Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit
Leitsatz (NV)
1. Ein Antrag auf Durchführung eines Erörterungstermins ist lediglich als Anregung an den Vorsitzenden oder den Berichterstatter zu verstehen, deren Nichtbeantwortung keine Schlüsse auf eine Voreingenommenheit von Berichterstatter oder Vorsitzenden zulassen.
2. Ein mit dem Verfahrensrecht übereinstimmendes Vorgehen des Vorsitzenden kann keinen Anlaß geben, an seiner Unvoreingenommenheit zu zweifeln.
3. Die Aufforderung des Berichterstatters zur kurzfristigen Vorlage eines vermeintlich vorhandenen schriftlichen Sanierungskonzepts erweckt nicht den Anschein, daß er sich hinsichtlich des Prozeßausgangs bereits festgelegt hat. Aus einem Fehler oder Irrtum des Richters läßt sich allein kein Ablehnungsgrund herleiten.
4. Es ist nicht verfahrensfehlerhaft, wenn der Vorsitzende den Termin zur mündlichen Verhandlung -- obwohl der Prozeßvertreter geltend macht, die Vorbereitungszeit sei zu kurz -- nicht verlegt oder aufhebt, sondern die mündliche Verhandlung durchführt und erst anschließend vertagt.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1, § 79 Abs. 1, § 155; ZPO §§ 42, 227
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ließ durch Steuerberater A mit Schriftsatz vom 29. Oktober 1993 Klage gegen den Einkommensteuerbescheid für 1987 einlegen. Am 31. Januar 1994 ging die Klagebegründung beim Finanzgericht (FG) ein. Der Berater beantragte, eine Vermögensmehrung von 125 000 DM als steuerfreien Sanierungsgewinn zu behandeln.
Laut Aktenvermerk des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht (VRiFG) B hat Rechtsanwalt (RA) C am 27. September 1995 telefonisch um einen Erörterungstermin gebeten, der ihm "in absehbarer Zeit" zugesagt worden sei.
Mit Schriftsatz vom 28. September 1995 zeigte RA C unter Vollmachtsvorlage an, daß der Kläger ihn zum weiteren Prozeßbevollmächtigten bestellt habe, und bat aus folgenden Gründen um Anberaumung eines Erörterungstermins:
Der Kläger und seine Tanzschule D-GmbH schuldeten dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt -- FA --) gegenwärtig Abgaben von rd. 520 000 DM. Der Hauptteil dieser Rückstände beruhe auf den Feststellungen einer Außenprüfung für die Jahre 1988 bis 1992, die zur Annahme verdeckter Gewinnausschüttungen in erheblichem Umfang geführt habe. Der Kläger, der insoweit nicht für eigenes Handeln, sondern für Versäumnisse früherer Berater einstehen müsse, werde die Abgabenrückstände aus eigener Kraft nicht aufbringen können. Allenfalls ließe sich die Steuerlast durch den Verkauf bestimmter Vermögenswerte mindern, wozu die Einwilligung "besicherter" Gläubiger notwendig wäre. Inwieweit die Gläubiger zu solcher Selbstlosigkeit bewegt werden könnten, hänge nicht zuletzt von der Frage ab, welche Steuerposten sich vielleicht von selbst erledigten. "Im Rahmen dieser Ungewißheit" nehme die streitige Einkommensteuer 1987 einen erheblichen "Stellenwert" ein. Deshalb würde eine vorgezogene Erörterung des Streitgegenstands wichtige Signale dafür abgeben, ob das Abgabenproblem in seiner Gesamtheit gelöst werden könne.
Die Bitte des Prozeßbevollmächtigten um einen Erörterungstermin blieb unbeantwortet.
Mit Verfügung vom 4. Oktober 1996, die Steuerberater A am 11. Oktober 1996 und RA C am 14. Oktober 1996 zugestellt wurde, beraumte das FG mündliche Verhandlung auf den 29. Oktober 1996 an.
Steuerberater A teilte dem FG daraufhin mit, er sei für den Kläger nicht mehr zuständig.
RA C beantragte mit Schreiben vom 14. Oktober 1996, die Verhandlung auf einen späteren Zeitpunkt zu vertagen. Er führte aus:
"Da die Kenntnis des Klägers über den Inhalt der bisher gewechselten Schriftsätze lückenhaft ist, muß ich mir Gewißheit über den Streitstoff durch Akteneinsicht verschaffen. Mein Antrag, mir die Gerichtsakte für einen Tag in meine Kanzlei zu überlassen, ist abgelehnt worden. Da ich für den Rest der Woche tagsüber außerhalb zu tun habe, kann ich Akteneinsicht erst Anfang kommender Woche nehmen, so daß mir für die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung zu wenig Zeit verbleibt."
Laut Aktenvermerk vom 15. Oktober 1996 erklärte RA C fernmündlich, er könne vom Kläger keine schriftlichen Unterlagen über den Rechtsstreit bekommen, da diese sich noch bei Steuerberater A befänden. Außerdem habe er sich über die Kürze der ihm zwischen Ladung und Termin zur Verfügung stehenden Zeit beklagt; er müsse sich völlig neu in die Sache einarbeiten. Mit dem Angebot, Kopien der wesentlichen Schriftstücke zu übersenden, sei er grundsätzlich einverstanden gewesen, habe sich jedoch vorbehalten, noch einen Schriftsatz zu fertigen und/oder die Aufhebung des Termins zu beantragen.
RA C wurden umgehend Kopien des Einspruchbescheids, der Klageschrift, der Klagebegründung nebst Anlagen und der Klageerwiderung zugeschickt.
Das weitere Geschehen ist in dem angefochtenen Ablehnungsbeschluß wie folgt dargestellt:
"Im Anschluß hieran begehrte der Prozeßbevollmächtgte des Klägers RA C beim Vorsitzenden des Senats mit der Begründung fernmündlich eine Terminsverlegung, daß der Inhalt der Klageschrift nicht genüge, sondern der Sachverhalt weiter erforscht werden und er sich mit den neueren Tendenzen auf dem Gebiet des steuerfreien Sanierungsgewinns eingehender befassen müsse. Wegen anderweitiger Verpflichtungen und Termine reichten die wenigen Tage bis zur mündlichen Verhandlung hierfür nicht aus, zumal er auch die Samstage und Sonntage bereits in seine berufliche Tätigkeit einbezogen habe. Der VRiFG B wies darauf hin, daß man die Sache am 23. Oktober 1996 vorberaten und anschließend über die Terminsverlegung entscheiden werde.
Unter dem 22. Oktober 1996 unterrichtete der Berichterstatter im Verfahren ... -- RiFG E -- RA C darüber, daß das in der Klageschrift erwähnte Sanierungskonzept vorzulegen sei. Dem hielt der Prozeßbevollmächtigte des Klägers entgegen, daß dieses Konzept wegen Abwesenheit des Klägers bis zur mündlichen Verhandlung kaum beschafft werden könne.
Unter dem 25. Oktober 1996 teilte der Berichterstatter dem Sekretariat des RA C mit, daß der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 29. Oktober 1996 nicht verlegt werde."
In der mündlichen Verhandlung überreichte RA C einen Schriftsatz, in dem er VRiFG B und RiFG E wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnte. Die abgelehnten Richter erklärten in der dienstlichen Äußerung zu dem Befangenheitsantrag, sie fühlten sich nicht befangen. Das FG wies das Ablehnungsgesuch ohne Mitwirkung der abgelehnten Richter durch Beschluß zurück. Anschließend wurde die mündliche Verhandlung in der ursprünglichen Besetzung fortgeführt. Nach Erörterung der Sach- und Rechtslage wurde die Verhandlung auf den 17. Dezember 1996 vertagt und dem Kläger gemäß §79 b Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufgegeben, unter Vorlage von Urkunden oder Angabe sonstiger Beweismittel das Sanierungskonzept darzulegen.
Nach Darlegung des Sanierungskonzepts (Schriftsatz vom 28. November 1996) wurde der Termin zur mündlichen Verhandlung aufgehoben.
Mit der Beschwerde gegen den -- das Ablehnungsgesuch zurückweisenden Beschluß -- trägt der Kläger vor, folgende Umstände führten in ihrer Gesamtheit zu Mißtrauen gegenüber der Unvoreingenommenheit der abgelehnten Richter:
-- Das FG habe, nachdem es den Antrag auf einen für ihn -- den Kläger -- sehr wichtigen Erörterungstermin mehr als ein Jahr lang nicht beschieden habe, Termin zur mündlichen Verhandlung innerhalb der kürzest möglichen Ladungsfrist anberaumt.
-- Der Vertagungsantrag sei abgelehnt worden, obwohl die Sache für den Prozeßbevollmächtigten neu gewesen sei und dessen mangelnde Vorbereitung nach dem Kenntnisstand des Gerichts als genügend entschuldigt betrachtet werden müsse.
-- Auf nochmaligen Vorhalt des Prozeßbevollmächtigten sei die Vertagung von dem Ergebnis der Vorberatung abhängig gemacht worden.
-- Eine Woche vor der mündlichen Verhandlung sei das Einreichen eines Sanierungskonzepts verlangt worden, obwohl ein solches, wenn auch laienhaftes Konzept der Klageschrift beigelegen habe. Es sei vom Gericht nicht zur Kenntnis genommen worden.
-- Erst zwei Tage nach der Vorberatung und damit nur zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung sei der Sekretärin des abwesenden Prozeßbevollmächtigten mitgeteilt worden, daß die mündliche Verhandlung stattfinden werde.
Die abgelehnten Richter hätten in ihrer dienstlichen Äußerung übereinstimmend und lapidar erklärt, sie fühlten sich nicht befangen. Für die Besorgnis der Befangenheit komme es jedoch nicht auf deren subjektives Gefühl, sondern auf objektiv wahrnehmbare Tatsachen an. Diese hätten ihm in nachvollziehbarer Weise den Eindruck vermittelt, daß ihm -- dem Kläger -- das rechtliche Gehör abgeschnitten und seine Sache nicht mit der notwendigen Unvoreingenommenheit behandelt werden solle.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
Zu Recht hat das FG den Antrag des Klägers, VRiFG B und RiFG E wegen Besorgnis der Befangenheit von der weiteren Mitwirkung am Verfahren auszuschließen, abgelehnt.
a) Nach §51 Abs. 1 FGO i. V. m. §42 der Zivilprozeßordnung (ZPO) können die Beteiligten einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Gründe für ein solches Mißtrauen sind gegeben, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlaß hat, an der Unvoreingenommenheit zu zweifeln. Es müssen Anhaltspunkte für eine unsachliche Einstellung oder Willkür des Richters vorliegen (z. B. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 1. Juli 1992 X B 38/92, BFH/NV 1993, 110, m. w. N.). Derartige Anhaltspunkte sind im Streitfall nicht erkennbar.
b) Nach §79 Abs. 1 Nr. 1 FGO kann der Vorsitzende oder der Berichterstatter zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung und/oder zur gütlichen Beilegung des Rechtsstreits die Beteiligten zur Erörterung des Sach- und Streitstandes laden. Ein Anspruch der Beteiligten hierauf besteht nicht. Soweit sie einen Erörterungstermin beantragen, handelt es sich lediglich um eine Anregung an den Vorsitzenden oder den Berichterstatter, deren Nichtbeantwortung keine Schlüsse auf eine Voreingenommenheit von Berichterstatter oder Vorsitzendem zulassen.
c) Auch die Nichtverlegung der mündlichen Verhandlung ist im Streitfall kein Grund für die Annahme einer Befangenheit.
Nach §227 Abs. 1 Satz 1 ZPO i. V. m. §155 FGO kann ein Termin aus erheblichen Gründen aufgehoben oder verlegt oder die (begonnene) Verhandlung vertagt werden. Liegen erhebliche Gründe für die Aufhebung, Verlegung oder Vertagung einer mündlichen Verhandlung im finanzgerichtlichen Verfahren vor, ist das FG auf Antrag eines Beteiligten hierzu verpflichtet (ständige Rechtsprechung, z. B. BFH-Entscheidungen vom 26. Januar 1977 I R 163/74, BFHE 121, 286, BStBl II 1977, 348, und vom 7. Februar 1995 VIII R 48/92, BFH/NV 1996, 43, jeweils m. w. N.).
Nach der Rechtsprechung des BFH kann der Wechsel des Prozeßvertreters während des gerichtlichen Verfahrens ein erheblicher Grund i. S. des §227 ZPO sein, wenn es sich um eine in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht schwierige Sache handelt, der Wechsel kurz vor der mündlichen Verhandlung stattfindet und vom Kläger nicht verschuldet ist (BFH-Urteil in BFHE 121, 286, BStBl II 1977, 348, sowie BFH-Beschlüsse vom 17. März 1992 XI B 38/91, BFH/NV 1992, 679, und vom 14. Juni 1995 VIII B 126--127/94, BFH/NV 1996, 144); dem neuen Prozeßbevollmächtigten muß mindestens die Ladungsfrist von zwei Wochen zur Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung zur Verfügung stehen (BFH-Urteil vom 6. Februar 1992 V R 38/85, BFH/NV 1993, 102). Im Streitfall hat RA C das Mandat bereits ein Jahr vor der mündlichen Verhandlung übernommen.
Auch wenn man aufgrund der besonderen Umstände des Streitfalles annähme, die Zeit für die Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung wäre zu knapp bemessen gewesen, hätte das FG den Termin nicht von vornherein aufheben oder verlegen müssen. Es konnte den Termin auch durchführen und anschließend vertagen. Ein solches Vorgehen kann bei sachlich und rechtlich schwierigen Fällen sogar geboten sein, um mit dem Bevollmächtigten und dem Kläger zusammen zu klären, worauf es für die Entscheidung ankommt und welche Angaben oder Beweismittel noch beizubringen sind. Nach der FGO soll der Rechtsstreit zwar möglichst in einer mündlichen Verhandlung erledigt werden (vgl. §79 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die mündliche Verhandlung muß jedoch nicht mit einer den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung enden. Es steht im Ermessen des Gerichts, eine mündliche Verhandlung auch dann durchzuführen, wenn der Rechtsstreit noch nicht entscheidungsreif ist. Der Prozeßbevollmächtigte selbst hatte nach Übernahme des Mandats einen Erörterungstermin angeregt. Erörterungstermine werden zwar im allgemeinen vom Vorsitzenden oder Berichterstatter allein abgehalten (vgl. §79 Abs. 1 Nr. 1 FGO). Das schließt aber nicht aus, die Sache im Einzelfall vor dem Vollsenat zu erörtern.
VRiFG B hat somit dadurch, daß er die mündliche Verhandlung durchgeführt hat, obwohl RA C geltend gemacht hat, ihm stehe nicht genügend Zeit für die Vorbereitung zur Verfügung, nicht gegen Verfahrensvorschriften verstoßen. Ein mit dem Verfahrensrecht übereinstimmendes Vorgehen kann aber keinen Anlaß geben, an der Unvoreingenommenheit des Vorsitzenden oder des Berichterstatters zu zweifeln. Insbesondere kann aus der Durchführung des Termins nicht geschlossen werden, die Richter hätten sich bereits eine feste Meinung gegen den Kläger gebildet und wollten ihn nicht mehr anhören. Ebensowenig ist es zu beanstanden, daß der Vorsitzende sich zunächst mit dem Senat beraten hat, ob eine Durchführung der mündlichen Verhandlung sinnvoll ist.
d) Auch die Aufforderung des Berichterstatters, bis zur mündlichen Verhandlung das in der Klageschrift angekündigte Sanierungskonzept vorzulegen, kann nicht den Eindruck einer unsachlichen Einstellung gegenüber dem Kläger hervorrufen. Erhöhungen des Betriebsvermögens, die dadurch entstehen, daß Schulden zum Zweck der Sanierung erlassen werden, sind nach §3 Nr. 66 des Einkommensteuergesetzes steuerfrei, wenn der Betrieb sanierungsbedürftig sowie zur Sanierung geeignet ist und die Gläubiger mit dem Erlaß eine Sanierung beabsichtigen. Ein mit den Gläubigern erarbeitetes Sanierungskonzept könnte diese Voraussetzungen belegen. Die Tatsache, daß der Berichterstatter irrtümlich angenommen hat, es bestehe bereits ein ausgearbeitetes Konzept, welches nur vorgelegt zu werden brauche, erweckt nicht den Anschein, daß er sich hinsichtlich des Prozeßausgangs bereits festgelegt hat. Aus einem Fehler oder Irrtum des Richters läßt sich allein kein Ablehnungsgrund herleiten (vgl. BFH-Beschluß vom 1. Juni 1994 X B 140/92, BFH/NV 1995, 223, m. w. N.).
Fundstellen
Haufe-Index 66848 |
BFH/NV 1998, 599 |