Entscheidungsstichwort (Thema)
Fehlen von Entscheidungsgründen
Leitsatz (NV)
- Von einem Fehlen von Entscheidungsgründen i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO a.F., § 119 Nr. 6 FGO ist nur auszugehen, wenn den Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung zu überprüfen. Das ist nur der Fall, wenn das FG seine Entscheidung überhaupt nicht begründet oder ein selbständiges Angriffsmittel oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen hat. Das Fehlen der Gründe ist abzugrenzen von einer kurzen, lückenhaften oder fehlerhaften Begründung, die nicht zur zulassungsfreien Revision berechtigt.
- Wie weit die Befugnis des Gerichts zur Kurzbegründung und zur Bezugnahme auf Verwaltungsentscheidungen reicht, hängt vom Einzelfall ab. Die Entscheidung über eine Bezugnahme steht grundsätzlich im Ermessen des Gerichts.
Normenkette
BFHEntlG Art. 1 Nr. 5; FGO § 116 Abs. 1 Nr. 5, § 76 Abs. 1 S. 1, § 105 Abs. 5, § 119 Nr. 6
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt in der Rechtsform einer GmbH ein Luftfahrtunternehmen und die Schulung von Flugschülern. Im Rahmen einer im Jahr 1996 abgeschlossenen Steuerfahndungsprüfung wurden im Wesentlichen nicht erklärte Einnahmen der Klägerin festgestellt. Die im Bericht vom 4. Juni 1996 getroffenen Feststellungen führten zu Änderungen der streitgegenständlichen Bescheide für die Jahre 1987 bis 1990 durch den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ―FA―). Im Verlaufe des folgenden Klageverfahrens hat die Klägerin beantragt, das Verfahren bis zur Durchführung eines gegen ihren ehemaligen Geschäftsführer und dessen Ehefrau ―beide Gesellschafter der Klägerin― eingeleiteten Strafverfahrens auszusetzen. Zudem begehrte sie Akteneinsicht in die Steuerfahndungsakten und beschlagnahmten Gegenstände sowie die Strafakten.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es führte aus, das FA habe den Änderungsbescheiden zu Recht die Feststellungen der Steuerfahndungsprüfung nach Maßgabe des Berichts vom 4. Juni 1996 zugrunde gelegt. Die Prüfungsfeststellungen seien schlüssig. Substantiierte Einwendungen dagegen seien von der Klägerin nicht erhoben worden. Eine Aussetzung des Verfahrens (§ 74 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) komme mangels Vorgreiflichkeit des Strafverfahrens nicht in Betracht.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin, die Vorentscheidung sei nicht mit Gründen versehen (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO a.F.). Dem FG sei bekannt gewesen, dass die Ermittlungen des zuständigen FA in der Straf- und Steuerfahndungssache noch nicht abgeschlossen gewesen seien. Dennoch habe es weder die Strafakten noch die Steuerfahndungsakten mit dem Fallheft des Steuerfahnders noch die beschlagnahmten Gegenstände zum Verfahren beigezogen. Das FA habe seinerseits nur "gesäuberte" Akten vorgelegt, dies habe das FG hingenommen. Das FG hätte in den Entscheidungsgründen darlegen müssen, weshalb es die Feststellungen der Steuerfahndung im Bericht vom 4. Juni 1996 für schlüssig halte. Einwendungen dagegen habe die Klägerin im Klageverfahren erhoben, sie ergäben sich auch aus der Begründung der gleichzeitig eingelegten Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision. Auf ihr schriftsätzliches Vorbringen sei das FG nicht eingegangen. Gegen die Schlüssigkeit der Feststellungen der Steuerfahndung spräche auch die Dauer des laufenden Strafverfahrens. Zudem sei die Vorentscheidung erst nach Ablauf von mehr als fünf Monaten nach der mündlichen Verhandlung zugestellt worden.
Das FA hat sich zur Revision nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II. Die Zulässigkeit der Revision gegen die vor dem 1. Januar 2001 zugestellte Vorentscheidung richtet sich nach den bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Bestimmungen (Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze ―2.FGOÄndG― vom 19. Dezember 2000, BGBl I 2000, 1757). Sie ist zu verneinen, die Revision war zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO).
1. Nach Art. 1 Nr. 5 des sonach anzuwendenden Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) findet abweichend von § 115 Abs. 1 FGO a.F. die Revision nur statt, wenn das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat. Das FG hat die Revision nicht zugelassen. Die dagegen eingelegte Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision hat der BFH durch Beschluss vom heutigen Tage als unzulässig verworfen.
Ein Fall der zulassungsfreien Revision gemäß § 116 Abs. 1 FGO a.F. liegt nicht vor. Insbesondere ist der Mangel, die Vorentscheidung sei nicht mit Gründen versehen (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO a.F.) nicht schlüssig gerügt worden.
Die Verfahrensrüge des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO soll sicherstellen, dass die Beteiligten ihre prozessualen Rechte wahrnehmen können. Von einem Fehlen von Entscheidungsgründen ist deshalb nur auszugehen, wenn den Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung zu überprüfen. Das ist nur der Fall, wenn das FG seine Entscheidung überhaupt nicht begründet oder ein selbständiges Angriffsmittel oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen hat (vgl. etwa BFH-Beschluss vom 17. Januar 1994 VIII R 50/93, BFH/NV 1994, 646). Das Fehlen der Gründe ist abzugrenzen von einer kurzen, lückenhaften oder fehlerhaften Begründung, die nicht zur zulassungsfreien Revision berechtigt. Denn die Verfahrensrüge nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO dient nicht der Rüge fehlerhafter Anwendung materiellen Rechts (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1994, 646; vom 9. Februar 2000 VIII R 27/99, BFH/NV 2000, 968).
Wie weit die Befugnis des Gerichts zur Kurzbegründung und zur Bezugnahme auf Verwaltungsentscheidungen reicht, hängt vom Einzelfall und davon ab, wie aussagekräftig die vom Gericht bestätigten (schriftlichen) Ausführungen der Verwaltung reichen und inwieweit sie ggf. noch der Ergänzung oder Klarstellung bedürfen (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 105 Anm. 29, m.w.N.). Sie ist nicht auf die Bezugnahme auf die Begründung eines Verwaltungsakts oder die Entscheidung über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf (§ 105 Abs. 5 FGO) beschränkt, sondern erstreckt sich in geeigneten Fällen auch auf die diesen zugrunde liegenden Feststellungen. Die Entscheidung über eine Bezugnahme steht grundsätzlich im Ermessen des Gerichts (BFH-Beschluss vom 4. August 1999 VIII B 77/99, BFH/NV 2000, 71).
Im Streitfall hat das FG sich auf den Bericht über die Steuerfahndungsprüfung bei der Klägerin bezogen, deren Feststellungen es für schlüssig hält. Diese Feststellungen betreffen im Wesentlichen in der Buchführung nicht erfasste Einnahmen und ungeklärte Geldzugänge bei der Klägerin. Da sie im Bericht im Einzelnen aufgeschlüsselt und erläutert worden sind, bedeutet die Bezugnahme des FG darauf trotz ihrer Kürze kein ermessenswidriges Begründungsdefizit. Das FG war nicht veranlasst, die Prüfungsfeststellungen in seinen Entscheidungsgründen erneut darzustellen. Demgegenüber hat die Klägerin ihrerseits nicht dargelegt, welches neue Klagevorbringen zu einem selbständigen Angriffs- oder Verteidigungsmittel durch das FG unberücksichtigt geblieben ist (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 23. November 1998 VII R 79/98, BFH/NV 1999, 942; vom 20. Mai 1998 IV R 58/97, BFH/NV 1999, 50; in BFH/NV 2000, 71).
Im Kern rügt die Klägerin, dass das FG ihrem dahin gehenden Antrag in der mündlichen Verhandlung nicht gefolgt ist, die Akten des Strafverfahrens und die Steuerfahndungsakten zum Verfahren beizuziehen und damit, dass das FG seine Verpflichtung zur Aufklärung des Sachverhalts verletzt hat (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO). Diese Rüge kann nicht zur zulassungsfreien Revision gemäß § 116 Abs. 1 FGO a.F. führen.
2. Die am 17. Januar 2000 verkündete Vorentscheidung ist mit Entscheidungsgründen ausweislich der Prozessakten der Geschäftsstelle des FG am 6. Juni 2000 und damit innerhalb von fünf Monaten zugegangen. Somit ist sie auch nach den Grundsätzen des Beschlusses des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 27. April 1993 GmS-OGB 1/92 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1993, 674) mit Gründen versehen (vgl. auch BFH-Beschluss vom 25. April 2000 VII R 51/99, BFH/NV 2000, 1232).
Fundstellen
Haufe-Index 635846 |
BFH/NV 2001, 1583 |