Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiederaufnahme des Verfahrens nach Klagerücknahme
Leitsatz (NV)
1. Ob ein nach Klagerücknahme durch Beschluß eingestelltes Verfahren wieder aufgenommen werden kann, bleibt offen.
2. Ein Wiederaufnahmeantrag ist unzulässig, wenn der Antragsteller keinen Wiederaufnahmegrund schlüssig darlegt.
3. Eine Verletzung des Rechts auf Gehör gehört nicht zu den Wiederaufnahmegründen.
Normenkette
FGO § 134; ZPO § 578 ff.
Tatbestand
I. Die ehemalige Prozeßbevollmächtigte des Antragstellers und Beschwerdeführers (Antragsteller) nahm in der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) am 19. September 1995 die Klage gegen den Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt -- FA --) wegen Gewerbe- und Umsatzsteuer 1983 bis 1988 und Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1984, 1986 und 1987 zurück. Daraufhin stellte das FG das Verfahren gemäß §72 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Beschluß ein.
Am 6. Februar 1996 beantragte der Antragsteller beim FG, das Verfahren gemäß §134 FGO i. V. m. §579 Abs. 1 Nr. 4 der Zivilprozeßordnung (ZPO) wieder aufzunehmen. Er führte zur Begründung u. a. aus, das FG habe in der mündlichen Verhandlung nach Erörterung (nur) der einkommensteuerrechtlichen Fragen auf die Rücknahme der (gesamten) Klage hingewirkt, ohne die Auswirkungen der Rücknahme der Klage in Bezug auf die Umsatzsteuer zu erörtern und ohne die ausführlichen Ausführungen in der Klagebegründung zur Zulässigkeit des Vorsteuerabzugs zu berücksichtigen. Darin liege eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die analog §579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO zur Wiederaufnahme des Verfahrens führe.
Das FG verwarf durch Beschluß den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens als unzulässig, weil der Antragsteller keinen Wiederaufnahmegrund schlüssig dargelegt habe.
Dagegen richtet sich die Beschwerde. Der Antragsteller macht -- erstmals -- geltend, in der mündlichen Verhandlung vor dem FG sei besprochen worden, daß das FA bestimmte Vorsteuerbeträge berücksichtigen werde. Da sich diese Erwartungen nicht erfüllt hätten, sei ihm, dem Antragsteller, das rechtliche Gehör nicht gewährt worden. Es habe keine Möglichkeit bestanden, sich zu diesem Komplex zu äußern.
Der Antragsteller beantragt, den Fortgang des Verfahrens zuzulassen.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der Wiederaufnahmeantrag ist unzulässig.
Nach §134 FGO kann ein rechtskräftig beendetes Verfahren nach den Vorschriften der §§578 ff. ZPO wieder aufgenommen werden. §578 Abs. 1 ZPO sieht die Wiederaufnahme zwar nur für ein durch rechtskräftiges Endurteil abgeschlossenes Verfahren vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) kann jedoch auch ein durch Beschluß rechtskräftig beendetes Verfahren wieder aufgenommen werden (vgl. BFH-Beschluß vom 26. April 1996 III K 35/95, BFH/NV 1996, 901, m. w. N.; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsodnung, 10. Aufl., §134 FGO Rz. 6 ff., m. w. N.). Ob zu diesen Beschlüssen auch der Einstellungsbeschluß nach Klagerücknahme gemäß §72 Abs. 2 Satz 2 FGO gehört (ablehnend Verwaltungsgerichtshof -- VGH -- München, Beschluß vom 14. Juli 1987 3 B 87.01042, Juristisches Informationssystem -- juris --; Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., §110 FGO Rz. 13; vgl. auch Hessischer VGH, Beschluß vom 22. Mai 1997 6 UE 4909/96, juris), kann der Senat im Streitfall ebenso offenlassen wie die weitere Frage, ob durch die Möglichkeit, nachträglich die Unwirksamkeit der Klagerücknahme geltend zu machen (§72 Abs. 2 Satz 3 FGO), die Wiederaufnahme eines durch Klagerücknahme beendeten Verfahrens generell ausgeschlossen ist. Der Antrag ist jedenfalls deshalb unzulässig, weil der Antragsteller keinen Wiederaufnahmegrund schlüssig dargelegt hat (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 29. Januar 1992 VIII K 4/91, BFHE 165, 569, BStBl II 1992, 252). Denn die von dem Antragsteller gerügte Verletzung des Rechts auf Gehör fällt nicht unter die §§579, 580 ZPO (vgl. BFH-Beschlüsse vom 15. April 1987 VIII K 1/86, BFH/NV 1987, 591, und vom 19. Juli 1994 II S 13/94, BFH/NV 1995, 53; Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., §134 FGO Rz. 31, 43).
Im übrigen hat das FG dem Antragsteller nicht das rechtliche Gehör versagt. Die ehemalige Prozeßbevollmächtigte des Antragstellers hatte in der mündlichen Verhandlung vor dem FG die Gelegenheit, sich zu äußern. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, daß sie trotz ihrer Anwesenheit ohne ihr Verschulden nicht in der Lage war, sich Gehör zu verschaffen. Daß eine -- uneingeschränkte -- Klagerücknahme zur Bestandskraft aller mit der Klage angefochtenen Bescheide führt, gehört zu den Grundlagen des Verfahrensrechts, deren Kenntnis von einer Steuerberaterin erwartet werden darf.
Fundstellen
Haufe-Index 67631 |
BFH/NV 1998, 1237 |