Leitsatz (amtlich)
1. Es liegt kein schwerwiegender Verfahrensmangel vor, wenn ein Richter deshalb nicht an der Entscheidung über einen Antrag auf Berichtigung des Tatbestands mitwirkte, weil er sich im Zeitpunkt der Beschlußfassung in Urlaub befand.
2. Bei der Entscheidung über einen Antrag auf Berichtigung des Tatbestands außerhalb der mündlichen Verhandlung wirken die ehrenamtlichen Richter nicht mit.
Normenkette
FGO §§ 5, 90, 108; VwGO § 119
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) beantragte mit Schreiben vom 9. März 1978 beim Finanzgericht (FG), den Tatbestand des Urteils vom 23. November 1977 I 167/76 - zugestellt am 7. März 1978 - zu drei Punkten zu berichtigen.
Mit Beschluß vom 21. März 1978 I 167/76 (Entscheidungen der Finanzgerichte 1978 S. 338 - EFG 1978, 338 -) entsprach das FG Hamburg dem Berichtigungsantrag hinsichtlich einer offenbaren Unrichtigkeit und lehnte ihn, soweit er die ergänzende Benennung der Zeugen K und B im Tatbestand betraf, ab. An dem Beschluß wirkten der Vorsitzende Richter A und der Richter C mit. Der Richter D, der am Urteil vom 23. November 1977 mitgewirkt hatte, wirkte an diesem Beschluß nicht mit.
Am 13. April 1978 legte die Klägerin gegen den Beschluß Beschwerde ein, soweit der Antrag auf Tatbestandsberichtigung hinsichtlich der Benennung des Zeugen K abgelehnt worden war. Zur Begründung führt sie aus, daß der Beschluß auf Grund schwerer Verfahrensfehler zustande gekommen sei.
Der Beschluß verletze, so meint die Klägerin, die §§ 108 Abs. 2 Satz 2 und 3 und 105 Abs. 1 Satz 3 FGO. Er sei nur von den Richtern A und C erlassen und unterzeichnet worden, obwohl an dem Urteil auch der Richter D mitgewirkt habe.
Sofern er in der zweiten Märzhälfte in Urlaub gewesen sein sollte, sei das nicht als Verhinderung im Sinne der genannten Vorschriften anzusehen. Wenn schon eine vorübergehende Erkrankung keine Verhinderung darstelle (so Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 36. Aufl., § 315 Anm. 1 B, Neue Juristische Wochenschrift 1977 S. 765 - NJW 1977, 765 -), könne ein Urlaub von zwei Wochen erst recht nicht als Verhinderung angesehen werden.
Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Es hat in einem Vermerk festgehalten, daß der Richter D vom 15. März bis 29. März 1978, der Richter C vom 28. März bis 7. April 1978 und der Vorsitzende Richter A vom 10. April bis 28. April 1978 in Urlaub gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unzulässig.
Gemäß § 108 Abs. 2 Satz 2 FGO sind Beschlüsse, die beantragte Tatbestandsberichtigungen betreffen, unanfechtbar. Ausnahmsweise wird nach fast einhelliger Meinung in der Literatur die Beschwerde dann als zulässig angesehen, wenn der Beschluß unter schwerwiegender Verletzung von Verfahrensvorschriften zustande gekommen ist (vgl. Baumbach-Lauterbach, a. a. O., § 320 Anm. 5 D; Rosenberg-Schwab, Zivilprozeßrecht, 12. Aufl., § 60 Anm. I 3 b; Thomas-Putzo, Zivilprozeßordnung, 9. Aufl., § 320 Anm. 4; Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 108 Anm. 12; Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 7. Aufl., § 119 Anm. 8). Der erkennende Senat hat in seinem Beschluß vom 5. Dezember 1967 VII B 21/66 (BFHE 90, 285), dieser Auffassung folgend, die Beschwerde in einem Fall für gegeben erachtet, in dem am Berichtigungsbeschluß ein abgelehnter Richter mitgewirkt hatte.
Im Streitfalle hat das FG den Berichtigungsbeschluß nicht unter Verletzung schwerwiegender Verfahrensmängel gefaßt. Nach § 108 Abs. 2 Satz 2 FGO dürfen an einem Berichtigungsbeschluß nur die Richter mitwirken, die auch am Urteil mitgewirkt haben. Eine Vertretung verhinderter Richter findet nicht statt. Für den Fall der Verhinderung bestimmt § 108 Abs. 2 Satz 3 FGO, daß bei Stimmengleichheit die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag gibt. Die Auffassung der Klägerin, das FG hätte über den Berichtigungsantrag nicht ohne den Richter D beschließen dürfen, weil dieser nicht verhindert gewesen sei, geht fehl. § 108 Abs. 2 FGO enthält keine Aussage darüber, wann ein Richter als verhindert anzusehen ist. Der Wortlaut enthält aber keinerlei Einschränkungen dieses Begriffs dahin gehend, daß eine Verhinderung etwa nur bei längerer Abwesenheit eines Richters infolge Erkrankung oder Urlaubs angenommen werden dürfe. Eine solche Betrachtung wäre auch nicht praktikabel, weil z. B. die Dauer einer plötzlich aufgetretenen Erkrankung eines Richters nicht absehbar ist. Auch im Interesse einer zügigen Bearbeitung von Berichtigungsanträgen kann deshalb nur darauf abgestellt werden, ob ein Richter im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag objektiv verhindert ist. Das schließt nicht aus, daß das Gericht sich darum bemüht, den Beschluß in Anwesenheit aller Richter zu fassen. Scheitern diese Bemühungen aber, wie im Streitfall, daran, daß die Richter des Senats in der Zeit vom 15. März bis 28. April 1978 nacheinander sich in Urlaub befanden, so ist es verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden, daß bei der Entscheidung über den Antrag nur die beiden anwesenden Richter mitgewirkt haben. Die Gründe für die Verhinderung brauchen im Beschluß nicht angegeben zu werden (vgl. Baumbach-Lauterbach, a. a. O., § 320 Anm. 5 C). Nach dem Gesetz ist es auch nicht erforderlich, einen Vermerk über die Verhinderung des Richters in den Beschluß aufzunehmen.
Auf das von Baumbach-Lauterbach (a. a. O.) zitierte Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 27. Januar 1977 IX ZR 147/72 (NJW 1977, 765) kann die Klägerin sich zur Stützung ihrer Rechtsauffassung nicht berufen. Dort ging es nicht um die Verhinderung eines Richters bei der Entscheidung über einen Berichtigungsantrag, sondern um die völlig andere Frage, ob ein Richter, der an einem Urteil mitgewirkt hat, an der Beifügung seiner Unterschrift dadurch verhindert ist, daß er am Tage der Verkündung des Urteils wegen einer Erkrankung nicht anwesend war. Der BGH hat dazu entschieden, daß in einem solchen Falle eine Verhinderung nicht gegeben ist und, daß deshalb die Voraussetzungen für die Anbringung eines Vermerks über die Verhinderung durch den Vorsitzenden (§ 315 Satz 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -) nicht gegeben sind. Für den Streitfall gibt diese Entscheidung nichts her.
Der Senat hat auch geprüft, ob ein schwerwiegender Verfahrensfehler bei der Beschlußfassung nicht daran gefunden werden könne, daß am Beschluß die ehrenamtlichen Richter nicht mitgewirkt haben. Die Meinungen darüber, ob am Berichtigungsbeschluß auch die ehrenamtlichen Richter mitwirken, gehen auseinander (bejahend: Eyermann-Fröhler, a. a. O., Anm. 7; Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Aufl., § 119 Anm. 2; Klinger, Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Aufl., § 119 Anm. C 2; Koehler, Verwaltungsgerichtsordnung, § 119 Anm. IV 3; Schunck-De Clerck, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 2. Aufl., § 119 Anm. 2 b; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 29. August 1958 IV C 99.57, BVerwGE 7, 218; nur bei Beschlußfassung aufgrund mündlicher Verhandlung: Redeker-von Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl., § 119 Anm. 4; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 7. Aufl., § 108 FGO Anm. 2 d; Ziemer-Birkholz, a. a. O., Anm. 7; Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 108 Anm. 7; Ule, Verwaltungsprozeßrecht, § 58 II 2). Der Senat schließt sich der Auffassung an, daß die ehrenamtlichen Richter bei der Entscheidung über den Berichtigungsantrag nur dann mitwirken, wenn aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden wird. Über Berichtigungsanträge ist durch Beschluß zu entscheiden (§ 108 Abs. 2 Satz 1 FGO). Im Gegensatz zu der in § 320 ZPO getroffenen Regelung sieht § 108 FGO für die Entscheidung über einen Berichtigungsantrag keine mündliche Verhandlung vor. Im Streitfall ist keine mündliche Verhandlung durchgeführt worden, obwohl sie zulässig gewesen wäre (vgl. § 90 Abs. 1 Satz 2 FGO). In einem solchen Fall der Entscheidung durch Beschluß außerhalb der mündlichen Verhandlung wirken gemäß § 5 Abs. 3 FGO die ehrenamtlichen Richter nicht mit.
Mit dieser Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zum Urteil des BVerwG IV C 99.57. Das BVerwG hat in diesem Urteil zu dem damals gemäß § 54 des Gesetzes über das Bundesverwaltungsgericht (BVerwGG) entsprechend anzuwendenden § 320 ZPO entschieden, daß über Anträge auf Berichtigung des Tatbestands unter Mitwirkung aller Richter, auch der ehrenamtlichen Beisitzer, nur nach mündlicher Verhandlung entschieden werden darf. Die für die Entscheidung maßgebende Rechtslage hat sich nach dem Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) geändert. Im Gegensatz zu § 320 ZPO sieht der wörtlich mit § 108 FGO übereinstimmende § 119 VwGO eine mündliche Verhandlung nicht zwingend vor. Ist aber die die mündliche Verhandlung früher zwingend vorschreibende "Sonderregelung" des § 320 ZPO (so das BVerwG, a. a. O.) nicht mehr anwendbar, und wird im Einzelfalle ohne mündliche Verhandlung entschieden, so steht nichts im Wege, daß über den Berichtigungsantrag in der in § 5 Abs. 3 Satz 2 FGO vorgesehenen Besetzung, also ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter, entschieden wird. Zu diesem Ergebnis sind mit eingehender Begründung zu der sich nach dem Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsordnung ergebenden Rechtslage auch das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg (Beschluß vom 20. Oktober 1960 V A 4/59, Deutsches Verwaltungsblatt 1960 S. 940 - DVBl 1960, 940 -) und das OVG Berlin (Beschluß vom 8. Oktober 1962 OVG I a B 68/60, DVBl 1963, 254) gekommen.
Fundstellen
Haufe-Index 72580 |
BStBl II 1978, 675 |
BFHE 1979, 490 |