Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Beschwerde im finanzgerichtlichen Verfahren
Leitsatz (NV)
Nachdem sich der Gesetzgeber für den Bereich des Zivilprozessrechts dafür entschieden hat, dass dasjenige Gericht, dem ein Fehler unterlaufen ist, für Abhilfe zu sorgen hat, ist auch im finanzgerichtlichen Verfahren die außerordentliche Beschwerde nicht mehr statthaft. Den Belangen der Rechtssuchenden kann im Rahmen der FGO mit der Gegenvorstellung Rechnung getragen werden.
Normenkette
FGO § 155; GKG § 5 Abs. 2 S. 3, § 25 Abs. 3 S. 2; ZPO §§ 321a, 572 Abs. 1
Tatbestand
I. Nachdem der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) die Erweiterung der Anordnung der Außenprüfung vom 11. Dezember 2000 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 5. April 2001 aufgehoben hat, erklärten die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) und das FA in der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) das Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung (AdV) dieser Prüfungsanordnung in der Hauptsache für erledigt. Die Verfahrenskosten wurden dem FA auferlegt. Mit Beschluss vom 15. Januar 2002 hat das FG den Streitwert nach § 13 Abs. 1 Satz 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) festgesetzt. Die Gegenvorstellung der Antragstellerin gegen die Streitwertfestsetzung blieb ohne Erfolg (Beschluss vom 17. Mai 2002).
Hiergegen richtet sich die außerordentliche Beschwerde der Antragstellerin. Sie ist der Ansicht, die Entscheidung des FG sei greifbar gesetzwidrig, da sie mit der Rechtsordnung schlechthin unvereinbar sei und ihr jede gesetzliche Grundlage fehle. Die Unvereinbarkeit des Beschlusses mit der Rechtsordnung ergebe sich aus dem Verstoß gegen § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. Diese Norm stelle für die Bestimmung des Streitwerts auf die Bedeutung der Sache für den Kläger ab. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe den Rückgriff auf die Bedeutung der Sache als maßgebliches Kriterium der Streitwertfestsetzung bestätigt. Das FG hätte daher die aus der Außenprüfung zu erwartenden Mehrsteuern schätzen müssen und bei der Streitwertfestsetzung nicht auf den Auffangtatbestand des § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG abstellen dürfen. Die Begründung, die zu erwartenden Mehrsteuern hätten mangels durchgeführter Außenprüfung bei der Antragstellerin nicht geschätzt werden können, sei fehlerhaft, da mit der Prüfung der in der Prüfungsanordnung genannten Steuern bereits begonnen und erste Prüfungsergebnisse zusammengefasst worden seien. Zudem seien die vom FA erwarteten Mehrsteuern in der neuerlichen Prüfung der privaten Einkünfte der Antragstellerin bestätigt worden. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) seien die mutmaßlich zu erwartenden Mehrsteuern der Streitwertfestsetzung zugrunde zu legen. Dies gelte nicht nur dann, wenn die Außenprüfung tatsächlich durchgeführt worden und die Mehrsteuern den geänderten Steuerbescheiden zu entnehmen seien, sondern auch in Fällen, in denen eine nicht rechtmäßige Außenprüfung durch einen Rechtsbehelf verhindert worden sei.
Ziel der außerordentlichen Beschwerde sei allein die Beseitigung des wirtschaftlichen Schadens bei der Antragstellerin, da sich die Vergütung ihres Prozessbevollmächtigten nach vereinbarten Honoraren bemesse.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, die Streitwertfestsetzung durch das FG aufzuheben und den Streitwert auf … DM festzusetzen.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
II. 1. Der auf Aufhebung des Kostenfestsetzungsbeschlusses des FG gerichtete Antrag ist angesichts der Ausführungen in der Beschwerdeschrift als Antrag auf Aufhebung der Streitwertfestsetzung auszulegen.
2. Gegen eine Streitwertfestsetzung des FG ist eine Beschwerde an den BFH nicht statthaft. Gemäß § 25 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 5 Abs. 2 Satz 3 GKG können Streitwertbeschlüsse nicht mit der Beschwerde an einen obersten Gerichtshof des Bundes angefochten werden. Ausgehend von den Entscheidungen des BVerfG (vgl. Beschlüsse vom 28. März 1985 1 BvR 1245, 1254/84, BVerfGE 69, 233, und vom 28. September 1982 2 BvR 125/82, BVerfGE 61, 119) hat der BFH in der Vergangenheit allerdings anerkannt, dass eine außerordentliche Beschwerde ausnahmsweise dann in Betracht kommen kann, wenn die angefochtene Entscheidung, die nach den gesetzlichen Vorschriften unanfechtbar ist, jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und mit der Rechtsordnung schlechthin unvereinbar ist (vgl. BFH-Beschluss vom 14. Dezember 2001 VI B 285/01, BFH/NV 2002, 534, m.w.N.).
Nach den Neuregelungen im Zivilprozessrecht kommt eine solche Möglichkeit künftig aber nicht mehr in Betracht. Der Gesetzgeber hat sich im Rahmen des Zivilprozessreformgesetzes vom 27. Juli 2001 (BGBl I 2001, 1887) der Frage der "Selbstkontrolle" der Gerichte für diejenigen Fälle angenommen, die im Wesentlichen Anlass zur Entwicklung der außerordentlichen Beschwerde gegeben haben. Er hat sich dafür entschieden, dass dasjenige Gericht ggf. für Abhilfe zu sorgen hat, dem der Fehler unterlaufen ist. Dieser Rechtsgedanke liegt namentlich dem Rügeverfahren bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch unanfechtbare Entscheidung in § 321a der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie der Abhilfemöglichkeit des Erstgerichts im Beschwerdeverfahren nach § 572 Abs. 1 ZPO zugrunde. Demgemäß hat der Bundesgerichtshof im Beschluss vom 7. März 2002 IX ZB 11/02 (BGHZ 150, 133) aus der Neuregelung des Beschwerderechts gefolgert, dass seit In-Kraft-Treten des Zivilprozessreformgesetzes ein außerordentliches Rechtsmittel auch dann nicht statthaft ist, wenn die angegriffene Entscheidung ein Verfahrensgrundrecht des Beschwerdeführers verletzt oder aus sonstigen Gründen "greifbar gesetzeswidrig" ist. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat sich mit Beschluss vom 16. Mai 2002 6 B 28-29/02 (Deutsches Verwaltungsblatt 2002, 1055) dieser Rechtsprechung angeschlossen und erkannt, dass die gesetzliche Aufzählung der Zuständigkeiten des BVerwG und die Regelung des Beschwerderechts künftig eine Befassung mit außerordentlichen Beschwerden nicht mehr zulassen.
Nach Auffassung des IV. Senats des BFH hat die gesetzgeberische Entscheidung, eine dem Revisionsrecht vergleichbare Regelung zur Korrektur auch der Verletzung von Verfahrensgrundrechten bewusst nicht zu schaffen, zur Folge, dass künftig auch im finanzgerichtlichen Verfahren die außerordentliche Beschwerde nicht mehr statthaft ist (Beschluss vom 5. Dezember 2002 IV B 190/02, www.bundesfinanzhof.de, Entscheidungen, Datum der Veröffentlichung: 5.2.2003). Dieser Entscheidung schließt sich der erkennende Senat an. Der Gesetzgeber hat mit § 321a ZPO erstmals eine Abhilfemöglichkeit für Verfahren vorgesehen, in denen eine Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils zuvor nicht möglich war. Dieser für das Urteilsverfahren getroffenen Regelung ist ein allgemeiner Grundsatz zu entnehmen, der auch und erst recht im Beschlussverfahren zur Anwendung kommen muss. Danach obliegt die Abhilfe dem Gericht, das den Verfahrensverstoß begangen hat (iudex a quo). Die Fehlerkorrektur innerhalb der Instanz ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers vorzugswürdig, weil sie eine einfache und ökonomische Erledigung ermöglicht (BTDrucks 14/4722, S. 85). Diesem nunmehr in der ZPO normierten Rechtsgedanken kommt auch im Anwendungsbereich der Finanzgerichtsordnung (FGO) Bedeutung zu, da nach § 155 FGO die ZPO ―soweit die FGO keine Bestimmungen über das Verfahren enthält― sinngemäß anzuwenden ist, wenn dies die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensordnungen nicht ausschließen.
Angesichts der dargelegten Gründe sieht der Senat keine Möglichkeit mehr, in eng begrenzten Ausnahmefällen eine außerordentliche Beschwerde zuzulassen. Den Belangen der Rechtsuchenden kann auch im Rahmen der FGO mit der Gegenvorstellung Rechnung getragen werden.
Fundstellen