Entscheidungsstichwort (Thema)
Zustellungsfehler; Anforderungen an die Begründung einer NZB
Leitsatz (NV)
1. Die Regelung des § 180 Satz 3 ZPO, die den Zusteller bei der Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten verpflichtet, auf dem Umschlag einen Vermerk über das Datum der Zustellung anzubringen, gehört zu den zwingenden Zustellungsvorschriften i.S. des § 189 ZPO. Verstößt der Zusteller gegen diese Vorschrift, gilt das Schriftstück erst im Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs als zugestellt.
2. Rügt der Beschwerdeführer, das FG hätte den Sachverhalt von Amts wegen weiter aufklären müssen, muss die Beschwerdebegründung Ausführungen dazu enthalten, inwiefern die Beweiserhebung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 76 Abs. 1, § 116 Abs. 3 S. 3; ZPO § 180 S. 3, § 189
Verfahrensgang
Sächsisches FG (Urteil vom 03.03.2004; Aktenzeichen 3 K 2327/02) |
Tatbestand
I. Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 22. April 1997 kaufte der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) von Frau R das Grundstück C-Straße 86 (C-86) für 200 000 DM. Die Parteien gaben in den Vorbemerkungen des Kaufvertrags an, das Grundstück sei mit einem unsanierten Mehrfamilienhaus bebaut. Beide Parteien behielten sich ein Rücktrittsrecht für den Fall vor, dass dem Kläger nicht bis zum 31. Mai 1997 die Finanzierung des Gesamtvolumens von 1,3 Mio. DM zugesagt werde. Am 28. April 1997 schlossen der Kläger und Frau R einen privatschriftlichen Bauvertrag über die Komplettsanierung des Objekts C-86 zu einem Pauschalpreis von 1,05 Mio. DM brutto. Nach den Angaben des Klägers in seiner Einkommensteuererklärung für 1997 wurden die Sanierungsarbeiten am 1. August 1997 abgeschlossen und die Wohnungen anschließend vermietet.
Frau R verkaufte am 17. Juli 1997 auch das Nachbargrundstück C-88 für 200 000 DM an den Kläger; der zwischen denselben Parteien geschlossene Bauvertrag über die Komplettsanierung auch dieses Gebäudes zu einem Pauschalpreis von 950 000 DM datiert vom 8. August 1997. Der Kläger gab hierzu an, die Sanierungsarbeiten seien am 1. Dezember 1997 abgeschlossen worden.
Im Rahmen einer Außenprüfung bei der R-GmbH --nach den Ausführungen des Finanzgerichts (FG) "das Bauunternehmen des Ehemanns der Verkäuferin"-- wurden dem damals zuständigen Finanzamt (FA) X die Bauverträge bekannt. In den angefochtenen Grunderwerbsteuer-Änderungsbescheiden vom 8. August 2002 bezog das FA X auch das Entgelt für die Bauleistungen in die jeweilige Bemessungsgrundlage ein und erhöhte die Grunderwerbsteuer-Festsetzungen entsprechend. Dabei ging es davon aus, dass Frau R die R-GmbH am 29. August 1996 mit der Sanierung der Gebäude beauftragt und am 10. Oktober 1996 das Eigentum an den Grundstücken erworben habe. Ausweislich der Eingangsrechnungen der von der R-GmbH beauftragten Subunternehmer und der Ausgangsrechnungen der R-GmbH an R seien die Sanierungsmaßnahmen in der Zeit von November 1996 bis Juli 1997 durchgeführt worden.
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das FG war der Ansicht, Gegenstand der beiden Erwerbsvorgänge seien Grundstücke mit bereits sanierten Gebäuden gewesen. Der Kläger habe in engem zeitlichen Zusammenhang mit den Grundstückskaufverträgen die vorherige Eigentümerin auch mit der Erbringung der Bauleistungen zu Festpreisen beauftragt. Die faktische Bindung des Klägers an ein bereits vorhandenes Baukonzept ergebe sich daraus, dass die Sanierung der Gebäude im Zeitpunkt des Abschlusses der jeweiligen Kaufverträge bereits weit fortgeschritten gewesen sei. Seine entsprechende Überzeugungsbildung stützte das FG zum einen auf die im Verhältnis zum Umfang der gesamten Baumaßnahmen nur kurze verbleibende Zeit bis zu den vom Kläger angegebenen Fertigstellungsdaten, zum anderen auf die Ausgangsrechnungen der R-GmbH für die Sanierungsarbeiten. Auf die Mutmaßungen des Klägers, diese Rechnungen seien zur Erlangung des Vorsteuerabzugs erstellt, aber nicht bezahlt worden, komme es nicht an, weil im vorliegenden Zusammenhang nur das Datum der Rechnungen maßgebend sei. Unerheblich sei ferner die Behauptung des Klägers, keine Kenntnis von dem im Zeitpunkt der Kaufverträge bereits erreichten Sanierungszustand gehabt zu haben, weil es nur auf den objektiven Vorgang der Annahme eines von der Veräußererseite in zeitlicher Nähe zur Anschaffung entwickelten Bebauungskonzepts ankomme.
Das klageabweisende Urteil des FG wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 13. März 2004, einem Samstag, durch Einlegen in den Briefkasten seiner Kanzlei zugestellt. Die Beschwerdebegründung ging am 14. Mai 2004 beim Bundesfinanzhof (BFH) ein. Nach einem Hinweis der Senatsgeschäftsstelle auf den Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist beantragte der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und legte den Briefumschlag vor, in dem ihm das FG-Urteil zugestellt worden war. Der Zusteller hat auf diesem Umschlag keinen Vermerk über das Datum der Zustellung angebracht.
In der Sache selbst begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen Verfahrensmängeln und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unzulässig.
Die Beschwerdebegründung ist zwar rechtzeitig eingegangen (unten 1.), sie entspricht aber nicht den gesetzlichen Darlegungsanforderungen (unten 2.).
1. Die Beschwerde ist fristgerecht begründet worden. Das angefochtene Urteil gilt als am 15. März 2004 zugestellt. Die zweimonatige Beschwerdebegründungsfrist des § 116 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) lief gemäß § 54 Abs. 2 FGO, § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO), § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), § 222 Abs. 2 ZPO am 17. Mai 2004 (Montag) ab. Die am 14. Mai 2004 eingegangene Beschwerdebegründung hat diese Frist gewahrt.
Für die Zustellung des FG-Urteils ist im Streitfall nicht der Zeitpunkt der Einlegung in den Briefkasten der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Klägers (§ 53 Abs. 2 FGO i.V.m. § 180 ZPO), sondern der Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs beim Prozessbevollmächtigten maßgebend (§ 189 ZPO). Nach der letztgenannten Vorschrift gilt ein Schriftstück, das unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war, tatsächlich zugegangen ist.
Die Regelung des § 180 Satz 3 ZPO, die den Zusteller bei der Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten dazu verpflichtet, auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks einen Vermerk über das Datum der Zustellung anzubringen, gehört zu den zwingenden Zustellungsvorschriften i.S. des § 189 ZPO. Dies hat der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmS-OGB) bereits für das vor dem 1. Juli 2002 geltende Zustellungsrecht entschieden, als es noch an einer ausdrücklichen Anordnung einer solchen Pflicht des Zustellers fehlte und diese nur mittelbar aus anderen Vorschriften entnommen werden konnte (Beschluss vom 9. November 1976 GmS-OGB 2/75, BFHE 121, 1, BStBl II 1977, 275, unter III.2.b). Soweit der GmS-OGB (a.a.O., unter III.1., 2.a) weiter entschieden hat, dass in derartigen Fällen zwar die Zustellung wirksam ist, aber Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen nicht zu laufen beginnen, beruht dies auf der damaligen Fassung des § 9 des Verwaltungszustellungsgesetzes, die durch das Zustellungsreformgesetz vom 25. Juni 2001 (BGBl I 2001, 1206) und die Erstreckung des Anwendungsbereichs der Heilungsvorschrift des § 189 ZPO auf sämtlicheFristen überholt ist.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat keine Angaben zu dem Zeitpunkt gemacht, in dem ihm das angefochtene Urteil tatsächlich zugegangen ist. Da er jedoch ausgeführt hat, dass in seiner Kanzlei an Samstagen üblicherweise nicht gearbeitet werde, und das Urteil mit dem Eingangsstempel vom 15. März 2004 (Montag) versehen ist, geht der Senat davon aus, dass es dem Prozessbevollmächtigten an diesem Tag tatsächlich zugegangen ist.
Es kommt danach nicht mehr darauf an, ob dem Kläger für den Fall der Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist hätte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden können.
2. Der Kläger hat die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in einer den gesetzlichen Anforderungen (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO) entsprechenden Weise dargelegt.
a) Der Kläger sieht eine mangelnde Sachaufklärung darin, dass das FG nicht den genauen Umfang des im Zeitpunkt des jeweiligen Kaufvertrags bereits durchgeführten Teils der Sanierungsmaßnahmen aufgeklärt hat. Insoweit habe das FA X während des Verfahrens ausgeführt, das Objekt C-86 sei zum maßgebenden Zeitpunkt lediglich zu 65 bis 75 %, das Objekt C-88 zu 83,68 % saniert gewesen. Nur in dieser Höhe hätten die Sanierungskosten in die Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer einbezogen werden dürfen.
Wird ein Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) mit der Begründung gerügt, das FG hätte auch ohne entsprechenden Beweisantritt von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufklären müssen, so sind nach ständiger Rechtsprechung des BFH Ausführungen dazu erforderlich, welche Beweise das FG von Amts wegen hätte erheben bzw. welche Tatsachen es hätte aufklären müssen, aus welchen Gründen sich ihm die Notwendigkeit einer Beweiserhebung auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern die Beweiserhebung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (BFH-Entscheidungen vom 6. Juni 2000 VII R 72/99, BFHE 192, 390, und vom 25. Juni 2002 X B 199/01, BFH/NV 2002, 1332).
Vorliegend fehlt es an Ausführungen dazu, inwiefern Feststellungen zum genauen Umfang des Sanierungsgrades für die Beurteilung des Streitfalls auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des FG erheblich gewesen wären. Das FG ist nicht etwa davon ausgegangen, dass als Erwerbsgegenstand die Gebäude in demjenigen Zustand anzusehen seien, in dem sie sich im Zeitpunkt des Kaufvertrags gerade befunden haben. Vielmehr hat es angenommen, die nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes maßgebenden Rechtsgeschäfte seien jeweils auf den Erwerb eines Grundstücks mit (vollständig) saniertem Gebäude gerichtet gewesen. Nur bei seiner entsprechenden Tatsachenwürdigung hat das FG neben dem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen den Kauf- und Bauverträgen auch den im Zeitpunkt der Kaufvertragsschlüsse bereits erreichten Sanierungsfortschritt, der eine faktische Bindung des Klägers begründet habe, einbezogen. Auf den genauenGrad des Sanierungsfortschritts kam es nach Auffassung des FG für die Annahme einer faktischen Bindung nicht an.
b) Auch die Rüge, das FG hätte Ermittlungsmaßnahmen hinsichtlich der Echtheit der von der R-GmbH an Frau R gerichteten Rechnungen anstellen müssen, ist unzulässig. Der Kläger hat nichts dazu vorgetragen, aus welchen Gründen sich dem FG die Notwendigkeit einer Beweiserhebung auch ohne entsprechenden Antrag hätte aufdrängen müssen. Er hatte im Klageverfahren lediglich die Vermutung geäußert, dass Frau R auf die Rechnungen der R-GmbH keine Zahlungen geleistet haben könnte. Das FG hat dazu ausgeführt, dass es nicht auf die Zahlung, sondern auf die tatsächliche Erbringung der Sanierungsleistungen ankomme. Auch die weitere Würdigung des FG, die nur kurze Zeitspanne zwischen Kaufvertrag und Fertigstellung spreche dafür, dass ein Teil der Sanierungsarbeiten bereits im Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses erbracht worden sei, hat der Kläger nicht in Zweifel gezogen.
c) Mit seinem Vorbringen, das FG habe die in den Kaufverträgen zugunsten der R enthaltenen Rücktrittsklauseln falsch gewürdigt, macht der Kläger keinen Verfahrensfehler geltend. Vielmehr ist die Würdigung vertraglicher Vereinbarungen revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen; insoweit bringt der Kläger aber keine Zulassungsgründe vor.
d) Der Kläger hat auch nicht dargelegt, dass die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO) zuzulassen wäre. Dies hätte die Bezeichnung abstrakter Rechtssätze sowohl im angefochtenen Urteil als auch in der Divergenzentscheidung vorausgesetzt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 7. August 2002 VII B 214/01, BFH/NV 2002, 1606, und vom 24. März 2003 II B 41/02, BFH/NV 2003, 1067). Die entsprechenden Ausführungen des Klägers enthalten jedoch weder aus den herangezogenen Divergenzentscheidungen (BFH-Urteile vom 16. Januar 2002 II R 16/00, BFHE 197, 308, BStBl II 2002, 431, und vom 22. Mai 2002 II R 2/00, BFH/NV 2002, 1613) noch aus dem FG-Urteil abstrakte Rechtssätze; sie erschöpfen sich vielmehr in einer von der Auffassung des FG abweichenden materiell-rechtlichen Würdigung des Sachverhalts. Hierauf allein kann eine Divergenzbeschwerde indes nicht gestützt werden, zumal dieses prozessuale Rechtsinstitut nicht dazu dient, allgemein die Richtigkeit finanzgerichtlicher Urteile zu gewährleisten (vgl. BFH-Beschluss vom 28. Mai 1999 X B 151/98, BFH/NV 1999, 1374).
e) Die Rechtssache ist auch nicht im Hinblick auf das beim Senat anhängige Revisionsverfahren II R 6/03 von grundsätzlicher Bedeutung. In jenem Verfahren geht es um die Rechtsfrage, ob ein Grundstückskaufvertrag auch dann den Erwerb eines bereits sanierten Gebäudes zum Gegenstand hat, wenn der Erwerber lediglich in einen noch vom Veräußerer abgeschlossenen Architektenvertrag eintritt, die einzelnen Bauhandwerker aber --zeitlich nach dem Erwerb-- selbst beauftragt. Die Beantwortung dieser Rechtsfrage hat für den Streitfall, der dadurch gekennzeichnet ist, dass der Kläger sowohl das Grundstück als auch sämtliche Bauleistungen ausschließlich vom Veräußerer bezogen hat, keine Bedeutung.
Fundstellen
Haufe-Index 1330602 |
BFH/NV 2005, 900 |