Leitsatz (amtlich)
1. Freiwillige Zahlungen auf Grund eines steuerrechtlichen Leistungsgebots sind keine "Vollziehung" im Sinne des § 69 FGO. Der Begriff der "Vollziehung" in § 69 FGO ist dem Begriff der "Vollziehung" in § 100 FGO nicht gleichzusetzen.
2. Wer ein gegen ihn ergangenes, von ihm für rechtswidrig gehaltenes Leistungsgebot ohne besondere Einwirkung seitens der Finanzbehörde (wie Mahnung, Postnachnahme, Beitreibungsmaßnahmen) erfüllt, begibt sich damit des Rechtsschutzes des § 242 AO und des § 69 FGO.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 3, § 100
Tatbestand
Der Beklagte und Beschwerdeführer (das FA) hatte mit einem als Kapitalertragsteuerhaftungsbescheid anzusehenden Schreiben vom 26. April 1967 gegen die Klägerin und Beschwerdegegnerin (im folgenden kurz als GmbH bezeichnet) über die bereits erfolgte Anmeldung und Abführung von Kapitalertragsteuer hinaus einen Mehrbetrag von 10 647,25 DM festgesetzt und angefordert, den die GmbH am 18. Mai 1967 an die Finanzkasse überwies. Am 26. Mai 1967 legte die GmbH gegen den Bescheid vom 26. April 1967 Einspruch ein, den das FA mit Entscheidung vom 16. Juni 1967 als unbegründet zurückwies.
Gleichzeitig mit der Klageerhebung beantragte die GmbH beim FG die Aufhebung der Vollziehung des Bescheides vom 26. April 1967. Dieses ordnete mit Beschluß vom 4. September 1967 die Aufhebung der Vollziehung an. Der Aufhebung der Vollziehung stehe es nicht entgegen, daß die GmbH die streitigen 10 647,25 DM von sich aus entrichtet habe. Ihre Leistung sei nicht freiwillig erbracht worden, da sie auf einem unter Fristsetzung ausgesprochenen Leistungsgebot beruhte und unter den gegebenen Umständen eine zwangsweise Beitreibung des angeforderten Betrages nur durch dessen fristgerechte Überweisung habe vermieden werden können. Entgegen der Auffassung des BFH in den Beschlüssen I B 3/66 vom 9. August 1966 (BFH 86, 723, BStBl III 1966, 646) und I B 30/66 vom 15. Februar 1967 (BFH 88, 76, BStBl III 1967, 293) sei ein Verwaltungsakt im Sinne der Vorschrift des § 69 Abs. 3 Satz 4 FGO bereits dann vollzogen, wenn der Steuerpflichtige die in dem Verwaltungsakt ausgesprochene Verpflichtung erfüllt habe, gleichgültig, ob dies freiwillig geschehen sei oder ob aus dem Leistungsgebot gegen den Steuerpflichtigen habe vollstreckt werden müssen (Beschluß des FG Hamburg IV a 53/67 H - IV b - vom 18. Mai 1967, EFG 1967, 428).
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde des FA. Sie mußte Erfolg haben.
Wie der Senat im Beschluß I B 30/66 (a. a. O.) ausgesprochen hat, können freiwillige Leistungen, selbst wenn sie - was im vorliegenden Verfahren nicht der Fall ist - unter Hinweis auf einen geltend gemachten Rechtsbehelf unter Vorbehalt, d. h. zur Vermeidung von Vollziehungsmaßnahmen auf Grund des angefochtenen Leistungsgebots, erbracht wurden, zwar als Erfüllung, nicht aber als Vollziehung des steuerrechtlichen Leistungsgebots angesprochen werden. Die Vorschrift des § 69 FGO will ausschließlich einen Ausgleich dafür schaffen, daß das Steuerrecht für den Regelfall den Rechtsbehelfen der AO und der FGO einen Suspensiveffekt nicht beilegt. Sie knüpft jedoch in Durchführung dieses Ausgleichs, der ein echter Interessenausgleich ist, die Aussetzung der Vollziehung an zwei voneinander unabhängige Voraussetzungen an, bei deren Vorliegen das - im vorliegenden Verfahren bei Zahlung noch nicht einmal angefochtene - Leistungsgebot nicht gegen den Willen des Zahlungsverpflichteten verwirklicht (vollzogen) werden soll.
Der Begriff der Vollziehung in § 69 FGO ist - entgegen der Auffassung des FG Hamburg im Beschluß IV a 53/67 H (IV b) a. a. O. - dem Begriff der Vollziehung in § 100 Abs. 1 FGO nicht gleichzusetzen. Denn anders als in § 69 FGO geht es in § 100 FGO nicht um die Vollziehung als die gegen den Willen des Zahlungsverpflichteten erfolgende Verwirklichung eines Verwaltungsakts, sondern im Gegenteil um die Rückgängigmachung aller Folgen, die ein durch Urteil als rechtswidrig erkannter Verwaltungsakt gezeitigt hat, mögen diese Folgen auf freiwilliger oder unfreiwilliger, d. h. gegen den Willen des Leistenden, erfolgter Verwirklichung des rechtswidrigen Verwaltungsakts beruhen. Es trifft deshalb auch nicht zu, daß die Auslegung der Vorschrift des § 69 FGO durch den Senat den renitenten Zahler besser stelle als den willig Leistenden. Wer ein gegen ihn ergangenes, von ihm für rechtswidrig gehaltenes Leistungsgebot ohne jede besondere Einwirkung seitens der Finanzbehörde (wie Mahnung, Postnachnahme, Beitreibungsmaßnahmen) erfüllt, bedarf angesichts seines eigenen Verhaltens des Rechtsschutzes nicht, den ihm das Gesetz in seinem § 242 AO und § 69 FGO gegenüber einer Finanzbehörde gewährt hat, die gegen seinen Willen auf der Erfüllung eines von ihm als dem Leistungsverpflichteten in seiner Rechtsgültigkeit angezweifelten - und deshalb angefochtenen - Leistungsgebots besteht. Mit der Erbringung seiner freiwilligen Leistung begibt sich der Leistungsverpflichtete seiner Schutzrechte aus den Vorschriften des § 242 AO und § 69 FGO ebenso wie derjenige, der von einem Rechtsbehelf gegenüber einem von ihm für rechtswidrig gehaltenen Verwaltungsakt keinen Gebrauch macht und sich damit mit Ablauf der Rechtsbehelfsfrist seines Rechtsschutzes begibt.
Die Ausführungen des FG geben dem Senat keine Veranlassung, von seiner bisherigen Rechtsauffassung abzugehen.
Fundstellen
Haufe-Index 67693 |
BStBl II 1968, 311 |