Entscheidungsstichwort (Thema)
Gegenstand des Klagebegehrens
Leitsatz (NV)
1. Ein Verfahrensmangel liegt vor, wenn über eine zulässige Klage nicht zur Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden wird. In einem solchen Fall wird zugleich der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt.
2. Entspricht die eingereichte Klage den in § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO genannten Erfordernissen, ist eine gleichwohl verfügte Ausschlussfrist hinfällig.
3. Der Grundsatz einer Rechtsschutz gewährenden Auslegung von Verfahrensvorschriften erfordert, dass das FG den Gegenstand des Klagebegehrens ggf. im Wege der Auslegung und unter Rückgriff auf die Steuerakten festzustellen hat.
4. Wird die Aufhebung eines genau bestimmten Branntweinsteuerbescheids und der dazugehörigen Einspruchsentscheidung beantragt und ergibt sich aus den dem FG zur Kenntnis gekommenen Verwaltungsakten in groben Zügen der Sachverhalt, um den gestritten wird, ist der Gegenstand des Klagebegehrens ausreichend bezeichnet. Dies gilt auch dann, wenn der Steuerbescheid aufgrund einer Außenprüfung ergangen ist, sich die steuerlichen Feststellungen aber in zwei Punkten konkretisiert haben, die vom Kläger im Vorverfahren konkret angegriffen worden sind.
Normenkette
FGO § 65 Abs. 1, 2 S. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 6, § 119 Nr. 3
Verfahrensgang
FG München (Urteil vom 17.03.2004; Aktenzeichen 3 K 1208/02) |
Tatbestand
I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt --HZA--) hat im Anschluss an eine Außenprüfung im offenen Branntweinlager und in der Obstverschlussbrennerei des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) am 17. Februar 1999 gegen diesen einen Branntweinsteuerbescheid in Höhe von … DM wegen nicht versteuerter Branntweinverkäufe und einer festgestellten Alkoholfehlmenge erlassen. Nach erfolglosem Einspruch wies das Finanzgericht (FG) die daraufhin erhobene Klage des Klägers als unzulässig ab, weil dieser das Klageziel innerhalb der ihm festgesetzten --bis 20. März 2003 verlängerten-- Ausschlussfrist nicht ausreichend deutlich zum Ausdruck gebracht habe. Der Kläger habe nämlich nicht dargelegt, inwieweit der angefochtene Bescheid und die Einspruchsentscheidung rechtswidrig seien und ihn in seinen Rechten verletzten. Das Gericht sei nicht in die Lage versetzt gewesen, das Klageziel und die Grenzen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis zu bestimmen. Der bloße Hinweis in der Klageschrift auf den Steuerbescheid und die Einspruchsentscheidung genüge nicht, da diese auf den Ergebnissen einer Außenprüfung beruhten, die zu einer Vielzahl von steuerlich auszuwertenden Feststellungen geführt hätten. Die nach fruchtlosem Ablauf der Ausschlussfrist vorgelegten Unterlagen könnten nicht mehr berücksichtigt werden. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme insoweit nicht in Betracht, da der Kläger sich das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten an der Versäumung der Ausschlussfrist anrechnen lassen müsse.
Hiergegen richtet sich die auf alle Revisionszulassungsgründe des § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestützte Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers. Insbesondere rügt er einen Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Das FG habe seine Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Der Verfahrensfehler sei darin zu sehen, dass die Anordnung unter Setzung einer Ausschlussfrist zur Verdeutlichung des Klageziels nicht hätte erfolgen dürfen, da dieses i.S. des § 65 Abs. 1 FGO bereits hinreichend bezeichnet gewesen sei.
Das HZA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet. Sie führt gemäß § 116 Abs. 6 FGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung durch das FG. Der von der Beschwerde in zulässiger Weise geltend gemachte Verfahrensmangel, das FG habe zu Unrecht durch Prozessurteil entschieden, liegt vor und das Urteil des FG beruht auf diesem Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3, § 119 Nr. 3 FGO).
1. Nach der ständigen Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes stellt es einen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar, wenn über eine zulässige Klage nicht zur Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden wird. In einem solchen Fall wird zugleich der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 8. Juni 2004 XI B 46/02, BFH/NV 2004, 1417, m.w.N.; vom 8. April 2004 VII B 181/03, BFH/NV 2004, 1284).
a) § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO erfordert für eine Anfechtungsklage neben der Angabe des Klägers, des Beklagten und des angefochtenen Verwaltungsakts sowie der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf zusätzlich die Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens. Entspricht die Klage diesen Anforderungen nicht, hat der Vorsitzende oder der von ihm bestimmte Berichterstatter den Kläger zu der erforderlichen Ergänzung innerhalb einer bestimmten Frist aufzufordern (§ 65 Abs. 2 Satz 1 FGO). Er kann dem Kläger für die Ergänzung eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen, wenn es an einem der in § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO genannten Erfordernisse fehlt (§ 65 Abs. 2 Satz 2 FGO). Entspricht die eingereichte Klage den in § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO genannten Erfordernissen, ist eine gleichwohl verfügte Ausschlussfrist hinfällig (BFH-Beschluss vom 17. Oktober 1996 V B 75/96, BFH/NV 1997, 415); entspricht sie ihnen nicht, ist die Klage unzulässig. Der Erfolg der Beschwerde hängt mithin davon ab, ob der Kläger innerhalb der ihm gesetzten und bis 20. März 2003 verlängerten Ausschlussfrist den Gegenstand seines Klagebegehrens ausreichend bezeichnet hat.
b) Wie weit das Klagebegehren im Einzelnen zu substantiieren ist, hängt von den Umständen des Falles ab, insbesondere von dem Inhalt des angefochtenen Verwaltungsakts, der Steuerart und der Klageart. Entscheidend ist, ob das Gericht durch die Angaben des Klägers in die Lage versetzt wird zu erkennen, worin die den Kläger treffende Rechtsverletzung nach dessen Ansicht liegt (BFH-Beschlüsse vom 17. Januar 2002 VI B 114/01, BFHE 198, 1, BStBl II 2002, 306, und in BFH/NV 2004, 1417, jeweils m.w.N.). Zur Konkretisierung des Klagebegehrens kann ein bestimmter Klageantrag ausreichen, denn der Gegenstand des Klagebegehrens kann auch im Wege der Auslegung und unter Rückgriff auf die Steuerakten festgestellt werden (BFH-Beschluss vom 20. September 2002 IV B 198/01, BFH/NV 2003, 190, m.w.N.). Bei der Auslegung einer Klage sind sämtliche dem FG erkennbaren Umstände tatsächlicher und rechtlicher Art zu berücksichtigen (BFH-Urteile vom 14. Juni 2000 X R 18/99, BFH/NV 2001, 170, m.w.N., und vom 11. Februar 2003 VII R 18/02, BFHE 201, 409, BStBl II 2003, 606). Nur diese Auslegung des § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO trägt dem Grundsatz der Rechtsschutz gewährenden Auslegung von Verfahrensvorschriften (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes) Rechnung (BFH-Beschlüsse in BFHE 198, 1, BStBl II 2002, 306, und in BFH/NV 2004, 1417).
c) Nach diesen Grundsätzen hat das FG die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Bereits aus dem Klageantrag vom 13. März 2002, in dem ausdrücklich die Aufhebung des genau bezeichneten Branntweinsteuerbescheids des HZA vom 17. Februar 1999 und der dazugehörigen Einspruchsentscheidung vom 8. Februar 2002 beantragt worden ist, ergibt sich deutlich, dass der Kläger die Aufhebung dieser Verwaltungsentscheidungen begehrte, und zwar zur Gänze und nicht nur in einzelnen Streitpunkten. Das klare Anfechtungsbegehren ist mehr als nur ein bloßer Hinweis auf den Steuerbescheid und die Einspruchsentscheidung, wie das FG meint, denn der Kläger hat durch seinen Antrag deutlich gemacht, dass er die ihn treffende Rechtsverletzung darin sieht, dass der angefochtene Branntweinsteuerbescheid in der Fassung der Einspruchsentscheidung als solcher erlassen worden ist, und das FG hätte hieraus erkennen können, dass der Kläger diesen Bescheid schon dem Grunde nach angreift.
Dieser Befund wird durch die Verwaltungsakten bestätigt. Zwar sind der angefochtene Verwaltungsakt und die Einspruchsentscheidung nicht, wie es § 65 Abs. 1 Satz 4 FGO als bloße Ordnungsvorschrift empfiehlt, bereits mit der Klageschrift beim FG eingereicht worden. Sie sind beim FG erst am 30. Dezember 2002 mit den Akten eingegangen, nachdem das FG diese vom HZA angefordert hatte, als der frühere Prozessbevollmächtigte des Klägers Akteneinsicht begehrte. Sie lagen dem FG bis zum 13. Januar 2003 und nach Erledigung der Akteneinsicht wieder ab 24. Februar 2003 vor, also jedenfalls noch für eine ausreichende Zeit innerhalb der bis zum 20. März 2003 verlängerten Ausschlussfrist.
Aus diesen Akten ergibt sich zwar, dass der Branntweinsteuerbescheid als Folge einer Außenprüfung beim Kläger ergangen ist. In solchen Fällen soll zur ordnungsgemäßen Bezeichnung des Klagebegehrens der "Hinweis" auf Steuerbescheid und Einspruchsentscheidung nicht genügen, wenn die Prüfung zu einer Vielzahl von steuerlichen Feststellungen geführt hatte, sodass das Gericht die Grenzen seiner Entscheidungsbefugnis (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO) nicht erkennen konnte (vgl. BFH-Beschluss vom 18. Februar 2003 VIII B 218/02, BFH/NV 2003, 1186 ‐ betr. Steuerfahndungsprüfung). Zu Unrecht nimmt das FG diesen Beschluss für seine Auffassung in Anspruch, da im Streitfall zum einen, wie ausgeführt, in der Klageschrift mehr als nur ein Hinweis auf die Verwaltungsakten erfolgt ist, und zum anderen sich die "Vielzahl von steuerlichen Feststellungen" im Steuerbescheid in zwei Punkten konkretisiert hat, nämlich in der Anforderung von Branntweinsteuer für nicht versteuerte Abgänge (Branntweinverkäufe) und für bestimmte festgestellte Fehlmengen. Beide Punkte hat der Kläger auch konkret angegriffen, zunächst persönlich in seiner Stellungnahme zum Prüfungsbericht vom 20. Dezember 1998 und dann durch seinen rechtskundigen Bevollmächtigten in der Einspruchsbegründung vom 19. März 1999. Überdies war der Sachverhalt, um den gestritten wurde, auch in groben Zügen aus der Einspruchsentscheidung vom 8. Februar 2002 ersichtlich (vgl. hierzu BFH-Urteil in BFHE 201, 409, BStBl II 2003, 606; BFH-Beschluss vom 26. Januar 2001 VI B 310/00, BFH/NV 2001, 896).
Unter diesen Umständen hätte das FG unter Heranziehung des Anfechtungsantrags aus der Klageschrift und dem geschilderten Inhalt der Verwaltungsakten den Gegenstand des Klagebegehrens, nämlich die völlige Aufhebung des Branntweinsteuerbescheids, und damit den Umfang des begehrten Rechtsschutzes zweifelsfrei und innerhalb der gesetzten Ausschlussfrist feststellen können. Wenn das FG seine Entscheidung auch darauf stützt, dass sich der Kläger seit Einlegung des Einspruchs nicht weiter geäußert und keine Beweise gegen die getroffenen Feststellungen des HZA vorgelegt habe, übersieht es, dass Ausführungen hierzu nicht zum Gegenstand des Klagebegehrens gehören; es verlangt im Grunde eine Klagebegründung. Diese gehört aber nach § 65 Abs. 1 Satz 3 FGO nicht zum sog. Muss-Inhalt, sondern lediglich zum Soll-Inhalt einer Klage, der nicht mit der Setzung einer Ausschlussfrist nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO erzwungen werden kann. Da mithin die Klage den Anforderungen des § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO entsprochen hat, durfte das FG keine Ausschlussfrist nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO setzen und die Klage nicht wegen Versäumung der Frist als unzulässig abweisen. Das Prozessurteil des FG stellt einen Verfahrensmangel nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
2. Der Senat hält es für angezeigt, das Urteil des FG unmittelbar aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO), um dem Kläger die Möglichkeit einer Sachentscheidung durch die Tatsacheninstanz zu eröffnen.
Fundstellen
Haufe-Index 1748890 |
BFH/NV 2007, 1345 |