Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensfehlerhafte Anforderung einer Original-Prozessvollmacht mit Ausschlussfrist
Leitsatz (NV)
- Die Einschränkung des rechtlichen Gehörs durch eine unzutreffende Anwendung einer Präklusionsvorschrift stellt einen Verfahrensmangel dar.
- Tritt als Bevollmächtigter eine Person i.S. des § 3 Nr. 1-3 StBerG auf, so kann eine Original-Vollmacht unter Setzen einer Ausschlussfrist nur noch bei begründeten Zweifeln an der Bevollmächtigung angefordert werden. Für derartige Zweifel müssen konkrete Anhaltspunkte vorliegen. Bloße abstakte Mutmaßungen reichen insoweit nicht mehr aus (Anschluss an BFH-Urteil vom 11. Februar 2003 VII R 18/02, BFHE 201, 409, BStBl II 2003, 606).
Normenkette
FGO § 62 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Sätze 1, 3, 6, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 6; StBerG § 3 Nrn. 1-3
Verfahrensgang
FG Köln (Urteil vom 09.05.2003; Aktenzeichen 5 K 1368/02) |
Tatbestand
I. Die im Streitjahr 1999 als Eheleute zusammen veranlagten Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) leben seit Ende 2000 getrennt. Wegen Nichtabgabe der Einkommensteuererklärung für 1999 ermittelte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) die Besteuerungsgrundlagen im Schätzungswege und setzte die Einkommensteuer für 1999 entsprechend fest. Nach erfolglosem Einspruch erhoben die bis dahin nicht steuerlich beratenen Kläger durch ihren Prozessvertreter mit Schriftsatz vom 14. März 2002 Klage und reichten während des Klageverfahrens eine gemeinsame Einkommensteuererklärung für 1999 nach.
Nachdem zunächst die Geschäftsstelle beim Finanzgericht (FG) den Prozessvertreter mit Schreiben vom 20. März 2002 vergeblich zur Übersendung einer Prozessvollmacht innerhalb von vier Wochen aufgefordert hatte, ordnete der Berichterstatter mit Verfügung vom 25. April 2002, die dem Prozessvertreter am 27. April 2002 zugestellt worden ist, die Einreichung von Original-Prozessvollmachten innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Wochen an. Dem per Fax übersandten Fristverlängerungsantrag des Prozessvertreters um eine Woche gab der Berichterstatter unter Wahrung der Ausschlusswirkung mit Verfügung vom 23. Mai 2002, dem Prozessvertreter am 24. Mai 2002 zugestellt, statt.
Während die Prozessvollmachten nach den Feststellungen des FG in Kopie mit einem an das FG per Fax übermittelten, auf 17. Mai 2002 datierten Schriftsatz beim Gericht am 28. Mai 2002 eingegangen sind, sind die Original-Vollmachten dem FG erst am 31. Mai 2002 zugegangen.
Nach weiterem Schriftsatzaustausch zur Sache wies der zwischenzeitlich zum Einzelrichter nach § 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bestimmte Berichterstatter die Klage mit Urteil vom 9. Mai 2003 wegen nicht fristgerecht eingegangener Original-Vollmachten und fehlender Entschuldigungsgründe als unzulässig ab.
Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision machen die Kläger grundsätzliche Bedeutung sowie die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend.
Der Angelegenheit komme grundsätzliche Bedeutung zu, weil das FG ihre verfassungsmäßig geschützten Rechte aus Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verkannt habe.
Es verstoße gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör, dass das FG dem unmittelbar nach mündlicher Verhandlung am 9. Mai 2003 mit Schriftsatz vom gleichen Tage gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der schuldlos infolge verzögerter Briefbeförderung durch die Post versäumten Ausschlussfrist nicht stattgegeben und auch die mündliche Verhandlung nicht wieder eröffnet habe.
Das FG habe trotz der fristgerecht in Kopie erhaltenen Vollmachten und der Ankündigung, die Original-Vollmachten zu übersenden, weder den Klägern noch ihrem Prozessvertreter einen Hinweis auf den nicht fristgerechten Eingang gegeben.
Die Anwendung des § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO durch den Berichterstatter begegne verfassungsrechtlichen Bedenken. Nach ständiger Rechtsprechung genüge die Übermittlung von Rechtsmittelschriften per Fernkopierer, sofern das Original auf dem Postwege nachfolge. Für die bloße Vorlage von Vollmachten seien die Anforderungen anders auszulegen. Die Vorlage von Original-Vollmachten mache doch nur dann Sinn, wenn das Gericht Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit der Bevollmächtigung habe. Dafür müssten aber zu Zweifeln berechtigende Voraussetzungen vorliegen.
Im deutschen Rechtswesen würden Original-Urkunden nur dann angefordert, wenn die Echtheit der Urkunde bzw. der Unterschrift prüfungsbedürftig sei. Derartige Sachverhalte seien im Streitfall indes nicht gegeben.
Eine Abweisung der Klage allein wegen fehlender Original-Vollmachten stelle einen sinnlosen, nicht begründeten Formalismus dar, der den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht gerecht werde.
Die Kläger beantragen, die Revision zuzulassen.
Das FA beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 FGO).
Die Kläger haben zu Recht gerügt, dass das FG § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO fehlerhaft angewendet hat und das angefochtene Urteil auf diesem Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO beruht.
1. Das FG hat im angefochtenen Urteil die Regelung in § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO fehlerhaft angewendet. Es hat deshalb zu Unrecht die Klage als unzulässig abgewiesen. Die Einschränkung des rechtlichen Gehörs durch eine unzutreffende Anwendung einer Präklusionsvorschrift stellt einen Verfahrensmangel dar (Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 17. Januar 2002 VI B 114/01, BFHE 198, 1, 3, BStBl II 2002, 306, m.w.N.).
Die dem Prozessvertreter gesetzte Frist zur Vorlage zweier schriftlicher Prozessvollmachten im Original hatte keine ausschließende Wirkung (vgl. auch BFH-Beschluss vom 5. August 2002 II B 60/01, BFH/NV 2002, 1605). Der Nachweis der Bevollmächtigung durch Vorlage der Original-Vollmachten mit erst am 31. Mai 2002 beim FG eingegangenem Schriftsatz konnte somit auch noch nach Ablauf der Ausschlussfrist wirksam erfolgen.
Beteiligte am finanzgerichtlichen Verfahren können sich gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1 FGO durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Die Bevollmächtigung ist durch eine schriftliche Vollmacht nachzuweisen (§ 62 Abs. 3 Satz 1 FGO). Diese kann nachgereicht werden; hierfür kann der Vorsitzende oder der Berichterstatter eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen (§ 62 Abs. 3 Satz 3 FGO). Indes braucht nach § 62 Abs. 3 Satz 6 FGO in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung das FG den Mangel der Vollmacht bei Bevollmächtigten i.S. des § 3 Nrn. 1 bis 3 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) nicht mehr von Amts wegen zu berücksichtigen. Tritt demnach als Bevollmächtigter eine Person i.S. des § 3 Nrn. 1 bis 3 StBerG auf, so kann eine Vollmacht unter Setzen einer Ausschlussfrist nur noch bei begründeten Zweifeln an der Bevollmächtigung angefordert werden (vgl. grundlegend BFH-Urteil vom 11. Februar 2003 VII R 18/02, BFHE 201, 409, BStBl II 2003, 606, m.w.N.). Für die Annahme derartiger notwendiger begründeter Zweifel an einer Bevollmächtigung, die bei dem Auftreten von Personen i.S. von § 3 Nrn. 1 bis 3 StBerG die Anforderung einer Vollmacht rechtfertigen können, müssen konkrete Anhaltspunkte vorliegen. Bloße abstrakte Mutmaßungen reichen insoweit nicht mehr aus.
Der Senat hat in seinen Urteilen vom 5. Juni 2003 III R 38/01 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2003, 1064) und III R 40/01 (nicht veröffentlicht), die beide noch § 62 Abs. 3 FGO in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung betrafen, nach welcher der Mangel der Vollmacht stets von Amts wegen zu berücksichtigen war, die möglichen Folgerungen, die aus der Neufassung des § 62 Abs. 3 FGO zu ziehen seien, noch offen gelassen. Für die im Streitfall geltende Neufassung des § 62 Abs. 3 FGO schließt sich der Senat nunmehr der einschränkenden Auslegung des § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO durch den VII. Senat des BFH in dessen Urteil in BFHE 201, 409, BStBl II 2003, 606 ausdrücklich an.
2. Entgegen diesen Grundsätzen hat das FG weder in der Verfügung vom 25. April 2002 noch in der Begründung des Prozessurteils irgendwelche Erwägungen sichtbar werden lassen, welche die Anforderung der Original-Vollmachten infolge etwa begründeter Zweifel an der Bevollmächtigung des Prozessvertreters rechtfertigen könnten (vgl. auch BFH-Beschluss vom 28. Mai 2003 VII B 236/02, BFH/NV 2003, 1208).
Der Einzelrichter hat vielmehr unmittelbar nach Eingang der Klage routinemäßig die Vollmachten zunächst durch die Geschäftsstelle anfordern lassen und sie sodann, obwohl die Klage erst am 14. März 2002 beim FG eingegangen war, die Vollmachten mit Verfügung vom 25. April 2002 mit einer nur dreiwöchigen Ausschlussfrist angefordert. Zwar wird im Schrifttum die Ansicht vertreten, sofern in Schätzungsfällen lediglich fristwahrend Klage erhoben werde und zusätzliche Umstände ernsthafte Zweifel an einer Bevollmächtigung nahe legten, sei die Anwendung des § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO n.F. gerechtfertigt (vgl. Nachweise im Urteil des BFH in BFHE 201, 409, BStBl II 2003, 606). Auch handelt es sich im Streitfall um eine im Schätzungswege ergangene Steuerfestsetzung. Indes hat der Prozessvertreter die Gründe für die Nichtabgabe der Steuererklärung aufgrund der veränderten persönlichen Lebensverhältnisse der Kläger ausdrücklich mitgeteilt und sodann die Höhe der Schätzung als realitätsfern beanstandet.
Weder enthält das angefochtene Urteil Gründe, die zu Zweifeln an der Bevollmächtigung des Prozessvertreters als Rechtsanwalt Anlass geben könnten, noch sind solche Gründe aus den beigezogenen Akten ersichtlich.
Fundstellen
Haufe-Index 1092914 |
BFH/NV 2004, 523 |