Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf Schätzung hemmt nicht den Ablauf der Festsetzungsfrist
Leitsatz (NV)
Der Ablauf der Festsetzungsfrist wird nicht dadurch gehemmt, daß der Steuerpflichtige beantragt, eine Steuererstattung zu schätzen.
Normenkette
AO 1977 § 171 Abs. 3 S. 1
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) war ursprünglich als Arzt nichtselbständig tätig. Anläßlich seines Ehescheidungs- und Sorgerechtsverfahrens flüchtete er 1985 mit seiner minderjährigen Tochter ins Ausland. 1990 beantragte er beim Beklagten (Finanzamt -- FA --), Steuererstattungen für 1981 bis März 1984 zu schätzen, da sich bis dahin seine Einkommensverhältnisse gegenüber den Vorjahren, in denen es zu Erstattungen gekommen war, nicht wesentlich verändert hätten. Später reichte er Steuererklärungen ein. Das FA führte für 1983 eine Einkommensteuerveranlagung durch, bei der es von der Steuererklärung abwich. Darüber hinaus lehnte es die Durchführung von Veranlagungen ab, weil für 1981 und 1982 die Festsetzungsfrist abgelaufen sei und für 1984 der Antrag auf Veranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 des Einkommensteuergesetzes (EStG) verspätet gestellt worden sei.
Mit der Klage verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter. Den Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe (PKH) hat das Finanzgericht (FG) abgelehnt. Zur Begründung hat das FG ausgeführt, es sei nicht wahrscheinlich, daß die Klage Erfolg haben werde. Sie sei unzulässig, da die Klageschrift keine ordnungsgemäße Unterschrift aufweise. Außerdem seien einzelne Klageanträge wegen fehlenden Vorverfahrens bzw. wegen fehlenden Rechtsschutz interesses unzulässig. Soweit die Klage bei ordnungsgemäßer Klageerhebung zulässig wäre, wäre sie voraussichtlich unbegründet.
Gegen diesen Beschluß hat der Antragsteller persönlich Beschwerde erhoben. Er trägt vor: Daß die Beschwerde gegen eine PKH-Entscheidung durch einen Anwalt eingelegt werden müsse, verletze Verfassungsrecht. Das Armenrecht wäre ausgehebelt, wenn man für einen Erst- oder Wiederholungsantrag auf Armenrecht und Anwaltsbeiordnung erst einen Anwalt beauftragen und bezahlen müsse. Seine -- des Antragstellers -- Unterschrift sei individuell und typisch, sie enthalte Vor- und Zunamen mit einer erkennbaren Buchstabenfolge.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß, den Beschluß des FG aufzuheben und ihm PKH für das Klageverfahren zu gewähren.
Das FA hat sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Unerheblich ist, daß der Antragsteller selbst das Rechtsmittel eingelegt hat, also entgegen der Regelung in Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) nicht durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschafts prüfer als Bevollmächtigten vertreten war. Damit ist zwar die vorliegende Beschwerde unzulässig. Denn in PKH-Sachen kommt eine Ausnahme von dem Vertretungszwang nach dem BFHEntlG lediglich für die Antragstellung, nicht aber für die Beschwerde gegen einen die PKH ablehnenden Beschluß des FG in Betracht (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 28. November 1975 VI B 130--132/75, BFHE 117, 223, BStBl II 1976, 62, und vom 16. Juni 1988 III B 61--62/88, BFH/NV 1990, 53). Dem Antragsteller könnte jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen unverschuldeter Versäumung der Beschwerdefrist gewährt werden (§ 56 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --), falls ein noch zu bestellender Prozeßbevollmächtigter erneut Beschwerde einlegen und gleichzeitig den entsprechenden Wiedereinsetzungsantrag stellen würde. Im Hinblick auf diese dann zulässig eingelegte Beschwerde wäre die Unzulässigkeit der bisher vom Antragsteller selbst eingelegten Beschwerde unbeachtlich (vgl. BFH- Beschluß vom 18. Juli 1985 V S 3/85, BFHE 143, 528, BStBl II 1985, 499).
2. Auch eine zulässige Beschwerde wäre indessen nicht begründet. Das FG hat zu Recht den Antrag des Antragstellers auf PKH wegen fehlender Erfolgsaussicht der anhängigen Klage abgelehnt. Dabei kann offenbleiben, ob die Auffassung des FG zutrifft, daß die Klage bereits deshalb unzulässig sei, weil sie mangels ordnungsgemäßer Unterzeichnung der Klageschrift nicht in der gesetzlichen Form erhoben sei. Denn jedenfalls sind die zusätzlichen Erwägungen, mit denen das FG die Erfolgsaussicht der Klage verneint, frei von Rechtsfehlern.
a) Das auf die Verpflichtung des FA gerichtete Klagebegehren, die überzahlten Steuern für die Veranlagungszeiträume 1981 bis 1984 zurückzuerstatten, ist unzulässig, da insoweit das erforderliche Vorverfahren nicht durchgeführt wurde (§ 44 Abs. 1, § 40 Abs. 1 FGO). Das gleiche gilt für die Anträge des Antragstellers, das FA zu verpflichten, die Einkommensteuerveranlagung für 1981 und 1982 sowie für 1981 bis März 1984 durchzuführen.
b) Zutreffend hat das FG das Rechtsschutzinteresse verneint für die Klageanträge,
-- das Verfahren auszusetzen und die Sache dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, soweit verfassungsrechtliche Aspekte betroffen seien,
-- festzustellen, daß der Ablauf der Frist zur Antragsveranlagung sowie zur Veranlagung von Amts wegen nicht das Recht auf Rückerstattung von überhöhten Abgaben usw. ausschließe,
-- festzustellen, daß Anspruchsfristen von nur zwei Jahren auf Rückerstattung überhöhter Abgaben übergeordnete Rechtsprinzipien verletzen,
-- festzustellen, daß die widersprüchliche Behandlung von Zeiträumen -- zum Zweck der Steuerzahlung Multiplizierung der monatlichen Einnahmen mit 12, bei der Rückerstattung Dividierung durch 12 Monate -- unsystematisch und willkürlich sei,
-- festzustellen, daß die Einbehaltung überhöhter Abgaben Art. 14 des Grundgesetzes verletze.
Hinsichtlich dieser Punkte besteht kein durch ein Verwaltungshandeln ausgelöstes schutzwürdiges Interesse des Antragstellers, seine Rechte in dem vorliegenden gerichtlichen Verfahren durchzusetzen.
c) Nicht zu beanstanden sind die Erwägungen des FG, daß die Hilfsanträge zu 1. Satz 1 (das FA zu verpflichten, für 1983 die Einkommensteuerveranlagung durchzuführen bzw. den Einspruch insoweit zu bescheiden) und zu 2. (das FA zu verpflichten, für Januar bis März 1984 die Einkommensteuerveranlagung durchzuführen) unter der Voraussetzung ordnungsgemäßer Klageerhebung zwar zulässig, aber voraussichtlich unbegründet wären.
aa) Bezüglich der Einkommensteuer 1983 kann der Verpflichtungsantrag bereits deshalb keinen Erfolg haben, weil -- entgegen der Rechtsansicht des FA selbst -- wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist eine Steuerfestsetzung nicht mehr zulässig war. Die Festsetzungsfrist begann mit Ablauf des Jahres 1986 zu laufen (§ 170 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung -- AO 1977 -- i. V. m. § 36 Abs. 1 EStG) und endete nach vier Jahren (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977), also mit Ablauf des Jahres 1990.
Der Ablauf der Frist wurde durch das Schreiben vom 24. Oktober 1990, mit dem der Antragsteller die Schätzung der Steuererstattung beantragte, nicht gemäß § 171 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 gehemmt. Nach dieser Vorschrift bewirkt ein vor Ablauf der Festsetzungsfrist gestellter Antrag auf Steuerfestsetzung, daß die Frist insoweit nicht abläuft, bevor über den Antrag unanfechtbar entschieden ist. Als "Antrag" in diesem Sinne sind nur Willenserklärungen zu verstehen, die ein Tätigwerden der Finanzbehörde außerhalb des infolge der Amtsmaxime ohnehin gebotenen Verwaltungshandelns auslösen sollen. Kein solcher Antrag ist deshalb die Abgabe einer gesetzlich vorgeschriebenen Steuererklärung, da sie nur der Durchführung der regulären Steuerfestsetzungstätigkeit der Finanzbehörden dient (BFH-Urteil vom 18. Juni 1991 VIII R 54/89, BFHE 165, 445, BStBl II 1992, 124). Zur Steuerfestsetzung von Amts wegen gehört aber auch die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen (§ 162 AO 1977). Die hierauf gerichtete Eingabe des Antragstellers konnte daher nicht zur Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist führen. Im übrigen wäre es auch deshalb nicht gerechtfertigt, den formlosen Antrag auf Schätzung anders zu behandeln als die Abgabe einer Steuererklärung, weil sonst ein Steuerpflichtiger in den Vorteil der langfristigen Geltendmachung von Steuererstattungen käme, ohne seiner gesetzlichen Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen nachkommen zu müssen.
bb) Ohne Rechtsverstoß hat das FG aus geführt, daß für 1984 eine Einkommensteuerveranlagung nicht durchzuführen war. Wegen der geringen Höhe der -- nur in den Monaten Januar bis März 1984 bezogenen -- Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die nicht auf ein Jahreseinkommen hochgerechnet werden können, kam für den Antragsteller nur eine Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 b EStG (in der für das Jahr 1984 geltenden Fassung) in Betracht. Der Antrag hierfür war gemäß § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahres, d. h. bis Ende 1986, zu stellen. Demgegenüber ist die Eingabe des Antragstellers erst im Oktober 1990 bei dem FA eingegangen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Antragsfrist war nicht möglich, da mehr als ein Jahr seit dem Ablauf der Frist vergangen war und kein Fall höherer Gewalt vorlag (§ 110 Abs. 3 AO 1977).
Fundstellen