Entscheidungsstichwort (Thema)
Besorgnis der Befangenheit wegen angeblichen Verfahrensverstößen eines Richters?
Leitsatz (NV)
1. Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters kann nicht damit begründet werden, daß er gegenüber dem Kläger die Vollständigkeit der vom FA beigezogenen Akten bejaht hat, obwohl einzelne Seiten oder Aktenteile fehlen.
2. Auch ein Verstoß gegen die Vorschriften über die Protokollaufnahme kann die Besorgnis der Befangenheit grundsätzlich nicht begründen.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1 S. 1, § 71 Abs. 2, §§ 76, 94; ZPO § 159 ff., § 377 Abs. 3
Tatbestand
In den vorliegenden Beschwerdeverfahren wegen Besorgnis der Befangenheit des Berichterstatters in den Verfahren wegen Gewinnfeststellung 1973 bis 1979, Gewerbesteuermeßbetrag 1974 bis 1976 und Einheitswert des gewerblichen Betriebes auf den 1. Januar 1975, 1976 bis 1978 der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GbR) A und B (Klägerin und Beschwerdeführerin - Klägerin -) ging es darum, ob die Klägerin einen Gewerbebetrieb unterhalten hatte oder lediglich vermögensverwaltend tätig war. Die insoweit beim Finanzgericht (FG) anhängig gewesenen Klagen hatten im wesentlichen keinen Erfolg. Die dagegen gerichteten Beschwerden wegen Nichtzulassung der Revision hat der Senat durch Beschlüsse vom heutigen Tage als unbegründet zurückgewiesen.
Mit Schriftsatz vom 27. Januar 1988 lehnte die Klägerin den Berichterstatter in den finanzgerichtlichen Verfahren wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Der Antrag wurde im wesentlichen wie folgt begründet:
1. Erst bei der Akteneinsicht habe sie bemerkt, daß dem Gericht nur mehr oder weniger willkürlich zusammengestellte Auszüge aus den Akten des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt - FA -) vorlägen. Dies sei aus der Numerierung und aus dem Inhalt der Akten ersichtlich. Akten der Betriebsprüfung habe das beklagte FA nicht eingereicht. Gleichwohl habe der Berichterstatter ihre Frage, ob das Gericht im Besitz der Akten des beklagten FA sei, ohne Einschränkung bejaht.
2. In der mündlichen Verhandlung am 10. November 1987, in der der Berichterstatter Protokoll geführt habe, habe der Vertreter des beklagten FA eingeräumt, daß die Klägerin noch nach dem 21. Dezember 1971 fremde Eigentumswohnungen und Garagen vermietet hätte. Der Berichterstatter habe auf ihren Antrag hin zugesagt, dies zu protokollieren, sei aber dieser Zusage nicht nachgekommen. In der mündlichen Verhandlung am 8. Dezember 1987 hätte sie darauf gedrungen, dieses Mal die Erklärung des FA zu Protokoll zu nehmen. Trotz entsprechender Zusage, Formulierung und Verlesung durch den Berichterstatter fehle dieses ,,Geständnis" im Protokoll.
3. Schließlich habe der Berichterstatter in der mündlichen Verhandlung am 8. Dezember 1987 bei der Erörterung des Komplexes Z die übrigen Mitglieder des Senats im Glauben gelassen, die Klägerin habe sich durch die Beteiligung an einer gewerblich tätigen Gesellschaft selbst gewerblich betätigt. Aus dem vom FA eingereichten Aktenfragment und der dort abgehefteten Stellungnahme des FA S vom 14. November 1985 ergebe sich aber, daß die Z keinen Gewerbebetrieb unterhalten habe. Der Berichterstatter hat sich zu den erhobenen Vorwürfen in seiner dienstlichen Stellungnahme vom 1. Februar 1988 im einzelnen geäußert (Bl. 429 FG-Akte Bd. 2).
Das FG hat den Befangenheitsantrag der Klägerin abgelehnt.
Mit den Beschwerden macht die Klägerin weiter geltend, die Besorgnis der Befangenheit sei gegeben:
1. Die vorgelegten Akten seien unvollständig gewesen. Der Berichterstatter hätte das von sich aus daraus erkennen können, daß Notizen über das behauptete Gespräch mit Herrn Regierungsdirektor T am 21. April 1972 gefehlt hätten. Daraus ergebe sich, daß der Berichterstatter die Klägerin mit seiner bejahenden Antwort auf die Frage nach den Akten des beklagten FA getäuscht habe.
Akten der Betriebsprüfung lägen bis heute nicht vor. Das ergebe sich auch daraus, daß der Zeuge V in der mündlichen Verhandlung am 9. Februar 1988 anhand der mitgebrachten Akten der Betriebsprüfung und einer dort abgehefteten Aktennotiz über ein Telefongespräch mit Steuerberater B am 14. Dezember 1981 betreffend die Rücklage nach § 6b des Einkommensteuergesetzes (EStG) ausgesagt habe. Hätte der Berichterstatter diese Akten rechtzeitig beigezogen, hätte er die Klägerin auf diese Notiz hinweisen können. Statt dessen habe er sie dadurch überrumpelt, daß er, ohne die Klägerin zu verständigen, dem FA nahegelegt habe, den Zeugen V zum Termin zu bestellen und die Akten der Betriebsprüfung mitzubringen. Diese beständen auch keineswegs nur aus den Arbeitsbögen des Prüfers.
2. Der Berichterstatter habe das Geständnis des FA ,,unterschlagen". Es fehle im Protokoll, obwohl der Berichterstatter im Termin ausweislich der handschriftlichen Notiz von Steuerberater B zugesagt habe:
"Kommt ins Protokoll, . . . EPW + . . . Garagen, . . . hat zugebilligt."
Ihr Gesellschafter, Rechtsanwalt A, hätte sich aufgrund seiner 30jährigen Berufserfahrung nicht mit einer Aufnahme in den Sachvortrag begnügt. Mit ,,Protokolltechnik" habe das nichts zu tun. Ein Geständnis gehöre ins Protokoll (§ 160 Abs. 3 Nr. 3 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Im übrigen fehle der entsprechende Sachvortrag im Protokoll vom 10. November 1987, obwohl laut Protokoll vom 8. Dezember 1987 dieses insoweit wörtlich übereinstimmen müsse.
3. Es könne nicht richtig sein, daß der Berichterstatter die wegen des anderen Papiers auffällige Kontrollmitteilung des FA W vom 14. November 1985 übersehen habe. Das entsprechende, vorgelegte Aktenfragment sei nicht umfangreich. Zudem habe sich der Berichterstatter, wie er dem Steuerberater B erklärt habe, auf diesen bedeutsamen Komplex intensiv vorbereitet.
Das FA beantragt, die Beschwerden als unbegründet zurückzuweisen.
Das FG hat den Beschwerden nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
Die - gemäß § 73 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen - Beschwerden sind unbegründet.
Die Zulässigkeit der Beschwerden wird nicht dadurch berührt, daß das FG nach erfolgloser Richterablehnung über die Hauptsachen entschieden hat (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30. November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217). Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, daß der Senat inzwischen über die eingelegten Nichtzulassungsbeschwerden entschieden hat und die Frist zur Einlegung der Revision (§ 120 Abs. 1 FGO) bereits abgelaufen ist. Denn für eine auf § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO gestützte Revision müßte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, wenn den Beschwerden stattgegeben würde.
Die Beschwerden sind aber unbegründet.
Eine erfolgreiche Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit setzt voraus, daß ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO; § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO). Gründe für ein solches Mißtrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Entscheidung wirklich von Voreingenommenheit beeinflußt ausfiel. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob der Beteiligte, der das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von einem Standpunkt aus bei Anlegung des angeführten objektiven Maßstabes Anlaß hat, Voreingenommenheit zu befürchten (BFH-Beschluß vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555).
Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin in den Beschwerdeverfahren hatte die Klägerin keinen Anlaß zu der Besorgnis, der Berichterstatter sei ihr gegenüber befangen.
1. Zu Recht hat das FG in der Tatsache, daß der Berichterstatter die Frage, ob die Akten des FA vorhanden seien, ohne Einschränkung bejaht und damit den Eindruck der Vollständigkeit bei der Klägerin hervorgerufen hat, keinen Grund für eine Voreingenommenheit gesehen. Bereits ihrem äußeren Anschein nach handelt es sich bei den vorgelegten Akten nicht um Fragmente. Das trifft insbesondere auch für die Feststellungsakten zu, die, wie bereits das FG festgestellt hat, in der auch von anderen FÄ geübten Form in einzelne Abschnitte (z. B. Feststellung 1978) eingeteilt und jeweils mit fortlaufenden Seitenzahlen versehen sind. Daher konnte auch der Berichterstatter darauf vertrauen, daß die vom FA vorgelegten Akten vollständig seien.
Dem steht auch nicht entgegen, daß eine Aktennotiz über das von der Klägerin behauptete Gespräch mit Regierungsdirektor T (21. April 1972) fehlt. Es kommt hin und wieder vor, daß derartige Aktennotizen fehlen, weil das FA es unterlassen hat, sie zu fertigen. Die vom FA geführten Akten sind dann gleichwohl dem FG vollständig vorgelegt worden. Im übrigen hatte das FA den Steuerberater B bereits im Laufe der Rechtsbefehlsverfahren darauf hingewiesen (Schriftsatz vom 29. April 1983 - Bl. 121 Rechtsbefehlsakte Bd. 1 -), daß das Besprechungsergebnis nicht schriftlich festgelegt worden sei, was dieser damals auch als möglich eingeräumt hat (Schriftsatz vom 19. Mai 1983 - Bl. 141 Rechtsbehelfsakte Bd. 1 -). Außerdem enthalten die vorgelegten Feststellungsakten die vom FA genau angegebenen Schreiben der Betriebsprüfung, so daß auch deshalb der Berichterstatter keinen Grund haben mußte, im Hinblick auf Kontakte zwischen Innendienst und Betriebsprüfer an der Vollständigkeit der vorgelegten Akten zu zweifeln.
Schließlich ist der Vorwurf der Klägerin, der Berichterstatter habe sie bezüglich der Akten der Betriebsprüfung getäuscht, unberechtigt. Die eigentlichen Betriebsprüfungsakten liegen vor. Darüber hinaus hat der Berichterstatter in seiner dienstlichen Stellungnahme angegeben, daß nach seiner Ansicht die Betriebsprüfungshandakten nicht zu den Akten i. S. des § 71 Abs. 2 FGO gehörten. Die Möglichkeit, einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, kann aber nicht dazu dienen, die Beteiligten vor einer irrtümlichen Rechtsauffassung des Richters, sei es hinsichtlich des Prozeßrechts oder des materiellen Rechts, zu schützen. Unabhängig davon hat der Senat im Streitfall aber auch keinen Grund, an der Lauterkeit der dienstlichen Stellungnahme des Berichterstatters zu zweifeln. Dessen Auffassung stimmt mit der eines führenden Kommentars (Tipke / Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 78 FGO Tz. 2) zur Vorlage von Entwürfen und zur Offenlegung der Vorgänge, die zur Meinungsbildung der Verwaltungsbehörde geführt haben und der Rechtsprechung des BFH zur Vorlage von verwaltungsinternen Vorgängen überein (Urteil vom 16. November 1965 I 302/61 S, BFHE 84, 268, BStBl III 1966, 97, 99). Nach dieser Auffassung brauchte das FA die Betriebsprüferhandakte nicht vorzulegen. Ob gleichwohl einzelne Teile daraus vorzulegen sind, ist hier nicht erheblich.
Von einer unsachlichen Einstellung des Berichterstatters gegenüber der Klägerin kann auch nicht etwa deshalb ausgegangen werden, weil er - ohne diese zu verständigen - das FA veranlaßt hätte, den Zeugen V in der mündlichen Verhandlung am 9. Februar 1988 zu stellen und die Betriebsprüfungshandakten mitzubringen. Es stand dem Zeugen frei, sich anhand seiner Aufzeichnungen zu informieren (vgl. auch § 377 Abs. 3 ZPO). Es ist allgemein üblich, daß die Betriebsprüfer dies regelmäßig anhand der sog. Prüferhandakten tun. Deshalb kann offenbleiben, ob sie dazu sogar verpflichtet sind.
Dafür, daß der Berichterstatter das FA veranlaßt hätte, die Frage der Rücklage nach § 6b EStG erneut zur Sprache zu bringen, ist nicht ersichtlich oder von der Klägerin dargetan. Das FA hat ausweislich des Protokolls von sich aus beantragt, den Zeugen darüber zu vernehmen, daß die Klägerin für das Jahr 1974 die Bildung einer entsprechenden Rücklage nach § 6b EStG beantragt hat. Dazu bestand auch Anlaß. Die mündliche Verhandlung ist nämlich aufgrund des Antrages der Klägerin vom 9. Dezember 1987 wegen der Beteiligungen der Klägerin an der Z etc. wieder eröffnet worden. Zwar war aufgrund der Feststellungen des Prüfers im Betriebsprüfungsbericht (Tz. 39 Nr. 11) davon auszugehen, daß die Klägerin die Bildung der Rücklage nach § 6b EStG während der Betriebsprüfung ausdrücklich beantragt hatte (vgl. auch Einspruchsentscheidung vom 31. März 1987 betreffend Gewinnfeststellung 1978). Jedoch hatte die Klägerin - soweit ersichtlich - im Klageverfahren erstmals im Schriftsatz vom 12. November 1987 geltend gemacht, für die Eigentumswohnungen . . .straße sei für das Jahr 1974 keine Rücklage nach § 6b EStG zu bilden; sie war aber nicht darauf eingegangen (§ 76 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 138 Abs. 1 und 2 ZPO), daß sie dies nach den Feststellungen des Betriebsprüfers bereits beantragt hatte. Infolge dieses Verhaltens der Klägerin lag es jedoch auf der Hand, daß das FA von sich aus beantragte, den Zeugen V zu diesem Punkt zu vernehmen. Denn das FA war weiterhin zur Aufklärung des Sachverhalts verpflichtet (§ 76 Abs. 3 i. V. m. §§ 88, 89 der Abgabenordnung - AO 1977 -).
2. Wie bereits bezüglich der Verfahrensvorschriften ausgeführt, gäbe selbst ein Verstoß gegen die Protokollvorschriften (§ 94 FGO; §§ 159 ff. ZPO) der Klägerin grundsätzlich nicht das Recht, einen Richter als befangen abzulehnen. Überdies stand es - wie geschehen - der Klägerin frei, eine Berichtigung des Protokolls zu beantragen. Da das FG dies abgelehnt hat, kann der Senat nicht davon ausgehen, der Berichterstatter habe der Klägerin zugesagt, er werde ein Geständnis des Beklagten i. S. von § 160 Abs. 3 Nr. 3 ZPO im Protokoll feststellen (§§ 165 und 164 Abs. 3 ZPO). Unabhängig davon war die Erklärung der Klägerin, sie habe Ende November 1971 noch . . . fremde Wohnungen und . . . fremde Garagen verwaltet, bereits im Protokoll vom 10. November 1987 enthalten. Darauf hat das FG in seinen, die Protokollberichtigung ablehnenden Beschlüssen vom 17. Februar 1988 hingewiesen. Daraus ist zugleich erkennbar, daß die Erklärung der Klägerin zwischen den Prozeßbeteiligten außer Streit war und auch die Art der Protokollierung durch den Berichterstatter keinen Hinweis auf dessen Voreingenommenheit hergibt.
3. Der Senat hat auch keinen Zweifel daran, daß der Berichterstatter es lediglich aufgrund eines Versehens unterlassen hat, in der mündlichen Verhandlung vom 8. Dezember 1987 auf die Kontrollmitteilung des FA W vom 14. November 1985 hinzuweisen. Die Klägerin selbst hat insofern zu einem Irrtum beigetragen, als sie noch in ihrem Schriftsatz vom 12. November 1987 (Bl. 289 f. FG-Akte Bd. 2) von einer gewerblichen Beteiligung an der Z ausging und für 1979 aus der Beteiligung (Z und Y) einen Verlust aus Gewerbebetrieb in Höhe von . . . DM geltend gemacht hat. Der Berichterstatter mußte daher nicht an dem gewerblichen Charakter der Beteiligung zweifeln, jedenfalls nicht für die Zeit bis 1978, zumal für die Vorjahre sich an dem gewerblichen Charakter nichts geändert hat. Daß das FA W für 1979 das Bestehen einer Mitunternehmerschaft nicht mehr anerkannt hatte und deshalb negative Feststellungsbescheide erlassen hatte, stand im übrigen bereits durch die geänderte Mitteilung über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte 1978, 1979, 1980 vom 26. September 1983 fest. Auch danach konnte der Berichterstatter von einer gewerblichen Beteiligung an der Z jedenfalls bis einschließlich des Jahres 1978 ausgehen.
Fundstellen
Haufe-Index 416553 |
BFH/NV 1991, 165 |