Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit
Leitsatz (NV)
Ein Richter am FG, der mit eindeutiger Gewißheit zum Ausdruck bringt, eine Klage sei mangels Begründung im derzeitigen Stadium endgültig und unheilbar unzulässig, kann Anlaß zur Besorgnis der Befangenheit geben (Anschluß an BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555).
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1; ZPO § 42 Abs. 2
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhob mit Schriftsatz vom 16. August 1985 Klage. Für die Einreichung der Klagebegründung bat er um eine Frist bis mindestens zum 15. Oktober 1985. Durch gerichtliche Verfügung vom 26. August 1985 wurde dem Kläger aufgegeben, die Klagebegründung zum 15. Oktober 1985 vorzulegen. Unter dem 27. September 1985 beantragte der Kläger Akteneinsicht und bat darum, vor Einsichtnahme in die Akten keine Frist zur Klagebegründung zu setzen. Die Akten wurden vom Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 18. Oktober 1985 eingesehen. Mit Schreiben vom 1. Oktober 1986 teilte der Berichterstatter beim Finanzgericht (FG) dem Kläger mit: ,,. . . haben Sie die Akten am 18. Oktober 1985 eingesehen, die Klage aber noch immer nicht begründet. Es wird deshalb angeraten, die Klage zurückzunehmen, da die sonst als unzulässig abgewiesen werden müßte."
Daraufhin lehnte der Kläger den Berichterstatter wegen Besorgnis der Befangenheit ab, da dieser in dem Schreiben vom 1. Oktober 1986 mit einer außergewöhnlich eindeutigen Gewißheit, die weit über die Äußerung einer vorläufigen Meinung in einem freimütig geführten Rechtsgespräch hinausgehe, die Auffassung vertreten habe, die Klage sei mangels Begründung im derzeitigen Stadium endgültig und unheilbar unzulässig. In einem Telefongespräch habe der Berichterstatter in Aussicht gestellt, er werde im Hinblick auf die Unzulässigkeit der Klage früher terminieren, als dies bei zulässigen Klagen der Fall sei. Insgesamt sei durch die nicht als vorläufig gekennzeichneten Meinungsäußerungen des Berichterstatters über den Verfahrensausgang und die Empfehlung zur Klagerücknahme die Besorgnis der Befangenheit entstanden. Es sei bei ihm, dem Kläger, der Eindruck entstanden, eine Auseinandersetzung mit den Problemen der Begründetheit werde nicht mit der hinreichenden Neutralität erfolgen.
In seiner dienstlichen Äußerung hat der Berichterstatter die Sachverhaltsdarstellung des Klägers als zutreffend bezeichnet und weiter ausgeführt: ,,Wie ein Rechtsanwalt aus der klaren Darstellung einer klaren Sach- und Rechtslage die Besorgnis der Befangenheit abzuleiten in der Lage ist, bleibt unerfindlich." Hierzu vertritt der Kläger die Auffassung, soweit der Berichterstatter die berufliche Qualifikation des Prozeßbevollmächtigten beschreibe, entstehe der Eindruck, eine Voreingenommenheit gegenüber dem Prozeßvertreter ließe es als möglich erscheinen, diese Befangenheit bestünde auch gegenüber ihm, dem Kläger.
Das FG hat den Befangenheitsantrag des Klägers abgelehnt und seine Entscheidung wie folgt begründet: Aus dem Schreiben vom 1. Oktober 1986 könne der Vorwurf der Befangenheit des Berichterstatters nicht abgeleitet werden. Es deute nicht auf Voreingenommenheit hin, wenn sich der Berichterstatter schon vor der mündlichen Verhandlung eine Meinung über den Sach- und Rechtsstand und den voraussichtlichen Verfahrensausgang gebildet habe. Von einer solchen Meinungsbildung gehe § 79 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gerade aus. Da das Rechtsinstitut der Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit die Beteiligten nicht vor Rechtsirrtümern des Richters schützen solle - insoweit stünden den Beteiligten die allgemeinen Rechtsbehelfe zur Verfügung -, lasse sich die Ablehnung auch nicht aus dem Hinweis des Berichterstatters ableiten, die Klage müsse als unzulässig abgewiesen werden. Das gleiche gelte in bezug auf die telefonische Äußerung des Berichterstatters, ,,es werde im Hinblick auf die Unzulässigkeit früher terminiert werden, als dies bei zulässigen Klagen der Fall sei". Ebenso gebe das Anraten des Berichterstatters, ,,die Klage zurückzunehmen, da sie sonst als unzulässig abgewiesen werden müßte", keinen Anlaß für eine Besorgnis der Befangenheit. Diese Anregung sei im Zusammenhang damit zu sehen, daß die Klage zum damaligen Zeitpunkt noch nicht begründet gewesen sei. Sie sei nicht unsachgemäß gewesen, da das Ausbleiben der Klagebegründung ohne Angabe von Gründen ein Jahr nach der Klageerhebung die Annahme habe nahelegen können, daß der Kläger das Interesse an der Fortsetzung des Klageverfahrens verloren habe. - Soweit der Prozeßbevollmächtigte des Klägers davon ausgehe, eine Voreingenommenheit des Berichterstatters gegenüber dem Prozeßvertreter lasse es als möglich erscheinen, daß diese Befangenheit auch gegenüber dem Kläger bestehe, habe er für seine Vermutung keine Begründung gegeben. Zwar könne ein gespanntes Verhältnis zwischen einem Prozeßbevollmächtigten und einem Richter ausnahmsweise die Ablehnung des Richters durch die Partei begründen. Dazu müsse aber eine ablehnende Einstellung des Richters gegenüber dem Prozeßbevollmächtigen auch dessen Partei gegenüber irgendwie in Erscheinung getreten sein. Im Streitfall lägen keine Anhaltspunkte für ein solches Spannungsverhältnis zwischen Berichterstatter und Prozeßbevollmächtigem des Klägers vor, schon gar nicht sei ein solches Spannungsverhältnis dem Kläger gegenüber zutage getreten.
Mit seiner Beschwerde macht der Kläger weiter geltend, die Besorgnis der Befangenheit sei gegeben. Zur Begründung trägt er im wesentlichen vor: Es werde die Auffassung des FG geteilt, daß sich ein Richter bereits während des Verfahrens eine Meinung über die Rechtslage bilden müsse und daß er seine vorläufige Meinung zum Sach- und Rechtsstand äußern dürfe. Die Darstellung einer Rechtsauffassung in der frühen Situation des vorliegenden Verfahrens als unumstößlich und endgültig begründe aber die Besorgnis der Befangenheit. Der Berichterstatter habe insoweit die im Beschluß des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 4. Juli 1985 V B 3/85 (BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555) aufgezeigten Grenzen überschritten. Im Hinblick auf die Umschreibung der anwaltlichen Befähigung in der dienstlichen Äußerung des Berichterstatters halte er, der Kläger, es für nicht ausgeschlossen, daß die Ausführungen seines Prozeßbevollmächtigten nicht hinreichend gehört würden, so daß insoweit die Auffassung des Berichterstatters noch weniger abänderbar erscheine als dieses gegenüber einem qualifizierten Rechtsanwalt der Fall wäre.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde des Klägers ist begründet. Die Äußerungen des Richters am FG im Schreiben vom 1. Oktober 1986 und in dem anschließend mit dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers geführten Telefongespräch sind geeignet, bei dem Kläger Mißtrauen gegen die Unvoreingenommenheit des Richters auszulösen.
Eine Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit kann zum Erfolg führen, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Gründe für ein solches Mißtrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden wird. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Entscheidung wirklich von Voreingenommenheit beeinflußt ausfiele. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob der Beteiligte, der das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von seinem Standpunkt aus bei Anlegung des angeführten objektiven Maßstabes Anlaß hat, Voreingenommenheit zu befürchten (BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555, unter 3. a) der Entscheidungsgründe).
Die Art und Weise, wie im Streitfall der abgelehnte Richter seine Rechtsansicht zur Zulässigkeit der Klage sowohl im Schreiben vom 1. Oktober 1986 als auch in einem anschließenden Telefongespräch mitgeteilt hat, konnte bei dem Kläger nach objektiver Betrachtung die Befürchtung begründen, der Richter sei voreingenommen. In seinem Ablehnungsgesuch vom 31. Oktober 1986 hat der Prozeßbevollmächtige des Klägers ausgeführt, der abgelehnte Richter habe seine Auffassung, die Klage sei mangels Begründung im derzeitigen Stadium endgültig und unheilbar unzulässig, nicht als vorläufig gekennzeichnet. Diesen Sachvortrag hat der Richter in seiner dienstlichen Äußerung als zutreffend bezeichnet. Der Kläger konnte aus dieser mit ,,eindeutiger Gewißheit" geäußerten Ansicht Grund zur Besorgnis haben, die Überzeugung des Richters von der Richtigkeit seiner Auffassung zur Zulässigkeit der Klage und damit über den gebotenen Verfahrensausgang sei so festgefügt, daß der Richter dem weiteren Verfahren statt mit einer vorläufigen mit einer endgültigen Beurteilung gegenüberstehen werde (BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555).
Da sich die Besorgnis der Befangenheit des Richters bereits aus der Art seiner Äußerungen im Schreiben vom 1. Oktober 1986 und im anschließend geführten Telefongespräch ergibt, hatte der Senat keine Veranlassung, zu der weiteren Frage Stellung zu nehmen, ob sich auch aus der dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters eine Besorgnis der Befangenheit ableiten ließe.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen nach § 135 Abs. 1 FGO dem im Klageverfahren unterliegenden Beteiligten zur Last. Die Kostentragung hängt somit von der Entscheidung in der Hauptsache ab.
Fundstellen
Haufe-Index 415766 |
BFH/NV 1988, 794 |