Entscheidungsstichwort (Thema)
"Schönheitsoperationen" sind nicht von der Umsatzsteuer befreit
Leitsatz (NV)
1. Durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften und des Bundesfinanzhofes ist bereits geklärt, dass unter der "Tätigkeit als Arzt" i.S. des § 4 Nr. 14 UStG eine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin zu verstehen ist.
2. Eine weitere Klärung der Hilfsbegriffe "Krankheit", "Gesundheit" und "Gesundheitsstörung" ist nicht erforderlich.
Normenkette
UStG 1991 § 4 Nr. 14; UStG 1993 § 4 Nr. 14; UStG 1999 § 4 Nr. 14; EWGRL 388/77 Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist infolge formwandelnder Umwandlung Rechtsnachfolgerin der Steuerpflichtigen. Diese betrieb in den Streitjahren 1991 bis 1993 und 1995 bis 1999 ein Institut für biomedizinische Gesundheit, ganzheitsmedizinische Anwendungen, Vitalisierungsprogramme und Naturheilverfahren. Dabei führte sie durch approbierte Ärzte u.a. Fettabsaugungen, Liftings, Augenlidkorrekturen, Brustvergrößerungen und -verkleinerungen und -straffungen sowie laserchirurgische Eingriffe zur Beseitigung von Warzen, Muttermalen, Narben und Falten durch und vertrieb Diätverpflegung.
Die Umsätze der Steuerpflichtigen waren zunächst von dieser und vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) als umsatzsteuerpflichtig behandelt worden.
Im Dezember 1996 beantragte die Steuerpflichtige unter Hinweis auf das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts (FG) vom 9. Mai 1996 V 17/95 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1996, 1244), die Umsatzsteuerfestsetzungen 1991 bis 1994 sowie die Voranmeldungen für Januar bis Oktober 1996 aufzuheben und die Umsätze in der zu diesem Zeitpunkt noch ausstehenden Umsatzsteuerfestsetzung für 1995 als steuerfrei zu behandeln. Nach Auffassung des Niedersächsischen FG sollte die Umsatzsteuerbefreiung des § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) unabhängig von der Rechtsform sein, in der die heilberufliche Tätigkeit ausgeübt wird. Nach Ergehen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 10. November 1999 i.d.F. des Beschlusses vom 29. Mai 2000 2 BvR 2861/93 (BVerfGE 101, 151, BStBl II 2000, 160) wiederholte die Steuerpflichtige ihren Antrag, ihre Umsätze als steuerfrei zu behandeln.
Demgegenüber lehnte das FA im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung mit Bescheid vom 18. Juni 2001 eine Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen bzw. -anmeldungen für 1991 bis 1999 ab. Es meinte, es liege keine Heilbehandlung im Sinne des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 14. September 2000 Rs. C-384/98, D (Slg. 2000, I-6795, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2000, 432) vor.
Einspruch und Klage gegen den Ablehnungsbescheid hatten keinen Erfolg. Dabei ging es im Klageverfahren nur noch um die Steuerfreiheit der ärztlichen Leistungen der Steuerpflichtigen und nicht mehr um die Diätverpflegung. Außerdem wurde der während des Klageverfahrens ergangene Umsatzsteuerjahresbescheid für 1999 und ein Änderungsbescheid für 1998 zum Gegenstand des Klageverfahrens gemacht.
Das FG vertrat im Anschluss an das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 15. Juli 2004 V R 27/03 (BFHE 206, 471, BStBl II 2004, 862) die Auffassung, bei richtlinienkonformer Auslegung des § 4 Nr. 14 UStG 1991/1993/1999 sei unter der "Tätigkeit als Arzt" nur eine Tätigkeit zur Diagnose, Behandlung und ggf. Heilung einer Krankheit oder Gesundheitsstörung des Menschen zu verstehen. Unter Krankheit und Leiden seien nicht sämtliche Zustände zu verstehen, die eine Person veranlassten, sich einer Operation zu unterziehen. Die Klägerin habe weder dargelegt noch nachgewiesen, dass die streitigen Behandlungen im Sinne der Rechtsprechung des EuGH und des BFH medizinisch indiziert gewesen seien. Dem FG reichten weder die von der Klägerin vorgelegten Diagnoseblätter (Muster S. 13 der Vorentscheidung) noch die Zeugenaussage des behandelnden Arztes Dr. H als Nachweis für eine medizinische Indikation aus. Im Übrigen gehe es im Streitfall nur um die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzungen und nicht um eine anderweitige Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen.
Das FG ließ die Revision gegen sein Urteil nicht zu.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der vorliegenden Beschwerde.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Die Nichtzulassung kann mit der Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). In der Beschwerdebegründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
2. Die Revision ist nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung wegen Divergenz der Vorentscheidung vom BFH-Urteil in BFHE 206, 471, BStBl II 2004, 862 zuzulassen. Die behauptete Divergenz besteht schon deshalb nicht, weil sich weder dem BFH-Urteil noch der Vorentscheidung Rechtssätze dazu entnehmen lassen, inwiefern sich Krankheit und Gesundheitsstörung voneinander unterscheiden. Das FG ist bei seiner Entscheidung vielmehr zutreffend von den Rechtsgrundsätzen ausgegangen, die vom BFH und vom EuGH aufgestellt worden sind.
3. Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zur Klärung der Begriffe "Krankheit", "sonstige Gesundheitsstörung" bzw. "Gesundheit" zuzulassen.
Durch die Rechtsprechung ist nämlich bereits geklärt, dass unter "der Tätigkeit als Arzt" i.S. des § 4 Nr. 14 UStG eine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin i.S. des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) zu verstehen ist (vgl. z.B. BFH in BFHE 206, 471, BStBl II 2004, 862; Urteil vom 7. Juli 2005 V R 23/04, BFHE 211, 69, BStBl II 2005, 904, BFH/NV 2005, 2142). Eine derartige Heilbehandlung umfasst Tätigkeiten, die zum Zweck der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen für bestimmte Patienten ausgeführt werden. Mit der Definition der Heilbehandlung mögen zwar die Begriffe "Krankheit", "sonstige Gesundheitsstörung" bzw. "Gesundheit" notwendig verbunden sein; aus der Beschwerdebegründung ergibt sich aber nicht, dass die Grundsätze der bisherigen Rechtsprechung zur steuerfreien Heilbehandlung zur Klärung des Streitfalls nicht ausreichen, sondern eine weitere Klärung der genannten Hilfsbegriffe notwendig ist.
4. Der BFH hat im Urteil in BFHE 206, 471, BStBl II 2004, 862 ausführlich dargelegt, dass § 4 Nr. 14 UStG einer richtlinienkonformen Auslegung dahin gehend zugänglich ist, dass eine Heilbehandlung i.S. des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG vorliegen muss und es für die Umsatzsteuerfreiheit von Schönheitsoperationen nicht ausreicht, dass die Operationen nur von einem Arzt ausgeführt werden können, dass sie vielmehr der medizinischen Behandlung einer Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung und damit dem Schutz der menschlichen Gesundheit dienen müssen. Die Klägerin bestreitet dies zwar, ohne jedoch in der Beschwerdebegründung neue Gesichtspunkte anzuführen, die eine erneute Entscheidung des BFH rechtfertigen könnten.
5. Ist damit schon der Tatbestand des § 4 Nr. 14 UStG (richtlinienkonform) dahin gehend auszulegen, dass die Steuerbefreiung auch bei der Tätigkeit von Ärzten eine medizinische Heilbehandlung voraussetzt, liegt die Feststellungslast für die gesamten tatsächlichen Voraussetzungen hierfür --also auch für das Vorliegen einer "Heilbehandlung"-- nach allgemeinen Grundsätzen bei demjenigen, der sich auf die Steuerbefreiung beruft. Auch insoweit ergeben sich keine Fragen von grundsätzlicher Bedeutung.
6. Ob die Finanzverwaltung die Steuerfreiheit der Tätigkeit von Ärzten in der Zeit vor dem EuGH-Urteil in Slg. 2000, I-6795 generell weniger restriktiv behandelt hat und deswegen die Klägerin keinen Anlass zu entsprechender Beweisvorsorge hatte, kann im Streitfall dahinstehen. Für das hier zugrunde liegende Anfechtungsverfahren lassen sich daraus keine revisionsrechtlich relevanten Fragen von grundsätzlicher Bedeutung ableiten, allenfalls kämen --hier nicht streitgegenständliche-- Billigkeitsmaßnahmen in Betracht, sofern im Einzelfall bei der Klägerin ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden wäre (vgl. Wagner in: Die Information für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer 2004, 772). Die Klägerin bzw. ihre Rechtsvorgängerin hatte allerdings nach den Feststellungen des FG (S. 16 des Urteils) die Umsätze in den Streitjahren selbst als steuerpflichtig behandelt und deshalb die Umsatzsteuer in ihrer Kalkulation berücksichtigt.
7. Die Revision war auch nicht wegen der von der Klägerin gerügten Verfahrensmängel zuzulassen.
Wird als Verfahrensfehler die Verletzung der dem FG von Amts wegen obliegenden Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) gerügt, so ist unter anderem aufzuzeigen, aus welchen Gründen sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung oder Beweiserhebung auch ohne einen entsprechenden Antrag des anwaltlich vertretenen Beteiligten hätte aufdrängen müssen (vgl. BFH-Beschluss vom 6. Juni 2000 VII R 72/99, BFHE 192, 390, 394; Senatsbeschluss vom 28. August 2003 VII B 71/03, BFH/NV 2004, 493, 494). Daran fehlt es hier.
a) Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich nicht, warum sich dem FG auch ohne ausdrücklichen Antrag eine Zeugenvernehmung des Prozessbevollmächtigten H in der Vorinstanz hätte aufdrängen müssen. Dieser war auch ohne förmliche Zeugenvernehmung nicht gehindert, das vorzutragen, was ihm vortragenswert erschien. Im Übrigen war auch gar nicht streitig, dass dieser sich einer Laserbehandlung unterzogen hatte und deren Kosten von der DKV erstattet bekam.
b) Auch die Vernehmung der Patientinnen, deren Rechnungen und Diagnosebögen sich in dem von der Klägerin näher bezeichneten Ordner befinden, drängte sich dem FG nicht auf. Das FG musste nämlich nicht davon ausgehen, dass die Patientinnen das Gericht über die medizinische Indikation ihrer Behandlung besser aufklären konnten als die Diagnosebögen, die dem FG ungenügend erschienen.
c) Den Zeugen Dr. H hat das FG vernommen und seine Aussagen hinreichend gewürdigt. Die Klägerin ist im Ergebnis mit der vom FG vorgenommenen Beweiswürdigung nicht einverstanden. Dies eröffnet jedoch nicht die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 27. April 1999 III B 118/98, BFH/NV 1999, 1478; vom 31. Juli 2000 V S 4/00, BFH/NV 2001, 186, unter II. 2. a).
d) Die Ablehnung des Beweisantrages zur Einvernahme der Zeuginnen Dr. G und M durch das FG ist nachvollziehbar, weil diese Zeuginnen zu den streitbefangenen Jahren keine Aussagen machen konnten, da sie erst im Jahr 2004 von der Klägerin behandelt wurden. Im Übrigen wurde diese Ablehnung des Beweisantrages vom Prozessvertreter der Klägerin nicht gerügt, so dass diesbezüglich ein Verfahrensmangel nach § 115 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung schon deshalb nicht mehr geltend gemacht werden kann (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom 28. April 2003 V B 250/02, BFH/NV 2003, 1099, m.N.).
e) Dasselbe gilt für die Rüge, das FG habe die Einholung eines Sachverständigengutachtens pflichtwidrig unterlassen. Wenn sich dies vom --dargelegten-- Standpunkt des FG aus nicht aufgedrängt hat, ein entsprechender Beweisantrag nicht gestellt wurde und im Verfahren vor dem FG auch keine Rüge erhoben wurde, kann ein Verfahrensmangel nicht mehr geltend gemacht werden.
f) Auch die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs greift nicht durch: Es liegt weder eine "Überraschungsentscheidung” des FG vor, weil es sich an die von BFH und EuGH aufgestellten Rechtsgrundsätze gehalten hat (s.o.) noch ist ein Mangel in der Überzeugungsbildung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens erkennbar. Das FG hat seine Überzeugung vielmehr nachvollziehbar begründet.
g) Dass das FG für die Frage der medizinischen Indikation der Behandlungen und Operationen nicht in allen rd. 3 000 Fällen eine Beweiserhebung vorgenommen, sondern sich bei im Wesentlichen gleich gelagerten Fällen auf Stichproben und die Ermittlung der dabei angewendeten Grundsätze beschränkt hat, ist auch unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht nicht zu beanstanden. Der Zeuge Dr. H hat dem FG das Verständnis der Klägerin von der medizinischen Indikation einer Operation dahin gehend dargelegt, dass wer sich einer Operation unterziehe auch "krank" sei oder bei ihm eine Gesundheitsstörung vorliege. Bei dieser grundsätzlichen Haltung --die einem Zirkelschluss gleicht-- wäre es Aufgabe der Klägerin gewesen, im Einzelfall die medizinische Indikation konkret darzutun.
Fundstellen
Haufe-Index 1498434 |
BFH/NV 2006, 1168 |