Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässigkeit einer Klage bei bestehender Rechtshängigkeit; keine Akteneinsicht bei unzulässiger Nichtzulassungsbeschwerde
Leitsatz (NV)
1. Eine Klage ist unzulässig, wenn ihr Begehren bereits Gegenstand eines anderen Klageverfahrens ist.
2. Ist die Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig und der erkennende Senat damit gehindert, eine Sachentscheidung zu treffen, so ist der Antrag auf Einsicht näher bezeichneter Akten abzulehnen, da diese Akten unter keinem Gesichtspunkt geeignet sind, dem Rechtsschutz des Klägers in der Beschwerdesache zu dienen.
Normenkette
FGO §§ 78, 96, 115 Abs. 2
Verfahrensgang
Hessisches FG (Urteil vom 21.02.2006; Aktenzeichen 12 K 4029/04) |
Gründe
I. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) entspricht nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an die Darlegung eines Zulassungsgrundes i.S. von § 115 Abs. 2 FGO.
1. Dies gilt zunächst für die Rüge des Klägers, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) habe.
a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der Fortentwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Es muss sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27. Juni 1985 I B 23/85, BFHE 144, 133, BStBl II 1985, 605), die klärungsbedürftig und im konkreten Streitfall auch klärungsfähig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. die Hinweise bei Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 23 ff.). Der Beschwerdeführer muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache in der Beschwerdeschrift schlüssig und substantiiert darlegen. Dies erfordert ein konkretes Eingehen darauf, inwieweit die aufgeworfene Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen sie umstritten ist. Dazu gehört auch, dass sich der Beschwerdeführer mit der von ihm für klärungsbedürftig gehaltenen Rechtsfrage bereits vorhandenen höchstrichterlichen Rechtsprechung auseinander setzt und substantiiert darlegt, weshalb nach seiner Ansicht diese Rechtsprechung bislang keine Klärung herbeigeführt habe (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz. 32 ff., m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH). Diesen Anforderungen genügt der Hinweis in der Beschwerdebegründung des Klägers, die von ihm aufgeworfene Rechtsfrage habe weit über sein Interesse am Ausgang des Verfahrens hinaus praktische Bedeutung, nicht.
b) Zudem wäre die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage in einem künftigen Revisionsverfahren schon aus prozessualen Gründen nicht klärungsfähig. Der den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2000 vom 13. Dezember 2002 ändernde Bescheid vom 26. Juli 2004 ist nach § 365 Abs. 3 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) automatisch Gegenstand des zum Zeitpunkt seines Erlasses anhängigen und noch nicht abgeschlossenen Einspruchsverfahrens geworden. Die vom Kläger am 23. September 2004 beim Finanzgericht (FG) erhobene Klage Az. … richtet sich somit gegen den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2000 vom 26. Juli 2004 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 26. August 2004 und war im Zeitpunkt der Erhebung der weiteren Klage gegen den Bescheid vom 26. Juli 2004 bereits rechtshängig. Das FG hat diese Klage deshalb als unzulässig abgewiesen, weil nach § 155 FGO i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) während der Rechtshängigkeit (§ 66 FGO) die Sache von keiner Partei anderweitig anhängig gemacht werden kann. Die anderweitige Rechtshängigkeit stellt im Finanzprozess eine negative Sachentscheidungsvoraussetzung dar, die zwingend zur Abweisung der Klage als unzulässig führen muss (BFH-Beschluss vom 23. November 1999 VII B 186/99, BFH/NV 2000, 476).
Die vom Kläger aufgeworfene Frage, "ob und unter welchen Voraussetzungen man Zweifel an der Anwendung einer Entscheidung des BFH zum Grundlagenbescheid ausräumen kann", ist ggf. im Klageverfahren gegen den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2000 Az. … zu klären.
2. Eine die einheitliche Rechtsprechung gefährdende Abweichung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO hat der Kläger schon deshalb nicht dargelegt, weil er in der Beschwerdeschrift nicht die tragenden und abstrakten Rechtssätze aus dem angefochtenen FG-Urteil einerseits und aus den (mutmaßlichen) Divergenzentscheidungen des BFH oder anderer FG andererseits herausgearbeitet und einander gegenübergestellt hat, um so eine Abweichung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zu verdeutlichen.
3. Der Vorwurf des Klägers, das FG habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO) verletzt und eine Überraschungsentscheidung getroffen, greift schon deshalb nicht, weil der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) bereits in der Klageerwiderung vom 15. Dezember 2004 darauf hingewiesen hat, dass die Klage wegen der Sperrwirkung der bereits bestehenden Rechtshängigkeit unzulässig sei (Bl. 33 der FG-Akte). Dieser Schriftsatz wurde dem Klägervertreter mit dem Schreiben des FG vom 22. Dezember 2004 zugeleitet. Zudem hat das FA mit Schriftsatz vom 1. März 2005 (Bl. 63 der FG-Akte), dem Klägervertreter bekannt gegeben mit Schreiben vom 7. März 2005, die Abweisung der Klage im Hinblick auf die doppelte Rechtshängigkeit beantragt.
4. Ebenso unschlüssig ist die vom Kläger erhobene Rüge, das FG habe ihm das Recht auf Gehör auch dadurch versagt, dass es ihm in der mündlichen Verhandlung keine Akteneinsicht gewährt habe.
a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird für das finanzgerichtliche Verfahren u.a. dadurch verwirklicht, dass die Prozessbeteiligten das Recht haben, die Gerichtsakten und die dem Gericht vorgelegten Akten (insbesondere der beklagten Behörde) einzusehen (§ 78 FGO). Damit wird gewährleistet, dass die Beteiligten zu den in den vorgelegten und beigezogenen Akten enthaltenen Tatsachen Stellung nehmen können, bevor sie das Gericht zur Grundlage seiner Entscheidung macht (vgl. Gräber/ Koch, a.a.O., § 78 Rz 1a). Falls das Gericht die Akteneinsicht zu Unrecht verweigert, gleichwohl aber die Akten auswertet, liegt ein Verfahrensfehler vor (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 22. Mai 2002 VI B 2/02, BFH/NV 2002, 1168, m.w.N.).
b) Die schlüssige Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs --hier durch die (angebliche) Versagung der begehrten Akteneinsicht-- setzt nach ständiger Rechtsprechung des BFH u.a. die substantiierte Darlegung des Beschwerdeführers voraus, was er bei rechtzeitiger Gewährung der Akteneinsicht noch vorgetragen hätte und dass dies die Entscheidung des FG --auf der Basis der von diesem vertretenen Rechtsauffassung-- hätte beeinflussen können (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz 14, m.w.N.). An einem dahin gehenden (substantiierten) Vortrag mangelt es im Streitfall.
c) Im Übrigen wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 20. April 2005 u.a. auch Einsicht in die FG-Akte 12 K 4029/04 sowie fünf Bände Steuerakten beim Amtsgericht X gewährt (Bl. 66a der FG-Akte).
II. Der Antrag des Klägers, ihm im Rahmen des Beschwerdeverfahrens gemäß § 78 FGO Einsicht in die Verfahrensakte zu gewähren, war abzulehnen. Da die Beschwerde unzulässig und der erkennende Senat damit gehindert ist, eine Sachentscheidung zu treffen, sind die Prozessakten unter keinem Gesichtspunkt geeignet, dem Rechtsschutz des Klägers in der Beschwerdesache zu dienen (Senatsbeschluss vom 1. Oktober 1990 X B 119/90, BFH/NV 1991, 331).
Fundstellen
Haufe-Index 1544334 |
BFH/NV 2006, 1694 |