Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs
Leitsatz (NV)
Die Verletzung rechtlichen Gehörs wird nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechend gerügt, wenn nicht bezeichnet wird, was bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen worden wäre, sondern wenn nur dargelegt wird, welches Vorbringen das FG nicht im Sinne des Klägers gewürdigt hat.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; FGO § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 S. 3
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage gegen die Umsatzsteuerbescheide 1984 und 1985 ab, in denen der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) Ansprüche auf Kürzung der Umsatzsteuer gemäß § 1 Abs. 1 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) wegen der Lieferung von in Berlin (West) hergestellten Geräten durch ihre Rechtsvorgängerin an Abnehmer im Ausland versagt hatte. Das FG begründete seine Überzeugung, daß die Geräte nicht -- wie die Klägerin im Besteuerungs-, Einspruchs- und im finanzgerichtlichen Verfahren vorgetragen hatte -- an einen im Bundesgebiet ansässigen Exportunternehmer (W) und von diesem an die Abnehmer im Ausland geliefert worden seien. Vielmehr habe die Klägerin die tatsächliche Sachherrschaft gehabt und W nur deshalb eingeschaltet, um die Umsatzsteuerpräferenz zu erhalten.
Mit der Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision und macht Verfahrensmängel geltend (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Sie rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs. Dazu trägt sie u. a. vor, das Urteil sei -- für sie überraschend -- im wesentlichen auf Feststellungen gestützt worden, die schon im außergerichtlichen Verfahren "ausgeräumt worden" seien. Wenn das FG ausgeführt habe, sie -- die Klägerin -- hätte sich mit den in der Stellungnahme des Außenprüfers aufgeführten Einzelfeststellungen substantiiert auseinandersetzen müssen, so habe es nicht beachtet, daß diese Einzelfeststellungen bereits in der Einspruchsbegründung, auf die im finanzgerichtlichen Verfahren Bezug genommen worden sei, "vollständig widerlegt worden" seien. Das FG hätte sie, die Klägerin, auch darauf hinweisen müssen, daß die bei einer Sonderprüfung bei W getroffenen Feststellungen entscheidungserheblich seien. Den dabei getroffenen tatsächlichen Feststellungen hätte sie aber nicht entgegentreten können, weil sie zuträfen, aber präferenzunschädlich seien. In der mündlichen Verhandlung vor dem FG habe sie ihren Standpunkt ausführlich dargelegt, so daß es ihr unverständlich sei, daß das FG den Erfahrungen und Verbindungen des W bei der Abwicklung der Exportgeschäfte nicht die dargelegte Bedeutung beigemessen habe. Hätte sich das FG mit ihren Argumenten und ihrem Vorbringen auseinandergesetzt und diese mit ihr erörtert, wäre es vermutlich zu einer anderen Entscheidung gekommen.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
a) Die Klägerin hat eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 des Grundgesetzes -- GG --, § 96 Abs. 2 FGO) nicht schlüssig gerügt. Art. 103 Abs. 1 GG gewährt dem Beteiligten das Recht, sich über Tatsachen, Beweisergebnisse und die Rechtslage zu äußern (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 15. Dezember 1992 VIII R 52/91, BFH/NV 1993, 684 mit weiteren Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Das FG ist verpflichtet, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und zu er wägen. Davon kann grundsätzlich ausgegangen werden, sofern nicht besondere Umstände des konkreten Falles auf einen Verstoß hindeuten. Die Vermutung, daß das FG das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und erwogen hat, wird nicht schon dadurch entkräftet, daß das FG auf das betreffende Vorbringen in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht besonders eingegangen ist. Das FG braucht nicht auf jede Rechtsausführung der Beteiligten einzugehen; insbesondere braucht es nicht im einzelnen zu begründen, weshalb es diesen nicht folgt, wenn die tragenden rechtlichen Erwägungen für seine Entscheidung dargestellt werden.
Verfahrensfehler wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs sind nur schlüssig vorgetragen, wenn bezeichnet wird, was nicht hatte vorgetragen werden können und was bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen worden wäre. Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdeschrift nicht. Sie bezeichnet nicht, was nicht hatte vorgetragen werden können, sondern bezeichnet nur, welches Vorbringen das FG nicht im Sinne der Klägerin gewürdigt hat. Die Klägerin weist selbst darauf hin, daß sie ihren Standpunkt in der Einspruchsbegründung, in weiteren Schriftsätzen während des finanzgerichtlichen Verfahrens und in der mündlichen Verhandlung am 16. August 1994 dargestellt hat. Das FG hat diese Darstellung zur Kenntnis genommen, aber bei seiner Entscheidung dem Sinne nach darauf hingewiesen, daß die Klägerin dem Gericht dadurch nicht die Überzeugung vom Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen für Kürzungsansprüche nach § 1 Abs. 1 BerlinFG habe verschaffen können. Hätte die Klägerin, wie sie ausführt, die vom FG für seine Beweislastentscheidung herangezogenen "Punkte bereits im Vorverfahren aus geräumt" und "vollständig widerlegt", wäre es nicht zu dem Verfahren vor dem FG gekommen.
b) Die Beschwerdebegründung enthält außerdem nicht die Darlegung, weshalb die angefochtene Entscheidung auf den vom FG angeblich nicht zur Kenntnis genommenen Tatsachen beruhen kann. Dafür reicht der Hinweis nicht aus, das FG wäre "vermutlich" zu einer anderen Entscheidung gekommen.
c) Schließlich hat das FG, wie sich aus Tatbestand und dem Zusammenhang der Urteilsgründe ergibt, den gesamten Vortrag der Klägerin zur Kenntnis genommen, ihn bei seiner Entscheidung abgewogen, aber nicht die Überzeugung für das Vorliegen der Umstände gewonnen, die für die Gewährung der Umsatzsteuerkürzungsansprüche gefordert werden. Das FG hat auf den Seiten 5 bis 10 des Urteils z. B. die Einwendungen der Klägerin gegen den Betriebsprüfungsbericht des FA ... vom 17. November 1989 und gegen die Stellungnahme des Betriebsprüfers vom 16. März 1990 geschildert. Es hat die Darstellung der Klägerin mitgeteilt (Seite 7), daß W eigene Kunden für Auslandsgeschäfte eingebracht habe. Es ist auf diese und andere Umstände ausdrücklich in den Entscheidungsgründen bei der Würdigung eingegangen, ob die Klägerin an W oder an Kunden im Ausland geliefert habe.
Fundstellen
Haufe-Index 421025 |
BFH/NV 1996, 335 |