Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionszulassung zur Sicherung der Rechtsprechungseinheit; Voraussetzungen des Verlangens nach Empfängerbenennung
Leitsatz (NV)
- Eine Revisionszulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung kann nur dann erfolgen, wenn entweder eine Divergenz i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO a.F. vorliegt oder das FG-Urteil an einem besonders schweren Rechtsfehler leidet und sein Fortbestand das Vertrauen in die Rechsprechung beeinträchtigen würde.
- Eine ausländische Kapitalgesellschaft ist nur dann nicht "Empfängerin" der an sie geleisteten Zahlungen i.S. des § 160 AO 1977, wenn die entgoltenen Leistungen ihr nicht zugerechnet werden können.
- Eine Aufforderung zur Benennung des tatsächlichen Zahlungsempfängers ist nicht allein deshalb rechtswidrig, weil gegenüber dem zahlenden Unternehmer eine in der EU ansässige Person oder Gesellschaft als Vertragspartner aufgetreten ist.
Normenkette
AO 1977 § 160; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob Aufwendungen der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) als Betriebsausgaben abziehbar sind.
Die Klägerin betreibt ein Bauunternehmen. In ihren Gewinnermittlungen für die Streitjahre (1991 bis 1993) zog sie u.a. verschiedene Zahlungen als Betriebsausgaben ab, die sie ihrer Darstellung nach an die Firma D und an die Firma V geleistet hatte. Die insoweit verbuchten Beträge belaufen sich ―jeweils netto― auf 9 180 DM (1991), 58 747 DM (1992) und 186 394 DM (1993). Sowohl D als auch V sind unter derselben Adresse in Birmingham (England) registriert. Auf ihren Angebots- und Rechnungsformularen waren jeweils niederländische Telefon- und Telefaxnummern sowie ein deutsches und ein niederländisches Postfach angegeben; auf Rechnungen der V war zudem ein Konto bei einer deutschen Bankfiliale aufgeführt.
Nach Angaben des Bundesamts für Finanzen (BfF) und der Steuerfahndungsstelle B handelte es sich bei D und V um Briefkastenfirmen mit einer Vielzahl von Kontakten im Bundesgebiet, unter deren Anschrift weder Personal noch ein Telefonanschluss noch eine Geschäftstätigkeit festgestellt werden konnte. Das Stammkapital der D belief sich zumindest bis Mitte 1993 auf 100 (davon eingezahlt: 3) englische Pfund und Ende 1993 auf 1 000 (davon eingezahlt: 10) englische Pfund; das Stammkapital der V betrug 1 000 (davon eingezahlt: 3) englische Pfund. "Direktor" und Gesellschafter beider Firmen war C, der außerdem als Direktor einer weiteren Gesellschaft mit derselben Adresse auftrat.
Nach Vermutung der Steuerfahndungsstelle B wurden die Firmen D und V von niederländischen Staatsangehörigen betrieben, die in Großbritannien Bauhandwerker anwarben und diese sodann auf inländischen Baustellen einsetzten. Die Arbeitskräfte waren im Inland nicht registriert; die Dauer ihrer Aufenthalte im Inland ist nicht bekannt. Weder in Deutschland noch in den Niederlanden waren feste Einrichtungen oder ständige Vertreter der Firmen D und V feststellbar.
Auf Grund dieser Erkenntnisse forderte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) die Klägerin auf, die Namen und Adressen der Empfänger der angeblich an D und V geleisteten Zahlungen anzugeben. Nachdem die Klägerin dem nach Ansicht des FA nicht ausreichend nachgekommen war, erließ das FA geänderte Steuerbescheide für die Streitjahre, in denen es die Zahlungen nicht mehr als Betriebsausgaben gewinnmindernd absetzte. Die hiergegen gerichtete Klage hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen, ohne die Revision gegen sein Urteil zuzulassen.
Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin geltend, dass die Revision nach § 115 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zugelassen werden müsse.
Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die von der Klägerin geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
1. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO ist die Revision gegen ein finanzgerichtliches Urteil u.a. dann zuzulassen, wenn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert. Dieser von der Klägerin in Anspruch genommene Zulassungsgrund liegt zum einen dann vor, wenn das Urteil des FG im Sinne des bis zum Jahr 2000 geltenden Revisionsrechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO i.d.F. bis zum In-Kraft-Treten des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze ―2.FGOÄndG― vom 19. Dezember 2000, BGBl I 2000, 1757, BStBl I 2000, 1567) von einer Entscheidung des BFH oder eines anderen Gerichts abweicht (BFH-Beschlüsse vom 28. Januar 2002 VII B 41/01, BFH/NV 2002, 932; vom 16. April 2002 X B 102/01, BFH/NV 2002, 1045). Zum anderen ist er gegeben, wenn das erstinstanzliche Urteil unter einem so schweren Rechtsfehler leidet, dass sein Fortbestand das Vertrauen in die Rechtsprechung beschädigen würde (BFH-Beschlüsse vom 14. Februar 2002 VII B 141/01, BFH/NV 2002, 798; vom 28. Juni 2002 III B 28/02, BFH/NV 2002, 1474; vom 14. Oktober 2002 V B 170/01, BFH/NV 2003, 197). Dagegen reicht es für die Zulassung der Revision auch nach neuem Recht nicht aus, dass das FG im konkreten Einzelfall unrichtig entschieden und hierbei ggf. eine vorhandene höchstrichterliche Rechtsprechung übersehen oder fehlerhaft umgesetzt hat (BFH-Beschlüsse vom 25. November 2002 I B 2/02, BFH/NV 2003, 488; vom 11. Dezember 2002 IX B 124/02, BFH/NV 2003, 495; vom 24. Februar 2003 III B 117/02, BFH/NV 2003, 810, jeweils m.w.N.).
2. Im Streitfall rügt die Klägerin, dass das FG § 160 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) angewandt habe, ohne zuvor den "Briefkastencharakter" der Firmen D und V zu prüfen. Das widerstreite der Rechtsprechung des BFH, nach der bei Zahlungen an eine ausländische Kapitalgesellschaft § 160 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 nur dann anwendbar sei, wenn die betreffende Kapitalgesellschaft wirtschaftlich inaktiv sei. Daran ist richtig, dass eine ausländische Kapitalgesellschaft grundsätzlich "Empfängerin" von Leistungen i.S. des § 160 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 sein kann und dass an sie geleistete Zahlungen nur dann einem anderen als Empfänger zuzurechnen sind, wenn die Kapitalgesellschaft die entgoltenen Leistungen nicht selbst erbracht haben kann. Davon ist jedoch auch das FG ersichtlich ausgegangen.
Es hat hierzu in dem angefochtenen Urteil ausgeführt, dass D und V "keine unternehmerische Tätigkeit zugeordnet werden" könne und dass bei ihnen "Anknüpfungspunkte für einen eingerichteten Betrieb" nicht vorhanden seien. Vielmehr hätten andere Personen die Firmennamen D und V benutzt, um unter ihnen unternehmerisch tätig zu sein (S. 14 des Urteils). Daraus wird deutlich, dass das FG die wirtschaftliche Aktivität von D und V geprüft, sie verneint und erst daraufhin § 160 AO 1977 für anwendbar erachtet hat. Die Rüge der Klägerin, das FG habe sich mit dieser Frage nicht auseinandergesetzt, geht mithin fehl. Ob das FG die Verhältnisse von D und V inhaltlich zutreffend gewürdigt hat, kann im vorliegenden Verfahren nicht geprüft werden; selbst wenn es eine eigenständige Wirtschaftstätigkeit von D und V zu Unrecht oder auf Grund unzureichender Grundlagen verneint hätte, wäre dies allenfalls ein "schlichter" Rechtsfehler, der keine Zulassung der Revision rechtfertigt.
3. Im Ergebnis dasselbe gilt im Hinblick auf die Rüge der Klägerin, das FG habe die "wechselseitige Öffnungssituation innerhalb der EU" und deren Auswirkung auf die Anwendung des § 160 AO 1977 nicht beachtet. Daran trifft zu, dass nach der Rechtsprechung des Senats bei einem im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmen im Allgemeinen kein Anlass für die Annahme besteht, es handele sich um eine wirtschaftlich inaktive Gesellschaft (Senatsurteil vom 17. Oktober 2001 I R 19/01, BFH/NV 2002, 609). Auch von dieser Rechtsprechung weicht das angefochtene Urteil jedoch nicht ab.
In der zitierten Entscheidung ging es um ein deutsches Unternehmen, das Zahlungen an eine in Großbritannien registrierte Gesellschaft geleistet hatte, nachdem ihm zuvor mehrere Bescheinigungen inländischer und ausländischer Stellen über die Identität jener Gesellschaft vorgelegt worden waren. Der Senat hat die Würdigung der damaligen Vorinstanz bestätigt, dass die Empfängerbenennung unzumutbar und das Benennungsverlangen mithin rechtswidrig gewesen sei, da das klagende Unternehmen sich im Vorfeld der Zahlungen in hinreichender Weise über die Verhältnisse des ausländischen Zahlungsempfängers vergewissert habe. In diesem Zusammenhang hat er ausgeführt, das Unternehmen habe nicht allein daraus auf das Vorliegen einer Briefkastengesellschaft schließen müssen, dass die ausländischen Firmen einerseits in Großbritannien registriert waren und andererseits nur niederländische Adressen und Telefonnummern angegeben hatten. Nur hierauf bezieht sich sein Hinweis, dass eine generelle Verdächtigung derartiger Sachverhalte gegen die gemeinschaftsrechtliche Niederlassungsfreiheit verstoßen würde. Entsprechendes gilt in Bezug auf das Urteil des FG München (vom 19. März 2002 6 K 5037/00, Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 2002, 880), auf das sich die Klägerin ebenfalls berufen hat.
Im Unterschied zu jenen Entscheidungen hat im Streitfall das FG die maßgeblichen Verhältnisse dahin gewürdigt, dass die Klägerin angesichts ungewöhnlicher Geschäftspraktiken ihrer Vertragspartner hätte Verdacht schöpfen und zunächst weitere Erkundigungen über D und V hätte anstellen müssen. Diese Würdigung kann schon wegen ihrer Einzelfallbezogenheit keine Abweichung des angefochtenen Urteil von der genannten Rechtsprechung begründen. Ebenso bedarf es keiner Klärung durch ein Revisionsverfahren, dass eine solche Würdigung auch dann zulässig sein kann, wenn es sich bei den angeblichen Zahlungsempfängern um in der EU ansässige Personen oder Gesellschaften handelt. Die entscheidende Frage ist hierbei lediglich, ob der konkret zu beurteilende Sachverhalt diese Würdigung trägt; ein Fehler des FG bei der Beantwortung dieser Frage kann jedoch die Zulassung der Revision nicht rechtfertigen.
4. Der Hinweis der Klägerin auf die Bauabzugsteuer muss schon deshalb erfolglos bleiben, weil die insoweit einschlägigen Vorschriften erst nach Ablauf der Streitjahre in Kraft getreten sind.
5. In verfahrensrechtlicher Hinsicht beanstandet die Klägerin, dass das FG Teile ihres erstinstanzlichen Vortrags nicht berücksichtigt habe. Diese Rüge geht ebenfalls fehl. Denn im Zweifel ist davon auszugehen, dass ein FG bei seiner Entscheidung auch denjenigen Beteiligtenvortrag beachtet hat, der in den Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich abgehandelt ist (BFH-Beschlüsse vom 14. Juli 1998 I B 8/98, BFH/NV 1999, 193; vom 2. November 2001 VII B 351/00, BFH/NV 2002, 506; vom 14. Oktober 1999 IV B 2/99, BFH/NV 2000, 459). Etwas anderes gilt nur dann, wenn konkrete Anhaltspunkte für die Nichtberücksichtigung eines bestimmten Vortrags sprechen; davon ist im Streitfall aber schon deshalb nicht auszugehen, weil der in Rede stehende Vortrag der Klägerin im Tatbestand des angefochtenen Urteils ausdrücklich erwähnt ist.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.
Fundstellen
Haufe-Index 1053825 |
BFH/NV 2004, 4 |