Leitsatz (amtlich)
Ohne Einfluß auf den Lauf der Revisionsfrist bleibt die Entscheidung des FG, mit der es den Antrag auf Ergänzung seines Urteils ablehnt.
Normenkette
FGO §§ 54, 56 Abs. 1, §§ 107, 109, 120 Abs. 1, § 155; ZPO § 517 Abs. 1
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) hatte durch Urteil vom 27. April 1977 die Grunderwerbsteuer um 287 041,05 DM auf 59 172,95 DM herabgesetzt, ohne im einzelnen darzulegen, wie es die Steuer neu berechnet hatte. Das Urteil war dem Vorsteher des Finanzamts (FA) am 23. Juni 1977 zugestellt worden. Dieser beantragte zunächst, die "Entscheidungsgründe gem. § 109 FGO ... insoweit zu ergänzen, als dargelegt wird, in welcher Weise welcher Steuersatz auf welche (Teil-)Bemessungsgrundlage angewendet" wurde. Außerdem beantragte er die Berichtigung "des Urteilsausspruches gem. § 107 FGO", da "die im Tenor festgesetzte Grunderwerbsteuer von 59 172,95 DM ... nach Auffassung des Finanzamts nicht zutreffen" könne. Das FG lehnte beide Anträge ab. Seine Entscheidungen wurden dem Vorsteher des FA am 10. August 1977 zugestellt und von ihm nicht angefochten.
Später, mit Schreiben vom 18. August 1977 - beim FG eingegangen am 22. August 1977 -, hat der Vorsteher des FA Revision eingelegt. Er meint, er habe die Revision nicht verspätet eingelegt, obgleich die in § 120 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bezeichnete Monatsfrist am 22. August 1977 bereits abgelaufen gewesen sei. Denn mit Ablauf des 10. August 1977 habe "die Revisionsfrist für das ursprüngliche Urteil von neuem" begonnen, so daß seine Revisionsschrift fristgerecht eingegangen sei. Für seine Rechtsauffassung beruft er sich auf § 155 FGO i. V. m. § 517 der Zivilprozeßordnung (ZPO). Vorsorglich beantragt er, ihm wegen Versäumung der Revisionsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Er sei ohne Verschulden verhindert gewesen, die Frist zur Einlegung der Revision einzuhalten. Denn das angefochtene Urteil habe "keinerlei Angaben zur konkreten Berechnung der Grunderwerbsteuer" enthalten, infolgedessen sei unklar gewesen, "ob die im Urteilsausspruch festgesetzte Grunderwerbsteuer der Höhe nach" zutreffend gewesen sei. Erst mit den Entscheidungen des FG über die Anträge auf Berichtigung und Ergänzung des Urteils seien "die fehlenden Teile der Urteilsbegründung nachgeholt" worden, wenngleich diese Entscheidungen "im Ausspruch ablehnend" gewesen seien. Erst jetzt habe beurteilt werden können, ob Revision einzulegen sei. Auf Weisung der Oberfinanzdirektion (OFD) vom 17. August 1977 habe es (das FA) am 18. August 1977 Revision eingelegt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von einem Monat nach Zustellung des vollständigen Urteils eingelegt worden ist (§ 124, § 120 Abs. 1, § 126 Abs. 1 FGO). Zugestellt wurde das Urteil des FG am 23. Juni 1977. Das Urteil war vollständig im Sinne des § 105 Abs. 2 FGO, denn es enthielt gemäß dieser Vorschrift die Bezeichnung der Beteiligten, die des Gerichts und die Namen der Mitglieder, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, ferner die Urteilsformel, den Tatbestand, die Entscheidungsgründe und die Rechtsmittelbelehrung. Die Frist für die Einlegung der Revision begann daher mit Ablauf des 23. Juni 1977 und endete, da der 23. Juli 1977 auf einen Sonnabend fiel, mit Ablauf des 25. Juli 1977, einem Montag (§ 54 FGO i. V. m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB, § 222 Abs. 2 ZPO). Die Revisionsschrift ist aber erst am 22. August 1977, also um nahezu einen Monat zu spät, beim FG eingegangen.
Das FA meint unter Hinweis auf § 155 FGO i. V. m. § 517 Satz 1 ZPO, der Lauf der Revisionsfrist habe mit Ablauf des 10. August 1977 (dem Tag der Zustellung der finanzgerichtlichen Entscheidungen über die beantragte Urteilsberichtigung und -ergänzung) von neuem begonnen und habe (da der 10. September 1977 auf einen Sonnabend gefallen sei) erst mit Ablauf des 12. September 1977 geendet, so daß die Revisionsschrift rechtzeitig eingegangen sei.
Diese Ansicht ist unrichtig. Denn das angefochtene Urteil des FG ist nicht - wie die sinngemäße Anwendung des § 517 Satz 1 ZPO im finanzgerichtlichen Revisionsverfahren voraussetzen würde - innerhalb der Revisionsfrist "durch eine nachträgliche Entscheidung ergänzt" worden (§ 109 FGO); vielmehr ist die beantragte Ergänzung abgelehnt worden. Für diesen Fall gilt § 517 ZPO nicht. Zudem ist die ablehnende Entscheidung des FG nicht - wie die sinngemäße Anwendung des § 517 ZPO weiter voraussetzen würde - vor Ablauf der Revisionsfrist (25. Juli 1977), sondern erst später (am 10. August 1977) ergangen. Auch der Beschluß, mit dem das FG den Antrag des FA auf Berichtigung des Urteils (§ 107 FGO) ablehnte, eröffnete den Lauf der Revisionsfrist nicht von neuem, zumal das Urteil des FG vom 27. April 1977 klar genug war, um den Beteiligten die Grundlage für ihr weiteres prozessuales Handeln, insbesondere für ihre Entscheidung über die Frage der Notwendigkeit und Möglichkeit eines Rechtsmittels zu bieten (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9. August 1974 V B 29/74, BFHE 113, 179, BStBl II 1974, 760; Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 26. Oktober 1976 VI ZR 249/75, BGHZ 67, 284, 286 m. w. N.).
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist kann dem FA nicht gewährt werden, weil es nicht "ohne Verschulden verhindert war", die Revisionsfrist einzuhalten (§ 56 Abs. 1 FGO). Sein Rechtsirrtum über die Dauer der Revisionsfrist war nicht unverschuldet, da die Vorschrift des § 517 ZPO, auf dessen sinngemäße Anwendung das FA sich beruft, schon ihrem Wortlaut nach nicht auf den gegebenen Sachverhalt angewendet werden konnte. Das FA konnte somit nicht "mit Sicherheit" davon ausgehen, daß es mit seiner Revisionsschrift vom 18. August 1977 die Revisionsfrist werde wahren können (vgl. in diesem Zusammenhang BFH-Beschluß vom 17. November 1970 II R 121/70 BFHE 100, 490, 493, BStBl II 1971, 143). Zwar war sein Interesse zu erfahren, wie das FG die von ihm (abweichend vom Steuerbescheid) festgesetzte Steuer errechnet hat, berechtigt (vgl. BFH- Urteil vom 12. August 1960 VI 220/59, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Einkommensteuergesetz, § 46 Abs. 1 Nr. 3, Rechtsspruch 8 b). Aber dieses Interesse war im Wege der Revision, nicht im Wege der Urteilsergänzung (§ 109 FGO) zu verfolgen.
Fundstellen
BStBl II 1979, 373 |
BFHE 1979, 133 |