Berichtigung der Eintragungen auf den Lohnsteuerkarten mit der Begründung ab, dass sich die gesetzlichen Grundlagen für geringfügig beschäftigte mit Wirkung ab 1. April 2003 geändert hätten.
Der Kläger erhob daraufhin gegen die Beklagte Klage vor dem Arbeitsgericht Hannover. Das Arbeitsgericht hat unter Hinweis auf den Beschluss des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 11. Juni 2003 5 AZB 1/03 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2003, 1209, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2003, 2629) den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen mit Beschluss vom 10. Februar 2005 12 Ca 109/05 für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Niedersächsische Finanzgericht (FG) verwiesen. Dieses hat sich mit Beschluss vom 8. August 2005 1 K 194/05 für unzuständig erklärt und gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) analog den Bundesfinanzhof (BFH) zur Bestimmung der Zuständigkeit angerufen. Zur Begründung macht es geltend, der Rechtsweg zu den FG sei nicht eröffnet. Das Gericht teile die Auffassung des BAG in HFR 2003, 1209 nicht, sondern schließe sich den Beschlüssen des BFH vom 29. Juni 1993 VI B 108/92 (BFHE 171, 409, BStBl II 1993, 760) und des FG München vom 9. Juni 2004 1 K 1234/04 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2004, 1704) an. Der Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts Hannover sei ausnahmsweise nicht bindend, da er offensichtlich fehlerhaft sei.
Entscheidungsgründe
Die Vorlage ist zulässig, da das Arbeitsgericht und das FG jeweils rechtskräftig entschieden haben, dass der zu ihnen beschrittene Rechtsweg unzulässig sei (vgl. BFH-Beschluss vom 26. Februar 2004 VII B 341/03, BFHE 204, 413, BStBl II 2004, 458). Als zuständiges Gericht war das FG zu bestimmen, da es eine Bindung an den Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts zu Unrecht verneint hat.
Gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes ist das FG an einen Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts hinsichtlich des Rechtswegs grundsätzlich gebunden (BFH-Urteil vom 19. Oktober 2001 VI R 36/96, BFH/NV 2002, 340). Dem FG ist auch nicht darin zu folgen, der Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts sei offensichtlich fehlerhaft (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 20. Dezember 2004 VI S 7/03, BFH/NV 2005, 1196). Zwar wird in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung und in der steuerrechtlichen Literatur überwiegend die Auffassung vertreten, dass es sich bei dem Streit um die Berichtigung einer Lohnsteuerbescheinigung um eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit handelt, für die der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet ist (vgl. FG München in EFG 2004, 1704, m.w.N.; Diepold in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuergesetz, § 41b, Anm. 4, m.w.N.). Da aber das BAG einen gegenteiligen Standpunkt vertritt, kann die Verweisung durch das Arbeitsgericht Hannover an das Niedersächsische FG jedenfalls nicht als "offensichtlich unhaltbar" bezeichnet werden.
Da eine gesetzliche Regelung für das einzuschlagende Verfahren bei irriger Verweisung fehlt, muss diejenige Klage- und Verfahrensart gewählt werden, die am meisten dem Rechtsschutzbegehren des Klägers entspricht. Das ist hier die allgemeine Leistungsklage (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Juni 1967 IV C 216/65, NJW 1967, 2128). Im Übrigen hat das Gericht, an das verwiesen wird, nach seiner eigenen Verfahrensordnung zu entscheiden, hier also nach der FGO (Gräber/ Koch, Finanzgerichtsordnung, Anh., § 33 Rz. 35; Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 14. Aufl., § 41 Rz. 25).
Fundstellen
Haufe-Index 1457386 |
BFH/NV 2006, 329 |
DStRE 2006, 440 |