Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage an den GrS: Einbeziehung von stillen Reserven in die Bewertung einer Nutzungsentnahme?
Leitsatz (amtlich)
Der VIII. Senat legt dem Großen Senat des BFH gemäß § 11 Abs. 2 und 4 FGO folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vor:
Sind in die Bewertung der Nutzungsentnahme die im Buchwertansatz des PKW ruhenden stillen Reserven einzubeziehen, wenn der zum Betriebsvermögen gehörende PKW während einer privat veranlassten Fahrt durch Unfall zerstört oder erheblich beschädigt wird?
Normenkette
EStG § 4 Abs. 1 S. 2, § 6 Abs. 1 Nr. 4 S. 1
Verfahrensgang
FG München (EFG 1998, 1384; LEXinform-Nr. 0146289) |
Nachgehend
Tatbestand
A. (Sachverhalt)
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), betreibt eine Gastwirtschaft und eine Metzgerei. Zu ihrem Anlagevermögen gehörte ein PKW (Mercedes 230 E), der im Streitjahr 1990 auf einer Privatfahrt eines Angehörigen der Gesellschafter der Klägerin ohne Fremdeinwirkung eines Dritten zerstört und anschließend veräußert wurde.
In ihren Jahresabschlussunterlagen zum 31. Dezember 1990 behandelte die Klägerin den Vorgang wie folgt: Für die Privatnutzung des PKW einschließlich der Prämien für die Vollkaskoversicherung wies die Klägerin einen entsprechenden Ertrag aus. Den Erlös aus dem Verkauf des unfallzerstörten Wagens in Höhe von 2 631 DM behandelte sie als sonstigen betrieblichen Ertrag. Die von der Vollkaskoversicherung erstattete Ersatzleistung in Höhe von 16 717 DM (17 367 DM ./. 650 DM Selbstbeteiligung) verbuchte sie als Einlage in das Betriebsvermögen. Den Restbuchwert zum Zeitpunkt des Unfalls in Höhe von 6 067 DM buchte sie erfolgsneutral aus dem Betriebsvermögen aus.
Im Anschluss an eine Außenprüfung behandelte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) die Ersatzleistung aus der Vollkaskoversicherung unter Abzug des Restbuchwerts des PKW als Betriebseinnahme (16 717 DM ./. 6 067 DM = 10 650 DM) und stellte den Gewinn der Klägerin in dem angefochtenen Feststellungsbescheid 1990 mit 116 988 DM fest. Der dagegen erhobene Einspruch blieb erfolglos. Den Gewerbesteuermessbetrag für 1990 setzte das FA in der Einspruchsentscheidung auf 4 085 DM fest.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage, mit welcher die Klägerin begehrte, den Gewinn aus Gewerbebetrieb um 13 281 DM zu reduzieren sowie den Gewerbesteuermessbetrag auf 3 420 DM festzusetzen, stattgegeben (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 1998, 1384). Es hat gemeint, die Leistung aus der Kaskoversicherung stelle keine Betriebseinnahme dar, weil der Unfall privat veranlasst gewesen sei. Der vom FA angesetzte Gewinn in Höhe von 116 988 DM sei deshalb um die Versicherungsleistung in Höhe von 16 717 DM zu kürzen und um den vom FA per Saldo als Verlust berücksichtigten Betrag von 3 436 DM zu erhöhen (116 988 DM ./. 16 717 DM + 3 436 DM = 103 707 DM).
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts und begründet dies im Wesentlichen wie folgt:
Entgegen der Ansicht des FG seien Ersatzleistungen aus einer Vollkaskoversicherung im Falle des Unfalls auf einer Privatfahrt mit einem zum Betriebsvermögen gehörenden PKW als Betriebseinnahme zu behandeln. Durch die Versicherungsleistung sei im Ergebnis ein Wirtschaftsgut des Betriebsvermögens ersetzt worden. Die Ersatzleistung aus der Kaskoversicherung sei an die Stelle des betrieblichen Wirtschaftsguts getreten (sog. stellvertretendes commodum). Sie sei daher betrieblich veranlasst gewesen. Hinzu komme, dass die Kaskoversicherung selbst zu 100 % Teil des Betriebsvermögens gewesen sei. Dies ergebe sich aus der Tatsache, dass die Versicherung in Bezug auf ein unteilbares, voll dem Betriebsvermögen zuzuordnendes Wirtschaftsgut abgeschlossen worden sei.
Veräußere ein Steuerpflichtiger einen zu seinem Betriebsvermögen gehörenden, teilweise auch privat genutzten Vermögensgegenstand, so sei der dabei erzielte Buchgewinn ebenfalls nach allgemeiner Auffassung in vollem Umfang als Betriebseinnahme zu erfassen. Dabei sei unerheblich, ob und inwieweit ein Teil des Betrages für Absetzung für Abnutzung (AfA) als Privatentnahme angesetzt worden sei.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß), die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
B. (Stellungnahme des beschließenden Senats zu der vorgelegten Rechtsfrage)
Der erkennende Senat bejaht die Vorlagefrage.
I. Nach einhelliger und zutreffender Auffassung führte die zu privaten Zwecken ausgeführte Unfallfahrt nicht zu einer (Sach-) Entnahme des PKW als solchem aus dem Betriebsvermögen der Klägerin (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 24. Mai 1989 I R 213/85, BFHE 157, 521, BStBl II 1990, 8, unter II. B. 2., mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 19. Aufl., § 4 Rz. 360, Stichwort "Verlust"; Söhn in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 4 Rdnr. E 820), die zweifelsohne mit dem Teilwert des Wirtschaftsguts zu bewerten wäre (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes ―EStG―). Eine solche Sachentnahme würde die ―im Streitfall zu verneinende― Überführung des Wirtschaftsguts in das Privatvermögen unter unmissverständlicher Lösung seiner Verknüpfung mit dem Betriebsvermögen voraussetzen (vgl. BFH-Urteil vom 15. Oktober 1987 IV R 66/86, BFHE 152, 62, BStBl II 1988, 260; BFH-Beschluss vom 21. Januar 1998 IV B 142/86, BFH/NV 1998, 705). Die ―nicht auf Dauer angelegte― private Nutzung eines zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsguts (hier: PKW) ist vielmehr als Nutzungsentnahme i.S. von § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG zu beurteilen, wobei die Entnahmehandlung darin zu sehen ist, dass der Unternehmer das Wirtschaftsgut des Betriebsvermögens bewusst zu privaten Zwecken einsetzt. Die Möglichkeit eines Unfalls gelegentlich der privaten Nutzung ändert daran nichts.
II. Wird ein zum Betriebsvermögen gehörender PKW auf einer Privatfahrt durch Unfall beschädigt oder zerstört, so mindern die dadurch entstandenen Vermögensverluste nach ständiger Rechtsprechung des BFH den Betriebsgewinn nicht (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 12. April 1956 IV 611/54 U, BFHE 62, 474, BStBl III 1956, 176; vom 13. Mai 1959 IV 131/58 U, BFHE 69, 22, BStBl III 1959, 269; vom 28. Februar 1964 VI 180/63 S, BFHE 79, 602, BStBl III 1964, 453; vom 15. Dezember 1977 IV R 78/74, BFHE 124, 185, BStBl II 1978, 212; vom 31. Januar 1992 VI R 57/88, BFHE 166, 502, BStBl II 1992, 401; Schmidt/Heinicke, a.a.O., § 4 Rz. 520 "Verlust"; Blümich/Wacker, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 4 EStG Rz. 330 "Kraftfahrzeuge"; Söhn in Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 4 Rdnr. E 645 ff., m.w.N.). Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an.
III. Die Bewertung der Nutzungsentnahme richtet sich nicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG. Diese Vorschrift regelt nach ganz herrschender und richtiger Auffassung lediglich die Bewertung der Sachentnahmen, trifft hingegen für die Bewertung der Nutzungsentnahmen keine Aussage (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 26. Januar 1994 X R 1/92, BFHE 173, 356, BStBl II 1994, 353, unter 2. der Gründe; vom 14. Januar 1998 X R 57/93, BFHE 185, 230, unter B. II. 5. d der Gründe). Die danach für die Bewertung der Nutzungsentnahmen bestehende Gesetzeslücke ist in der Weise zu schließen, dass nicht etwa der Wert der privaten Nutzung, sondern der durch diese verursachte Aufwand als entnommen angesetzt wird (vgl. BFH-Beschluss vom 26. Oktober 1987 GrS 2/86, BFHE 151, 523, BStBl II 1988, 348, unter C. I. 1. b, bb der Gründe).
Die ständige Rechtsprechung des BFH und die herrschende Lehre verstehen unter dem durch die private Nutzung des zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsguts verursachten Aufwand die "tatsächlichen Selbstkosten" (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 173, 356, BStBl II 1994, 353, unter 2. ff. der Gründe, und in BFHE 185, 230, unter B. II. 5. d der Gründe). Diese sollen "aus den als Betriebsausgaben im Rahmen der Minderung des buchmäßigen Betriebsvermögens abgezogenen (Gesamt-)Aufwendungen einschließlich der sog. festen Kosten und der Absetzung für Abnutzung (AfA) in der in Anspruch genommenen Höhe" bestehen (BFH-Urteil in BFHE 185, 230, unter B. II. 5. d; ausführlich dazu BFH-Urteil in BFHE 173, 356, BStBl II 1994, 353, unter 2. ff.). Stille Reserven sollen bei der Bewertung der Nutzungsentnahme außer Betracht bleiben (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 157, 521, BStBl II 1990, 8, unter II. B. 4. b der Gründe, betreffend ebenfalls die Zerstörung eines zum Betriebsvermögen gehörenden PKW auf einer privaten Fahrt; in BFHE 185, 230, unter B. II. 5. d der Gründe).
IV. Der vorlegende Senat schließt sich diesen Erwägungen im Grundsatz an. Er hält jedoch deren Modifizierung für die hier zu beurteilende Ausnahmekonstellation geboten, dass ein zum Betriebsvermögen gehörendes Wirtschaftsgut (hier: PKW) anlässlich seiner privaten Nutzung durch einen Unfall zerstört oder erheblich beschädigt wird. Soweit die herrschende Ansicht den bei der Nutzungsentnahme anzusetzenden (privaten) Gesamtaufwand auch in einem solchen (außergewöhnlichen) Fall nur in der durch die private Nutzung verursachten Minderung des buchmäßigen Betriebsvermögens ohne Einbeziehung der in dem betreffenden Bilanzansatz ruhenden stillen Reserven erblickt, vermag der beschließende Senat dem nicht zu folgen (ebenso Blümich/Wacker, a.a.O., § 4 EStG Rz. 330 "Kraftfahrzeuge", unter c, aa). Vielmehr umfasst in einem solchen Fall der durch die private Nutzung verursachte und der Bewertung der Nutzungsentnahme zugrunde zu legende Gesamtaufwand nach Auffassung des vorlegenden Senats den vollständigen durch die private Nutzung hervorgerufenen Wertverzehr, der in derDifferenzzwischen den tatsächlichen Werten (Teilwerten) des beschädigten Wirtschaftsguts vor und nach dem Unfall besteht. Für dieses Ergebnis sprechen die folgenden Erwägungen:
1. Nach dem Zweck des sowohl die Sachentnahmen als auch die Nutzungs- und Leistungsentnahmen umfassenden Entnahmetatbestandes des § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG sollen Wertabgaben aus dem Betriebsvermögen an den nichtbetrieblichen Bereich, wie sie auch bei der hier anlässlich einer privatnützigen Tätigkeit eingetretenen Werteinbuße am Betriebsvermögen vollzogen wurden, bei letzter sich bietender Gelegenheit erfasst und damit eine mit der privat veranlassten Minderung des Betriebsvermögens einhergehende (gegenwärtige oder künftige) Gewinneinbuße neutralisiert werden (vgl. auch Schmidt/Heinicke, a.a.O., § 4 Rz. 300 und 43; Cattelaens in Littmann/Bitz/Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, § 6 EStG Rz. 353). Diese (Korrektur-)Funktion des Entnahmetatbestandes liegt u.a. auch darin, zu verhindern, dass die im Betriebsvermögen angesammelten ―nicht selten "willkürlich", d.h. durch erhöhte, den tatsächlichen Wertverzehr überschreitende AfA und Abschreibungen gelegten― stillen Reserven der Besteuerung entzogen werden. In der Vergangenheit zu Lasten des Betriebsergebnisses vorgenommene überhöhte Absetzungen und Abschreibungen sollen über den Entnahmeansatz rückgängig gemacht werden (vgl. z.B. Cattelaens in Littmann/Bitz/Hellwig, a.a.O., § 6 EStG Rz. 355; Ortmann-Babel in Lademann, Einkommensteuergesetz, § 6 Rz. 867).
Bei den sog. Sachentnahmen liegt dies auf der Hand und kommt in der Entnahmebewertungsregel des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG durch die Anordnung zum Ausdruck, dass die Entnahmen mit dem Teilwert, also unter Einschluss etwaiger stiller Reserven, anzusetzen sind.
Bei der hier in Rede stehenden Nutzungsentnahme findet zwar § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG keine ―jedenfalls keine unmittelbare― Anwendung. Die in Bezug auf die Bewertung der Nutzungsentnahmen bestehende Gesetzeslücke ist aber ―wie unter III. dargelegt― in der Weise zu schließen, dass der durch die Nutzungsentnahme "verursachte Aufwand" (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 151, 523, BStBl II 1988, 348), d.h. die "tatsächlichen Selbstkosten" (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 173, 356, BStBl II 1994, 353, und in BFHE 185, 230) anzusetzen sind.
Mit dieser Begrenzung der Bewertung der Nutzungsentnahmen auf den durch sie verursachten Aufwand soll lediglich der Ausweis eines Entnahmegewinns verhindert werden, der entstünde, wenn man den Wert der privaten Nutzung mit einem ―die tatsächlich verursachten Aufwendungen übersteigenden― fiktiven Mietertrag ansetzen würde (vgl. z.B. Mayer-Wegelin in Bordewin/Brandt, Einkommensteuergesetz, § 6 Rz. 555). Diese Zielsetzung hindert es hingegen nicht, unter dem "verursachten Gesamtaufwand" bzw. den "tatsächlichen Selbstkosten" die gesamte, infolge der Nutzungsentnahme im Betriebsvermögen eingetretene Werteinbuße einschließlich der vernichteten stillen Reserven zu verstehen (vgl. auch BFH-Urteil vom 9. Oktober 1953 IV 536/52 U, BFHE 58, 120, BStBl III 1953, 337, 338, li. Sp. unten: Ansatz der Nutzungsentnahme zu "vollen Selbstkosten", wobei sich "dieses Ergebnis mit der vom EStG geforderten Entnahme mit den Wiederbeschaffungskosten" decke).
Nach Auffassung des vorlegenden Senats ist ein solches Verständnis im hier zu beurteilenden Fall der Zerstörung des PKW zwingend geboten, um der dargelegten Funktion des Entnahmetatbestandes Rechnung zu tragen (vgl. auch Plückebaum, Die steuerliche Betriebsprüfung ―StBp― 1965, 182, re. Sp.; Söffing, Deutsche Steuer-Zeitung/Ausgabe A ―DStZ/A― 1972, 313, 316; Runge, Betriebs-Berater ―BB― 1972, 1181, 1182; Montag, Steuer und Wirtschaft ―StuW― 1979, 35, 36, re. Sp. f., mit Beispiel; Balke, Finanz-Rundschau ―FR― 1979, 424, 425, re. Sp. unten f.). Dieses Ergebnis folgt auch aus der Überlegung, dass die Nutzungsentnahme im Fall der Zerstörung oder wesentlichen Beschädigung des PKW in ihrer tatsächlichen Wirkung der Sachentnahme gleich oder jedenfalls nahe kommt; denn auch hier wird die Substanz des Wirtschaftsguts dem Betriebsvermögen zur Gänze oder jedenfalls zum großen Teil entzogen und dem Privatvermögen zugeführt (vgl. auch Woerner, DStZ/A 1959, 181, 183).
Die aufgezeigte Annnäherung der hier zu beurteilenden Ausnahmekonstellation des privat veranlassten Unfalls an die Sachentnahme erfordert nach Auffassung des Senats, dem in der (Sach-) Entnahmebewertungsvorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG zum Ausdruck gelangten Rechtsgedanken, dass bei der Bemessung der Wertabgabe aus dem betrieblichen in den privaten Bereich nicht lediglich der buchmäßige, sondern der tatsächliche Aufwand (unter Einbeziehung der im Buchwertansatz enthaltenen stillen Reserven) zu berücksichtigen ist, auch bei der teleologischen Ausfüllung der in Bezug auf die Bewertung der Nutzungsentnahme bestehenden Gesetzeslücke zur Geltung zu verhelfen.
2. Auf die Höhe der durch den "privaten Unfall" bedingten, an einem betrieblichen Wirtschaftsgut eintretenden Werteinbuße nimmt es keinen Einfluss, mit welchem Wert das betreffende Wirtschaftsgut vor Eintritt des schädigenden Ereignisses zu Buche stand. Folglich bildet der Buchwert auch keine aussagefähige Größe dafür, welcher Wert der durch ein privates Schadensereignis ausgelösten Nutzungsentnahme beizumessen ist. Die Gegenauffassung führt in Höhe der in dem Buchansatz des betreffenden Wirtschaftsguts ruhenden stillen Reserven zu einer nach Auffassung des beschließenden Senats sachwidrigen Verlagerung der durch ein privates Ereignis ausgelösten Werteinbuße in den betrieblichen Bereich.
Es widerstreitet nach Auffassung des vorlegenden Senats dem Gebot der Besteuerungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes ―GG―), wirtschaftlich gleichgelagerte Sachverhalte (Zerstörung von zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgütern mit gleichem Wert bei deren privatem Einsatz) einer unterschiedlichen ertragsteuerlichen Behandlung zu unterwerfen, je nachdem, mit welchem Buchwert die in Rede stehenden Wirtschaftsgüter in der Steuerbilanz erfasst wurden. Auf diese Weise würden gerade diejenigen Steuerpflichtigen, die durch die höchstmögliche Inanspruchnahme außerplanmäßiger und planmäßiger Abschreibungen (z.B. Sonderabschreibungen, erhöhte oder degressive AfA) hohe stille Reserven gebildet haben, ohne sachlichen Grund gegenüber den übrigen Steuerpflichtigen, die diese Möglichkeiten ―aus welchen Gründen auch immer― nicht wahrgenommen haben bzw. nicht wahrnehmen konnten, steuerlich privilegiert. Die sich durch die erhöhten Abschreibungen und Absetzungen ohnehin ergebenden steuerlichen Liquiditäts- und Zinsvorteile würden in vor Art. 3 Abs. 1 GG nicht haltbarer Weise in einen endgültigen Steuervorteil "umgemünzt".
3. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass sich die Auswirkung des privat veranlassten Schadensfalls auf das Betriebsergebnis auf die unfallbedingte Minderung des Buchwertes beschränke; denn auch die durch das privat veranlasste Schadensereignis ausgelöste "Vernichtung" stiller Reserven führt grundsätzlich nicht nur zu einer aktuellen Minderung des tatsächlichen Werts des Betriebsvermögens. In aller Regel bewirkt sie vielmehr auch eine ―wenn auch erst künftig sich aktualisierende ―Belastung des bilanziellen (buchmäßig ermittelten) Betriebsergebnisses: Durch den privat veranlassten Untergang der stillen Reserven wird verhindert, dass diese später, sei es durch einen Realisationstatbestand oder Ersatzrealisationstatbestand (Veräußerung; Sachentnahme), sei es über Minderabschreibungen und Minder-AfA, mit Gewinn erhöhender Wirkung aufgelöst werden können (vgl. auch Runge, BB 1972, 1181, 1182, re. Sp.).
4. Der vom Senat befürwortete Lösungsweg vermeidet im Übrigen weitere Zweifelsfragen und Ungereimtheiten, die beispielsweise auftreten, wenn das privat veranlasste Schadensereignis Ersatzansprüche gegen einen Versicherer (so auch im Streitfall; vgl. hierzu unten a) oder gegen den Schädiger (vgl. unten b) auslöst oder wenn sich der Steuerpflichtige entschließt, den Unfallwagen reparieren zu lassen (vgl. unten c).
a) Gänzlicher oder teilweiser Ersatz des Wertverlustes durch einen Versicherer
Folgt man dem Ansatz der herrschenden Meinung (Beschränkung des Werts der Nutzungsentnahme auf die Buchwertminderung) und überschreitet die Ersatzleistung ―wie auch im Streitfall― den Buchwert des zerstörten oder beschädigten PKW, so gelangt man nach Auffassung des beschließenden Senats nur dann zu angemessenen Ergebnissen, wenn man die Entschädigungssumme des Versicherers in der Weise aufsplittet, dass sie bis zur Höhe der als Nutzungsentnahme erfassten Buchwertminderung als erfolgsneutral behandelt und mit dem darüber hinausgehenden Betrag als betrieblicher Ertrag (Betriebseinnahme) erfasst wird (so der I. Senat des BFH im Urteil in BFHE 157, 521, BStBl II 1990, 8; a.A. ―in einem obiter dictum― der IV. Senat des BFH im Urteil in BFHE 124, 185, BStBl II 1978, 212, unter 2. b der Gründe). Einer solchen Aufteilung der Ersatzleistung könnte allerdings entgegengehalten werden, dass diese Leistung insgesamt eine private Einnahme darstelle, weil sie durch einen nichtbetrieblich veranlassten Unfallausgelöst wurde(so auch der IV. Senat in seinem Urteil in BFHE 124, 185, BStBl II 1978, 212, unter 2. b), zumal umgekehrt ―auf der Aufwandsseite― z.B. die durch den privaten Unfall ausgelösten Reparaturkosten nach herrschender, vom vorlegenden Senat allerdings nicht geteilter Meinung (vgl. unten c) ebenfalls nicht aufzusplitten, sondern in voller Höhe als privater, den betrieblichen Gewinn nicht mindernder Aufwand zu qualifizieren sein sollen.
Demgegenüber vermeidet die vom beschließenden Senat befürwortete Rechtsauffassung eine solche ―gekünstelte― Aufsplittung der Versicherungsleistung: Erfasst man die durch den privaten Unfall ausgelöste Nutzungsentnahme mit der im Betriebsvermögen eingetretenen tatsächlichen Werteinbuße und verlagert diese mithin vollumfänglich in die Privatsphäre, so betreffen auch die zum Ausgleich dieses Schadens erfolgenden Versicherungsleistungen ausschließlich das Privatvermögen des Steuerpflichtigen. Entschädigungsleistungen zum Ausgleich privater Schäden stellen private und keine betrieblichen Einnahmen dar.
b) Ersatzansprüche gegen einen Schädiger
Vergleichbare Erwägungen gelten auch für die Fälle, in denen der auf einer Privatfahrt des Betriebsinhabers (oder eines Angehörigen) eingetretene Unfall eines betrieblichen PKW Schadensersatzansprüche gegen Dritte, etwa gegen den Unfallgegner, auslöst.
Im Gegensatz zum Ansatz der herrschenden Meinung vermeidet der Lösungsweg des beschließenden Senats eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Einzelunternehmen und (Personen-) Gesellschaften in den folgenden Fallkonstellationen: Erleidet der Gesellschafter (Mitunternehmer) aufgrund seines alleinigen Verschuldens auf einer Privatfahrt mit einem zum Gesellschaftsvermögen (Gesamthandsvermögen) der (Personen-)Gesellschaft gehörenden betrieblichen PKW einen Unfall, ohne dass Ansprüche gegen einen Versicherer oder dritte Personen begründet werden, so löst dies regelmäßig einen Schadensersatzanspruch der Gesellschaft gegen den Gesellschafter aus (z.B. aus § 823 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ―BGB― sowie aus §§ 598, 604 Abs. 1 BGB i.V.m. § 280 BGB).
Auf dem Boden der herrschenden Meinung führt dieser (in der Gesellschaftsbilanz zu aktivierende) Anspruch insoweit zu einem betrieblichen Ertrag der Gesellschaft (Betriebseinnahme), als er die durch den Unfall ausgelöste Buchwertminderung übersteigt. Die Höhe des Anspruchs orientiert sich am Wiederbeschaffungswert des PKW. Der Unfall führt in diesem Fall deshalb auch nach Ansicht der herrschenden Meinung zur Realisierung der stillen Reserven. Auch ein Verzicht der Personengesellschaft auf ihren Schadensersatzanspruch gegen den Gesellschafter (§ 397 Abs. 1 BGB) vermag daran nichts zu ändern, weil dieser zu einer (verdeckten) Entnahme führen würde. Eine ebensolche Gewinnerhöhung könnte sich dagegen bei einem Einzelunternehmer auf dem Boden der herrschenden Meinung nicht einstellen.
Der Lösungsweg des vorlegenden Senats vermeidet demgegenüber eine solche, vor dem Gebot der Besteuerungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) schwerlich zu rechtfertigende Ungleichbehandlung: der private Unfall führt bei Einzelunternehmern wie bei (Personen-)Gesellschaften zu einer Nutzungsentnahme und damit zu einem außerordentlichen Ertrag in Höhe der unfallbedingten Minderung des PKW-Teilwerts. Der gegen den Mitgesellschafter bestehende Schadensersatzanspruch der Gesellschaft ist, auch soweit er den Buchwert des PKW vor dem Unfall übersteigt, nicht als außerordentlicher Ertrag, sondern ―erfolgsneutral― als Einlage zu erfassen.
c) Reparaturkosten
Der Lösungsansatz des vorlegenden Senats führt auch in den Fällen zu zutreffenden Ergebnissen, in welchen sich der Steuerpflichtige entschließt, den auf einer Privatfahrt erheblich beschädigten PKW reparieren zu lassen.
Nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre stellen die Reparaturkosten im Falle eines auf einer privaten Fahrt eingetretenen Unfalls keine Betriebsausgaben dar (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 79, 602, BStBl III 1964, 453, 454, re. Sp., und in BFHE 124, 185, BStBl II 1978, 212, unter 2. b der Gründe; Söhn in Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 4 Rdnr. E 645 ff., mit zahlreichen Nachweisen in Fn. 298 zu Rdnr. E 645). Diese Auffassung scheint von ihrem Ergebnis her deswegen zu befriedigen, weil nach ebenfalls herrschender Ansicht auf der anderen Seite die Nutzungsentnahme lediglich mit der durch den privaten Unfall bewirkten Minderung des PKW-Buchwerts zu erfassen ist.
Gleichwohl kann der herrschenden Meinung auch insoweit nicht beigepflichtet werden (ebenso z.B. Düchting, BB 1964, 1376, 1377; H. Schmidt, DStZ/A 1967, 68, 69, re. Sp. f.). Richtig ist zwar, dass die Privatfahrt eine (nicht hinwegdenkbare) Ursache für den Unfall und damit auch für die dadurch ausgelösten Reparaturkosten bildet. Damit beruht die herrschende Meinung auf der zutreffenden ―von ihr aber im Falle des Totalschadens abgelehnten― Vorstellung, dass der durch den Unfall eingetretene Wertverlust aus dem Privatvermögen ausgeglichen werden muss. Dies vermag aber nach Auffassung des Senats nichts an der betrieblichen Veranlassung des Reparaturaufwands für den nach wie vor dem Unfall zum Betriebsvermögen gehörenden PKW zu ändern. Die betriebliche Veranlassung von Aufwendungen i.S. von § 4 Abs. 4 EStG kann nicht nach straf- oder zivilrechtlichen Zurechnungsgesichtspunkten, insbesondere nicht nach der sog. Äquivalenztheorie, beurteilt werden. Das in § 4 Abs. 4 EStG verortete Veranlassungsprinzip hat sich vielmehr an eigenständigen ―steuerrechtsspezifischen― Zuordnungskriterien zu orientieren (vgl. BFH-Beschluss vom 28. November 1977 GrS 2-3/77, BFHE 124, 43, BStBl II 1978, 105, unter B. II. 3. a der Gründe; Blümich/Wacker, a.a.O., § 4 EStG Rz. 252). Danach ist die betriebliche Veranlassung von Aufwendungen grundsätzlich zu bejahen, wenn diese objektiv mit dem Betrieb zusammenhängen und subjektiv dem Betrieb zu dienen bestimmt sind (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 21. November 1983 GrS 2/82, BFHE 140, 50, BStBl II 1984, 160, unter C. I. 2. a, aa der Gründe). Ob dies zutrifft, richtet sich nach der wertenden Bestimmung des die in Rede stehenden Aufwendungen "auslösenden Moments" sowie nach der Zuweisung des so gefundenen maßgeblichen Bestimmungsgrunds zur betrieblichen Sphäre (grundlegend BFH-Beschluss vom 4. Juli 1990 GrS 2-3/88, BFHE 161, 290, BStBl II 1990, 817, unter C. II. 2. b, bb der Gründe; Blümich/Wacker, a.a.O., § 4 EStG Rz. 252).
Nach diesen Grundsätzen sind die in Frage stehenden Reparaturkosten (den privaten Nutzungsanteil ausgenommen) betrieblich veranlasst und daher Betriebsausgaben. Maßgeblicher Bestimmungsgrund und nach "wertender Betrachtung auslösendes Moment" für die Reparaturkosten ist nicht der lediglich als mittelbare Ursache zu qualifizierende "private" Unfall, sondern die freie, nach Schadenseintritt getroffene Entscheidung des Steuerpflichtigen, den Wagen, statt ihn zu "verschrotten" bzw. unrepariert zu veräußern, in Stand setzen zu lassen. Dieser maßgebliche Bestimmungsgrund ist der betrieblichen Sphäre zuzuordnen; denn die Reparatur bewirkt zweifellos eine (wenn auch buchmäßig nicht in Erscheinung tretende) Erhöhung des Werts des nach wie vor zum Betriebsvermögen gehörenden PKW, die sich namentlich bei seiner anschließenden Veräußerung oder (Sach-)Entnahme in einem ohne die Reparatur nicht erzielbaren betrieblichen Buchgewinn niederschlägt. Wenn und so lange der Wagen nicht veräußert oder entnommen wird, bewirkt dessen Reparatur, dass das nunmehr wieder intakte und funktionsfähige Wirtschaftsgut weiterhin zum Nutzen des Betriebes eingesetzt werden kann und auf diese Weise, wie auch die übrigen aktiven Wirtschaftsgüter, seinen Erfolgsbeitrag zum betrieblichen Gesamtergebnis liefert.
Die Richtigkeit dieses Ergebnisses erhellt auch aus der steuerlichen Behandlung des Falles, in dem sich der Steuerpflichtige gegen eine Reparatur des erheblich beschädigten PKW entscheidet und beschließt, den Unfallwagen unrepariert zu verwerten und stattdessen ein neues Fahrzeug zu erwerben. Auch bei dieser ―wirtschaftlich vergleichbaren― Alternative lässt sich eine betriebliche Veranlassung der sich in späterem betrieblichen Aufwand (AfA etc.) niederschlagenden Anschaffungskosten für den neuen Wagen nicht mit der Erwägung in Abrede stellen, diese Anschaffungskosten seien bei wertender Beurteilung durch eine nichtbetriebliche Ursache ―den "privaten" Unfall― ausgelöst worden.
Dies vorausgeschickt, führt der Lösungsansatz des beschließenden Senats auch in den Reparaturfällen zu angemessenen und schlüssigen Ergebnissen, wie die nachstehenden Beispiele verdeutlichen sollen:
Der Teilwert des bereits "voll abgeschriebenen" PKW (Erinnerungswert: 1 DM) beträgt vor dem Unfall 20 000 DM und nach dem Unfall 5 000 DM. Der Steuerpflichtige lässt das Fahrzeug mit einem Aufwand von 10 000 DM reparieren und veräußert es anschließend zum Preis von 16 000 DM.
Nach Auffassung des vorlegenden Senats ergeben sich aus diesen Vorgängen folgende Gewinnauswirkungen:
Nutzungsentnahme (20 000 DM ./. 5 000 DM) |
+ 15 000DM |
Reparaturaufwand (Betriebsausgabe) |
./. 10 000 DM |
Veräußerungsgewinn (16 000 DM ./. 1 DM) |
+ 15 999 DM |
Gewinnerhöhung |
20 999 DM |
Demgegenüber beeinflussen diese Vorfälle auf dem Boden der herrschenden Meinung den Gewinn wie folgt:
Nutzungsentnahme |
0 DM |
Reparaturaufwand (keine Betriebsausgabe) |
0 DM |
Veräußerungsgewinn (16 000 DM ./. 1 DM) |
+ 15 999 DM |
Gewinnerhöhung |
15 999 DM |
Das Beispiel zeigt im Übrigen, dass es aus der Sicht der herrschenden Meinung eine unternehmerische Fehlentscheidung des Steuerpflichtigen wäre, den Wagen reparieren zu lassen. Hätte der Steuerpflichtige den Wagen unrepariert zum tatsächlichen Wert des Unfallwagens (5 000 DM) veräußert und stattdessen einen Neuwagen angeschafft, hätte er ―nach herrschender Meinung― nur mehr einen um (5 000 DM ./. 1 DM =) 4 999 DM höheren Gewinn zu versteuern. Die Anschaffungskosten des neuen PKW könnte er dennoch ―verteilt auf die Nutzungsdauer― als künftigen betrieblichen Aufwand abziehen. Diese unternehmerische Fehlentscheidung des Steuerpflichtigen würde dabei allein auf steuerlichen und nicht auf ökonomischen Gründen beruhen; denn die Reparatur führte im Beispielsfall zu einer Erhöhung des PKW-Werts von (16 000 DM ./. 5 000 DM =) 11 000 DM bei Kosten in Höhe von nur 10 000 DM, d.h. zu einer Nettowertsteigerung von 1 000 DM.
Dementsprechend hätte denn auch der Steuerpflichtige nach der Lösung des beschließenden Senats im variierten Beispielsfall (Veräußerung ohne vorherige Reparatur) einen gegenüber dem Ausgangsbeispiel um 1 000 DM niedrigeren Gewinn zu versteuern (Nutzungsentnahme + 15 000 DM + Veräußerungsgewinn 4 999 DM = 19 999 DM).
Diese Beispielsfälle belegen, dass der Unternehmer bei Zugrundelegung der herrschenden Meinung allein aus steuerlichen Gründen von der ökonomisch sinnvolleren Investitionsentscheidung zwischen den Alternativen "Reparatur" oder "Neuanschaffung" abgehalten werden kann. Auch deswegen ist die herrschende Ansicht abzulehnen.
C. (Rechtsgrundlagen der Vorlage)
I. Abweichung i.S. von § 11 Abs. 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
Der vorlegende Senat weicht mit seiner unter B. IV. vertretenen Auffassung in entscheidungserheblicher Weise von dem Urteil des I. Senats in BFHE 157, 521, BStBl II 1990, 8 ab.
Eine Abweichung i.S. von § 11 Abs. 2 und 3 FGO setzt voraus, dass die vorgelegte Rechtsfrage sowohl für die Entscheidung des Senats, von der der vorlegende Senat abweichen will, als auch für die Entscheidung des vorlegenden Senats entscheidungserheblich ist (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 8. Dezember 1975 GrS 1/75, BFHE 117, 352, BStBl II 1976, 262, unter C. I. 2. der Gründe; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 11 Rz. 2). Das ist im Streitfall zu bejahen.
1. Entscheidungserheblichkeit der Rechtsauffassung des I. Senats für sein Urteil in BFHE 157, 521, BStBl II 1990, 8 (zu diesem Erfordernis vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 10. November 1980 GrS 1/79, BFHE 132, 244, BStBl II 1981, 164, unter B. I. 2. der Gründe; vom 21. Oktober 1985 GrS 2/84, BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207, unter B. I. 2. a der Gründe; Schwarz/Dunke, Finanzgerichtsordnung, § 11 Rz. 8).
Die Rechtsauffassung des I. Senats, von der der vorlegende Senat abweichen möchte, war für die seinerzeitige Entscheidung tragend. Der dort auf einer Privatfahrt zerstörte, zum Betriebsvermögen gehörende PKW stand lediglich noch mit einem Erinnerungswert von 1 DM zu Buch. Sein Zeitwert unmittelbar vor dem Unfall betrug 2 800 DM, sein (Schrott-)Wert nach dem Unfall 300 DM. Der Steuerpflichtige veräußerte den Wagen zum Preis von 300 DM. Von der Versicherung des Unfallgegners erhielt er 1 000 DM ersetzt.
Nach Ansicht des I. Senats führten diese Vorgänge zu außerordentlichen Erträgen in Höhe von insgesamt nur mehr 1 299 DM (Veräußerungsgewinn Schrott-PKW 299 DM + Versicherungsleistung 1 000 DM). Dementsprechend gab der I. Senat der Revision des seinerzeitigen Klägers statt.
Wäre der I. Senat hingegen der nunmehr vom vorlegenden Senat befürworteten Rechtsauffassung gefolgt, hätten sich außerordentliche Erträge aus diesen Vorfällen von insgesamt 2 799 DM ergeben (Nutzungsentnahme + 2 500 DM + Veräußerungsgewinn 299 DM) mit der Folge, dass sich die Revision des Klägers als unbegründet erwiesen hätte.
2. Entscheidungserheblichkeit der Rechtsauffassung des vorlegenden Senats für den vorliegenden Streitfall
.Bei Bejahung der Vorlagefrage wäre die Revision des FA begründet. Das angefochtene FG-Urteil wäre aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Wird die Vorlagefrage dagegen verneint, so ist die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen, es sei denn, man bejaht die auch innerhalb des BFH umstrittene Frage (vgl. B. IV. 4. a), ob die Leistung aus der Kaskoversicherung, soweit sie die unfallbedingte Buchwertminderung übersteigt, eine Betriebseinnahme darstellt. Die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage wird indessen nicht dadurch in Frage gestellt, dass der vorlegende Senat mit einer anderen Begründung, namentlich mittels Bejahung der zuletzt gestellten Streitfrage, zum selben Ergebnis gelangen würde wie bei einer Bejahung der Vorlagefrage. Denn es liegt nach ständiger Rechtsprechung des Großen Senats des BFH in der Zuständigkeit des vorlegenden Senats, im Rahmen einer möglichen Auslegung des Gesetzes die übergeordneten Rechtssätze zu bestimmen, aus denen er seine Entscheidung ableitet (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 26. November 1973 GrS 5/71, BFHE 111, 242, BStBl II 1974, 132, unter C. 2. der Gründe; vom 3. Juli 1995 GrS 1/93, BFHE 178, 86, BStBl II 1995, 617, unter B. I. der Gründe; in BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207, unter B. I. 2. a der Gründe; Sauer in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 11 FGO Rz. 12; Sunder-Plassmann in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 11 FGO Rz. 37; Schwarz/Dumke, a.a.O., § 11 Rz. 9; Gräber/Ruban, a.a.O., § 11 Rz. 3).
3. Die Vorlage ist gemäß § 11 Abs. 2 und 3 Satz 1 FGO geboten, weil der I. Senat des BFH auf Anfrage des vorlegenden Senats erklärt hat, dass er einer Abweichung von seinem Urteil in BFHE 157, 521, BStBl II 1990, 8 nicht zustimme (vgl. Beschluss des I. Senats vom 15. März 2000 I ER -S- 1/00, n.v.).
II. Grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 11 Abs. 4 FGO
Der beschließende Senat stützt seine Anrufung des Großen Senats überdies auf § 11 Abs. 4 FGO. Die im Streitfall entscheidungserhebliche (vgl. C. I. 2.) Vorlagefrage ist über den konkreten Einzelfall hinaus für eine unbestimmte Zahl vergleichbarer Sachverhalte von Bedeutung sowie von nicht unerheblicher wirtschaftlicher Tragweite. Häufig werden zum Betriebsvermögen gehörende PKW von den Betriebsinhabern und/oder deren Angehörigen auch privat genutzt, wobei es zu Unfällen kommen kann. Oft ruhen in den Buchwerten solcher betrieblicher PKW auch mehr oder minder hohe stille Reserven. Die weit über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der Vorlagefrage ist auch nicht durch die ab dem Veranlagungszeitraum 1996 anwendbare Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG n.F. (sog. 1 %-Regelung) entfallen. Zwar sollen nach herrschender Meinung bei der Anwendung dieser "1 %-Regelung" auch die durch die private Nutzung ausgelösten außergewöhnlichen Aufwendungen (insbesondere Unfallkosten) abgegolten sein, so dass insoweit kein zusätzlicher Privataufwand anzusetzen sein soll (vgl. z.B. Oberfinanzdirektion Erfurt, Verfügung vom 26. Januar 1999 S 2177 A - 01 - St 324, Deutsches Steuerrecht 1999, 594; Schmidt/Glanegger, a.a.O., § 6 Rz. 420; Cattelaens in Littmann/Bitz/Hellwig, a.a.O., § 6 EStG Rz. 366/3; Mayer-Wegelin in Bordewin/Brandt, a.a.O., § 6 Rz. 556c; a.A. z.B. Blümich/Wacker, a.a.O., § 4 EStG Rz. 330 "Kraftfahrzeuge", c, bb; Mende, Die Abzugsfähigkeit von Kfz-Unfallkosten im Einkommensteuerrecht, S. 169 f.).
Ob dem gefolgt werden kann, mag dahinstehen. Die Beantwortung der Vorlagefrage durch den Großen Senat hat jedenfalls auch künftig für diejenigen (nicht seltenen) Fälle Bedeutung, in denen Steuerpflichtige statt der 1 %-Regelung gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 EStG n.F. die auf die private Kfz-Nutzung entfallenden Aufwendungen im Einzelnen durch Belege und Fahrtenbücher nachweisen.
Die Beantwortung der Vorlagefrage ist nach Auffassung des vorlegenden Senats überdies "zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung" geboten. In diesem Zusammenhang kommt dem Umstand besondere Bedeutung zu, dass nahezu alle Ertragsteuersenate, vornehmlich der I., III., IV., VIII., X. und XI. Senat, mit der Beantwortung der Vorlagefrage befasstwerdenkönnen.
Fundstellen
Haufe-Index 565452 |
BFH/NV 2001, 839 |
BStBl II 2001, 395 |
BFHE 194, 383 |
BFHE 2002, 383 |
BB 2001, 1141 |
BB 2001, 926 |
DB 2001, 952 |
DStR 2001, 740 |
DStRE 2001, 563 |
DStZ 2001, 439 |
HFR 2001, 661 |
StE 2001, 242 |