Entscheidungsstichwort (Thema)
Fall von geringer Bedeutung bei Streit um Entnahmewerte
Leitsatz (NV)
- Ein Fall von geringer Bedeutung liegt schon dann nicht vor, wenn die Höhe des Gewinns von einer zwischen den Verfahrensbeteiligten streitigen Rechtsfrage abhängig ist.
- Offen bleibt, ob es sich bei der Annahme eines Falls von geringer Bedeutung um eine Ermessensentscheidung oder um die Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs "geringe Bedeutung" handelt.
- Das Recht auf Gehör schützt einen fachkundig vertretenen Kläger nicht davor, dass sachgerechte Anträge unterbleiben und nahe liegende rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte in der mündlichen Verhandlung nicht erörtert werden.
Normenkette
AO 1977 § 180 Abs. 1 Nr. 2a, Abs. 3 S. 1 Nr. 2; FGO § 76 Abs. 2, § 119 Nr. 3; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
Gründe
Von einer Darstellung des Tatbestands wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 zweiter Halbsatz der Finanzgerichtsordnung (FGO) abgesehen.
Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben.
1. Die von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) als von grundsätzlicher Bedeutung bezeichnete Frage, "ob alleine die streitige Höhe zurechenbarer Einkünfte auch bei ansonsten vorliegenden Voraussetzungen einen Fall von geringer Bedeutung nach § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO ausschließt", bedarf keiner Klärung. Der beschließende Senat hat in seinem Urteil vom 15. März 1990 IV R 90/88 (BFHE 160, 317, BStBl II 1990, 689 zu I.1.) entschieden, dass ein Fall von geringer Bedeutung schon dann nicht vorliegt, wenn die Höhe des Gewinns nicht feststeht, sondern von einer "zwischen den Parteien streitigen Rechtsfrage abhängig" ist. So ist es im Streitfall, in dem die Parteien über die Höhe eines Entnahmegewinns streiten. Nach dem genannten Urteil des Senats ist es daher unerheblich, ob der Hinweis auf die unstreitige "Höhe des festgestellten Betrags" in § 180 Abs. 3 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) nur beispielhaft einen Fall von geringer Bedeutung kennzeichnen sollte oder ob zusätzlich dazu auch noch die Aufteilung dieses Betrags außer Streit sein muss.
2. Eine Entscheidung des Senats ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 zweite Alternative FGO geboten. Die Kläger machen insoweit geltend, der Senat habe im Urteil vom 4. Juli 1985 IV R 136/83 (BFHE 144, 141, BStBl II 1985, 576) bei einer Gewinnschätzung einen Fall von geringer Bedeutung bejaht, weil die Einkünfte leicht zu ermitteln und nach einfachem Schlüssel auf die Beteiligten zu verteilen gewesen seien; so aber verhalte es sich auch im Streitfall, in dem der Entnahmegewinn zwar ebenso streitig sei, im Übrigen aber die Verteilung des Gewinns feststehe.
Die von den Klägern gerügte Divergenz liegt nicht vor. Entgegen der Auffassung der Kläger war der geschätzte Gewinn im Senatsurteil in BFHE 144, 141, BStBl II 1985, 576 unstreitig, denn die Kläger waren sog. Schätzungslandwirte, die sich nur insoweit gegen die geschätzten Gewinne gewandt hatten, als sie die Durchführung einer Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen gemäß § 13a des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der damals geltenden Fassung begehrten. Vor diesem Hintergrund prüfte und bejahte der Senat die Frage, ob ein Fall von geringer Bedeutung vorgelegen hatte. Im Streitfall ist aber ―wie ausgeführt― gerade die Höhe des Entnahmegewinns streitig, so dass der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) ebenso wie das Finanzgericht (FG) zu Recht einen Fall von geringer Bedeutung ausgeschlossen hat. Ob es sich bei der Annahme eines Falls von geringer Bedeutung um eine Ermessensentscheidung handelt und ob der Senat in seinem Urteil in BFHE 144, 141, BStBl II 1985, 576 von einer ermessensgebundenen Entscheidung über den Verzicht auf eine Gewinnfeststellung ausgegangen sein könnte, weil er ausgeführt hat, auf die Feststellung könne nach § 180 Abs. 3 AO 1977 verzichtet werden, wenn es sich um einen Fall von geringer Bedeutung handele (zu b der Entscheidungsgründe in BFHE 144, 141, BStBl II 1985, 576), ist für den Streitfall nicht erheblich. Das FA hat insoweit nämlich eine Rechtsentscheidung getroffen.
3. Soweit die Kläger eine mangelhafte Sachaufklärung wegen der Nichteinholung eines neutralen Sachverständigengutachtens rügen, haben sie nicht ―wie erforderlich (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 15. Mai 1997 IV B 74/96, BFH/NV 1997, 668, Nr. 3 der Gründe)― dargelegt, warum sie diesen Mangel nicht bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem FG gerügt haben. Die Verfahrensrüge ist insoweit bereits unzulässig. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 12. Dezember 2001 haben sie weder eine solche Rüge erhoben noch die behaupteten schriftsätzlichen Anträge, ein neutrales Sachverständigengutachten einzuholen, wiederholt, so dass von einem Rügeverzicht auszugehen ist (vgl. etwa BFH-Beschluss vom 18. Oktober 1995 V B 50/95, BFH/NV 1996, 333; die dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 29. April 1996 1 BvR 2640/95, Steuer-Eildienst 1996, 411).
Schließlich dringen die Kläger auch nicht mit ihrer Rüge einer Verletzung rechtlichen Gehörs durch, die sie darin sehen, dass das FG die richterliche Hinweispflicht (§ 76 Abs. 2 FGO) verletzt haben könnte. Das Gericht habe es unterlassen, in der mündlichen Verhandlung seine Absicht mitzuteilen, die Wertermittlung des Sachverständigen der Oberfinanzdirektion (OFD) seiner Entscheidung zu Grunde zu legen. Unter Hinweis auf eine die Gehörsrüge zurückweisende Entscheidung des BVerfG vom 14. Januar 1991 1 BvR 41/88 (Neue Juristische Wochenschrift 1991, 2078) weisen die Kläger zwar zu Recht darauf hin, dass dieses Verfahrensgrundrecht den Beteiligten an einem gerichtlichen Verfahren gewährleistet, sich zu dem der gerichtlichen Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung äußern zu können. Dieses Recht schützt den fachkundig vertretenen Kläger jedoch nicht davor, dass Hinweise auf sachgerechte Anträge unterbleiben und nahe liegende rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte in der mündlichen Verhandlung nicht erörtert werden (s. etwa Urteil des Bundesfinanzhofs vom 10. Juli 2002 X R 65/96, BFH/NV 2002, 1567, II. Nr. 5 der Gründe, m.w.N.). Auch ohne einen dahin gehenden Hinweis des Gerichts musste sich den Klägern aufdrängen, dass die für das Einspruchsverfahren entscheidende Wertermittlung des Sachverständigen der OFD auch im Klageverfahren von Bedeutung sein würde.
Fundstellen