Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde: Schätzung
Leitsatz (NV)
- In einer Schätzungssache ist eine Divergenz nicht dargelegt, wenn der Beschwerdeführer (lediglich) geltend macht, das finanzgerichtliche Urteil sei falsch und rechtswidrig, weil es im Ergebnis der BFH-Rechtsprechung in Schätzungssachen widerspreche.
- Sollte das FG zu einem unzutreffenden Schätzungsergebnis gekommen sein, läge darin kein Verfahrensfehler.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 1 S. 1, § 115 Abs. 2 Nrn. 2-3; AO 1977 § 162
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) betrieb in den Streitjahren 1986 bis 1989 zwei Textilkaufhäuser. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) schätzte auf der Grundlage einer Betriebsprüfung die Umsätze der Klägerin, weil er ihre Buchführung als nicht ordnungsgemäß ansah.
Die gegen die entsprechenden Änderungsbescheide erhobene Klage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) machte von seiner eigenen Schätzungsbefugnis Gebrauch (§ 96 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO― i.V.m. § 162 der Abgabenordnung ―AO 1977―) und führte hierzu u.a. aus: Seine Schätzung beruhe teilweise auf den Ergebnissen der im Rahmen eines Aussetzungsverfahrens erstellten gutachterlichen Stellungnahme des Gerichtsprüfers. Auch wenn dieses Gutachten die abschließende Beurteilung zum Teil offen lasse, seien weitere Ermittlungen nicht möglich gewesen.
Bei seiner Schätzung ging das FG (nur) für die Streitjahre 1987 bis 1989 von dem Wareneinsatz der Klägerin aus; für das Streitjahr 1986 folgte das FG insoweit dem Gerichtsprüfer. Die Erlöse (Umsätze) der Klägerin schätzte das FG unter Ansatz eines ―für sämtliche Streitjahre einheitlich angesetzten― Rohgewinnaufschlags von 41,7 %. Hinsichtlich der Höhe des Aufschlagsatzes schloss sich das FG dem Gerichtsprüfer an.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision. Sie macht eine Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sowie Verfahrensmängel geltend.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Prüfungsmaßstab ist vorliegend die FGO i.d.F. vor In-Kraft-Treten des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757), weil die angefochtene Entscheidung des FG vor dem 1. Januar 2001 zugestellt worden ist (Art. 4 2.FGOÄndG).
2. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO a.F. ist die Revision zuzulassen, wenn das Urteil des FG von einer Entscheidung des BFH abweicht. Eine Abweichung in diesem Sinne ist dann gegeben, wenn das FG seinem Urteil einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der von einem gleichfalls abstrakten Rechtssatz in einer bestimmten Entscheidung des BFH abweicht (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 22. Juli 1997 I B 130/96, BFH/NV 1998, 323; vom 18. Juli 2000 V B 48/00, BFH/NV 2000, 1507). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
a) Die Klägerin macht geltend, nach der Rechtsprechung des BFH seien im Anwendungsbereich des § 162 AO 1977 alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung seien. Dazu gehöre auch eine Würdigung der vom Steuerpflichtigen zu seinen Gunsten vorgetragenen Umstände und Tatsachen. Des Weiteren müssten Schätzungsergebnisse insgesamt in sich schlüssig sowie ihre Ergebnisse wirtschaftlich vernünftig und möglich sein (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 19. Januar 1993 VIII R 128/84, BFHE 170, 511, BStBl II 1993, 594).
Demgegenüber führe die Schätzung des FG unter Anwendung eines Aufschlagsatzes von 41,7 % zu einem wirtschaftlich unmöglichen Ergebnis, wie sie ―die Klägerin― im Laufe des Verfahrens mehrfach dargelegt habe.
b) Damit hat die Klägerin (lediglich) dargelegt, das finanzgerichtliche Urteil sei falsch und rechtswidrig, weil es im Ergebnis der BFH-Rechtsprechung in Schätzungssachen widerspreche. Entscheidend ist aber, ob die Rechtssätze in dem angefochtenen Urteil solchen der BFH-Rechtsprechung widersprechen (vgl. BFH-Beschluss vom 14. Januar 1998 IX B 103/97, BFH/NV 1998, 616). Das ist hier nicht der Fall.
Das FG hat weder ausdrücklich noch konkludent einen abstrakten Rechtssatz des Inhalts aufgestellt, dass Schätzungen nicht zu wirtschaftlich möglichen Ergebnissen gelangen müssen. Es hat vielmehr ausgeführt, die Anwendung eines einheitlichen Aufschlagsatzes für die Streitjahre führe über den Gesamtzeitraum betrachtet zu einem angemessenen Ergebnis (Urteil S. 27).
3. Die Revision kann auch nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO a.F. wegen eines Verfahrensfehlers zugelassen werden.
a) Insoweit rügt die Klägerin, das FG habe den Sachverhalt nicht gehörig aufgeklärt (§ 76 Abs. 1 FGO), seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) zugrunde gelegt und ferner gegen den Grundsatz der freien Überzeugungsbildung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) verstoßen.
Zur Begründung trägt sie innerhalb der für die Beurteilung maßgeblichen Beschwerdefrist des § 115 Abs. 3 Satz 1 FGO (vgl. dazu z.B. BFH-Beschluss vom 5. Juni 2000 V B 98/00, BFH/NV 2000, 1236) im Wesentlichen vor: Sie habe im erstinstanzlichen Verfahren mehrfach ―zuletzt in der mündlichen Verhandlung― unter Hinweis auf eine von ihr gefertigte Aufstellung die Unschlüssigkeit der vom FG angekündigten und dann im Urteil manifestierten Schätzung dargelegt. Diese Aufstellung (Anlage 1 zur Beschwerdeschrift) zeige auf, dass die Schätzung zu dem unmöglichen Ergebnis führe, dass der Warenendbestand zu Einkaufspreisen über dem Warenendbestand zu Verkaufspreisen liege. Aufgrund diese Vortrages hätte sich dem FG zur weiteren Sachaufklärung die (nochmalige) Einschaltung des gerichtlichen Prüfers aufdrängen müssen. Offenbar habe das FG diesen Vortrag nicht berücksichtigt.
b) Damit erstrebt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers (wiederum) im Kern mit der Begründung, das Ergebnis der Schätzung des FG sei wirtschaftlich unmöglich. In einem unzutreffenden Schätzungsergebnis ―sollte es im Streitfall vorliegen― liegt aber kein Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO a.F. (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 17. September 1999 III B 44/99, BFH/NV 2000, 333; vom 25. November 1999 I B 37/99, BFH/NV 2000, 729; vom 2. November 2000 X B 39/00, BFH/NV 2001, 610).
Überdies ist der Vortrag der Klägerin auch nicht schlüssig. Zum einen ergibt sich aus der von ihr vorgelegten Aufstellung für die Streitjahre 1986 bis 1988 nicht, dass der Warenendbestand zu Einkaufspreisen über dem Warenendbestand zu Verkaufspreisen liegt. Zum andern ist die Aufstellung schon deshalb nicht geeignet, die Behauptung der Klägerin schlüssig zu belegen, weil aus ihr nicht ersichtlich ist, wie die Klägerin ihre Anfangsbestände ermittelt hat. Insbesondere finden die Zahlen der Klägerin in den Feststellungen des FG keine Stütze. Dort heißt es vielmehr (bezogen auf das Streitjahr 1986), die Zahlen zum Wareneinsatz hätten mangels Unterlagen nicht eindeutig ermittelt werden können (Urteil S. 29).
Im Übrigen hat das FG den Ansatz des einheitlichen Rohgewinnaufschlagsatzes von 41,7 % ausführlich begründet (S. 27 ff.). Eine Auseinandersetzung mit diesen Ausführungen enthält die Beschwerdeschrift nicht.
c) Soweit die Beschwerde hinsichtlich des Ansatzes des Wareneinsatzes für 1986 einen Verstoß gegen den Grundsatz der freien Überzeugungsbildung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) darin sieht, dass das FG den Wareneinsatz in seinem Schreiben vom 16. Dezember 1998 als unstreitig bezeichnet, in seinem Urteil dies aber außer Acht gelassen habe, trifft diese Behauptung nicht zu. Das FG hat in seinem Schreiben vom 16. Dezember 1998 (Einigungsvorschlag) den Wareneinsatz nicht als unstreitig, sondern als "WES lt. Kläg." bezeichnet (FG-Akte, Bl. 1313).
Im Übrigen fehlt in der Beschwerdeschrift eine Auseinandersetzung mit der Begründung des FG, warum es sich für das Streitjahr 1986 der Berechnung des Gutachters angeschlossen hat (Urteil S. 29).
4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 728754 |
BFH/NV 2002, 931 |