Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwirkung wegen Zeitablaufs: Abgrenzung zwischen Untätigkeit der Behörde und Abweichung von der früher vertretenen Rechtsauffassung
Leitsatz (NV)
Eine Verwirkung wegen Zeitablaufs kommt nicht in Betracht, wenn das FA zwar von der in den vorangegangenen Veranlagungen Betriebsprüfungen jahrelang vertretenen Auffassung abweicht, die Veranlagung für das Streitjahr jedoch zeitnah durchgeführt wird.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
Gründe
Von der Wiedergabe des Sachverhalts wird gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs abgesehen.
1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) mißt der Frage grundsätzliche Bedeutung zu, ob es eine absolute Grenze gibt, bei deren Überschreiten allein durch Zeitablauf Verwirkung eintritt. Die Frage ist indessen nicht entscheidungserheblich.
Gegenstand der Verwirkung können nur Rechte und Rechtspositionen sein. Im Streitfall kann es nur um das Recht des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt ―FA―) gehen, die Steuern für die Streitjahre in der Weise zu erheben, daß der Staatszuschuß (teilweise) gewinnerhöhend berücksichtigt wird. Dieses Recht hat das FA zeitnah geltend gemacht, indem es die streitigen Steuerbescheide erlassen hat. Eine Verwirkung wegen Zeitablaufs, das heißt wegen übermäßig langer Untätigkeit der Behörde, kommt somit nicht in Betracht. Hierdurch unterscheidet sich der Streitfall von den von der Klägerin angeführten Fällen, in denen Steuern oder Nebenleistungen lange Zeit nicht festgesetzt worden sind oder ein Grundlagenbescheid nicht ausgewertet worden ist.
Die Klägerin meint allerdings, das Recht, die Steueransprüche für die Streitjahre in der oben bezeichneten Weise geltend zu machen, sei durch die frühere steuerliche Handhabung einschließlich mehrerer Betriebsprüfungen verwirkt. Daß diese Auffassung nicht zutrifft, hat der Bundesfinanzhof (BFH) in ständiger Rechtsprechung entschieden. Nach dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung hatte das FA in jedem Veranlagungszeitraum die einschlägigen Besteuerungsgrundlagen erneut zu prüfen und rechtlich zu würdigen. Eine als falsch erkannte Rechtsauffassung mußte es zum frühestmöglichen Zeitpunkt aufgeben, auch wenn der Steuerpflichtige auf diese Rechtsauffassung vertraut haben sollte (BFH-Urteil vom 5. September 1990 X R 100/89, BFH/NV 1991, 217, m.w.N.; ebenso BFH-Urteil vom 25. Mai 1993 IX R 17/90, BFHE 171, 452, BStBl II 1993, 834; zuletzt: Senatsbeschluß vom 4. September 1997 IV B 110/96, BFH/NV 1998, 202). Dies ist sogar dann angenommen worden, wenn die ―fehlerhafte― Auffassung im Prüfungsbericht niedergelegt worden war (BFH-Urteil vom 16. Juli 1964 V 92/61 S, BFHE 80, 446, BStBl III 1964, 634) oder wenn die Finanzbehörde über eine längere Zeitspanne eine rechtsirrige, für den Steuerpflichtigen günstige Auffassung vertreten hatte (BFH-Urteil vom 22. Juni 1971 VIII 23/65, BFHE 103, 77, BStBl II 1971, 749). Mit anderen Worten: eine fehlerhafte Rechtsauffassung des FA kann für sich genommen keinen Vertrauenstatbestand in der Weise begründen, daß das FA auch in späteren Veranlagungszeiträumen an die falsche Auffassung gebunden wäre, ohne daß es auf die Länge der Zeit, während derer das FA die falsche Auffassung vertreten hätte, ankäme.
2. Ein Verfahrensmangel ist nicht schlüssig dargetan. Unterläßt das Finanzgericht (FG) Ausführungen zu Rechts- oder Sachverhaltsfragen, auf die es nach der von ihm vertretenen Rechtsauffassung nicht ankommt, so handelt es nicht verfahrensfehlerhaft. Ob die vom FG vertretene Rechtsauffassung zutrifft, kann nur im Rahmen einer vom FG oder vom BFH zugelassenen Revision entschieden werden.
Fundstellen
Haufe-Index 171076 |
BFH/NV 1999, 1188 |