Leitsatz (amtlich)
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob eine Rangrücktrittsvereinbarung, nach der die zurücktretende Forderung nur zu Lasten von Bilanzgewinnen, aus einem Liquidationsüberschuß oder aus dem die sonstigen Verbindlichkeiten des Schuldners übersteigenden Vermögen getilgt werden muß, beim Schuldner zur gewinnerhöhenden Auflösung der Verbindlichkeit führt.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 2; EStG § 5
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin), eine GmbH & Co. KG, deren Gesellschaftszweck der Erwerb und die Modernisierung von Miethausgrundstücken und der Erwerb, die Bebauung und Verwaltung von Grundstücken ist, hatte 1984 gegenüber de X-GmbH (GmbH) Darlehensverbindlichkeiten in Höhe von 1 390 417,43 DM, die in den Jahren 1982 und 1983 entstanden und in den Bilanzen dieser Jahre passiviert worden waren. Zur Abwendung einer möglichen Überschuldung der Antragstellerin "im Sinne der handels- und konkursrechtlichen Vorschriften" vereinbarten die Antragstellerin und die GmbH einen Rangrücktritt für Forderungen der GmbH in Höhe von 1 Mio DM. Die Vereinbarung lautete:
"Die Gläubigerin tritt mit ihren Forderungen in Höhe von DM 1 Million hinter die Forderungen aller anderen Gläubiger in der Weise zurück, daß ihre Forderungen nur zu Lasten von Bilanzgewinnen, aus einem Liquidationsüberschuß oder aus dem die sonstigen Verbindlichkeiten der Schuldnerin übersteigenden Vermögen bedient zu werden brauchen."
Nach einer Betriebsprüfung bei der Antragstellerin stellte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) sich auf den Standpunkt, durch den Rangrücktritt habe die Antragstellerin einen außerordentlichen Ertrag in Höhe von 1 Mio DM erzielt. Dadurch mindere sich der bisher unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs.1 der Abgabenordnung (AO 1977) festgestellte Verlust von 1 464 434 DM um 1 Mio DM auf 464 434 DM. Das FA erließ daraufhin einen entsprechenden Änderungsbescheid gemäß § 164 Abs.2 AO 1977. Gegen den Änderungsbescheid vom 31.März 1987 legte die Antragstellerin fristgerecht Einspruch ein, über den bisher noch nicht entschieden ist. Einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Änderungsbescheids lehnte das FA ab. Daraufhin beantragte die Antragstellerin Aussetzung der Vollziehung beim Finanzgericht (FG) gemäß § 69 Abs.3 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Der Antrag wurde vom FG mit Beschluß vom 4.März 1988 mit der Begründung abgelehnt, Verbindlichkeiten, die nur unter den Bedingungen der Rangrücktrittsvereinbarung zu erfüllen seien, seien wirtschaftlich nicht im Jahr der Rücktrittsvereinbarung verursacht.
Bei seiner Entscheidung ging das FG davon aus, die Verbindlichkeiten, auf die sich der Rangrücktritt bezogen habe, seien im Jahre 1984 entstanden. Dazu führte das FG aus: Da von der Beschwerdeführerin nichts Entsprechendes vorgetragen sei, könne hier die Frage dahinstehen, ob eine zunächst zulässige Passivierung erfolgswirksam aufzulösen sei, wenn die Rangrücktrittsvereinbarung in einem späteren Veranlagungszeitraum als dem der erstmaligen Bilanzierung erfolgt sei. Aus den vorgelegten Bilanzakten sei eine Entwicklung der Verbindlichkeiten gegenüber der GmbH nicht zu entnehmen.
Daraufhin beantragte die Antragstellerin erneut Aussetzung der Vollziehung und trug dazu vor, die Forderungen, hinsichtlich derer 1984 der Rangrücktritt vereinbart worden sei, seien in den Jahren 1982 und 1983 entstanden. Mit Beschluß vom 6.September 1988 wies das FG auch den erneuten Antrag ab. Diesen hielt es zwar als Änderungsantrag nach § 69 Abs.3 Satz 5 FGO i.V.m. Art.3 § 7 Abs.2 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) für zulässig, aber für unbegründet. Es sei unerheblich, ob die im Rang zurückgetretene Forderung im Jahr der Vereinbarung des Rangvorbehalts oder in einem früheren Jahr entstanden sei.
Dagegen richtet sich die vom FG gemäß Art.1 Nr.3 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) i.V.m. § 115 Abs.2 Nr.1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, den Beschluß des FG aufzuheben und die Vollziehung des angefochtenen Bescheides mit der Maßgabe auszusetzen, daß vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptverfahren von einem Verlust von 1 464 434 DM auszugehen sei, der auf die Beteiligten nach Maßgabe des ursprünglichen Bescheides vom 28.Januar 1986 verteilt werde.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet.
1. Nach § 69 Abs.3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 69 Abs.3 Satz 1 i.V.m. Abs.2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sind zu bejahen, wenn bei der summarischen Prüfung dieses Bescheids anhand des aktenkundigen Sachverhalts neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechende Gründe zutagetreten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (Beschluß des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10.Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182, seitdem ständige Rechtsprechung). Das FG ist von diesen Rechtsgrundsätzen ausgegangen, hat sie im Streitfall jedoch nicht zutreffend angewandt.
2. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts ergeben sich daraus, daß bisher eine höchstrichterliche Entscheidung zur Bedeutung einer Rangrücktrittsvereinbarung, wie sie im Streitfall getroffen wurde, für die Bilanzierung in der Handelsbilanz nicht vorliegt und daß im Fachschrifttum von namhaften Autoren die Auffassung vertreten wird, eine gewinnerhöhende Auflösung der im Rang zurückgetretenen Verbindlichkeit sei unzulässig.
a) Bei Kapitalgesellschaften und bei Personengesellschaften, bei denen kein Gesellschafter eine unbeschränkt haftende natürliche Person ist, ist neben der Zahlungsunfähigkeit die Überschuldung Konkurs- und Vergleichsgrund (vgl. für die KG ohne natürliche Person als Komplementär § 177a i.V.m. § 130a des Handelsgesetzbuches --HGB--). Nach den Urteilen des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 9.Februar 1987 II ZR 104/86 (Betriebs-Berater --BB-- 1987, 728, Der Betrieb --DB-- 1987, 979) und des Hanseatischen Oberlandesgerichts (OLG) Hamburg vom 18.Juli 1986 11 U 77/84 (BB 1987, 1817) führt eine Rangrücktrittsvereinbarung mit dem im Streitfall vereinbarten Inhalt dazu, daß im Überschuldungsstatus (§ 130a HGB) die im Rang zurücktretende Forderung vom Schuldner nicht als Verbindlichkeit passiviert werden muß. Vereinbarungen dieser Art werden meistens mit Gläubigern getroffen, die auch Gesellschafter der in eine wirtschaftliche Krise geratenen Gesellschaft sind; sie können aber auch mit Gläubigern getroffen werden, die nicht Gesellschafter sind und haben dann die gleiche Rechtsfolge wie die Rangrücktrittsvereinbarung mit einem Gesellschafter-Gläubiger (Priester, DB 1977, 2429).
b) Die Wertansätze in der Überschuldungsbilanz müssen mit denen im handelsrechtlichen Jahresabschluß nach §§ 38 ff. HGB, jetzt §§ 238 ff. HGB nicht übereinstimmen (vgl. Sarx in Beck'scher Bilanz-Kommentar, Anhang 3, Anm.330 ff.). Zur Bedeutung von Rangrücktrittsvereinbarungen mit dem im Streitfall vereinbarten Inhalt für den handelsrechtlichen Jahresabschluß, der nach dem Grundsatz der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz (§ 5 des Einkommensteuergesetzes --EStG--) auch Wirkungen für die Besteuerung entfaltet, werden im Schrifttum unterschiedliche Auffassungen vertreten. Der Auffassung, die zurückgetretene Verbindlichkeit dürfe in der Handelsbilanz nicht mehr passiviert werden, solange die Voraussetzungen für die Erfüllung nicht eingetreten seien (vgl. u.a. Priester, DB 1977, 2429, 2434; Schulze-Osterloh in Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 14.Aufl., § 42 Rdnr.72; Haug/Letters, Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht --JbFSt-- 1983/84, 335) steht die Auffassung gegenüber, die zurückgetretene Verbindlichkeit müsse, wenn auch mit entsprechender Kennzeichnung, weiterhin als solche ausgewiesen werden (Fleck, Festschrift für Döllerer, 109, 119, 120; Uelner, JbFSt 1983/84, 340; Hachenburg/Goerdeler/Müller, GmbH-Gesetz, § 30 Rdnr.30, § 42 Rdnr.104; Clemm/Nonnenmacher in Beck'scher Bilanz-Kommentar, § 247 HGB Anm.391; Wirtschaftsprüfer-Handbuch 1985/86, 1374). Schließlich wird die Auffassung vertreten, die zurückgetretenen Verbindlichkeiten seien in einem besonderen Posten zwischen Eigen- und Fremdkapital auszuweisen (Knobbe-Keuk, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht --ZIP-- 1983, 127, 130, 131; Peters, Wertpapier-Mitteilungen --WM-- 1986, 641, 692; Karsten Schmidt, Festschrift für Goerdeler, 487, 501 ff.), wobei jedoch davon ausgegangen wird, daß die Umgliederung nicht zu einem außerordentlichen Ertrag führt (Knobbe-Keuk, ZIP, 130).
c) Die dadurch ausgelösten Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts können nicht durch einen Rückgriff auf bereits vorliegende BFH-Rechtsprechung ausgeräumt werden. Der BFH hat allerdings mehrfach ausgesprochen, daß Verbindlichkeiten, die nur aus künftigen Gewinnen zu tilgen sind, einkommensteuerrechtlich nicht passiviert werden dürfen (BFH-Entscheidungen vom 18.Juni 1980 I R 72/76, BFHE 131, 303, 306, BStBl II 1980, 741; vom 10.November 1980 GrS 1/79, BFHE 132, 244, 254, BStBl II 1981, 164, 169; vom 19.Februar 1981 IV R 112/78, BFHE 133, 368, BStBl II 1981, 654, 658; vom 10.Oktober 1985 IV B 30/85, BFHE 144, 395, BStBl II 1986, 68). In den Entscheidungen in BFHE 131, 303, BStBl II 1980, 741 und in BFHE 133, 368, BStBl II 1981, 654, 658 ist mit dieser Begründung die Passivierung der einem Arbeitnehmer zugesagten Tantieme- bzw. Pensionszahlung versagt worden. Dem lag die allgemein für die Passivierung von Rückstellungen geltende Erwägung zugrunde, daß die ungewisse Verbindlichkeit erst passiviert werden darf, wenn sie wirtschaftlich verursacht ist. Im Streitfall waren die zurückgetretenen Verbindlichkeiten jedoch unstreitig vor Abschluß der Rangrücktrittsvereinbarung wirtschaftlich verursacht. Für die Frage, ob die Verbindlichkeit gewinnerhöhend aufgelöst werden darf, kommt es daher im Streitfall weniger auf die Frage der wirtschaftlichen Verursachung als vielmehr darauf an, ob die Rangrücktrittsvereinbarung hinreichender Rechtsgrund für eine Gewinnrealisierung in Höhe des Rangrücktritts sein kann. In der Entscheidung in BFHE 144, 395, BStBl II 1986, 68 hat der Senat die auch im damaligen Verfahren umstrittene Frage offengelassen, da jedenfalls wegen Wegfalls der Gewinnaussichten für die Gesellschaft insgesamt das negative Kapitalkonto des atypischen stillen Gesellschafters gewinnerhöhend aufgelöst werden mußte. Bei Prüfung der Gewinnrealisierungsfrage wird aber möglicherweise auch der Umstand Bedeutung haben, daß nach der Rangrücktrittsvereinbarung die zurückgetretene Verbindlichkeit nicht nur aus künftigen Gewinnen, sondern auch aus einem Liquidationsüberschuß sowie aus einem die sonstigen Verbindlichkeiten der Antragstellerin übersteigenden Vermögen zu tilgen ist. Im wirtschaftlichen Ergebnis bedeutet dies, daß --anders in den bisher vom BFH entschiedenen Fällen-- ein nach Tilgung aller anderen Verbindlichkeiten verbleibendes Vermögen ungeschmälert zur Tilgung der zurückgetretenen Verbindlichkeiten verwandt werden muß. Deshalb wird im Schrifttum auch mit Recht hervorgehoben, das durch die zurückgetretene Verbindlichkeit aufgebrachte Kapital stelle "im Verhältnis zu den übrigen Gläubigern haftendes Kapital dar" und unterscheide sich dadurch vom "normalen Fremdkapital" (Knobbe-Keuk, ZIP, 131). Auch diese Erwägung könnte dafür sprechen, die zurückgetretenen Verbindlichkeiten im Verhältnis zur Schuldnerin nach wie vor als Fremdkapital zu werten; dies hätte zur Folge, daß eine gewinnerhöhende Auflösung unterbleiben müßte.
d) Der Senat verkennt nicht, daß bei der Ausgabe von Besserungsscheinen nahezu allgemein die Auffassung vertreten wird, die betroffenen Verbindlichkeiten müßten gewinnerhöhend aufgelöst werden (vgl. Clemm/Nonnenmacher, a.a.O., § 247 HGB Anm.371; Schmidt, Einkommensteuergesetz, 8.Aufl., § 5 Anm.57, "Besserungsscheine"; Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, §§ 4-5 Rz.176, "Besserungsscheine"). Dem liegt jedoch die Vorstellung zugrunde, daß die bestehenden Verbindlichkeiten erlassen und eine neue Verbindlichkeit begründet wird, die unter der aufschiebenden Bedingung späterer Gewinnerzielung steht (Clemm/Nonnenmacher, a.a.O., § 247 HGB Anm.370, 371). Die bestehenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts können dadurch jedoch nicht ausgeräumt werden, da Rangrücktritt und Besserungsschein auf unterschiedlichen zivilrechtlichen Grundlagen beruhen. Während es im Falle des Besserungsscheins zu einem Schulderlaß und zur Begründung einer aufschiebend bedingten Forderung kommt, wird im Falle des Rangrücktritts lediglich der Inhalt einer als solcher fortbestehenden Verbindlichkeit verändert (Knobbe-Keuk, ZIP, 130).
3. Auf die Beschwerde mußte daher, ohne daß es auf den weiteren Vortrag der Antragstellerin ankäme, der Beschluß des FG aufgehoben und antragsgemäß Aussetzung der Vollziehung gewährt werden (vgl. BFH-Beschluß vom 14.April 1987 GrS 2/85, BFHE 149, 493, BStBl II 1987, 637).
Fundstellen
Haufe-Index 62563 |
BFH/NV 1989, 51 |
BStBl II 1990, 71 |
BFHE 158, 426 |
BFHE 1990, 426 |
BB 1989, 2444-2445 (LT1) |
DB 1990, 564-565 (ST) |
DStR 1989, 775 (KT) |
HFR 1990, 87 (LT) |