Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB; grundsätzliche Bedeutung; Divergenz
Leitsatz (NV)
- Rechtsfragen, die außer Kraft getretenes Recht betreffen, kommt regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung zu.
- Eine Divergenz ist nur dann gegeben, wenn das FG-Urteil in ein und derselben Rechtsfrage von einem BFH-Urteil abweicht.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2, Abs. 3 S. 3; BerlinFG §§ 2, 8
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) handelt mit elektronischen Bauelementen. Im Rahmen ihres Unternehmens bezog sie Leistungen von dem in Berlin ansässigen Unternehmer X.
Mit Schreiben vom 22. Dezember 1994 machte die Klägerin erstmals den Kürzungsanspruch nach § 2 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) für die Jahre 1988 bis 1991 geltend. Hierzu legte sie auf Rechnungsdurchschriften des X angebrachte Ursprungsbescheinigungen der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Berlin, nach § 8 BerlinFG vom 9. Februar 1995 vor. Diese Ursprungsbescheinigungen hatte X im Jahre 1994 beantragt.
Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt ―FA―) lehnte mit Bescheid vom 19. Oktober 1995 den Antrag vom 22. Dezember 1994 für die Jahre 1988 und 1990 (Streitjahre) ab. Er war ―und ist― der Auffassung, für das Jahr 1988 sei Festsetzungsverjährung eingetreten und die Steuerfestsetzung für das Jahr 1990 könne nicht ―was allein in Betracht komme― nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geändert werden.
Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage statt. Es führte zur Begründung u.a. aus, hinsichtlich des Jahres 1988 sei keine Festsetzungsverjährung eingetreten. Die Festsetzungsfrist hätte zwar an sich mit Ablauf des 31. Dezember 1993 geendet. Ihr Anlauf sei aber durch § 175 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 gehemmt worden. Die Ursprungsbescheinigung nach § 8 BerlinFG sei im Sinne dieser Vorschriften ein Ereignis, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit habe (rückwirkendes Ereignis). Dementsprechend sei auch der Umsatzsteuerbescheid 1990 gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 zu ändern.
Mit der dagegen eingelegten Beschwerde begehrt das FA Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) sowie wegen Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Soweit das FA grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht, entspricht die Beschwerde nicht den Begründungsanforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO.
Die nach § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO notwendige Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muß erwarten lassen, daß eine Entscheidung im angestrebten Revisionsverfahren geeignet ist, im Hinblick auf weitere Streitfälle Rechtsklarheit zu schaffen, zur Wahrung der Rechtseinheit beizutragen oder die Rechtsfortbildung zu fördern. Es muß also über den vorgelegten konkreten Einzelfall hinaus ein Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt sein (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 2. Mai 1995 VIII B 135/94, BFH/NV 1996, 138).
Das BerlinFG 1990 ist durch Art. 4 des Steueränderungsgesetzes 1991 vom 24. Juni 1991 (BGBl I, 1322) geändert worden. Dadurch ist der Kürzungsanspruch des westdeutschen Unternehmers nach § 2 BerlinFG mit Wirkung vom 1. Juli 1991 weggefallen. Die Vergünstigung ist letztmalig auf Umsätze anzuwenden, die der Berliner Unternehmer an den westdeutschen Unternehmer vor dem 1. Juli 1991 ausgeführt hat. Entsprechendes gilt für § 8 BerlinFG. Danach sind für Umsätze, die nach dem 30. Juni 1991 ausgeführt werden, Ursprungsbescheinigungen nicht mehr zu erteilen (vgl. dazu Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 9. Oktober 1991, BStBl I 1991, 926 Rz. 2, 4).
Nach ständiger Rechtsprechung kommt Rechtsfragen, die außer Kraft getretenes Recht betreffen, regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu (vgl. BFH-Beschlüsse vom 30. Januar 1989 V B 123/86, BFH/NV 1989, 706, und vom 30. Juni 1998 III B 232/95, BFH/NV 1999, 59).
Das FA hat in der Beschwerde keine Gründe dargelegt, die ausnahmsweise ein Abweichen von dieser Regel rechtfertigen. Dafür genügt nicht, daß möglicherweise noch Fälle abzuwickeln sind, in denen das BerlinFG anzuwenden ist. Erforderlich wäre vielmehr, daß sich die als klärungsbedürftig aufgeworfene Frage, ob die nachträgliche Beantragung und Vorlage der Ursprungsbescheinigung nach § 8 BerlinFG ein Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 ist, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit entfaltet, noch für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft weiterhin stellen kann, wie dies bei Fragen aus fortgeltendem Recht regelmäßig der Fall ist (vgl. BFH-Beschluß in BFH/NV 1996, 138, m.w.N.).
Das FA hat hierzu zwar ausgeführt, das angefochtene FG-Urteil würde allen Unternehmern die Geltendmachung des Kürzungsanspruchs nach § 2 BerlinFG durch nachträgliche Vorlage der Ursprungsbescheinigung zeitlich unbegrenzt ermöglichen, soweit es die früheren Umsatzsteuerzeiträume bis einschließlich Juni 1991 betreffe. Diese Darlegung reicht aber nicht aus. Es ist nicht ersichtlich, daß sich die vom FG entschiedene Rechtsfrage in weiteren Fällen stellen wird; denn im Streitfall lagen nach dem vom FG wiedergegebenen Klagevorbringen und ausweislich des vom FG in Bezug genommenen Antrags der Klägerin vom 22. Dezember 1994 besondere Umstände vor, die zu dem Rechtsstreit führten. Danach konnte der Umstand, daß die Herstellerpräferenz auch für die von der Klägerin bezogenen Leistungen gilt, erst nachträglich aufgrund eines in einem Parallelverfahren ergangenen Urteils festgestellt werden. Nur dadurch kam es zu der Antragstellung lange Zeit nach Außerkrafttreten des § 8 BerlinFG.
2. Die Vorentscheidung weicht nicht von den vom FA bezeichneten Urteilen des BFH ab.
Eine Abweichung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO liegt nur dann vor, wenn das FG in einer bestimmten Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt als der BFH, und wenn das angefochtene Urteil auf dieser Divergenz beruht (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluß in BFH/NV 1999, 59). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor.
Soweit das FA Divergenz der Vorentscheidung vom BFH-Urteil vom 12. Juli 1989 X R 8/84 (BFHE 157, 484, BStBl II 1989, 957) rügt, weichen beide Entscheidungen jedenfalls deshalb nicht voneinander ab, weil sich das BFH-Urteil mit den Wirkungen eines Antrags nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes, nicht aber mit der Wirkung einer Ursprungsbescheinigung nach § 8 BerlinFG befaßt. Eine Abweichung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO ist nur dann gegeben, wenn das FG-Urteil in ein und derselben Rechtsfrage von einem BFH-Urteil abweicht (vgl. BFH-Beschluß vom 28. April 1997 III B 63/96, BFH/NV 1997, 790, m.w.N.).
Soweit das FA Divergenz der Vorentscheidung zum BFH-Urteil vom 24. März 1987 X R 38/81 (BFHE 150, 173, BStBl II 1987, 645) geltend macht, geht es ―ebenfalls― um unterschiedliche Rechtsfragen. Das bezeichnete BFH-Urteil betrifft zwar eine Ursprungsbescheinigung nach § 8 BerlinFG, nicht aber die im Streitfall entscheidungserhebliche Frage ihrer Rückwirkung.
Fundstellen
Haufe-Index 302294 |
BFH/NV 1999, 1451 |