Leitsatz (amtlich)
Die allgemein anerkannten Grundsätze zur Statthaftigkeit der Beschwerde gegen gesetzlich unanfechtbare Entscheidungen wegen "greifbarer Gesetzeswidrigkeit" gelten auch im Finanzprozeß. Die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann die Zulässigkeit der Beschwerde jedoch nicht rechtfertigen.
Normenkette
BFH-EntlastG Art. 1 Nr. 4 S. 1
Tatbestand
Der Beklagte und Beschwerdeführer (FA) setzte mit Bescheiden gegen den Kläger und Beschwerdegegner (Beschwerdegegner) Umsatzsteuer für die Jahre 1969 mit 1972 fest. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren begehrte der Beschwerdegegner mit der Klage Herabsetzung der Steuer. Während des Klageverfahrens erließ das FA wegen nachträglicher Geltendmachung von abziehbaren Vorsteuerbeträgen Änderungsbescheide, mit denen es die Steuer herabsetzte. Die Beteiligten erklärten daraufhin übereinstimmend die Hauptsache des Klageverfahrens für erledigt. Kostenanträge wurden nicht gestellt.
Mit Beschluß legte das FG die Kosten des Klageverfahrens zu 88/100 dem FA, im übrigen dem Beschwerdegegner auf und erklärte die Zuziehung eines Bevollmächtigten durch den Beschwerdegegner für das außergerichtliche Vorverfahren für notwendig. In den Gründen dieses Beschlusses ist ausgeführt, die Kostenentscheidung sei gemäß § 138 Abs. 1 FGO nach dem Verhältnis des erfolgreichen zum nicht erfolgreichen Teil des Klagebegehrens zu treffen. In der Rechtsmittelbelehrung des FG-Beschlusses heißt es unter Hinweis auf Art. 1 Nr. 4 BFH-EntlastG, daß der Beschluß unanfechtbar sei.
Gegen den Beschluß richtet sich die Beschwerde des FA, der das FG nicht abgeholfen hat. Unter Hinweis auf Literatur zu § 128 FGO führt das FA aus, die Beschwerde müsse dann trotz grundsätzlicher Unanfechtbarkeit als statthaft angesehen werden, wenn dem gerichtlichen Verfahren jegliche Grundlage fehle, insbesondere wenn es ohne entsprechenden Antrag durchgeführt worden sei. Das FA sieht einen derartigen Verfahrensverstoß darin, daß dem FG kein Antrag des FA vorgelegen habe, mit dem sich das Gericht bei seiner Kostenentscheidung hätte auseinandersetzen können. Das Gericht habe das FA zwar bei der Klagezustellung aufgefordert, zur Klage Stellung zu nehmen. Diese Aufforderung könne nicht als eine für die Kostenentscheidung maßgebende Aufforderung angesehen werden, weil das FG ausdrücklich das FA dazu aufgefordert habe, vorweg zu dem gleichzeitig mit der Klage gestellten Antrag gemäß § 69 FGO Stellung zu nehmen. Da dem FA vor der Kostenentscheidung in keinem verfahrensrechtlich wirksamen Schriftsatz Gelegenheit gegeben worden sei, zum Sach- und Streitstand Stellung zu nehmen, liege im Ergebnis eine Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs vor, die nur bei Statthaftigkeit der Beschwerde geheilt werden könnte. Da die Abänderung der angefochtenen Bescheide darauf beruhe, daß der Beschwerdegegner unter Aufgabe seiner ursprünglichen Ansicht begehrt habe, abziehbare Vorsteuerbeträge zu berücksichtigen, beruhe die Änderung der angefochtenen Bescheide allein auf Tatsachen, die der Beschwerdegegner früher hätte geltend machen und beweisen können und müssen. Dieser Umstand hätte vom FG gemäß § 137 FGO berücksichtigt werden müssen.
Das FA begehrt, unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses die Kosten des gerichtlichen Verfahrens dem Kläger aufzuerlegen.
Der Beschwerdegegner hat sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unzulässig.
Nach Art. 1 Nr. 4 Satz 1 BFH-EntlastG ist u. a. die Beschwerde gegen Entscheidungen der FG in Streitigkeiten über Kosten nicht gegeben. Unter den Begriff der "Streitigkeiten über Kosten" ist sowohl die isolierte Kostenentscheidung nach Hauptsacheerledigung (Beschluß des Senats vom 22. Juni 1967 V B 19/67, BFHE 89, 116, BStBl III 1967, 531) als auch der Beschluß zu subsumieren, mit dem die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt wird (Beschluß des BFH vom 8. August 1969 III B 17/69, BFHE 96, 388, BStBl II 1969, 661).
Nach der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur ist die Beschwerde gegen eine Entscheidung, die nach dem Gesetz unanfechtbar ist, dann jedoch gegeben, wenn der Entscheidung jegliche gesetzliche Grundlage fehlt, insbesondere "wenn eine Entscheidung dieser Art oder diesen Inhalts oder dieser Stelle oder auf Grund eines derartigen Verfahrens im Gesetz überhaupt nicht vorgesehen ist" (vgl. u. a. Beschlüsse des BGH vom 7. Januar 1957 II ZB 23/56, NJW 1957, 713; vom 8. Oktober 1957 V BLw 29/57, Lindenmaier-Möhring Nr. 2 zu § 13 LwVG; Urteil des BGH vom 18. November 1958 VIII ZR 131/57, BGHZ 28, 349; Rosenberg-Schwab, Zivilprozeßrecht, § 148 ZPO III 3 d; Stein-Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 19. Aufl., Bem. I 4 zu § 567; Thomas-Putzo, Zivilprozeßordnung, 9. Aufl., Bem. 4 zu § 567; v. Wallis/List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Tz. 14 zu § 128 FGO; Ziemer-Haarmann, Einspruch-Beschwerde-Klage, Bd. II Tz. 4816). Die Statthaftigkeit der Beschwerde wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit wird jedoch dann verneint, wenn sie allein aus der Versagung des rechtlichen Gehörs hergeleitet wird (vgl. BGH-Entscheidung V BLw 29/57; BGH-Beschluß vom 6. Dezember 1960 V BLw 12/60, MDR 1961, 309; Beschluß des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 1. Juli 1970 10 W 71/70, MDR 1970, 934).
Die allgemein anerkannten Grundsätze zur Statthaftigkeit der Beschwerde gegen gesetzlich unanfechtbare Entscheidungen gelten auch für den Finanzprozeß. Auch im Finanzprozeß kann aber die Zulässigkeit der Beschwerde nicht allein aus der Verletzung des Grundsatzes der Gewährung des Gehörs abgeleitet werden. Das ergibt sich nicht zuletzt daraus, daß auch im Revisionsverfahren die Rüge der Versagung des rechtlichen Gehörs nicht die zulassungsfreie Revision eröffnet, sondern nur bei statthafter Revision ohne Kausalitätsprüfung zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führt (vgl. § 116 FGO einerseits und § 119 FGO andererseits). Es kann deshalb auf sich beruhen, ob dem FA das rechtliche Gehör versagt worden war.
Fundstellen
BStBl II 1977, 628 |
BFHE 1978, 256 |