Leitsatz (amtlich)
Der Senat verbleibt bei der ständigen Rechtsprechung zur erweiterten Kürzung des Gewinns von Grundstücksunternehmen gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG 1962.2. Eine Auslegung gegen den Gesetzeswortlaut kann nicht darauf gestützt werden, daß sich der wirkliche Wille des Gesetzgebers aus der Begründung eines parlamentarischen Initiativantrages ergebe.
Normenkette
GewStG 1962 § 9 Nr. 1 S. 2
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) die Kürzung des Gewerbeertrages gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG in Anspruch nehmen kann.
Die Klägerin, eine GmbH, die sich im Streitjahr (1963) mit der Errichtung und Verwaltung von Mietwohngebäuden sowie mit der Errichtung und dem Verkauf von Eigenheimen und Eigentumswohnungen befaßte, erzielte aus der Verwaltung eigenen Grundbesitzes einen Erlös von 1 025 979 DM und aus Eigenheimbaumaßnahmen einen Erlös von 504 979 DM. Die Mietwohnhäuser standen nach der Prüferbilanz mit 8 577 839 DM, die im Bau befindlichen und bereits fertiggestellten und den künftigen Erwerbern überlassenen Kaufeigenheime und Kaufeigentumswohnungen mit 5 787 085 DM zu Buche.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) versagte im Gewerbesteuermeßbescheid 1963 die Kürzung des Gewerbeertrages nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG, da die Errichtung und Veräußerung von Eigenheimen usw. nicht nur eine Nebentätigkeit von untergeordneter Bedeutung gegenüber der Errichtung und Verwaltung von Mietwohngebäuden gewesen sei.
Das FG wies die Klage als unbegründet zurück. Es bezog sich auf die ständige Rechtsprechung des BFH, derzufolge die Inanspruchnahme der erweiterten Kürzung nach der bezeichneten Vorschrift voraussetze, daß die Haupttätigkeit des die Vergünstigung begehrenden Unternehmens die Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes sei (vgl. BFH-Urteile vom 7. April 1967 VI 294/65, BFHE 89, 130, BStBl III 1967, 559; vom 25. Februar 1970 I R 146/67, BFHE 98, 265, BStBl II 1970, 387). Die darin liegende Differenzierung nach dem Unternehmenszweck sei auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. Beschluß des BVerfG vom 20. März 1969 1 BvR 568/67, HFR 1969, 348). Die Errichtung und Veräußerung von Kaufeigenheimen, Kleinsiedlungen und Eigentumswohnungen sei bei der Klägerin im Streitjahr nicht eine Nebentätigkeit von nur untergeordneter Bedeutung gewesen. Die Erträge aus der Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes betrügen rund 70 v. H. und die Erlöse aus der Veräußerung von Eigenheimen rund 30 v. H. der gesamten Erlöse.
In ihrer Revision beantragt die Klägerin die Aufhebung der Vorentscheidung und die Festsetzung des Gewerbesteuermeßbetrages 1963 unter Gewährung der Kürzung des Gewerbeertrages gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG. Zur Begründung führt sie im wesentlichen das Folgende aus: Die Auslegung der Kürzungsvorschrift durch den BFH entspreche nicht dem Willen des Gesetzgebers. Zwar gebe der Wortlaut der Vorschrift diesen Willen nicht klar wieder. Der Zweck der Regelung ergebe sich jedoch eindeutig aus der Entstehungsgeschichte. Daher sei eine Auslegung gegen den Wortlaut geboten. Der Wille des Gesetzgebers gehe vor allem aus der Begründung eines aus der Mitte des Bundestages eingebrachten Antrages vom 19. September 1972 (Bundestags-Drucksache VI/3797) betreffend die Auslegung des Gewerbesteuergesetzes (§ 9 Nr. 1 Satz 2) hervor. Mit diesem Antrag werde eine Neufassung des Abschn. 62 Abs. 1 GewStR 1961 durch die Bundesregierung in dem Sinne erstrebt, daß in jedem Falle die Kürzung des Gewerbeertrages eines Grundstücksunternehmens den gesamten Gewerbeertrag mit Ausnahme lediglich des auf die Verwaltung und Nutzung des eigenen Kapitalvermögens entfallenden Teils umfasse. Dem Gesetzgeber, so sei dort in der Begründung ausgeführt, sei es darauf angekommen, eine gleiche Wettbewerbslage zwischen den steuerfreien gemeinnützigen Wohnungsunternehmen einerseits und den steuerpflichtigen Unternehmen der privaten Wohnungswirtschaft (freie Wohnungsunternehmen) andererseits zu schaffen. Durch die Änderung des Gesetzes im Jahre 1961 sei eine echte, umfassende Begünstigung eingeführt worden. Sie habe der Eigentumsbildung breiter Schichten der Bevölkerung gedient. Die Wohnungsunternehmen hätten "entsprechend dem Willen des Gesetzgebers" keine Gewerbeertragsteuer bei der Berechnung der Verkaufspreise kalkuliert und somit zur Verbilligung der Preise beigetragen. Die Neufassung bedeute eine Klarstellung dessen, was der Gesetzgeber im StÄndG 1961 hinsichtlich des Gewerbesteuergesetzes (§ 9) gewollt habe. - Eine Auslegung der Vorschrift im Sinne dieser Auffassung verstieße nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Zu einer ungleichen Besteuerung führe vielmehr die vom BFH vertretene und vom BVerfG verfassungsrechtlich gebilligte Auslegung. Denn sie begünstige einseitig die verhältnismäßig wenigen großen Wohnungsunternehmen, die über erheblichen eigenen Grundbesitz verfügten (etwa 10 v. H. aller in Betracht kommenden Unternehmen) und schlösse alle übrigen Unternehmen von der Vergünstigung aus, obgleich diese keine geringeren Leistungen für den Wohnungsmarkt erbrächten. Diese Auswirkungen der Rechtsprechung des BFH ergäben sich aus einer von der Bevollmächtigten der Klägerin veranlaßten statistischen Untersuchung der wirtschaftlichen und steuerlichen Verhältnisse eines repräsentativen Teiles der in Betracht kommenden Unternehmen der Wohnungswirtschaft, die Teil der Revisionsbegründung sei. - Schließlich verstoße die rückwirkende Anwendung der Rechtsprechungsgrundsätze gegen Treu und Glauben. Das Grundsatzurteil VI 294/65 sei zu einem Zeitpunkt veröffentlicht worden, als die maßgebenden geschäftlichen Dispositionen bereits getroffen gewesen seien. Diesen Dispositionen aber hätten die Vorschriften des Abschn. 62 GewStR 1961 zugrunde gelegen. Danach hätten die Wohnungsunternehmen nach der bisherigen Rechtslage mit einer Verschärfung der Gewerbesteuerpflicht nicht zu rechnen brauchen. Auf den Streitfall könnten deshalb nur die bis zum Bekanntwerden des BFH-Urteils VI 294/65 maßgebenden Grundsätze angewendet werden (vgl. BFH-Urteil vom 16. August 1967 VI 170/65, BFHE 89, 447, BStBl III 1967, 700 [705 am Ende]).
Das FA beantragt die Abweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Der erkennende Senat hatte sich in seinem Urteil I R 146/67 nach erneuter Prüfung der Auslegung angeschlossen, die die BFH-Urteile VI 294/65 und vom 26. Oktober 1967 IV 183/65 (BFHE 90, 180, BStBl II 1968, 16) der Vorschrift des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG gegeben haben. Er hat diese Rechtsauffassung inzwischen einer Reihe nicht veröffentlichter Entscheidungen zugrunde gelegt. Der Senat hält im Hinblick auf die von der Klägerin erstmals im vorliegenden Revisionsverfahren vorgetragenen Gesichtspunkte an seiner Auffassung fest. Er bemerkt dazu noch das Folgende:
a) Wie bereits in dem Urteil I R 146/67 ausgeführt wurde, gebietet vor allem der Grundsatz der verfassungskonformen Auslegung die Deutung der Kürzungsvorschrift im Sinne der ständigen Rechtsprechung, da andernfalls der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verletzt wäre. Es wäre nicht zu rechtfertigen, wenn die Begünstigungsvorschrift von allen Wohnungs-(bau)unternehmen in Anspruch genommen werden könnte, die zusätzlich zur Errichtung und Veräußerung von Eigenheimen usw. noch eigenen Grundbesitz verwalten und nutzen, ohne daß es auf den Umfang dieser letzteren Tätigkeit ankäme, während die reinen Wohnungsbau- und Verkaufsunternehmen nicht in den Genuß der Kürzungsvorschrift kämen. Eine solche Unterscheidung wäre sinnwidrig und willkürlich. Sie kann dem Gesetz nicht zugrunde liegen. Dagegen ist es sinnvoll, Unternehmen zu begünstigen, die im wesentlichen die Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes zum Gegenstand haben. Eine Auslegung des Gesetzes in diesem Sinne ist nicht willkürlich, und zwar auch nicht im Hinblick darauf, daß die Kürzungsvorschrift nur einer verhältnismäßig geringen Zahl von Unternehmen zugute kommt. Das BVerfG hat diese Rechtsauffassung wiederholt, zuletzt in dem gemäß § 93a BVerfGG ergangenen Beschluß vom 19. September 1972 1 BvR 183/72 (HFR 1972, 659), auf den Bezug genommen wird, unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten gebilligt.
b) Aus diesen Erwägungen ergibt sich bereits, daß eine Auslegung des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG gegen den Wortlaut mit dem Ziele einer unterschiedslosen Begünstigung von Wohnungsunternehmen nicht in Betracht kommen kann. Sie wäre nur dann geboten, wenn die Auslegung andernfalls zu einem sinnwidrigen oder wirtschaftlich unvertretbaren Ergebnis führte und ein verständiger Steuerpflichtiger das Gesetz so nicht auffassen konnte (vgl. BFH-Urteile vom 8. September 1953 I 57/52 U, BFHE 58, 138, 145 ff., BStBl III 1953, 344; vom 14. Februar 1958 VI 162/55 U, BFHE 66, 539, BStBl III 1958, 207; vom 27. Februar 1962 I 208/60 S, BFHE 74, 662, BStBl III 1962, 244; vom 24. Februar 1966 V 115/63, BFHE 85, 140, BStBl III 1966, 261). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
c) Angesichts dieser objektiven Gesetzeslage kann der Entstehungsgeschichte keine entscheidende Bedeutung zukommen. Maßgebend für die Auslegung ist, wie das BVerfG wiederholt betont hat und worin ihm der BFH gefolgt ist, der in der Gesetzesvorschrift zum Ausdruck gekommene "objektivierte Wille des Gesetzgebers", so wie er sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den die Vorschrift gestellt ist (vgl. Entscheidungen des BVerfG vom 21. Mai 1952 2 BvH 2/52, BVerfGE 1, 299 [312]; vom 17. Mai 1960 2 BvL 11/59, 11/60, BVerfGE 11, 126 [129 ff.]; BFH-Urteil vom 3. Juli 1963 I 276/61 S, BFHE 77, 394, BStBl III 1963, 464; vgl. dazu neuestens - mit weiteren Nachweisen - Schwalm, Der objektivierte Wille des Gesetzgebers, in: Festschrift für E. Heinitz, 1972 S. 47 ff.). Nicht entscheidend ist hiernach die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner Mitglieder über die Bedeutung der Vorschrift. Der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift kommt, wie das BVerfG a. a. O. dargelegt hat, nur insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit einer nach den in erster Linie maßgebenden Auslegungskriterien - Wortlaut, Sinn und Zweck - ermittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die mit diesen objektiven Kriterien allein nicht ausgeräumt werden können.
Der Zweck, den Eigenheimbau als solchen zu begünstigen, ist im Gesetz nicht zum Ausdruck gekommen. Die Begründung der von der Klägerin hervorgehobenen parlamentarischen Initiative vom 19. September 1972 kann deshalb schon aus diesen Gründen nicht zu einer veränderten Beurteilung der objektiven Gesetzeslage führen. Auch das weitere parlamentarische Schicksal des Antrages ist ohne Bedeutung. Eine Änderung der Rechtslage könnte nur durch ein rückwirkendes Gesetz herbeigeführt werden.
d) Schließlich kann die Klägerin auch mit ihrer Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben keinen Erfolg haben. Denn die in Abschn. 62 Abs. 1 GewStR 1961 getroffene, seit der Neufassung des Gewerbesteuergesetzes durch das Gesetz vom 18. Juli 1958 (BGBl I 1958, 473) bis zum Streitjahr zweimal geänderten Verwaltungsanordnungen (Gewerbesteuer-Richtlinien 1958 und 1961, BStBl I 1962, 874 und 941) waren nicht eindeutig im Sinn der von der Klägerin vertretenen Auslegung des Gesetzes. Das zeigt sich besonders deutlich an dem oben erwähnten Antrag aus der Mitte des Bundestages vom 19. September 1972, dessen Ziel es war, eben eine solche, dem Begehren der Klägerin Rechnung tragende Anordnung nachträglich herbeizuführen. Da der Grundsatz von Treu und Glauben schon aus diesem Grunde hier nicht zur Anwendung kommt, hat der Senat nicht auf die Frage einzugehen, ob und in welchem Umfange allgemein Verwaltungsanordnungen bei der Auslegung von Steuergesetzen unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben Bedeutung zukommen kann (vgl. dazu BFH-Urteil I R 146/67).
Fundstellen
Haufe-Index 70382 |
BStBl II 1973, 410 |
BFHE 1973, 366 |