Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB gegen Gerichtsbescheid unstatthaft; verfahrensrechtliche Folgen unrichtiger Rechtsmittelbelehrung
Leitsatz (NV)
1. Gegen einen Gerichtsbescheid ist nach Inkrafttreten des 2. FGOÄndG eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht mehr statthaft.
2. Eine Rechtsmittelbelehrung, die ‐ ohne einen Hinweis auf die besondere Entscheidung über die Zulassung ‐ die Beteiligten auf die Revision hinweist, ist unrichtig, führt jedoch nicht dazu, dass die vom FG nicht ausdrücklich zugelassene Revision als zulässig zu behandeln wäre.
3. Eine Umdeutung einer nicht zugelassenen Revision in einen Antrag auf mündliche Verhandlung gegen einen Gerichtsbescheid kommt wegen der erheblichen rechtlichen und verfahrensmäßigen Unterschiede nicht in Betracht.
4. Die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung führt dazu, dass die Monatsfrist für den Antrag auf mündliche Verhandlung gegen einen Gerichtsbescheid auf ein Jahr verlängert wird.
5. Ist die Einlegung des Rechtsbehelfs infolge höherer Gewalt unmöglich gewesen, so gilt auch die Jahresfrist nicht. Höhere Gewalt kann auch vorliegen, wenn ein Verfahrensbeteiligter durch ein Verhalten des Gerichts von einer fristgebundenen Prozesshandlung abgehalten wird.
Normenkette
FGO § 55 Abs. 2 S. 1, § 90 Abs. 1 S. 2, § 90a Abs. 2 Sätze 1-2, § 115 Abs. 1-2
Verfahrensgang
Hessisches FG (Urteil vom 02.07.2003; Aktenzeichen 2 K 3030/02) |
Tatbestand
I. Mit Gerichtsbescheid vom 2. Juli 2003 --zugestellt am 22. Juli 2003-- wies das Finanzgericht (FG) im zweiten Rechtsgang die Klage der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wegen Einkommensteuer 1994 als unbegründet ab, ohne die Revision zuzulassen.
Dem Gerichtsbescheid ist jedoch die folgende Rechtsmittelbelehrung beigefügt: "Gegen diesen Gerichtsbescheid können die Beteiligten mündliche Verhandlung beantragen. Wird der Antrag auf mündliche Verhandlung rechtzeitig gestellt, so gilt der Gerichtsbescheid als nicht ergangen. Die Beteiligten können gegen den Gerichtsbescheid auch Revision einlegen. Wird neben dem Antrag auf mündliche Verhandlung Revision eingelegt, so findet mündliche Verhandlung statt."
Mit Schriftsatz vom 14. August 2003 legte die vertretene Klägerin Revision ein mit der Begründung, das FG habe die Zulassung der Revision mit Rechtsmittelbelehrung im Gerichtsbescheid ausgesprochen.
Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des FG aufzuheben und die Nichtigkeit des Einkommensteuerbescheides für 1994 vom 14. August 1995 festzustellen sowie den Einkommensteuerbescheid 1994 vom 20. Dezember 1999 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16. August 2002 für wirksam zu erklären und die Einkommensteuer 1994 unter Berücksichtigung von Zahlungen an Pflegekräfte in Höhe von 76 470 DM als außergewöhnliche Belastung festzusetzen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 124 Abs. 1 i.V.m. § 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Den Beteiligten steht die Revision gegen einen Gerichtsbescheid nur zu, wenn das FG die Revision in dem Gerichtsbescheid zugelassen hat (§ 90a Abs. 2 Satz 2 FGO). Andernfalls können die Beteiligten nur innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides mündliche Verhandlung beantragen (§ 90a Abs. 2 Satz 1 FGO), um den Eintritt der Urteilswirkung gemäß § 90a Abs. 3 FGO zu verhindern (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 25. Juli 2002 IX B 75/02, BFH/NV 2002, 1490). Hingegen ist gegen einen Gerichtsbescheid keine Nichtzulassungsbeschwerde mehr statthaft (BFH-Beschluss vom 27. Februar 2002 VIII B 141/01, BFH/NV 2002, 1035).
Das FG hat die Revision im angefochtenen Gerichtsbescheid aber weder im Tenor noch in den Entscheidungsgründen zugelassen.
2. Die Revision wird auch nicht dadurch ohne Zulassung statthaft, dass das FG eine missverständliche und damit unzutreffende Rechtsmittelbelehrung erteilt hat (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2002, 1035, und vom 7. Juni 2004 X R 12/04, BFH/NV 2004, 1291).
Die Zulassung der Revision muss ausdrücklich durch besondere Entscheidung des FG im Gerichtsbescheid ausgesprochen sein. Fehlt ein solcher Ausspruch über die Zulassung, so ist sie abgelehnt (BFH-Beschluss vom 21. Februar 2001 X R 5/01, BFH/NV 2001, 936, ständige Rechtsprechung). Es reicht nicht aus, dass in der Rechtsmittelbelehrung die Revision als mögliches Rechtsmittel aufgeführt ist, wenn nicht erkennbar wird, dass damit die Revision durch besondere Entscheidung aus einem der in § 115 Abs. 2 FGO genannten Gründe zugelassen worden ist.
Eine Rechtsmittelbelehrung, die --ohne Hinweis auf die besondere Entscheidung über die Zulassung-- die Beteiligten auf die Revision verweist, ist zwar unrichtig. Eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung führt indes nicht dazu, dass die vom FG nicht ausdrücklich nach § 90a Abs. 2 Satz 2 FGO zugelassene Revision als zulässig zu behandeln ist (BFH-Beschlüsse vom 30. September 1999 V B 142/99, BFH/NV 2000, 342, und in BFH/NV 2004, 1291).
Weder aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheides noch aus dem Inhalt der Rechtsmittelbelehrung ist im Streitfall die Absicht des FG erkennbar, die Revision zuzulassen. Aus der Rechtsmittelbelehrung kann im Streitfall auch nicht ausnahmsweise die Zulassung der Revision entnommen werden, weil in ihr keine Zulassung durch eine ausdrücklich darauf gerichtete Formulierung bezüglich der Zulassung und der Zulassungsgründe zum Ausdruck kommt.
3. Eine Auslegung oder Umdeutung der von dem Steuerberater namens der Klägerin eingelegten Revision in einen Antrag auf mündliche Verhandlung kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil der Prozessvertreter erklärtermaßen von der Zulassung der Revision in der Rechtsmittelbelehrung ausgegangen ist und damit ausschließlich dieses Rechtsmittel hat einlegen wollen (BFH-Beschluss in BFH/NV 2001, 936).
Eine Umdeutung scheitert darüber hinaus auch daran, dass der Antrag auf mündliche Verhandlung gegen einen Gerichtsbescheid des FG beim FG anzubringen ist (BFH-Beschluss vom 9. August 1994 IV S 8/94, BFH/NV 1995, 409) und zudem zwischen einer Revision und einem Antrag auf mündliche Verhandlung erhebliche rechtliche und verfahrensmäßige Unterschiede bestehen (BFH-Beschluss in BFH/NV 2001, 936).
4. Der Senat kann nicht selbst darüber befinden, ob einem beim FG noch nachzuholenden Antrag auf mündliche Verhandlung gemäß § 90a Abs. 2 Satz 1 FGO zu entsprechen wäre.
a) Rechtsfolge einer fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung ist, dass sich gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO die Frist für das zulässige Rechtsmittel bzw. den zulässigen Rechtsbehelf --hier die Monatsfrist für den Antrag auf mündliche Verhandlung gegen den Gerichtsbescheid gemäß § 90a Abs. 2 Satz 1 FGO-- auf ein Jahr verlängert (vgl. BFH-Beschluss vom 23. Mai 2002 II R 30/01, BFH/NV 2002, 1322). Auch diese kraft Gesetzes verlängerte Frist ist indes zwischenzeitlich verstrichen.
b) Die Jahresfrist gilt nach § 55 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO jedoch nicht, wenn vor deren Ablauf die Einlegung des Rechtsbehelfs infolge höherer Gewalt unmöglich gewesen ist. Höhere Gewalt ist ein außergewöhnliches Ereignis, das unter den gegebenen Umständen auch durch die äußerste, nach Lage der Sache von dem Betroffenen zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden konnte. Darunter fällt auch ein Umstand, der dem Beteiligten die rechtzeitige Vornahme einer fristgebundenen Handlung unzumutbar macht und damit aus verfassungsrechtlichen Gründen dem Bereich der höheren Gewalt zuzuordnen ist. Nach der Rechtsprechung des BFH kann höhere Gewalt dementsprechend auch vorliegen, wenn ein Verfahrensbeteiligter durch ein Verhalten des Gerichts von einer fristgebundenen Prozesshandlung abgehalten wird (BFH-Urteil vom 8. Februar 2001 VII R 59/99, BFHE 194, 466, BStBl II 2001, 506).
Im Streitfall ist die Klägerin ersichtlich von dem allein statthaften Antrag auf mündliche Verhandlung durch die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung abgehalten worden, die der Klägerin ein verfahrensrechtliches Wahlrecht zu eröffnen schien.
Auch der Schriftwechsel mit dem BFH nach Einlegung der Revision deutete für den Kläger auf die Zulässigkeit des eingelegten Rechtsmittels hin. Denn es sind nicht nur die Schriftsätze regulär ausgetauscht worden ohne Hinweis nach § 76 Abs. 2 FGO auf die Unstatthaftigkeit der eingelegten Revision, sondern der Klägervertreter ist auch um Stellungnahme gebeten worden, ob er mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 90 Abs. 2 FGO einverstanden sei. Da eine unzulässige Revision in aller Regel ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss verworfen wird (§ 90 Abs. 1 Satz 2, § 121 Satz 1, § 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 FGO), musste die Aufforderung, auf mündliche Verhandlung zu verzichten, bei der Klägerin und ihrem Prozessvertreter den Eindruck erwecken, es werde eine Sachentscheidung ergehen (BFH-Urteil vom 26. März 1997 II R 28/96, BFH/NV 1997, 859, m.w.N.), so dass verfahrensrechtlich nichts weiter zu veranlassen sei. Der Prozessvertreter hat den Verzicht mit Schriftsatz vom 17. November 2003 erklärt, also weit vor Ablauf der Jahresfrist nach § 55 Abs. 2 FGO am 22. Juli 2004. Bei einem zeitnahen Hinweis oder einer früheren Entscheidung über die Zulässigkeit der Revision hätte die Klägerin ohne weiteres noch fristgerecht den Antrag auf mündliche Verhandlung stellen können.
5. Von der Erhebung von Gerichtskosten ist gemäß § 8 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) a.F. i.V.m. § 72 Nr. 1 GKG 2004 i.d.F. des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl I 2004, 718) abzusehen, weil davon auszugehen ist, dass die Klägerin die Revision aufgrund der missverständlichen Rechtsmittelbelehrung eingelegt hat (vgl. BFH-Beschluss vom 26. Juni 1997 VII B 50/97, BFH/NV 1998, 73).
Fundstellen
Haufe-Index 1279356 |
BFH/NV 2005, 374 |