Leitsatz (amtlich)
Ist ein Haftungsbescheid wegen Vermögensabgabe im ganzen angefochten, richtet sich der Streitwert nach der geltend gemachten Haftungsschuld.
Normenkette
FGO § 140 Abs. 3
Tatbestand
Das FA hatte die Klägerin und Beschwerdeführerin durch Haftungsbescheid zur Vermögensabgabe herangezogen. Der Haftungsbescheid vom 2. Juli 1969 lautete wie folgt:
"A schuldet der Bundesrepublik Deutschland Vermögensabgabe (Zeitwert) in Höhe von 76 000 DM. Für diese Rückstände haften Sie neben dem Steuerpflichtigen nach § 109 in Verbindung mit § 106 AO. Ich bitte, zunächst den Betrag von 23 000 DM (Haftsumme) spätestens am 31. Juli 1969 an die Finanzkasse zu zahlen."
Den Haftungsanspruch begründete das FA damit, daß die im dritten Erlaßzeitraum (1965 bis 1967) und in der Zeit vom 1. Januar 1968 bis zum Todestag des A fällig gewordenen Vierteljahrsbeträge - vorbehaltlich der Zustimmung der OFD - voraussichtlich erlassen werden könnten. In Höhe von 10 Vierteljahresraten (23 000 DM) beanspruchte es ein Konkursvorrecht. Auf den in einem Nachlaßkonkurs nicht bevorrechtigten Teil der Vermögensabgabe verzichtete das FA aus "Vereinfachungsgründen und zur Erleichterung des Verfahrens."
Auf die Sprungklage der Klägerin hob das FG den angefochtenen Bescheid gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO auf. Das Urteil wurde rechtskräftig. Das FG setzte durch Beschluß den Steitwert für die Klage auf 23 000 DM fest. Dieser Wert entspricht dem Betrag, den das FA in dem Haftungsbescheid als Haftsumme bezeichnet hat.
Die Klägerin und die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin haben gegen den Streitwertbeschluß Beschwerde eingelegt und beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses den Streitwert auf 76 000 DM festzusetzen. Nach ihrer Auffassung ist Gegenstand des Rechtsstreits der Zeitwert der Vermögensabgabe in Höhe von 76 000 DM gewesen. Die Zahlungsaufforderung über einen Teilbetrag habe den Streitgegenstand nicht vermindert. Die Rechtsgrundlage für die von der Klägerin geforderte Vermögensabgabe von insgesamt 76 000 DM sei erst durch die gerichtliche Aufhebung des angefochtenen Haftungsbescheids entfallen. Sie machen weiter geltend, nach dem eindeutigen Tenor des Haftungsbescheids stehe fest, daß ohne eine Anfechtung des Haftungsbescheids der gesamte Betrag des festgesetzten Zeitwerts der Vermögensabgabe und nicht nur der zur Zahlung angeforderte Teilbetrag in Rechtskraft erwachsen wäre.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Soweit die Klägerin den Streitwertbeschluß mit dem Ziel einer höheren Streitwertfestsetzung angefochten hat (§ 146 Abs. 3 FGO), ist die Beschwerde unzulässig. Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluß III B 30/69 vom 19. Dezember 1969, BFH 98, 125, BStBl II 1970, 324) fehlt in der Regel für eine Beschwerde des Steuerpflichtigen gegen eine zu niedrige Streitwertfestsetzung das Rechtsschutzbedürfnis, außer es besteht eine von der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGebO) abweichende Honorarvereinbarung. Ein solcher Ausnahmefall liegt im Streitfall nicht vor.
Die Beschwerde der Prozeßbevollmächtigten hingegen, die den Streitwertbeschluß des FG nach § 9 Abs. 2 BRAGebO aus eigenem Recht und im eigenen Namen anfechten können, ist zulässig und auch begründet.
Das FG ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, daß sich die Höhe des Streitwerts mit dem vom FA in dem Haftungsbescheid als Haftsumme bezeichneten Betrag deckt.
Das finanzielle Interesse der Klägerin richtete sich nach ihrem Klageantrag auf Freistellung von der Haftungsschuld. Der Umfang dieses Interesses deckte sich folglich mit dem Inhalt des von ihr angefochtenen Haftungsbescheids und der mit der Bekanntgabe eingetretenen Wirkung. Die Form und der Inhalt des Haftungsbescheids (§ 118 AO) mußten sich sinngemäß nach den Bestimmungen über Steuerbescheide richten (§ 97 Abs. 2 AO). In entsprechender Anwendung des § 210b AO war der Bescheid schriftlich zu erteilen, da zu den Steuern vom Vermögen im Sinne dieser Vorschriften auch die Lastenausgleichsabgaben gehören. Zum notwendigen Inhalt des Haftungsbescheids, mit dem gegenüber der Klägerin eine Haftungsschuld und die Zulässigkeit ihrer Geltendmachung festgestellt worden war, gehörte die Angabe der genauen Höhe der Schuld, im Streitfall 76 000 DM (§ 97 Abs. 2 in Verbindung mit § 211 Abs. 1 AO). Dieser Betrag wäre in materieller Rechtskraft erwachsen, wenn die Klägerin den Bescheid nicht angefochten hätte. Daß sich das Leistungsangebot nur auf einen Teil beschränkte, den das FA mißverständlich als Haftsumme bezeichnet hat, berührte nicht die Rechtswirksamkeit der Feststellung über den gesamten Betrag. Ein Haftungsbescheid soll zwar ebenso wie jeder Steuerbescheid die in § 211 Abs. 2 Nr. 2 AO (§ 97 Abs. 2 AO) vorgesehene Anweisung zur Entrichtung der gesamten Steuer enthalten. Die bescheidsmäßige Wirkung der Festsetzung tritt aber auch dann ein, wenn das FA zunächst nur einen bestimmten Teil in Anspruch nehmen will. Für den Eintritt der materiellen Rechtskraft in voller Höhe wäre auch nicht von Bedeutung gewesen, daß die Begründung des Haftungsanspruchs nicht diesen Betrag deckt. Eine Begründung soll zwar in ausreichendem Umfang erfolgen, sie gehört aber nicht zum notwendigen Inhalt eines Haftungsbescheids (§ 97 Abs. 2 i. V. mit § 211 Abs. 2 Nr. 1 AO). Ein etwaiger Vorbehalt des FA hätte den Eintritt der Rechtskraft des Bescheids hinsichtlich des Vermögensabgabebetrages von 76 000 DM nicht gehindert.
Nach der Rechtsprechung des BFH richtet sich der Streitwert bei Haftungssachen nach der Haftungssumme (vgl. BFH-Urteil VI 153/63 U vom 15. Oktober 1964, BFH 81, 157, BStBl III 1965, 56). Haftsumme i. S. der Rechtsprechung des BFH ist die in einem Haftungsbescheid festgestellte Haftungsschuld und nicht etwa ein geringeres Leistungsgebot. Sie beträgt im Streitfall 76 000 DM (Zeitwert); denn dieser Betrag wurde gemäß § 50 LAG sofort fällig gestellt und mit dem Haftungsbescheid gegenüber der Klägerin nach §§ 109, 106 AO geltend gemacht. Der Streitwert ist demnach auf 76 000 DM festzusetzen.
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren mußte berücksichtigen, daß die Klägerin als nicht notwendiger Streitgenosse und ihr Gegner - das FA - voll unterlegen sind. Nach der Kostenverteilungsvorschrift des § 136 Abs. 1 FGO hielt es der Senat für angemessen, die Kosten des Beschwerdeverfahrens den unterlegenen Parteien je zur Hälfte aufzuerlegen.
Fundstellen
Haufe-Index 69627 |
BStBl II 1972, 181 |
BFHE 1972, 37 |