Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit der Einzelrichterregelung; zulassungsfreie Revision; fehlender Ausspruch der Nichtzulassung
Leitsatz (NV)
1. Gegen §6 FGO (Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter) bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
2. Die Versagung des rechtlichen Gehörs stellt zwar einen wesentlichen Verfahrensmangel i.S. des §119 Nr. 3 FGO dar, eröffnet jedoch nicht die zulassungsfreie Revision i.S. von §116 Abs. 1 FGO.
3. Das Fehlen eines Ausspruchs der Nichtzulassung der Revision und einer Begründung dieser Entscheidung ist kein Mangel i.S. des §116 Abs. 1 Nr. 5 FGO. Enthält das FG-Urteil keinen Ausspruch über die Zulassung der Revision, so ist sie versagt.
Normenkette
FGO §§ 6, 115 Abs. 1, § 116 Abs. 1 Nrn. 1, 5, § 119 Nr. 3
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt und lebten im Streitjahr 1992 als Asylbewerber in Deutschland. Der Kläger war nichtselbständig tätig; die Klägerin ging keiner Beschäftigung nach.
Mit Einkommensteuerbescheid 1992 wurde die Einkommensteuer unter Ansatz der Eintragungen auf der besonderen Lohnsteuerbescheinigung und ohne bzw. nur pauschaler Berücksichtigung diverser geltend gemachter Aufwendungen auf ... DM festgesetzt; es ergab sich eine Abschlußzahlung von ... DM. Der dagegen eingelegte Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen.
Dagegen richtet sich die Klage. Die Kläger wandten sich gegen den (zu hohen) Ansatz von Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit nach Maßgabe der besonderen Lohnsteuerbescheinigung sowie gegen die Nichtberücksichtigung der von ihnen als Werbungskosten, Sonderausgaben, außergewöhnliche Belastungen geltend gemachten Aufwendungen.
Mit Verfügung vom ... April 1995 forderte das Finanzgericht -- FG -- (Berichterstatter: A.) die Kläger nach Maßgabe des §79b der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Angabe von Tatsachen mit einmonatiger Frist auf. Des weiteren bat das FG mit Verfügung vom ... Mai 1995 die Beteiligten um Mitteilung, ob es aus ihrer Sicht Gründe gäbe, die einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter (§6 FGO) entgegenstünden. Die Kläger brachten solche Gründe vor, der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) hatte keine Einwände. Mit FG-Beschluß vom ... Februar 1996, der keine Begründung enthält, wurde der Rechtsstreit auf den Berichterstatter B. als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Aufgrund mündlicher Verhandlung vom ... Mai 1996 wies das FG (Einzelrichter) die Klage als unbegründet ab, ohne die Revision zuzulassen. Es fehle -- so das FG -- hinsichtlich der verschiedenen zum Abzug geltend gemachten Aufwendungen am Nachweis bzw. an einer Glaubhaftmachung.
Mit der auf §116 Abs. 1 FGO gestützten Revision rügen die Kläger nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts (§116 Abs. 1 Nr. 1 FGO). Außerdem machen sie geltend, das Urteil sei nicht mit Gründen versehen (§116 Abs. 1 Nr. 5 FGO); es fehle der Ausspruch der Nichtzulassung der Revision und eine Begründung hierzu. Schließlich berufen sich die Kläger auf §118 Abs. 3 i.V.m. §115 Abs. 2 FGO (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache wegen der Anforderungen an den Nachweis bzw. an die Glaubhaftmachung von Aufwendungen).
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unzulässig und daher durch Beschluß zu verwerfen (§124 Abs. 1, §126 Abs. 1 FGO). Denn die Kläger haben Gründe, die eine zulassungsfreie Revision nach §116 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 5 (§119 Nr. 1 und Nr. 6 FGO) rechtfertigen könnten, nicht bzw. nicht schlüssig dargetan.
1. Das FG (in der Besetzung als Einzelrichter) ist vorschriftsmäßig besetzt i.S. des §116 Abs. 1 Nr. 1 FGO.
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat wiederholt entschieden, daß gegen §6 FGO keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (BFH-Beschlüsse vom 19. Juli 1995 X R 41/94, BFH/NV 1996, 54; vom 10. September 1996 IV R 51/94, BFH/NV 1997, 242; vom 24. Oktober 1996 IV R 57/95, BFH/NV 1997, 417, sowie vom 17. April 1997 III R 39/96, BFH/NV 1997, 860; eine dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde wurde mit Beschluß des Bundesverfassungsgerichts -- BVerfG -- vom 15. August 1997 2 BvR 1272/97 nicht zur Entscheidung angenommen). Darüber hinaus fehlen Darlegungen, die einen Verfassungsverstoß zumindest als möglich erscheinen lassen. Jedenfalls reichen in diesem Zusammenhang die Behauptung der Verfassungswidrigkeit des §6 FGO und der Hinweis auf "nachhaltige Kritik im Schrifttum" ebensowenig als Begründung aus wie die kurzen Ausführungen zum zweistufigen Aufbau der Finanzgerichtsbarkeit, zur Amtsermittlungsmaxime im Finanzgerichtsprozeß sowie zu der daraus angeblich resultierenden Unmöglichkeit umfassender Sachverhaltsermittlung durch den Einzelrichter und eines demzufolge unvollständigen Urteilstatbestands.
Ebensowenig läßt sich aus der Entscheidung des FG, den Rechtsstreit nach §6 Abs. 1 FGO einem seiner Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung zu übertragen, eine vorschriftswidrige Besetzung des erkennenden Gerichts herleiten (vgl. BFH- Beschlüsse vom 26. Februar 1996 VI R 66/95, BFH/NV 1996, 572; vom 17. April 1996 VI R 105/95, BFH/NV 1996, 767; in BFH/NV 1997, 860). Insbesondere haben die Kläger ihre Rüge hinsichtlich des Wechsels des Berichterstatters (und späteren Einzelrichters) nicht spezifiziert (etwa durch den Hinweis auf Abweichungen vom senatsinternen Geschäftsverteilungsplan) gerügt. Auch ist weder im einzelnen dargelegt noch sonst erkennbar, daß die Sache besondere Schwierigkeiten aufweise oder grundsätzliche Bedeutung hätte (§6 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 FGO).
Darüber hinaus sind Tatsachen, die hinsichtlich der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter die Annahme einer "greifbaren Gesetzwidrigkeit" rechtfertigen könnten, also eine willkürliche Anwendung der Übertragungsvoraussetzungen des §6 Abs. 1 FGO ergäben (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19. Januar 1994 II R 69/93, BFH/NV 1994, 725; in BFH/NV 1996, 767; in BFH/NV 1997, 417, und in BFH/NV 1997, 860), weder vorgetragen noch ersichtlich.
2. Soweit die Kläger die fehlende Anhörung a) vor Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter, b) vor dem Wechsel des erkennenden Richters (Berichterstatters) und c) vor der endgültigen Entscheidung durch den Einzelrichter geltend machen, rügen sie zwar einen wesentlichen Verfahrensmangel (absoluten Revisionsgrund) i.S. des §119 Nr. 3 FGO. Die Versagung des rechtlichen Gehörs eröffnet jedoch nicht die zulassungsfreie Revision i.S. des §116 Abs. 1 FGO (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl. 1997, §96 Rz. 34, §116 Rz. 1).
3. Das angefochtene Urteil ist auch mit Gründen versehen; ein Mangel i.S. des §116 Abs. 1 Nr. 5 FGO ist nicht erkennbar. Das Fehlen des Ausspruchs der Nichtzulassung und einer Begründung dieser Entscheidung sind unbeachtlich. Eine solche Entscheidung nämlich kann auch konkludent getroffen werden. Enthält das FG-Urteil -- wie im Streitfall -- keinen Ausspruch über die Zulassung der Revision, so ist sie versagt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 17. Januar 1994 VIII R 50/93, BFH/NV 1994, 646; vom 22. September 1994 VIII R 45/94, BFH/NV 1995, 426; vom 21. März 1995 VIII R 7/95, BFH/NV 1995, 995). Demgemäß stellt auch die fehlende Begründung der Nichtzulassung keinen Verfahrensmangel i.S. des §116 Abs. 1 Nr. 5 FGO dar (vgl. auch BFH- Beschluß vom 8. Oktober 1986 VI R 7/86, BFH/NV 1987, 115; Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, §115 FGO Rz. 52; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, §119 FGO Tz. 23 a.E.).
Fundstellen