Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsorgemaßnahmen zur Fristwahrung bei Urlaubsreisen
Leitsatz (NV)
- Bei Fristversäumung wegen einer sechswöchigen Auslandsreise kommt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht, wenn nicht durch geeignete Maßnahmen Vorsorge getroffen wurde, um die Kenntnisnahme von Zustellungen und die Wahrung von Fristen sicherzustellen.
- Die Rüge, der Urteilstatbestand werde durch den Akteninhalt nicht gedeckt, kann ‐ anders als die Rüge, die Entscheidung verstoße gegen den klaren Akteninhalt (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) ‐ nicht mit der Nichtzulassungsbeschwerde, sondern nur mit dem Antrag auf Tatbestandsberichtigung nach § 108 FGO verfolgt werden.
Normenkette
FGO §§ 56, 96 Abs. 1, §§ 108, 115 Abs. 2 Nr. 3, § 118 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) betrieb seit 1969 ein Café. Der Gebäudekomplex, in dem es lag, wurde 1984 an eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), bestehend aus neun Personen, veräußert und übereignet. An dieser GbR wurde in der Folge aufgrund einer Ermächtigung im Gesellschaftsvertrag eine Vielzahl von Personen unterbeteiligt. Der Kläger schloss mit der GbR einen Vertrag über eine Hotel-Pension ab. Zugleich übernahm er die Beteiligung zunächst eines, später eines weiteren Mitgesellschafters und wurde damit Gesellschafter der GbR. Diese Beteiligung an der GbR hat der Kläger später in Abrede gestellt.
Nach einer Außenprüfung verneinte das Belegenheitsfinanzamt für die Veranlagungszeiträume 1984 bis 1987 die Einkünfteerzielungsabsicht der GbR und erließ negative Gewinnfeststellungsbescheide, die von zahlreichen Gesellschaftern, u.a. vom Kläger, angefochten wurden. Der Kläger nahm seinen Einspruch gegen die Bescheide vom 19. November 1990 am 3. Juli 1997 zurück.
Zwischen Juni und Dezember 1990 übernahm eine GmbH & Co. KG mit Verwaltungssitz im Bezirk des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt ―FA―) nahezu alle Gesellschaftsanteile an der GbR. Daraufhin erließ das FA eine zurückweisende Einspruchsentscheidung für 1984 und 1985, die dagegen erhobenen Klagen wurden ―bis auf eine― durch eine einvernehmliche Regelung, wonach den Gesellschaftern für 1986 bis 1990 Verluste zugewiesen wurden, erledigt.
Auf der Grundlage dieser Verständigung erließ das FA auch gegenüber dem Kläger geänderte Bescheide für 1986 und 1987 und rechnete ihm jeweils Verlustbeträge zu. Ohne ein Vorverfahren durchzuführen erhob der Kläger dagegen ―weil er nur die neun Gründungsmitglieder als Gesellschafter der GbR akzeptierte, die aber gemeinschaftlich untätig geblieben seien und keine steuerlichen Rechtsverhältnisse begründet hätten― Klage wegen Nichtigkeit der Bescheide und örtlicher Unzuständigkeit des FA, die als unzulässig abgewiesen wurde. Auch eine weitere Klage aus dem Jahr 1999 mit im Wesentlichen dem gleichen Begehren wies das Finanzgericht (FG) als unzulässig ab. Den Streitwert dieses Verfahrens setzte das FG auf … DM fest.
Die Justizkasse forderte daraufhin vom Kläger … €.
Mit erneuter Klage gegen das FA vertrat der Kläger weiterhin die Ansicht, dass das FA die Feststellungsbescheide 1986 und 1987 zu Unrecht erlassen habe. Daraus resultiere jetzt die Kostenforderung der Justizkasse in etwa der gleichen Höhe wie die ihm zugewiesenen Verluste aus Vermietung und Verpachtung. Das FA sei passiv legitimiert für die Vollstreckungsabwehrklage, da die Justizkasse den Kostenerstattungs- und Zahlungsanspruch im Vollstreckungsauftrag des Beklagten geltend mache. Im Übrigen sei er, der Kläger, nicht an der GbR beteiligt, und die neun Gründungsmitglieder hätten auch keine gemeinschaftlichen steuerlichen Rechtsverhältnisse begründet.
Der Kläger beantragt,
"1. den Beklagten zu verurteilen, die Zwangsvollstreckung einer angeblichen Kostenforderung gegenüber dem Kläger von … € zu unterlassen;
2. festzustellen, dass der in der Einspruchsentscheidung vom 9.12.1994 inhaltlich zitierte Gesellschaftsvertrag mit dem Datum des 21.05.1984 nach den Feststellungsakten des Beklagten (zwei Bände Gesellschaftsverträge, Bl. 1 - 224) von den Mitauflassungsempfängern E, M, S und B nicht unterschrieben beziehungsweise zwischen den 9 Auflassungsempfängern, die am 20.09.1985 aufgrund der Einigung, Auflassung vom 29.08.1985 und der Unbedenklichkeitsbescheinigung und Vermögensmitteilung des FA für Erbschaft- und Verkehrssteuern … in Abteilung I der Grundbücher als Gesellschaft bürgerlichen Rechts eingetragen sind, nicht geschlossen worden ist;
3. festzustellen, dass die 9 Auflassungsempfänger, die am 20.09.1985 aufgrund der Einigung, Auflassung vom 29.08.1985 und der Unbedenklichkeitsbescheinigung und Vermögensmitteilung des FA für Erbschaft- und Verkehrssteuern … in Abteilung I der Grundbücher als Gesellschaft bürgerlichen Rechts eingetragen sind, in GbR der in … gelegenen Grundstücke … und das zuständige Lagefinanzamt nach den Akten seit dem 29.05.1984 bis heute gemeinschaftlich untätig geblieben sind;
4. die einheitlichen und gesonderten Feststellungsbescheide des Beklagten vom 19.08.1987 mit der Zurechnung von negativen Einkünften aus der Einkunftsart V+V der Grundstücke … für den Zeitraum
1.1.1986 - 31.12.1986 über minus … DM und
1.1.1987 - 31.12.1987 über minus … DM
gegenüber dem Kläger wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben."
Das FG wies die Klage als unzulässig ab:
für den Antrag auf Unterlassung der Zwangsvollstreckung aus dem Kostentitel der Justizkasse sei das FA nicht passivlegitimiert;
für die Feststellungsbegehren, dass der Gesellschaftsvertrag der GbR von den neun Gründungsmitgliedern nicht wirksam geschlossen und sowohl die Gründungsmitglieder als auch das Lagefinanzamt C von Anbeginn an gemeinschaftlich untätig geblieben seien, fehle das Rechtsschutzbedürfnis, da diese Fragen allenfalls im Rahmen einer gesellschaftsrechtlichen Auseinandersetzung mit den anderen Gesellschaftern oder im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens gegen das Finanzamt C eine Rolle spielen könnten;
dem Begehren auf Aufhebung der Feststellungsbescheide für 1986 und 1987 stehe die rechtskräftige Entscheidung im Verfahren … entgegen.
Die Anträge des Klägers auf Berichtigung des Protokolls und des Tatbestandes des Urteils lehnte das FG mit Beschlüssen vom 30. August und 2. September 2005 ab; die dagegen erhobenen Anhörungsrügen blieben erfolglos.
Gegen das am 13. Juni 2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 29. Juli 2005 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, weil er in der Zeit vom 7. Juni bis 19. Juli 2005 urlaubsabwesend gewesen sei. Der Kläger rügt als Verfahrensfehler, der vom FG unterstellte Urteilstatbestand stehe im Widerspruch zum Akteninhalt. Die Richter hätten die Tatsache ausgelassen, dass die Gründungsmitglieder der GbR den Entwurf des "angeblichen" Gesellschaftsvertrages nicht eigenhändig unterschrieben hätten und dass sie gemeinschaftlich untätig geblieben seien; sie hätten die örtliche und sachliche Unzuständigkeit des FA feststellen und die Sache an das örtlich und sachlich zuständige FG verweisen müssen; die sich aus dem zutreffenden Sachverhalt notwendig ergebende Folge, dass die Feststellungsbescheide aufzuheben seien, hätten die Richter durch gemeinschaftliche Gehörsverletzung und willkürliche Anwendung des Prozessrechts unterdrückt.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unzulässig.
1. Die Beschwerde ist erst am 29. Juli 2005 und damit nach Ablauf der Beschwerdefrist am 13. Juli 2005 eingelegt worden und daher wegen Verfristung unzulässig. Zwar hat der Kläger Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) gestellt. Sie kommt jedoch nicht in Betracht.
Der Kläger hat nicht hinreichend dargelegt, dass er ohne Verschulden verhindert war, die Beschwerdefrist einzuhalten. Mit dem bloßen Hinweis, er habe sich auf einer sechswöchigen Auslandsreise befunden, ist das Versäumnis nicht entschuldigt. Jedenfalls bei längerer Abwesenheit entspricht es dem Gebot prozessualer Sorgfalt, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass man von Zustellungen Kenntnis erhält und Fristen gewahrt werden. Dies gilt umso mehr, wenn wie vorliegend mit einer fristauslösenden Zustellung konkret zu rechnen ist (Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 27. August 1997 XI B 118, 119, 149/96, XI S 43, 44, 50/96, BFH/NV 1998, 617, m.w.N.).
2. Die Beschwerde ist auch deshalb unzulässig, weil der Kläger keinen Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gebotenen Weise dargelegt hat. Er hat zwar wiederholt ausdrücklich als Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) gerügt, der Urteilstatbestand werde durch den Akteninhalt nicht gedeckt, das FG habe unter Verletzung des rechtlichen Gehörs und in willkürlicher Anwendung des Prozessrechts aktenkundige Tatsachen unterdrückt. Unrichtigkeiten des Urteilstatbestandes können aber nicht mit der Nichtzulassungsbeschwerde, sondern nur mit dem Antrag auf Tatbestandsberichtigung nach § 108 FGO verfolgt werden. Ein entsprechender Antrag ist im Streitfall vom FG unanfechtbar zurückgewiesen worden. Aber auch wenn dem Vorbringen zu entnehmen sein sollte, die Entscheidung des FG verstoße gegen den klaren Inhalt der Akten, und damit die Rüge der Nichtbeachtung des § 96 Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz FGO (vgl. BFH-Beschluss vom 19. August 2004 II B 79/03, BFH/NV 2004, 1670, m.w.N.) erhoben worden sein sollte, so ist nicht in der gesetzlich erforderlichen Weise schlüssig dargelegt, dass die Entscheidung des FG auf dem geltend gemachten Verfahrensfehler beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Hierbei ist die materiell-rechtliche Sicht des FG ―unabhängig davon, ob sie zutreffend ist― zu Grunde zu legen (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz. 79, m.w.N.).
Der Kläger hat sich mit den Argumenten des FG, die zur Abweisung aller Anträge als unzulässig geführt haben, in keiner Weise auseinander gesetzt. Die vom Kläger für entscheidend angesehenen Tatsachen betreffen allein die Fragen, ob, mit welchen Beteiligten und mit welchen Aktivitäten eine Grundstücksgemeinschaft bestanden hat und ob diese den (vermeintlich) Beteiligten ―auch dem Kläger― Verluste zuweisen konnte. Für die Entscheidung des FG kam es auf diese Fragen aber nicht an. Das FG hat die protokollierten und im Urteil wiedergegebenen Klageanträge, deren Inhalt nach rechtskräftiger Ablehnung des Tatbestands- und Protokollberichtigungsantrags mangels dagegen erhobener Verfahrensrügen revisionsrechtlich bindend feststeht (§ 118 Abs. 2 FGO), als unzulässig abgewiesen, weil es das FA für den Antrag zu 1. als den falschen Beklagten ansah, kein Rechtsschutzinteresse für die Feststellungsanträge zu 2. und 3. erkannte und über den Antrag zu 4. bereits rechtskräftig entschieden worden sei. Es ist nicht ersichtlich, dass sich das FG bei dieser Rechtsauffassung mit materiellen Voraussetzungen des Bestehens und Zusammenwirkens einer Eigentümergemeinschaft oder der örtlichen Zuständigkeit des FA hätte befassen müssen.
Fundstellen
Haufe-Index 1528711 |
BFH/NV 2006, 1487 |