Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an den Bürobetrieb eines Prozessbevollmächtigten; Wiedereinsetzung
Leitsatz (NV)
1. Zur Berechnung der Frist zur Revisionseinlegung nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
2. Ein Prozessbevollmächtigter ist verpflichtet, seinen Bürobetrieb so zu organisieren, dass Fristversäumnisse ausgeschlossen sind. Dazu ist unerlässlich, dass ein Fristenkontrollbuch (Fristenkalender) oder eine vergleichbare Einrichtung zur Wahrung von Fristen geführt wird.
Normenkette
FGO § 120 Abs. 1, § 56 Abs. 1-2
Verfahrensgang
Gründe
Rz. 1
Die Revision ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Rz. 2
1. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hat die Frist für die Einlegung der Revision versäumt.
Rz. 3
Nach § 120 Abs. 1 FGO ist die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils einzulegen. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 25. März 2008 zugestellt, so dass die Frist zur Einlegung der Revision mit Ablauf des 25. April 2008 endete. Allerdings war der Kläger zu diesem Zeitpunkt wegen Mittellosigkeit an der Einlegung der Revision gehindert. Das Hindernis entfiel jedoch mit Zustellung des Beschlusses über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH), d.h. am Donnerstag, dem 17. September 2009 (vgl. z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 13. März 2003 VII B 196/02, BFHE 201, 425, BStBl II 2003, 609, unter II.1.a; Beschluss des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 29. Mai 2008 IX ZB 197/07, BGHZ 176, 379).
Rz. 4
Ist wie im Fall des Klägers das für die Einhaltung einer gesetzlichen Frist verantwortliche Hindernis weggefallen, so ist nach § 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachzuholen (z.B. BFH-Beschluss in BFHE 201, 425, BStBl II 2003, 609, unter II.1.b; Senatsbeschluss vom 12. Juli 2005 III S 1/05 (PKH), nicht amtlich veröffentlicht; vgl. auch BGH-Beschluss in BGHZ 176, 379, zu § 234 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung --ZPO--). Daher hätte die Revision als die versäumte Rechtshandlung spätestens am Donnerstag, dem 1. Oktober 2009 beim BFH eingehen müssen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 2 Satz 3, § 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches). Die Revision war danach verspätet, denn sie ging beim BFH erst am 2. Oktober 2009 ein.
Rz. 5
2. Dem Kläger kann hinsichtlich der danach versäumten Frist für die Wiedereinsetzung in die versäumte Revisionseinlegungsfrist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.
Rz. 6
a) Wiedereinsetzung ist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist verhindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). Dies setzt voraus, dass innerhalb der in § 56 Abs. 2 FGO festgelegten Frist die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, vollständig, substantiiert und in sich schlüssig dargelegt werden. Beruft sich ein Prozessbevollmächtigter auf ein von ihm nicht zu vertretendes Büroversehen, so muss er darlegen, dass kein Organisationsfehler vorliegt. Hierzu hat er u.a. darzulegen, dass er alle Vorkehrungen dafür getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind (z.B. BFH-Beschluss vom 5. November 2008 VII B 15/08, BFH/NV 2009, 589). Ein Prozessbevollmächtigter ist verpflichtet, seinen Bürobetrieb so zu organisieren, dass Fristversäumnisse ausgeschlossen sind. Dazu ist unerlässlich, dass ein Fristenkontrollbuch (Fristenkalender) oder eine vergleichbare Einrichtung zur Wahrung von Fristen geführt wird. In diesem Buch muss der Fristablauf für jede einzelne Sache vermerkt sein. Die Einhaltung der laufenden Fristen muss durch tägliche Einsichtnahme in den Fristenkalender gesichert werden. Die notierte Frist darf frühestens gelöscht werden, wenn das zur Fristwahrung bestimmte Schriftstück abgesandt oder zumindest postfertig gemacht worden ist (z.B. BFH-Beschluss vom 8. November 2006 VII R 20/06, BFH/NV 2007, 469).
Rz. 7
b) Aus der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags und der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung geht nicht hervor, dass in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten durch organisatorische Maßnahmen eine wirksame Posteingangs- und Fristenkontrolle generell sichergestellt war. Weder wurde behauptet, dass ein Fristenkontrollbuch geführt wurde, noch wurde dargelegt, dass im vorliegenden Fall überhaupt vorgesehen war, zu wahrende Fristen in eine vergleichbare Einrichtung einzutragen. Ungeachtet der Frage, was tatsächlich Gegenstand der behaupteten Einzelweisung des Bevollmächtigten an den Referendar gewesen ist (lediglich Einarbeitung in die Materien der PKH und der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand? Oder "durcharbeiten" der Akte ‐ und mit welchem Ziel? Oder selbständige Einlegung der Revision? Wiedervorlage unmittelbar nach Durchsicht der Akte, nach Bearbeitung "und umgehend vor Ablauf der dem Referendar bekannten Einlegungsfrist" oder sogar erst nach selbständiger Revisionseinlegung?), war auch der Referendar jedenfalls nicht zur Eintragung der einzuhaltenden Fristen angewiesen. Wären entsprechende Eintragungen in ein Fristenkontrollbuch erfolgt, so wäre das behauptete Versehen des Referendars noch rechtzeitig aufgefallen und eine Fristversäumung verhindert worden. Ein generelles Organisationsverschulden des Bevollmächtigten als Ursache der Fristversäumnis ist daher nicht auszuschließen.
Rz. 8
c) Ohne Erfolg beruft sich der Kläger unter Bezugnahme auf Entscheidungen des BGH darauf, dass es aufgrund einer Einzelanweisung seines Bevollmächtigten gegenüber dem Referendar auf allgemeine organisatorische Vorkehrungen bzw. Anweisungen für die Fristwahrung in der Kanzlei nicht mehr angekommen sei. Denn auch der BGH geht in den zitierten Entscheidungen von der Verpflichtung eines Rechtsanwalts aus, durch entsprechende Organisation seines Büros dafür zu sorgen, dass Fristen ordnungsgemäß eingetragen und beachtet werden (vgl. BGH-Beschlüsse vom 9. Dezember 2009 XII ZB 154/09, Monatsschrift für deutsches Recht 2010, 400; vom 15. April 2008 VI ZB 29/07, Das juristische Büro 2009, 54; vom 15. November 2007 IX ZB 219/06, Neue Juristische Wochenschrift 2008, 526). Es ging in den zitierten Entscheidungen allein darum, ob ein Rechtsanwalt darauf vertrauen darf, dass eine gerade mit Fristensachen betraute und darin geschulte, bislang zuverlässige Mitarbeiterin eine konkrete Einzelweisung im Zusammenhang mit der Eintragung einer Frist korrekt ausführt. Darum geht es hier jedoch nicht. Denn der Referendar war jedenfalls nicht damit beauftragt, im vorliegenden Fall einzuhaltende, konkret bezeichnete Fristen in ein dafür vorgesehenes Fristenkontrollbuch einzutragen.
Fundstellen
Haufe-Index 2529951 |
BFH/NV 2011, 54 |
DStR 2010, 2424 |