Leitsatz (amtlich)
Zur Vollziehungsaussetzung eines Umsatzsteuerbescheides, in dem der Vorsteuerabzug mit der Begründung versagt wird, die erlangten Rechnungen wiesen zu Unrecht Werkleistungen anstelle der vorliegenden Überlassung von Arbeitnehmern aus.
Orientierungssatz
Die Beschwerde des Finanzamts gegen die Aussetzung der Vollziehung durch das Finanzgericht war unbegründet. Der BFH hatte ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Umsatzsteuerbescheids (aus anderen Gründen als das FG), weil Unklarheiten über die tatsächlichen Grundlagen der Steuerfestsetzung in mehreren Punkten bestanden.
Normenkette
UStG 1980 § 15 Abs. 1 Nr. 1 S. 1, § 14; FGO § 69 Abs. 2
Verfahrensgang
FG Düsseldorf (Entscheidung vom 29.02.1984; Aktenzeichen XV 356/83 A (U)) |
Tatbestand
Der Antragsteller ist Bauunternehmer. Im Jahre 1982 bediente er sich zur Durchführung von Bauaufträgen zweier Subunternehmer (Bauunternehmen C und M Baugesellschaft mbH). Mit diesen schloß er formularmäßige "Nachunternehmerverträge" über die Ausführung von "Erd-, Maurer- und Betonarbeiten an verschiedenen Objekten". Den Verträgen war u.a. eine als "Werk + Arbeitsvertrag" bezeichnete Anlage beigefügt, in der das Bauvorhaben, die einzelnen Bauleistungen sowie deren Einheitspreise aufgeführt waren.
Die Subunternehmer erteilten dem Antragsteller im Jahre 1982 Rechnungen mit gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer. Die Rechnungen weisen die Erbringung einzelner Bauleistungen (z.B. Schalung hergestellt, Beton eingebaut), deren Menge, den Einheitspreis und den jeweiligen Gesamtpreis aus.
Das Finanzamt (Antragsgegner) verneinte unter Bezugnahme auf den Bericht über eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung die Abziehbarkeit der vom Antragsteller geltend gemachten Vorsteuerbeträge, die in den Rechnungen der beiden Subunternehmer gesondert ausgewiesen sind, und zwar mit der Begründung, aus den Verträgen ergebe sich, daß die Subunternehmer nicht Werkleistungen, sondern Gestellung von Arbeitskräften geschuldet hätten. Die ausgestellten Rechnungen bezeichneten daher nicht den tatsächlichen Leistungsgegenstand (§ 14 Abs.1 Satz 2 Nr.3 UStG 1980), so daß die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs.1 UStG 1980 mangels einer "Rechnung im Sinne des § 14" nicht vorlägen. Durch Bescheid vom 22.Juli 1983 setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer 1982 ohne Berücksichtigung der geltend gemachten Vorsteuerbeträge fest. Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller Einspruch eingelegt, über den das Finanzamt noch nicht entschieden hat.
Nach Ablehnung seines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung durch das Finanzamt beantragte der Antragsteller beim Finanzgericht, die Vollziehung des Umsatzsteuer-Bescheides 1982 auszusetzen. Er macht geltend, die Subunternehmer hätten keine Arbeitskräfte gestellt, sondern Werkleistungen erbracht. Im übrigen vertritt der Antragsteller die Ansicht, bei unzutreffender Bezeichnung des Leistungsgegenstands in der Rechnung sei der Vorsteuerabzug nicht ausgeschlossen. § 15 Abs.1 Nr.1 setze für den Vorsteuerabzug nicht eine in allen Punkten (§ 14 Abs.1 Satz 2 Nrn.1-6 UStG 1980) ordnungsgemäße Rechnung voraus.
Das Finanzgericht hat die Vollziehung des Umsatzsteuer-Bescheides 1982 wegen ernstlicher Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bis zum Ablauf eines Monats nach der Bekanntgabe einer abschließenden Entscheidung des Finanzamts über den Einspruch des Antragstellers ausgesetzt. Es hat hierzu ausgeführt: Die Abziehbarkeit der geltend gemachten Umsatzsteuer- Beträge könne nicht unter dem Gesichtspunkt unzureichender Rechnungen verneint werden. Die vom Antragsteller vorgelegten Rechnungen entsprächen den Anforderungen des § 14 Abs.1 UStG 1980. Nach dem Zweck dieser Vorschrift seien Art und Umfang einer Leistung ausreichend bezeichnet, wenn sich aufgrund der Angaben in der Rechnung die Steuerbarkeit, die Steuerpflicht, der anzuwendende Steuersatz und die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug beim Leistungsempfänger eindeutig beurteilen ließen. Auf die Unterscheidung von Werkleistung und Arbeitnehmerüberlassung komme es nicht an. Denn sowohl in dem einen wie auch in dem anderen Fall lägen steuerpflichtige sonstige Leistungen vor, die von Unternehmern für das Unternehmen des Antragstellers ausgeführt worden seien. Die Entscheidung des Finanzgerichts ist auszugsweise in EFG 1984, 469 veröffentlicht.
Das Finanzamt hat Beschwerde gegen den Beschluß des Finanzgerichts eingelegt. Zur Begründung führt es aus: Die Vorsteuerabzugsberechtigung des Antragstellers sei zu verneinen, weil die vorgelegten Rechnungen mangels zutreffender Bezeichnung des Leistungsgegenstands die Anforderungen des § 14 Abs.1 UStG 1980, auf den § 15 Abs.1 Nr.1 UStG 1980 Bezug nehme, nicht erfüllten. Dem Antragsteller seien Arbeitskräfte überlassen worden. Zum Beweis dieser Behauptung bezieht sich das Finanzamt nunmehr auf Ermittlungsakten des Landesarbeitsamtes. Die Rechnungen seien auch deshalb nicht ordnungsgemäß im Sinne des § 14 Abs.1 UStG 1980, weil in ihnen jeweils der leistende Unternehmer unzutreffend bezeichnet worden sei. Es handle sich bei den Ausstellern der Rechnungen um Scheinfirmen, die von unbekannten ausländischen Hinterleuten für die illegale Arbeitnehmerüberlassung benutzt worden seien. Aus den Ermittlungsakten des Landesarbeitsamts ergebe sich, daß die Firma C und die M GmbH keine Betriebstätten unter der in ihren Rechnungen angegebenen Anschrift unterhalten hätten.
Der Antragsteller beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Er macht geltend, die Existenz der Subunternehmer sei durch Vorlage von Unbedenklichkeitsbescheinigungen der Finanzämter, der Sozialversicherungsträger, der Bauberufsgenossenschaft und durch einen Handelsregisterauszug nachgewiesen. Zum Nachweis der erbrachten Werkleistungen hat der Antragsteller eidesstattliche Versicherungen von zwei ehemaligen Arbeitnehmern der M GmbH vorgelegt. Diese versicherten, sie hätten in der Zeit ihrer Beschäftigung bei der M GmbH auf den Baustellen des Antragstellers keinerlei Weisungen durch den Antragsteller erhalten, sondern selbständig und ausschließlich auf Grund von Weisungen durch Personal der M GmbH gearbeitet.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde des Finanzamts ist unbegründet. Es bestehen --wenn auch aus anderen als den vom Finanzgericht angenommenen Gründen-- ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Umsatzsteuerbescheides 1982.
1. Die Ansicht des Finanzamts und des Finanzgerichts ist nicht zwingend, die Vorsteuerabzugsberechtigung setze lediglich das Vorliegen einer Rechnung mit den Merkmalen des § 14 Abs.1 Satz 2 Nrn.1-6 UStG 1980 voraus, ohne daß es darauf ankäme, daß Art und Umfang der Leistung, über die abgerechnet wird, entsprechend den tatsächlichen Verhältnissen - richtig - bezeichnet werde. Gemäß § 15 Abs.1 Nr.1 kann der Unternehmer die "in Rechnungen im Sinne des § 14 gesondert ausgewiesene Steuer" für Lieferungen und sonstige Leistungen abziehen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind. Die Worte "im Sinne des § 14", die sich sprachlich auf das vorangehende Substantiv "Rechnungen" beziehen (vgl. § 15 Abs.8 Nr.1 UStG 1980), machen nicht - zumindest dem Wortlaut nach nicht - den Vorsteuerabzug vom Vorhandensein einer Rechnung im Sinne des § 14 Abs.1 Satz 2 UStG 1980 abhängig, die alle in den Nrn.1-6 aufgeführten Merkmale enthält. Der in Bezug genommene Begriff der Rechnung könnte vielmehr § 14 Abs.4 UStG 1980 zu entnehmen sein, wo Rechnung definiert wird als "jede Urkunde, mit der ein Unternehmer oder in seinem Auftrag ein Dritter über eine Lieferung oder sonstige Leistung gegenüber dem Leistungsempfänger abrechnet". Dieser Rechnungsbegriff, der auch für die Rechnungen mit einem zu hohen Steuerbetrag (§ 14 Abs.2 UStG 1980) oder für Rechnungen eines Kleinunternehmers (§ 14 Abs.3 Satz 1 UStG 1980) in Betracht kommt, würde nicht die in § 14 Abs.1 Satz 2 Nrn.1-6 UStG 1980 bezeichneten Merkmale voraussetzen (zur Entstehungsgeschichte vgl. BTDrucks 8/4007).
2. Auf der Grundlage des in § 14 Abs.4 UStG 1980 enthaltenen Rechnungsbegriffs wären die inhaltlichen Voraussetzungen einer die Vorsteuerabzugsberechtigung auslösenden Rechnung vor allem dem § 15 Abs.1 Nr.1 UStG 1980 zu entnehmen. Da der Vorsteuerabzugsanspruch auf der einzelnen an den vorsteuerabzugsbegehrenden Unternehmer ausgeführten Leistung beruht, ist zu erwägen, ob es zur Individualisierung der Leistung solcher Angaben in der Rechnung bedarf, die den der Leistung zugrunde liegenden Lebenssachverhalt so hinreichend beschreiben, daß der Leistungsbezug von anderen Leistungsbezügen unterscheidbar ist (vgl. Weiß, UR 1985, 25). Die Bejahung dieses Erfordernisses könnte die zutreffende Bezeichnung zumindest des leistenden Unternehmers, des Leistungsempfängers sowie der tatsächlich erbrachten Leistung erforderlich machen.
3. In tatsächlicher Hinsicht bestehen im Streitfall neben für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Umsatzsteuer-Bescheides 1982 sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe, die Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken.
a) Das Finanzamt behauptet, die Firmen, von denen die Rechnungen erteilt worden sein sollen, existierten nicht. Gehandelt hätten Strohmänner für unbekannte ausländische Hintermänner, von denen in Wahrheit die Leistungen erbracht worden seien. Der leistende Unternehmer sei mithin in den Rechnungen nicht bezeichnet. Dazu bezieht sich das Finanzamt mit der Beschwerde auf Ermittlungsakten der Arbeitsverwaltung, die dem erkennenden Senat nicht vorliegen. Demgegenüber verweist der Antragsteller für seine gegenteilige Behauptung auf eingeholte Auskünfte und beschaffte Bescheinigungen von Finanzämtern, Sozialversicherungsträgern, der Bauberufsgenossenschaft und des Handelsregisters. Die in diesem Punkte bestehenden Unklarheiten über die tatsächlichen Grundlagen der Steuerfestsetzung rechtfertigen die Aussetzung der Vollziehung.
b) Für seine Behauptung, in den Rechnungen seien nicht die tatsächlich erbrachten Leistungen angegeben, bezieht sich das Finanzamt auf Ermittlungsakten der Arbeitsverwaltung, auf Berichte über die Betriebsprüfung bei einem anderen Steuerpflichtigen und auf die Vernehmung von zwei Zeugen durch Grenzkontrolldienststellen. Diese Unterlagen betreffen nicht die konkreten Leistungsbeziehungen zwischen der Firma C bzw. der M GmbH einerseits und dem Antragsteller andererseits, sondern allgemein die Tätigkeit der beiden Unternehmen. Der Behauptung des Finanzamts liegen mithin nur entferntere Indizien und Schlußfolgerungen zugrunde. Der Antragsteller hat demgegenüber eidesstattliche Versicherungen eines seiner aufsichtführenden Arbeitnehmer sowie von zwei Arbeitnehmern der M GmbH vorgelegt, d.h. Mittel zur Glaubhaftmachung, die einen engeren Zusammenhang mit dem umstrittenen Sachverhalt haben. Der Inhalt der eidesstattlich versicherten Angaben spricht für das Vorliegen von Werkleistungen, so daß hiernach der Leistungsgegenstand in den Rechnungen zutreffend bezeichnet wäre. Auch in diesem Punkt bestehen somit Unklarheiten über die tatsächlichen Grundlagen der Steuerfestsetzung.
Das Finanzgericht hat daher im Ergebnis zu Recht die Vollziehung des Umsatzsteuer-Bescheides 1982 ausgesetzt.
Fundstellen
Haufe-Index 60901 |
BFHE 143, 171 |
BFHE 1985, 171 |
BB 1985, 1248-1249 (LT) |
DB 1985, 1676-1676 (ST) |
HFR 1985, 332-332 (ST) |