Entscheidungsstichwort (Thema)
AdV von im Wege des Lohnsteuerabzugs einbehaltenen und abgeführten Beträgen; mittelbare Grundstücksschenkung und § 10e EStG
Leitsatz (NV)
1. Eine Aufhebung der Vollziehung wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Einkommensteuerbescheides kann auch zu einer -- vorläufigen -- Erstattung einbehaltener und abgeführter Lohnsteuer führen (Fortführung zum Beschluß des Großen Senats des BFH vom 3. Juli 1995 GrS 3/93, BFHE 178, 11, BStBl II 1995, 730; Anschluß an BFH-Beschluß vom 25. Oktober 1995 VIII B 79/95).
2. Nach § 10e EStG sind nur die vom Steuerpflichtigen selbst aufgewendeten Kosten für die Anschaffung des Objekts begünstigt. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die Anwendung dieser Vorschrift ausgeschlossen ist, wenn die Erwerber von Dritten einen Geldbetrag für den Erwerb eines Grundstücks geschenkt erhalten.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 1, 3; EStG § 10e
Verfahrensgang
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist im Hauptsacheverfahren streitig, ob eine sog. mittelbare Grundstücksschenkung die Anwendung des § 10e des Einkommensteuergesetzes (EStG) ausschließt.
Die Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) erwarben mit Vertrag vom 22. Dezember 1989 das Grundstück D-Straße 1 in K. Die Anschaffungskosten beliefen sich auf 272 261 DM, zu deren Zahlung sich die Antragsteller verpflichteten. Die Eltern des Antragstellers leisteten schenkweise einen Zuschuß von 100 000 DM. Auf dem an die Antragsteller adressierten Überweisungsträger vermerkten sie: "Zurverfügungstellung des EK's für das Bauvorhaben in H.".
In der Steuererklärung für das Streitjahr 1992 beantragten die Antragsteller, einen Betrag von 18 164 DM zum Abzug nach § 10e EStG zuzulassen, darunter auch in den Vorjahren nicht geltend gemachte Abzüge in Höhe von 5 200 DM. Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt -- FA --) minderte die Bemessungsgrundlage für den Abzug nach § 10e EStG um 100 000 DM mit der Begründung, eine mittelbare Grundstücksschenkung werde durch § 10e EStG nicht begünstigt.
Aufgrund des Einkommensteuerbescheids vom 23. Juli 1993, durch den die Einkommensteuer 1992 auf ... DM festgesetzt wurde, ergab sich unter Berücksichtigung einbehaltener Lohnsteuer ein Erstattungsbetrag von ... DM. Gegen diesen Bescheid erhoben die Antragsteller nach erfolglosem Einspruch Klage. Einen zugleich gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte das FA ab. Das Finanzgericht (FG) hat dem Antrag insofern stattgegeben, als es die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids vom 23. Juli 1993 "in voller Höhe der Steuerfestsetzung aufgehoben" hat; der Beschluß ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 1105 veröffentlicht.
Hiergegen hat das FA die vom FG zugelassene Beschwerde eingelegt. Es beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses den Antrag auf Aufhebung der Vollziehung abzuweisen.
Die Antragsteller sind der Beschwerde entgegengetreten; sie haben keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Nach § 69 Abs. 2, Abs. 3 Sätze 1 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen, dessen Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen bzw. dessen Aufhebung anordnen, wenn der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen worden ist. Eine solche Aufhebung kann auch zu einer -- vorläufigen -- Erstattung einbehaltener und abgeführter Lohnsteuer führen.
a) Der Große Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat mit Beschluß vom 3. Juli 1995 GrS 3/93 (BFHE 178, 11, BStBl II 1995, 730) die Rechtsauffassung des erkennenden Senats (Beschluß vom 23. Juni 1993 X B 134/91, BFHE 172, 9, BStBl II 1994, 38) bestätigt. Danach darf die Vollziehung eines Einkommensteuerbescheids auch insoweit aufgehoben werden, als sie zu einer -- vorläufigen -- Erstattung entrichteter Einkommensteuer-Vorauszahlungsbeträge führt. Durch die Begründung dieser Entscheidung sieht sich der erkennende Senat in seiner Auffassung bestärkt, daß die Aufhebung der Vollziehung auch zu einer Erstattung der für Rechnung des Steuerschuldners einbehaltenen und abgeführten Lohnsteuer führen kann (vgl. BFHE 172, 9, BStBl II 1994, 38, unter B III. 3., 4. c, D 2.).
b) Unter Bezugnahme auf die genannte Entscheidung des Großen Senats hat sich der VIII. Senat des BFH mit Beschluß vom 25. Oktober 1995 VIII B 79/95 (BFH/NV 1996, 340) der Entscheidung des X. Senats auch insoweit angeschlossen, als dort die Anrechnung einbehaltener Steuerabzugsbeträge sowie der Körperschaftsteuer und entrichteter Vorauszahlungsbeträge ungeachtet struktureller Unterschiede -- im Ergebnis gleichbehandelt worden sind. Hierzu hat er ausgeführt, der Einkommensteuerbescheid bilde die alleinige Rechtsgrundlage für die Verwirklichung des Anspruchs auf die mit Ablauf des Veranlagungszeitraums entstandene Einkommensteuer (§ 36 Abs. 1 EStG, § 218 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung -- AO 1977 --). Auch über das Schicksal entrichteter Steuerabzugsbeträge entscheide allein der Einkommensteuerbescheid; sie seien anzurechnen und gegebenenfalls zu erstatten. Die Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen und entrichteten Vorauszahlungen sei lediglich ein unselbständiger Teil des Leistungsgebots. Es gebe keinen Grund, nunmehr zwischen entrichteten Vorauszahlungen auf die Einkommensteuer einerseits und Steuerabzugsbeträgen sowie anzurechnender Körperschaftsteuer andererseits zu unterscheiden. Bei der Kapitalertragsteuer zahle der Schuldner der Kapitalertragsteuer auf Rechnung des Gläubigers der Kapitalerträge und erfülle damit eine fremde Steuerschuld. Es handele sich um eine Art vorausgezahlter Einkommensteuer auf die dem Gläubiger zustehenden Kapitalerträge. Die Kapitalertragsteuer stelle ähnlich wie die Lohnsteuer nur eine besondere Form der Erhebung der Einkommensteuer dar. Stehe aufgrund der Veranlagung des Gläubigers der Kapitalerträge fest, daß dieser keine kapitalertragsteuerpflichtigen Erträge bezogen habe, so sei der Erfüllung der fremden Steuerschuld der Boden entzogen.
c) Dem schließt sich der erkennende Senat an. Er bleibt bei seiner Auffassung, daß die erhebungstechnischen Unterschiede zwischen der durch Vorauszahlungen einerseits und durch den Steuerabzug andererseits (Lohnsteuer, Kapitalertragsteuer) entrichteten Einkommensteuer für die hier entscheidungserhebliche Rechtsfrage ohne Bedeutung sind; dies läßt sich auch aus der Regelung zur Anrechnung in § 36 Abs. 2 EStG entnehmen. Im Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 5. Oktober 1995 IV A 5 -- S 0623 -- 9/95 (BStBl I 1995, 604) wird die abweichende Ansicht nicht begründet.
2. Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, daß ernstliche Zweifel (§ 69 Abs. 2 Satz 2 FGO) an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids bestehen.
a) Der erkennende Senat hat mit Urteil vom 8. Juni 1994 X R 51/91 (BFHE 175, 76, BStBl II 1994, 779) unter Hinweis auf die Rechtsprechung zu § 7b EStG (insbes. BFH-Urteil vom 15. Mai 1990 IX R 21/86, BFHE 162, 26, BStBl II 1992, 67) entschieden, daß die Grundsätze zur mittelbaren Grundstücksschenkung auch im Rahmen des § 10e EStG gelten. Nach § 10e EStG sind nur die vom Steuerpflichtigen selbst aufgewendeten Kosten für die Anschaffung der Wohnung begünstigt; für den unentgeltlichen Erwerb einer Wohnung ist ein Abzugsbetrag nicht zu gewähren (BFH-Urteil vom 4. Dezember 1991 X R 89/90, BFHE 166, 346, BStBl II 1992, 295). Ein unentgeltlicher Erwerb liegt auch bei einer sog. mittelbaren Gebäudeschenkung vor. Die von der Rechtsprechung im Schenkungsteuerrecht entwickelten Grundsätze gelten auch für das Einkommensteuerrecht. Hiernach kommt es darauf an, was nach der Schenkungsabrede geschenkt sein soll und worüber der Bedachte im Verhältnis zum Schenker tatsächlich und rechtlich verfügen kann. Kann der Beschenkte nicht über das ihm zugedachte Geld, sondern (erst) über das damit erworbene Grundstück verfügen, ist Gegenstand der Schenkung das Grundstück.
Eine Schenkung des Grundstücks hat das Senatsurteil in BFHE 175, 76, 80, BStBl II 1994, 779 (unter 2. b) angenommen in dem Fall, daß sich die schenkenden Eltern im Vertrag über die Anschaffung des begünstigten Objekts dem Veräußerer gegenüber zur Zahlung eines Teils des Entgelts verpflichtet und sich wegen dieser Verpflichtung der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen hatten. Das Urteil führt aus, die Erwerber wären nur dann zur Inanspruchnahme eines Abzugsbetrags nach § 10e EStG berechtigt gewesen, "wenn ihnen diese Beträge zuvor geschenkt worden wären" (a. a. O., unter 2. c). Auch das Urteil in BFHE 162, 26, 29, BStBl II 1992, 67 hebt maßgeblich darauf ab, ob der Beschenkte ein Gebäude auf eigene Rechnung erwirbt; eine mittelbare Schenkung eines Grundstücks ist für den Fall verneint worden, daß der Schenker einen Geldbetrag zuwendet, damit dieser nach seiner Wahl ein bebautes Grundstück anschaffen oder ein Gebäude errichten kann. Es bedarf hiernach stets der Feststellung, was die Vertragsparteien vor der tatsächlichen Durchführung als Gegenstand der Schenkung gewollt hatten.
b) Im Streitfall ist die Willensrichtung der Vertragschließenden in tatsächlicher Hinsicht ungeklärt. Ein Sachverhalt, wie er der Senatsentscheidung in BFHE 175, 76, BStBl II 1994, 779 zugrunde gelegen hat, ist hier nicht gegeben, da sich die Eltern des Antragstellers nicht -- auch nicht teilweise -- zur Zahlung des Kaufpreises verpflichtet haben. Für einen die gesamte neuere Rechtsprechung zur einkommen- und schenkungsteuerrechtlichen Behandlung der mittelbaren Grundstücksschenkung einbeziehenden Fallvergleich ist das Verfahren der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht geeignet, zumal das FA auf eine diesbezügliche Anfrage lediglich mitgeteilt hat, es halte auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich ergangenen Senatsurteile an seiner bisher vertretenen Rechtsauffassung fest.
Fundstellen
Haufe-Index 421200 |
BFH/NV 1996, 548 |