Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer, Verfahrensrecht, Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Wird eine Kapitalgesellschaft während eines schwebenden Steuerprozesses gemäß § 2 des Gesetzes über die Auflösung und Löschung von Gesellschaften und Genossenschaften vom 9. Oktober 1934 (RGBl 1934 I S. 914) im Handelsregister gelöscht, so wird das Verfahren unterbrochen.
Es steht dem Finanzamt frei, ohne Rücksicht auf die Unterbrechung des Verfahrens gegen die Gesellschaft das Haftungsverfahren aus § 109 AO gegen den gesetzlichen Vertreter der gelöschten Gesellschaft einzuleiten.
Normenkette
StAnpG § 7; AO §§ 109-110; LöschG § 2
Tatbestand
A. war seit 1954 Alleingesellschafter und Geschäftsführer der im Jahre 1953 gegründeten Firma R.- GmbH (abgekürzt: R.- GmbH neu) - Bfin. -, die einen Handel mit Baumaterial betrieb. A. besaß außerdem 95.000 DM des 100.000 DM betragenden Stammkapitals einer im Jahre 1948 gegründeten und zunächst als B.-GmbH bezeichneten und dann im Juni 1955 ebenfalls in R.- GmbH umbenannten anderen GmbH (abgekürzt R.- GmbH alt). Am 28. Januar 1955 verkaufte A. seine zum Privatvermögen gehörenden Geschäftsanteile an der R.- GmbH alt an die Bfin. für 50.000 DM. Die Bfin. aktivierte zunächst die erworbene Beteiligung mit 50.000 DM, schrieb sie dann aber zum 31. Dezember 1955 auf 25.000 DM ab.
Das Finanzamt erkannte diese Abschreibung nicht an; es nahm an, der Kaufpreis von 50.000 DM sei von vornherein überhöht gewesen und nur wegen der Stellung des Verkäufers als alleiniger Gesellschafter-Geschäftsführers der Bfin. gezahlt worden; in Wirklichkeit liege in Höhe von 25.000 DM eine verdeckte Gewinnausschüttung vor. Die Bfin. machte demgegenüber geltend, daß mit den Anteilen ein Bezugskontingent für Zement von der Firma R.- GmbH alt auf sie übergegangen sei; dieses Kontingent habe sie zur Erlangung einer höheren Rabattspanne beim Bezug von Zement benötigt; bei einer Veräußerung ihres Unternehmens im ganzen hätte sie allerdings für das Bezugsrecht am 31. Dezember 1955 keine 50.000 DM mehr erzielen können, so daß die Teilwertabschreibung gerechtfertigt sei. Der Einspruch blieb erfolglos.
Die Berufung hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht führte aus: Bei der R.- GmbH alt hätte nur noch das Bezugsrecht, das sie an die Bfin verkauft habe, einen Wert gehabt. Die Geschäftsanteile selbst seien wertlos gewesen; denn die R.- GmbH alt sei schon im Jahre 1954 stillgelegt und im Jahre 1957 im Handelsregister gelöscht worden. Die Bfin. habe die wertlosen Geschäftsanteile nur übernommen, um das Rabattrecht zu erwerben. Der Kaufpreis von 50.000 DM, den A. eingezogen habe, habe in Wirklichkeit der R.- GmbH alt zugestanden; die Zahlung der 50.000 DM sei eine Gewinnausschüttung der R.- GmbH alt an ihren Gesellschafter A., nicht eine Gegenleistung der Bfin. an A. für die wertlosen Geschäftsanteile gewesen. Die Voraussetzungen einer Teilwertabschreibung auf das erworbene Rabattrecht lägen bei der Bfin. nicht vor.
Die Rb. wurde am 23. Januar 1959 durch Telegramm beim Finanzgericht eingelegt und durch den Schriftsatz vom 27. Januar 1959 begründet. Das Urteil des Finanzgerichts vom 18. Dezember 1958 war dem Vertreter der Bfin. am 10. Januar 1959 zugestellt worden. Mit Schreiben vom 27. Oktober 1959 zeigte der Vertreter an, daß die Bfin. am 7. Februar 1959 nach § 2 des Gesetzes über die Auflösung und Löschung von Gesellschaften und Genossenschaften (LöschG) vom 9. Oktober 1934 (RGBl 1934 I S. 914) im Handelsregister von Amts wegen gelöscht worden sei. Da sie somit nicht mehr bestehe und auch kein Geschäftsführer mehr vorhanden sei, könne das Rechtsbeschwerdeverfahren nicht fortgeführt werden. Das Finanzamt verlangt die Fortführung des Verfahrens.
Entscheidungsgründe
Die Ermittlungen des Senats haben ergeben: Die Bfin. wurde am 7. Februar 1959 auf Anregung ihres alleinigen Gesellschafter-Geschäftsführers im Handelsregister gelöscht. Dem Antrag war eine Erklärung des Bevollmächtigten vom 23. Januar 1959 beigefügt, wonach die Bfin. vermögenslos war. Das Amtsgericht nahm die Löschung ohne eigene Prüfung vor. Die Firma X. erhob am 7. Juni 1960 gegen die Löschung Beschwerde, weil sie noch eine Forderung gegen die GmbH habe; die Beschwerde wurde am 25. November 1960 aus nicht bekannten Gründen zurückgenommen. Nach den Feststellungen des Finanzamts hat der Gesellschafter-Geschäftsführer vor der Löschung das Vermögen der Bfin. übernommen und ihre Schulden beglichen. Nach seiner Angabe hat er dabei rund 2.800 DM mehr bezahlt, als er an Vermögen übernommen hat. Greifbares Vermögen der Bfin. ist anscheinend nicht vorhanden. Sie schuldet dem Finanzamt rund 10.500 DM an Körperschaftsteuer 1955 und 1956, Abgabe Notopfer Berlin 1955 und Vermögensteuer 1959.
Es ist festzustellen, daß das Rechtsbeschwerdeverfahren unterbrochen ist.
Wird eine Kapitalgesellschaft gemäß § 2 LöschG wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht, so gilt die Gesellschaft mit der Löschung als aufgelöst; eine Liquidation findet nicht statt. Stellt sich nach der Löschung heraus, daß doch noch Vermögen vorhanden ist, so findet eine Liquidation statt; die Liquidatoren werden auf Antrag eines Beteiligten vom Gericht ernannt. Die Löschung hat keine rechtsgestaltende Wirkung in dem Sinne, daß sie die Gesellschaft endgültig zum Erlöschen bringt; sie hat vielmehr die Bedeutung der Beurkundung einer Tatsache (Entscheidung des Bundesgerichtshofs VIII ZR 68/56 vom 4. Juni 1957, Wertpapier-Mitteilungen Teil IV B S. 975; siehe auch Hachenburg, Kommentar zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 6. Aufl., § 60 Anhang, Anm. 4). Eine Liquidation braucht nicht stattzufinden, weil es mangels Vermögens nichts zu liquidieren gibt. Die gesetzliche Vertretungsbefugnis des Vorstands oder der Geschäftsführer erlischt mit der Löschung der Gesellschaft. Stellt sich nach der Löschung heraus, daß noch verteilbares Vermögen vorhanden ist, so lebt die Gesellschaft nicht etwa wieder voll auf; es wird vielmehr das vorhandene Vermögen nach den Regeln der Liquidation von Liquidatoren (Abwicklern), die das Gericht bestellt, an die Berechtigten verteilt (Entscheidung des Reichsgerichts II 51/37 vom 12. Oktober 1937 in Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 156 S. 23 ff., besonders S. 27). Soweit erforderlich, wird die gelöschte Gesellschaft als Liquidationsgesellschaft (Abwicklungsgesellschaft) wieder im Handelsregister eingetragen (Entscheidung des Kammergerichts 1 Wx 718/36 vom 11. Februar 1937 in Juristische Wochenschrift 1937 S. 1739). Ist noch Vermögen vorhanden, so steht es dem Gläubigerzugriff frei; die gelöschte Gesellschaft kann insoweit von ihrem Gläubiger als Rechtspersönlichkeit belangt werden (Entscheidung des Reichsgerichts II 48/35 vom 12. November 1935 in Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 149 S. 293 ff., besonders S. 296); sie bleibt aktiv und passiv parteifähig (Baumbach-Hueck, 10. Aufl. 1959, Anhang nach § 204 des Aktiengesetzes, Anm. 3 zu § 2 LöschG).
Im Streitfall war die Rb. zulässig. Sie ist am 23. Januar 1959, also vor der am 7. Februar 1959 vorgenommenen Löschung der Gesellschaft, eingelegt worden. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Gesellschaft am 23. Januar 1959 noch Vermögen hatte und ob damals schon die Absicht bestand, ihre Löschung von Amts wegen anzuregen. Die oben erwähnte Rechtsprechung des Reichsgerichts geht zwar davon aus, daß die Löschung wegen Vermögenslosigkeit nach § 2 LöschG kein konstitutiver Akt sei, sondern nur das bestätige, was ohnehin feststehe, nämlich daß eine Gesellschaft, die keinerlei Vermögen mehr habe, tot sei. Mit Recht hat das Reichsgericht aber in der Entscheidung VII 331/36 vom 27. April 1937 (Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 155 S. 42 ff., besonders S. 48) den Gedanken herausgestellt, daß die Vermögenslosigkeit der Gesellschaft die Erwirkung eines Titels gegen sie nicht ausschließt. Die Vermögenslosigkeit der Gesellschaft kann auch nicht dazu führen, ihr das Recht abzusprechen, sich gegen eine Steuerforderung zu wehren. Sie hat daran auch ein Interesse, um für den Fall, daß später Vermögen bekannt wird, den Zugriff des Steuerfiskus auf dieses Vermögen auszuschließen. Entscheidend muß für die Parteifähigkeit sein, daß die Gesellschaft formalrechtlich besteht und durch ihren Geschäftsführer rechtswirksam handeln kann.
Im Streitfall war aber durch die Löschung die gesetzliche Vertretungsbefugnis des A. erloschen. Daß das Gesetz selbst von dem Erlöschen der gesetzlichen Vertretungsmacht ausgeht, ergibt sich daraus, daß bei Vorhandensein von Vermögen nicht etwa ohne weiteres der frühere Geschäftsführer die Gesellschaft weitervertreten kann, sondern daß vom Gericht ein Liquidator bestellt werden muß. Auch wenn man also unterstellen würde, daß die Gesellschaft noch Vermögen hätte, so wäre das auf die Vertretungsbefugnis des A. ohne Einfluß. Das gilt auch für den Steuerprozeß; aus § 110 AO, auf den sich das Finanzamt beruft, kann nichts anderes hergeleitet werden; denn diese Vorschrift betrifft nur die persönliche Haftung eines gesetzlichen Vertreters für Steuerschulden der Gesellschaft.
Wird eine Gesellschaft nach § 2 LöschG gelöscht, während ein Prozeß gegen sie schwebt, so kann der Prozeß mit der Löschung nicht etwa ohne weiteres erledigt sein. Gegen eine solche Annahme spricht, daß sonst die Gesellschafter die Interessen der Gläubiger willkürlich schädigen könnten. Andererseits kann das Verfahren gegen die Gesellschaft nicht fortgeführt werden, solange sie keinen gesetzlichen Vertreter hat, der für sie handeln und Erklärungen abgeben kann. Bei dieser Lage scheint es sachgemäß anzunehmen, daß das Verfahren unterbrochen wird und erst fortgeführt werden kann, wenn entweder auf die Beschwerde des Gläubigers das Registergericht die Löschung - als zu Unrecht erfolgt - wieder rückgängig macht und damit die Gesellschaft im alten Zustand weiterbesteht oder wenn das Gericht auf Antrag des Gläubigers einen Liquidator bestellt, der dann als gesetzlicher Vertreter die Gesellschaft als Liquidationsgesellschaft vertritt. Die Gerichte müssen, wenn der Rechtsstreit eines Gläubigers durch die Löschung unterbrochen wird, nach Auffassung des Senats dem Antrag des Gläubigers auf Bestellung eines Liquidators großzügig entsprechen, schon um dem Gläubiger die Möglichkeit zu geben, einen Titel zu erwerben, aus dem er gegen die Gesellschaft vollstrecken kann, wenn gelegentlich Vermögen bekannt werden sollte.
Nach allem ist das Rechtsbeschwerdeverfahren unterbrochen, bis für die gelöschte Gesellschaft ein Liquidator bestellt ist, der die Bfin. vertreten kann.
Das Finanzamt ist indessen nicht gehindert - ohne Rücksicht auf das unterbrochene Verfahren gegen die Gesellschaft -, ein Haftungsverfahren gegen deren Geschäftsführer A. aus § 109 AO einzuleiten. Nach dieser Vorschrift haften gesetzliche Vertreter persönlich neben dem Steuerpflichtigen, soweit sie durch schuldhafte Verletzung ihrer Pflichten Steueransprüche verkürzt haben. Die Haftung der gesetzlichen Vertreter setzt nicht voraus, daß der Steueranspruch zunächst gegen die Vertretenen selbst verfolgt oder rechtskräftig festgestellt sein muß. Da der Steuerschuldner und der Haftungsschuldner Gesamtschuldner im Sinne des § 7 des Steueranpassungsgesetzes sind, steht es im Ermessen des Finanzamts, an welchen der beiden Gesamtschuldner es sich halten will. Wird ein gesetzlicher Vertreter aus § 109 AO in Anspruch genommen, so sind in diesem Verfahren alle Voraussetzungen der Haftung selbständig zu prüfen, das heißt es muß festgestellt werden, ob und in welcher Höhe ein Steueranspruch gegen den Vertretenen besteht (von der Ausnahmevorschrift des § 119 Abs. 2 AO wird hier abgesehen) und ob der gesetzliche Vertreter den Anspruch des Finanzamts schuldhaft nicht erfüllt hat. Der Geschäftsführer A. kann also in einem gegen ihn gerichteten Haftungsverfahren aus § 109 AO unter anderem geltend machen, daß der in dem unterbrochenen Verfahren gegen die Gesellschaft erhobene Steueranspruch in Wirklichkeit nicht bestanden habe.
Das Finanzgericht hat zutreffend bemerkt, daß es in dem Verfahren gegen die Bfin., also die R.- GmbH neu, nicht prüfen könne, ob der Anspruch auf die Zahlung der 50.000 DM nicht der R.- GmbH alt zugestanden habe und ob nicht diese an ihren Gesellschafter-Geschäftsführer A. dadurch verdeckt Gewinn ausgeschüttet habe, daß sie ihm die 50.000 DM belassen habe. Dem Finanzamt steht frei, auch diese Frage in einem Verfahren gegen die R.- GmbH alt oder deren Gesellschafter-Geschäftsführer A. noch zu prüfen.
Fundstellen
Haufe-Index 409961 |
BStBl III 1961, 171 |
BFHE 1961, 468 |
BFHE 72, 468 |