Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung nach Erlaß des angefochtenen Urteils
Leitsatz (NV)
Eine erst nach Erlaß des angefochtenen Urteils geltend gemachte Richterablehnung kommt als Revisionsgrund i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO zumindest dann nicht in Betracht, wenn dem Kläger der Ablehnungsgrund zwar nach der mündlichen Verhandlung und Beratung, aber vor der Zustellung des Urteils und damit vor dessen Wirksamkeit (§ 104 Abs. 2 FGO) bekanntgeworden ist.
Normenkette
FGO § 93 Abs. 3 S. 2, § 104 Abs. 2, § 116 Abs. 1 Nrn. 1-2
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger A und B (Kläger) sind je zur Hälfte Eigentümer eines von ihnen bewohnten historischen Anwesens. Zwischen ihnen und dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -- FA --) ist streitig, in welcher Höhe Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abziehbar sind. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen, ohne die Revision zuzu lassen.
Mit der Revision machen die Kläger u. a. geltend, an der Urteilsfindung habe ein ehrenamtlicher Richter mitgewirkt, dessen Unparteilichkeit fraglich sei. Dieser Richter habe den Kläger A im Zeitraum zwischen der mündlichen Verhandlung und der Zustellung des Urteils von sich aus angerufen und ihm angeboten, das Grundstück zu kaufen. Darüber hinaus habe er erklärt, eine Revision der Kläger sei zwecklos. Die Kläger machen ferner geltend, falls die vorstehende Rüge von Verfahrensmängeln, die eine zulassungsfreie Revision begründen, nicht durchgreife, sei die Revision ausnahmsweise in eine Nichtzulassungsbeschwerde umzudeuten.
Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und weitere Werbungskosten zum Abzug zuzulassen.
Das FA beantragt, die Revision zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
1. Die Revision ist unzulässig.
Gegen das Urteil des FG steht den Beteiligten die Revision zu, wenn das FG oder der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat (§ 115 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO -- i. V. m. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs BFHEntlG --). Einer Zulassung der Revision bedarf es nicht, wenn einer der in § 116 Abs. 1 FGO bezeichneten Verfahrensmängel gerügt wird. Im Streitfall ist keine dieser Voraussetzungen erfüllt.
Die Revision ist weder vom FG noch vom BFH zugelassen worden.
Die Revision ist auch nicht nach § 116 Abs. 1 FGO statthaft. Eine zulassungsfreie Verfahrensrevision ist nur dann schlüssig, wenn innerhalb der Revisionsbegründungsfrist ein Mangel i. S. des § 116 Abs. 1 FGO schlüssig gerügt wird (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO). Dazu müssen die zur Begründung der Rüge vorgetragenen Tatsachen -- als wahr unterstellt -- die Schlußfolgerung auf den behaupteten Verfahrensmangel rechtfertigen (BFH-Beschlüsse vom 29. Juni 1989 V R 112/88, V B 72/89, BFHE 157, 308, BStBl II 1989, 850, und vom 21. September 1994 VIII R 80--82/93, BFH/NV 1995, 416). Diesen Anforderungen entspricht die Revisionsbegründung nicht.
Die ausdrückliche Rüge, das erkennende Gericht sei nicht vorschriftsmäßig entsprechend dem Geschäftsverteilungsplan besetzt gewesen (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO), ist erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist mit Schriftsatz vom 9. Juni 1995 und damit verspätet erhoben worden. Soweit der Kläger innerhalb der Revisionsbegründungsfrist die Besorgnis der Befangenheit eines Richters geltend gemacht haben, vermag dies eine zulassungsfreie Revision gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO nicht zu begründen. Hinsichtlich einer solchen Rüge geht § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO als speziellere Regelung dem § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO vor (vgl. BFH-Beschluß vom 30. November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, 531, BStBl II 1982, 217).
Einen Revisionsgrund i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO haben die Kläger nicht schlüssig dargetan. Diese Vorschrift setzt voraus, daß bei der angefochtenen Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war. Das Gesetz stellt nicht auf die bloße Möglichkeit der Ablehnung, sondern auf die Ablehnungserklärung und deren Erfolg ab. Vorliegend fehlt es bereits an einer Ablehnungserklärung vor Abschluß des erst instanzlichen Verfahrens. Nach ständiger Rechtsprechung kommt eine erst nach Erlaß des angefochtenen Urteils geltend gemachte Richterablehnung als Revisionsgrund i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO selbst dann nicht in Betracht, wenn dem Betroffenen der Ablehnungsgrund erst nachträglich bekanntgeworden ist (BFH-Beschlüsse vom 15. Dezember 1987 VIII R 132/86, BFH/NV 1988, 506, und vom 17. Mai 1995 X R 55/94, BFHE 177, 344, BStBl II 1995, 604; vgl. auch Urteil des Bundesgerichtshofs vom 9. November 1992 II ZR 230/91, BGHZ 120, 141 zu § 551 Nr. 3 der Zivilprozeßordnung).
Der Senat kann offenlassen, ob dieser Rechtsprechung auch dann zu folgen wäre, wenn es dem Betroffenen bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht möglich war, einen Ablehnungsantrag beim FG vor Abschluß des dortigen Verfahrens einzureichen (vgl. auch BFH in BFH/NV 1988, 506). Die Revisionsbegründung hat auch diese Voraussetzung nicht schlüssig dargetan.
Dem Kläger ist der geltend gemachte Ablehnungsgrund bereits vor der Zustellung des Urteils und damit vor dessen Wirksamkeit (§ 104 Abs. 2 FGO) bekanntgeworden. Ein Ablehnungsgesuch war bis zur Been digung der Instanz statthaft, d. h. bis zur Zustellung des Urteils (vgl. Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 51 FGO Rz. 101). Wird ein Ablehnungsantrag nach der mündlichen Verhandlung und Beratung, aber vor Wirksamkeit des Urteils gestellt, besteht für das Gericht noch die Möglichkeit, über diesen zu entscheiden und ggf. gemäß § 93 Abs. 3 Satz 2 FGO die mündliche Verhandlung erneut zu eröffnen.
Die weiteren Verfahrensrügen (Verletzung des rechtlichen Gehörs, fehlerhafte Protokollierung der mündlichen Verhandlung) eröffnen keine zulassungsfreie Revision (§ 116 FGO).
2. Eine Umdeutung der Revisionsschrift in eine Nichtzulassungsbeschwerde kommt nicht in Betracht (vgl. dazu die ständige Rechtsprechung des BFH, insbesondere Beschlüsse vom 27. Januar 1967 VI R 216/66, BFHE 88, 73, BStBl III 1967, 291, und vom 22. September 1995 VII R 52/95, BFH/NV 1996, 241). Die Kläger haben klar und eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß sie eine Revision einlegen wollten. Die innerhalb der -- nicht verlängerbaren -- Monatsfrist zur Einlegung und Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde (§ 115 Abs. 3 FGO) eingegangenen Schriftsätze enthalten keine Anhaltspunkte dafür, daß eine Nichtzulassungsbeschwerde gewollt war.
Fundstellen
Haufe-Index 422010 |
BFH/NV 1997, 582 |