Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Abziehbarkeit eines nach Bezug geleisteten Damnums nach § 10e Abs. 6 EStG
Leitsatz (NV)
Das BMF wird gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 FGO zum Beitritt aufgefordert, um Stellung nehmen zu können, wann Finanzierungskosten vor Beginn der erstmaligen Nutzung der Wohnung zu eigenen Wohnzwecken i.S. von § 10e Abs. 6 EStG entstanden sind, insbesondere ob ein nach Bezug der Wohnung geleistetes Damnum nach § 10e Abs. 6 EStG abgezogen werden darf.
Normenkette
EStG § 10e Abs. 6; FGO § 122 Abs. 2 S. 3
Tatbestand
1. Zum Sachverhalt
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, errichteten ein Einfamilienhaus, das am 15. März 1988 fertiggestellt und von ihnen bezogen wurde.
In der Einkommensteuererklärung 1988 machten die Kläger u.a. ein Damnum in Höhe von 1003,75 DM als Vorkosten geltend, das bei Auszahlung eines Teilbetrages in Höhe von 36500 DM am 22. April 1988 von der darlehensgebenden Bank abgezogen worden war.
Der Darlehensvertrag war im Jahre 1987 über 246000 DM abgeschlossen worden. Das Darlehen wurde in Teilbeträgen je nach Baufortschritt ausgezahlt:
Tag der Betrag Damnum
Auszahlung (2,75%)
22. Mai 1987 123000 DM 3382,50 DM
14. Okt. 1987 61500 DM 1691,25 DM
22. April 1988 36500 DM 1003,75 DM
1. August 1989 25000 DM 687,50 DM
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) berücksichtigte das Damnum bei der Einkommensteuerveranlagung 1988 nicht. Der Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 1988 war erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Das Urteil ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1991, 385 veröffentlicht.
Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung des § 10e Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Das Damnum sei vor Bezug der Wohnung entstanden, weil es auf der Darlehensvereinbarung aus dem Jahre 1987 beruhe. Das Darlehen von insgesamt 246000 DM sei lt. Vertrag für die Bauherstellung zu verwenden gewesen und nur nach Baufortschritt aufgrund Einzelnachweises ausgezahlt worden. Die letzte Darlehensrate habe daher erst ausgezahlt werden können, nachdem die Baufertigstellung dem Darlehensgeber nachgewiesen worden sei. Das gesamte Darlehen beziehe sich somit auf die Bauherstellung (Fertigstellung). Der Zeitpunkt der erstmaligen Nutzung könne aber niemals vor der Fertigstellung des Baus liegen. Somit entfalle das gesamte Darlehen und daher auch das gesamte in Rechnung gestellte Damnum wirtschaftlich auf die Zeit vor der erstmaligen Nutzung. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BFH) sei ein Teil des Damnums zwar grundsätzlich ein laufzeitabhängiger Ausgleich für einen niedrigeren Nominalzins; es habe aber auch die üblichen Kosten der Kreditbeschaffung zu decken. Aus dem Hinweis des BGH auf die übliche Höhe der Kreditbeschaffungskosten von 2 bis 3% könne aber gefolgert werden, daß bei einem Disagio von 2,75% keine verdeckte laufzeitabhängige Zinszahlung zu vermuten sei (vgl. Thelen, DB 1990, 1805; Hopt/Mülbert, Kreditrecht, § 608 Rdnr. 9). Die üblichen Kosten für die Kreditbeschaffung entstünden aber nicht erst mit der (Teil-)Auszahlung des Darlehens, sondern mit Abschluß des Darlehensvertrages. Der Darlehensgeber habe stets einen Anspruch auf Erstattung dieses Kostenteils, auch wenn der Darlehensvertrag vorzeitig beendet oder die Darlehenssumme nicht ausgezahlt werde.
Entscheidungsgründe
2. Zu den entscheidungserheblichen Rechtsfragen
Aufwendungen, die vor Beginn der erstmaligen Nutzung zu eigenen Wohnzwecken entstehen, sind nach § 10e Abs. 6 EStG - unter weiteren hier nicht streitigen Voraussetzungen - wie Sonderausgaben abziehbar. Der Ausgang des Rechtsstreits hängt davon ab, wie dieses Tatbestandsmerkmal auszulegen ist.
a) Nach überwiegender Auffassung in der Literatur sind Aufwendungen vor Bezug der Wohnung entstanden, wenn sie wirtschaftlich einen Zeitraum betreffen, in dem der Steuerpflichtige die Wohnung noch nicht zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat - unabhängig davon, ob er die Aufwendungen vor oder nach Bezug bezahlt hat - (Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 10e EStG Anm. 518, und Stephan, Die Besteuerung selbstgenutzten Wohneigentums, 4. Aufl., S. 210, 223 jeweils m.w.N.). Abweichend hiervon wird jedoch für die Abziehbarkeit eines Damnums auf den Zeitpunkt der Leistung abgestellt.
b) Schmidt/Drenseck (Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 10e Anm. 9d) halten diese Auslegung nicht für zweifelsfrei. Es lasse sich auch die Meinung vertreten, daß eine Aufwendung erst entstehe, wenn sie tatsächlich anfalle, z.B., wenn gezahlt werde. Eine Aufwendung sei eine Ausgabe in Geld oder Geldeswert; vor Zahlung liege noch gar keine Aufwendung vor.
c) Im Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 25. Oktober 1990 (BStBl I 1990, 626, Abs. 50 bis 55) wird im Grundsatz ebenfalls auf die wirtschaftliche Zuordnung abgestellt. Für die Abziehbarkeit des Damnums soll es dagegen auf den Zeitpunkt der Leistung ankommen, d.h., es wird in voller Höhe zum Abzug zugelassen, wenn es vor Bezug geleistet worden ist. Nur wenn es nach Bezug abfließt, wird geprüft, welchem Zeitraum es wirtschaftlich zuzuordnen ist mit der Folge, daß der auf die Zeit vor Bezug entfallende Teilbetrag abgezogen werden darf.
d) Es spricht viel dafür, den Begriff entstehen nach Möglichkeit einheitlich für alle Aufwendungen auszulegen. Es sollte nicht je nach Art der Aufwendung die wirtschaftliche Zuordnung oder die Verausgabung maßgebend sein.
Aus der unterschiedlichen Wortwahl in § 10e Abs. 6 EStG (Aufwendungen, die vor Bezug entstehen) und in § 11 Abs. 2 EStG (Ausgaben, die geleistet worden sind), könnte man schließen, daß es für die Frage, welche Aufwendungen als Vorkosten abziehbar sind, nicht auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Leistung, sondern auf den Zeitraum der wirtschaftlichen Zuordnung ankommt. Für die Auslegung im Sinne einer wirtschaftlichen Zuordnung könnte auch der - nachträglich eingeführte - begrenzte Schuldzinsenabzug gemäß § 10e Abs. 6a EStG angeführt werden. Danach dürfen Schuldzinsen, die wirtschaftlich mit der Wohnung zusammenhängen und für die Zeit der Nutzung zu eigenen Wohnzwecken entstehen, im Jahr der Anschaffung oder Herstellung und in den beiden folgenden Kalenderjahren bis zu 12000 DM abgezogen werden. Diese Formulierung (für die Zeit) macht deutlich, daß nur die wirtschaftlich auf den Zeitraum der tatsächlichen Nutzung entfallenden Schuldzinsen (begrenzt) abziehbar sein sollen. Bei einheitlicher Auslegung des Begriffs entstehen müßte es für die vor Bezug entstandenen Aufwendungen ebenfalls auf die wirtschaftliche Zuordnung ankommen.
e) Stellt man für die Abziehbarkeit darauf ab, welchem Zeitraum die Aufwendungen wirtschaftlich zuzuordnen sind, wären Geldbeschaffungskosten, die einmaligen Verwaltungsaufwand bei der Kreditbeschaffung abgelten, wohl dem Zeitraum des Vertragsabschlusses oder der Fälligkeit zuzuordnen und nicht laufzeitbezogen zu behandeln (anders wohl BMF vom 25. Oktober 1990, BStBl I 1990, 626, Abs. 50 Satz 6 für Geldbeschaffungskosten wie Schätzungsgebühren, Gebühren für Hypothekenvermittlung, Bürgschaftsgebühren, Bereitstellungszinsen für Bankkredite, Notariatsgebühren, Aufwendungen für Fahrten zur Einholung von Kreditangeboten zur Finanzierung der Wohnung).
Dagegen müßte ein Damnum nach der neueren zivilrechtlichen Rechtsprechung als zinsähnlicher Aufwand grundsätzlich auf die Laufzeit des Darlehens bzw. des Zinsfestschreibungszeitraums verteilt werden. Nach dem BGH-Urteil vom 29. Mai 1990 XI ZR 231/89 (Der Betrieb - DB - 1990, 1610) dient ein Damnum in der Regel nicht mehr der Abgeltung der mit der Kreditbeshaffung und -gewährung zusammenhängenden Aufwendungen, sondern ist weitgehend zu einem integralen Bestandteil der - laufzeitabhängigen - Zinskalkulation geworden. Es ist deshalb im Zweifel als laufzeitabhängiger Ausgleich für einen niedrigeren Nominalzinssatz anzusehen. Eine Verteilung des Damnums steht allerdings mit der Gesetzesbegründung zu § 10e Abs. 6 EStG nicht in Einklang. Danach soll diese Vorschrift gewährleisten, daß der Steuerpflichtige die in dem Bau- und Anschaffungszeitraum anfallenden Kosten, die bis einschließlich 1986 bei eigengenutzten Wohnungen als Werbungskosen abgezogen werden durften, insbesondere ein Damnum und andere Geldbeschaffungskosten, auch künftig steuermindernd abziehen kann (BTDrucks 10/3633 S. 16). Nach der Rechtsprechung zu § 21a EStG aber waren nicht laufzeitbezogene Schuldzinsen, zu denen auch das Damnum gerechnet wurde, abziehbar, wenn sie vor Ansatz des Grundbetrages (§ 21a Abs. 1 EStG a.F.) geleistet worden waren (z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. Dezember 1983 VIII R 173/83, BFHE 140, 440, BStBl II 1984, 428 m.w.N.; bei Leistung nach Ansatz des Grundbetrags allerdings Aufteilung und Abziehbarkeit des Teilbetrags, der auf die Zeit vor Anwendbarkeit des § 21a EStG entfällt: BFH-Urteil vom 21. Januar 1975 VIII R 101/70, BFHE 115, 209, BStBl II 1975, 503).
Trotz der Kritik in der Literatur an der unterschiedlichen Behandlung von Schuldzinsen und Damnum hat der BFH - vor allem im Hinblick darauf, daß § 21a EStG letztmals für den Veranlagungszeitraum 1986 anzuwenden war - an seiner Rechtsprechung festgehalten (Urteil vom 8. November 1988 IX R 142/84, BFH/NV 1989, 223). Das Urteil ist allerdings vor der Änderung der BGH-Rechtsprechung ergangen.
f) Die von Schmidt/Drenseck (s. oben 2b) vertretene Auslegung, die das Entstehen der Aufwendungen mit dem Zeitpunkt der Verausgabung gleichsetzt, dürfte mit dem Wortsinn ebenfalls vereinbar sein. Sie hätte den Vorzug, daß Schuldzinsen und Geldbeschaffungskosten unabhängig davon, ob sie laufzeitbezogen sind oder nicht, gleichbehandelt würden. Jedoch müßten bei dieser Auslegung mißbräuchliche Gestaltungen über § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) ausgeschlossen werden. Auch im Hinblick auf vor Bezug durchgeführte Reparaturaufwendungen erscheint das Abstellen auf den Verausgabungszeitpunkt nicht sachgerecht.
3. Auswirkungen auf den Streitfall
a) Kommt es für den Abzug der Vorkosten nach § 10e Abs. 6 EStG auf den Zeitpunkt der Verausgabung an, ist das Damnum nach Bezug der Wohnung entstanden. Ein Damnum, das bei Auszahlung eines Tilgungsdarlehens einbehalten wird, ist im Zeitpunkt der Auszahlung des Kapitals abgeflossen. Wird das Darlehen - wie im Streitfall - in Teilbeträgen einbehalten und das Damnum jeweils anteilig mit den ausgezahlten Teilbeträgen verrechnet, ist der jeweilige Anteil mit der Auszahlung der Teilbeträge abgeflossen.
b) Stellt man auf die wirtschaftliche Zuordnung ab, ist fraglich, ob das Damnum im Streitfall ebenfalls dem Zeitraum nach der erstmaligen Nutzung der Wohnung zuzuordnen ist. Geht man mit dem FG davon aus, daß das Damnum ein laufzeitabhängiger Ausgleich für einen niedrigeren Nominalzins ist, entsteht es als zinsähnliche Vergütung mit Auszahlung des Teilbetrages, da ein Anspruch auf Darlehenszinsen nur entsteht, wenn und solange die Darlehensbeträge dem Kreditnehmer überlassen sind. Im Streitfall beträgt das Damnum aber nur 2,75 v.H. der Darlehenssumme. Es hält sich damit nach der Rechtsprechung des BGH im Rahmen dessen, was Banken üblicherweise als einmalige Nebenkosten verlangen. Da laut Darlehensbedingungen keine weiteren Bearbeitungsgebühren zu bezahlen waren, könnte man im Streitfall das vereinbarte Damnum als einmalige Abgeltung für Verwaltungsauwand beurteilen.
Es würde sich dann die zusätzliche Frage stellen, ob das Damnum wirtschaftlich dem Zeitraum zuzuordnen ist, in dem es fällig und/oder geleistet wird, oder ob auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen ist. Zu berücksichtigen ist dabei der Einwand der Kläger, die Bank habe auch bei einem Rücktritt vom Vertrag oder bei Kündigung des Darlehens einen Anspruch auf die Verwaltungsgebühr.
4. Beitritt des BMF
Da die Frage, inwieweit Aufwendungen vor Beginn der erstmaligen Nutzung zu eigenen Wohnzwecken entstanden sind, von erheblicher Tragweite ist und der Senat bei einheitlicher Auslegung des Begriffs unter Umständen von den im Schreiben des BMF vom 25. Oktober 1990 (BStBl I 1990, 626) aufgestellten Grundsätzen abweichen würde, erscheint es geboten, das BMF an dem Verfahren zu beteiligen (§ 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung).
Fundstellen
Haufe-Index 419483 |
BFH/NV 1994, 465 |