Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Abgrenzung von Herstellungs- und Erhaltungsaufwand
Leitsatz (NV)
Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, daß Herstellungsaufwand vorliegt, wenn an einem Gebäude umfassende Baumaßnahmen durchgeführt werden, die unter erheblichem Aufwand zu einer Generalüberholung und Modernisierung führen
Normenkette
FGO § 69; EStG § 4 Abs. 4, § 6 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin), eine GmbH & Co. KG, befaßt sich mit dem Ankauf, der Modernisierung und der Nutzung von Miethausgrundstücken und erzielt daraus Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die durch Bestandsvergleich nach § 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelt werden. Mit Bescheid vom 17. November 1988 wurde vom Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) ein Verlust in Höhe von . . . DM festgestellt. Dagegen richtet sich der Einspruch der Antragstellerin, mit dem Feststellung eines Verlustes in Höhe von . . . DM begehrt wird; über den Einspruch ist noch nicht entschieden. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wurde vom FA mit Bescheid vom 22. November 1988 zurückgewiesen.
Mit ihrem daraufhin beim Finanzgericht (FG) gestellten Antrag begehrte die Antragstellerin Aussetzung der Vollziehung des Feststellungsbescheids in der Weise, daß vorläufig von einem um . . . DM erhöhten Verlust auszugehen sei.
Dem Antrag liegt im wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde.
Am 3. September 1984 vereinbarte die Antragstellerin zur Abwehr einer Überschuldung mit drei Gläubigern einen Rangrücktritt. Danach traten diese Gläubiger mit ihren Forderungen gegen die Antragstellerin in der Weise hinter die Forderungen aller anderen Gläubiger zurück, daß die Forderungen nur zu Lasten von Bilanzgewinnen, aus einem Liquidationsüberschuß oder aus dem die sonstigen Verbindlichkeiten der Antragstellerin übersteigenden Vermögen bedient zu werden brauchten. In ihrer Bilanz zum 131. Dezember 1984 wies die Antragstellerin die zurückgetretenen Verbindlichkeiten in unveränderter Höhe aus. Das FA nahm hingegen an, in Höhe der Rangrücktritte sei ein außerordentlicher Ertrag entstanden und berücksichtigte dies im Feststellungsbescheid durch eine entsprechende Minderung des erklärten Verlustes.
Im Jahre 1978 hatte die Antragstellerin die Mietwohngrundstücke X-Straße und Y-Straße erworben. Von den Gesamtaufwendungen für Modernisierung und Instandsetzung der Gebäude (X-Straße: 2 723 297 DM, davon 955 748 DM im Streitjahr; Y-Straße: 1 208 758 DM) behandelte die Antragstellerin 967 821 DM bzw. 840 052 DM als sofort abziehbaren Erhaltungsaufwand. Demgegenüber nahm das FA auch insoweit aktivierungspflichtigen Herstellungsaufwand an, ließ nur Absetzungen für Abnutzung (AfA) gemäß § 7 Abs. 4 EStG zu und berücksichtigte dies im Feststellungsbescheid durch eine Minderung des erklärten Verlustes.
Das FG lehnte den Antrag als unbegründet ab.
Zur Begründung verwies es hinsichtlich der Folgen der Rangrücktrittsvereinbarung auf seinen der Antragstellerin bekannten Beschluß vom 11. April 1989. Daran werde festgehalten. Hinsichtlich der Instandsetzungs- und Modernisierungsaufwendungen könne offenbleiben, ob und inwieweit die im Schrifttum geäußerte Kritik an der Behandlung sog. anschaffungsnaher Aufwendungen durchgreife. Das FG folge jedenfalls insoweit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), wonach Herstellungskosten in diesen Fällen zumindest dann anzunehmen seien, wenn der Nutzungswert des Gebäudes erheblich erhöht oder die Nutzungsdauer erheblich verlängert werden (Urteil vom 12. Februar 1985 IX R 114/83, BFHE 143, 431, BStBl II 1985, 690). Auch bei umfangreichen Instandhaltungsarbeiten lange Zeit nach der Anschaffung des Gebäudes könne sich aber das Problem der Abgrenzung des Erhaltungsaufwands von den Herstellungskosten ergeben. Würden, wie im Streitfall, für eine Modernisierung bzw. Sanierung eines Gebäudes derart beträchtliche Mittel aufgewendet, daß die Baumaßnahmen im Wege einer Generalüberholung nicht nur Bestehendes instandhielten, sondern etwas Neues schüfen, so lägen Herstellungsmaßnahmen vor. Die Aufwendungen hierfür könnten nur im Wege der AfA abgesetzt werden.
Dagegen richtet sich die vom FG gemäß Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) i. V. m. § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zugelassene Beschwerde der Antragstellerin, mit der diese ihr Begehren weiterverfolgt.
Nach Ergehen des FG-Beschlusses hat der Senat u. a. mit Beschluß vom 18. Oktober 1989 IV B 149/88 (BFHE 158, 426, BStBl II 1990, 71) entschieden, es sei ernstlich zweifelhaft i. S. des § 69 FGO, ob es durch einen Rangrücktritt mit dem auch im Streitfall vereinbarten Inhalt beim Schuldner zu einem außerordentlichen Ertrag kommt. (Vgl. auch den zur gleichen Rechtsfrage ergangenen Beschluß vom 18. 10. 1989 IV B 91/89 (BFH/NV 1990, 423). Mit Bescheid vom 28. Dezember 1989 hat das FA daraufhin die Vollziehung des angefochtenen Bescheids im Streitfall mit der Maßgabe ausgesetzt, daß vorläufig von einem Verlust von . . . DM auszugehen sei. Beide Parteien erklärten daraufhin übereinstimmend den Rechtsstreit insoweit für erledigt.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, den Beschluß des FG aufzuheben und die Vollziehung des angefochtenen Bescheids mit der Maßgabe auszusetzen, daß vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptverfahren von einem um die streitigen Aufwendungen, soweit nicht schon im Wege der AfA berücksichtigt, erhöhten Verlust auszugehen sei, der auf die Gesellschafter nach Maßgabe des gesellschaftsvertraglichen Verteilungsschlüssels verteilt werde.
Das FA beantragt, die Beschwerde insoweit als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I. Nachdem das FA durch Bescheid vom 28. Dezember 1989 dem Aussetzungsbegehren stattgegeben hat, soweit es um die Auswirkungen der Rangrücktrittsvereinbarung geht und daraufhin beide Parteien den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt haben, war insoweit nur noch über die Kosten zu entscheiden.
II. Im übrigen ist die Beschwerde unbegründet.
1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sind zu bejahen, wenn bei der summarischen Prüfung dieses Bescheids anhand des aktenkundigen Sachverhalts neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (Beschluß des BFH vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182, seitdem ständige Rechtsprechung).
2. Im Streitfall bestehen nach dem vom FG festgestellten und dem aus den Akten ersichtlichen Sachverhalt keine ernstlichen Zweifel daran, daß die streitigen Aufwendungen zu aktivierungspflichtigem Herstellungsaufwand geführt haben.
a) Der Antragstellerin ist einzuräumen, daß ernstlich zweifelhaft ist, ob eine Aktivierung der streitigen Aufwendungen unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des sog. anschaffungsnahen Aufwands in Betracht kommt. Zwar hat der BFH mit den Urteilen vom 11. August 1989 IX R 44/86 (BFHE 158, 240, BStBl II 1990, 53) und vom 11. August 1989 IX R 87/86 (BFHE 158, 326, BStBl II 1990, 130) erneut die bisherigen Rechtsgrundsätze zur Aktivierung anschaffungsnahen Aufwands bestätigt. Andererseits hat der BFH mit Beschluß vom 23. Juni 1988 IX B 178/87 (BFH/NV 1989, 165) entschieden, es sei ernstlich zweifelhaft, ob und ggf. wann anschaffungsnaher Herstellungsaufwand auch bei Instandsetzungsarbeiten angenommen werden könne, die erst nach Ablauf von drei Jahren seit dem Erwerb des Gebäudes durchgeführt werden. Im Streitfall liegen zwischen Erwerb des Grundstücks und Anfall der streitigen Aufwendungen mehr als drei Jahre, so daß die Rechtmäßigkeit einer Aktivierung unter dem rechtlichen Gesichtspunkt anschaffungsnahen Aufwands ernstlich zweifelhaft ist.
b) Die Antragstellerin verkennt jedoch, daß aktivierungspflichtige Herstellungskosten auch vorliegen, wenn längere Zeit nach Erwerb an dem Gebäude Baumaßnahmen durchgeführt werden, durch die das Gebäude in seinem Wesen verändert oder in seinem Nutzungswert oder in der Nutzungsdauer über seinen bisherigen Zustand hinaus erheblich verbessert wird (BFH-Urteil vom 10. Juni 1975 VIII R 114/71, BFHE 116, 469, BStBl II 1975, 878). Unter dieser Voraussetzung werden Aufwendungen für ein Bündel von Einzelmaßnahmen, die für sich genommen teils Herstellungs-, teils Erhaltungsaufwand darstellen, insgesamt als Herstellungskosten behandelt, wenn sie in engem räumlichen, zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zueinander stehen und in ihrer Gesamtheit als ,,einheitliche Baumaßnahme im Wesen einer Generalüberholung und Modernisierung des Hauses im ganzen und von Grund auf" anzusehen sind (Urteile in BFHE 116, 469, BStBl II 1975, 878, und vom 16. September 1986 IX R 126/84, BFH/NV 1987, 149).
Im Streitfall ist das FG angesichts des Umfangs und der Art der Baumaßnahmen und der Höhe der Aufwendungen davon ausgegangen, es liege eine auf Generalüberholung und Modernisierung gerichtete einheitliche Baumaßnahme in diesem Sinne vor. Die Antragstellerin hat dieser, auch durch den sonstigen Inhalt der Akten gedeckten Wertung nicht widersprochen, sondern im wesentlichen nur geltend gemacht, es bestünden rechtliche Bedenken gegen die Aktivierung als ,,anschaffungsnaher Aufwand". Die streitigen Aufwendungen sind indes nicht wegen ihrer zeitlichen Nähe zur Anschaffung des Gebäudes, sondern wegen ihrer Wertung als insgesamt zur Annahme von Herstellungskosten führende Generalüberholung und Modernisierung aktiviert worden. Der Umstand, daß die Baumaßnahmen sich verzögert und infolgedessen auch verteuert haben, schließt die Aktivierung nicht aus. Das FG hat somit bei dem ihm vorgetragenen Sachverhalt zu Recht ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts, soweit er auf der Aktivierung der streitigen Aufwendungen beruht, verneint. Anhaltspunkte dafür, daß das FG weitere Sachverhaltsermittlungen hätte betreiben müssen, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Fundstellen
Haufe-Index 63049 |
BFH/NV 1991, 154 |