Entscheidungsstichwort (Thema)
Zurückbehaltung wesentlicher Betriebsgrundlagen
Leitsatz (NV)
- Als Tatbestandsmerkmal des § 16 EStG (bzw. des § 18 Abs. 3 EStG) ist der Begriff der wesentlichen Betriebsgrundlage i.S. einer kombinierten funktional-quantitativen Betrachtungsweise auszulegen. Danach gehören zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen die Wirtschaftsgüter, die nach der Art des Betriebs und ihrer Funktion im Betrieb für diesen wesentlich sind, und auch die Wirtschaftsgüter, die erhebliche stille Reserven enthalten.
- Ein Gebäude ist eine wesentliche Betriebsgrundlage im funktionalen Sinne, wenn es für die Betriebsführung der Betriebsgesellschaft von nicht nur geringer Bedeutung ist. Das ist stets anzunehmen, wenn es der räumliche und funktionale Mittelpunkt der Geschäftstätigkeit des Betriebsunternehmens ist. Eine besondere Gestaltung für den jeweiligen Unternehmenszweck der Betriebsgesellschaft (branchenspezifische Herrichtung und Ausgestaltung) ist nicht erforderlich; notwendig ist allein, dass das Grundstück die räumliche und funktionale Grundlage für die Geschäftstätigkeit der Betriebsgesellschaft bildet und es ihr ermöglicht, ihren Geschäftsbetrieb aufzunehmen und auszuüben.
- Bei der Beurteilung der Erheblichkeit der stillen Reserven ist nicht nur der relative Anteil der nicht aufgedeckten stillen Reserven von Bedeutung; auch deren absolute Größe muss in die Beurteilung einfließen. Es kann dahin stehen, wo genau die (absolute und relative) Grenze zu ziehen ist.
Normenkette
EStG §§ 16, 18 Abs. 3, § 34 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Wirtschaftsprüfungs-, Steuerberatungs- und Rechtsanwaltskanzlei, die in der Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) betrieben wurde. Bis Ende 1995 waren an ihr folgende Gesellschafter beteiligt:
A |
98 000 DM |
98 % |
B |
1 000 DM |
1 % |
C |
1 000 DM |
1 % |
Gesamt |
100 000 DM |
100 % |
A veräußerte in den Jahren 1996 bis 1998 sukzessive Anteile an B und C sowie an seinen im Jahr 1997 in die Mitunternehmerschaft aufgenommenen Bruder D, so dass die die Beteiligung repräsentierenden Festkapitalkonten zum 31. Dezember 1998 folgende Beträge auswiesen:
A |
55 000 DM |
55 % |
B |
15 000 DM |
15 % |
C |
15 000 DM |
15 % |
D |
15 000 DM |
15 % |
Gesamt |
100 000 DM |
100 % |
Die Klägerin wurde während der Streitjahre in den Geschäftsräumen E-Straße (ca. 25 Mitarbeiter) und in den Zweigniederlassungen S-Straße (ca. 4-5 Mitarbeiter) und K-Straße (ca. 1-2 Mitarbeiter) betrieben und nutzte dabei folgende Räumlichkeiten:
E-Straße, 2. Obergeschoss: 285 qm
7 Tiefgaragenstellplätze und 1 Freiparkplatz
Eigentümer: A ―Teileigentum, Kauf am 31. Dezember 1985―
Die Büroräume befanden sich im Sonderbetriebsvermögen (SBV) des A und wurden an die Klägerin vermietet.
E-Straße, 1. Obergeschoss: 233 qm 4 Tiefgaragenstellplätze
Eigentümerin: H ―Teileigentum, Kauf im Jahr 1996―
Die Büroräume wurden an die Klägerin vermietet (Privatvermögen).
E-Straße, 2. Obergeschoss: 135 qm
Die Büroräume hatte A von der K-Bank angemietet und an die Klägerin weiter vermietet.
S-Straße: 141 qm
Die Räume wurden von der Klägerin angemietet.
K-Straße: 80 qm
Die Räume wurden von der Klägerin angemietet.
Nach einer Außenprüfung ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) davon aus, dass die Veräußerung von Anteilen an Mitunternehmeranteilen gemäß § 18 Abs. 3 i.V.m. § 34 Abs. 2 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) grundsätzlich tarifbegünstigt sei. Einer Tarifbegünstigung stehe jedoch entgegen, dass wesentliche Betriebsgrundlagen des SBV nicht mitübertragen worden seien. Das Büro werde zu 20 % in von A angemieteten (135 qm) und zu 44 % in dessen Eigentum stehenden Büroräumen (285 qm) betrieben. Diese Räume seien von wesentlicher Bedeutung; das Büro könne nicht nur in den angemieteten Räumen betrieben werden.
Die nach erfolglos durchgeführtem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 1. Juli 2003 VIII R 24/01 (BFHE 202, 535, BStBl II 2003, 757) sei auch ein "Allerweltsbürogebäude" eine wesentliche Betriebsgrundlage. Angesichts des Umstandes, dass die Räume im SBV ein Drittel der Gesamtnutzungsfläche ausmachten, sei die Bedeutung dieser Räume nicht gering. Ob arbeitsrechtlich die Betriebsführung auch auf einer kleineren Bürofläche möglich gewesen wäre, sei unerheblich; abzustellen sei auf die tatsächliche Betriebsführung.
Mit der vom FG zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend:
1. Aufgrund der besonderen Merkmale freier Berufstätigkeit sei die Wesentlichkeitsdefinition von Betriebsgrundlagen im Bereich des einem freien Beruf dienenden Vermögens eine andere als im Bereich gewerblicher Unternehmen, die durch den Einsatz gewerblich genutzten Betriebsvermögens geprägt seien. Dies sei auch bei der Bestimmung der Wesentlichkeit einzelner Betriebsgrundlagen zu beachten.
2. Ein Gebäude sei dann wesentlich, wenn es benötigt werde und von besonderem Gewicht für die Betriebsführung sei. Geringe Bedeutung habe ein Gebäude dann, wenn der Betrieb ohne das Gebäude ohne einschneidende Änderungen fortgeführt werden könne. Im Streitfall fehle es gerade an dieser Voraussetzung; ohne die im Eigentum des A stehende Fläche habe die Praxis zu jedem Zeitpunkt und ohne jede Einschränkung fortgeführt werden können.
3. Entgegen der Auffassung des FG komme es für die Frage der funktionalen Wesentlichkeit auch nicht auf das größenmäßige Verhältnis einer im SBV stehenden Teilfläche zur Gesamtfläche an. Die Frage der funktionalen Wesentlichkeit oder Geringfügigkeit sei ausschließlich danach zu beurteilen, welches Gewicht das Gebäude (hier die Teilfläche) tatsächlich für die Betriebsführung besitze.
4. Die im SBV befindliche Teilfläche habe an den gesamten stillen Reserven der Mitunternehmerschaft nur einen Anteil von rund 4,5 bis 5,5 %, so dass auch nach quantitativen Kriterien eine wesentliche Betriebsgrundlage nicht gegeben sei. Eine absolute Grenze hätten weder der Gesetzgeber noch die höchstrichterliche Rechtsprechung definiert.
5. Der Streitfall unterscheide sich von dem Fall, der der Entscheidung des BFH vom 12. April 2000 XI R 35/99 (BFHE 192, 419, BStBl II 2001, 26) zugrunde gelegen habe. In jenem Fall sei eine Fortführung des Betriebs ohne das Gebäude nicht möglich und der Anteil an den stillen Reserven sei höher gewesen.
Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die anlässlich der Veräußerung von Mitunternehmeranteilen erzielten Gewinne
1996 in Höhe von |
156 000 DM, |
1997 in Höhe von |
157 600 DM und |
1998 in Höhe von |
1 458 326 DM |
als gemäß § 18 Abs. 3, § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG tarifbegünstigte Veräußerungsgewinne festzustellen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Wegen der funktionalen Bedeutung der im SBV stehenden Teilfläche für den Betrieb werde auf die Einspruchsentscheidung vom 7. Januar 2003 und auf das FG-Urteil Bezug genommen. In quantitativer Hinsicht dürfe nicht nur auf den Anteil an den gesamten stillen Reserven der Mitunternehmerschaft abgestellt werden. Entscheidend sei vielmehr der absolute Betrag. Nach den Berechnungen der Klägerin beliefen sich die stillen Reserven auf ca. 186 000 bis 230 000 DM, nach den Feststellungen der Betriebsprüfung auf über 600 000 DM.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) als unbegründet zurückzuweisen; das angefochtene Urteil ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
1. Gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG kommen als außerordentliche Einkünfte u.a. Veräußerungsgewinne i.S. der §§ 16 und 18 Abs. 3 EStG in Betracht. Gemäß § 18 Abs. 3 Satz 1 EStG gehört zu den Einkünften aus selbständiger Tätigkeit auch der Gewinn, der bei der Veräußerung eines Anteils am Vermögen erzielt wird, das der selbständigen Arbeit dient. Vergleichbar gehört nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn, der bei der Veräußerung des Anteils eines Gesellschafters, der als Unternehmer (Mitunternehmer) des Betriebs anzusehen ist (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG), erzielt wird.
2. Eine Veräußerung i.S. des § 18 Abs. 3 EStG ist gegeben, wenn die wesentlichen Grundlagen der selbständigen Tätigkeit auf den Erwerber übertragen werden. Als Tatbestandsmerkmal des § 16 EStG (bzw. des § 18 Abs. 3 EStG) ist der Begriff der wesentlichen Betriebsgrundlage im Sinne einer kombinierten funktional-quantitativen Betrachtungsweise auszulegen (BFH-Urteile vom 2. Oktober 1997 IV R 84/96, BFHE 184, 425, BStBl II 1998, 104, und vom 16. Dezember 2004 IV R 3/03, BFH/NV 2005, 879). Diese Betrachtungsweise gilt auch bei der Veräußerung freiberuflich genutzten Vermögens (BFH-Urteile vom 10. November 2005 IV R 7/05, Deutsches Steuerrecht ―DStR― 2006, 23, und vom 10. November 2005 IV R 29/04, DStR 2005, 2164). Danach gehören zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen die Wirtschaftsgüter, die nach der Art des Betriebs und ihrer Funktion im Betrieb für diesen wesentlich sind, und auch die Wirtschaftsgüter, die erhebliche stille Reserven enthalten (vgl. Schmidt/Wacker, Einkommensteuergesetz, 24. Aufl. 2005, § 15 Rz. 813, § 16 Rz. 101, jeweils m.w.N.).
Ein Gebäude ist eine wesentliche Betriebsgrundlage im funktionalen Sinne, wenn es für die Betriebsführung von nicht nur geringer Bedeutung ist. Das ist stets anzunehmen, wenn es der räumliche und funktionale Mittelpunkt der Geschäftstätigkeit ist (BFH-Urteile vom 23. Mai 2000 VIII R 11/99, BFHE 192, 474, BStBl II 2000, 621; vom 23. Januar 2001 VIII R 71/98, BFH/NV 2001, 894, und in BFHE 202, 535, BStBl II 2003, 757). Eine besondere Gestaltung für den jeweiligen Unternehmenszweck (branchenspezifische Herrichtung und Ausgestaltung) ist nicht erforderlich; notwendig ist allein, dass das Grundstück die räumliche und funktionale Grundlage für die Geschäftstätigkeit bildet und es ermöglicht, den Geschäftsbetrieb aufzunehmen und auszuüben (BFH-Urteil vom 11. Februar 2003 IX R 43/01, BFH/NV 2003, 910).
3. Im Streitfall sind diese Voraussetzungen erfüllt. Die im Eigentum des A stehenden Büroräume sind für die Betriebsführung nicht nur von geringem Gewicht; sie bilden den räumlichen und auch funktionalen Mittelpunkt des Betriebs der Klägerin. Neben der absoluten Größe der Räume von 285 qm und dem daraus resultierenden Anteil von 43,6 % an der gesamten Bürofläche der Hauptniederlassung spricht für diese Beurteilung auch der Umstand, dass die anderen Räumlichkeiten nur angemietet waren und damit dem Unternehmen nicht vergleichbar sicher zur Verfügung standen. Die Räumlichkeiten des 1. und des 2. Obergeschosses wurden gleichartig genutzt und waren durch einen zusätzlichen Treppenaufgang miteinander verbunden. Die Räume des SBV waren nach ihrer Lage, ihrer Größe und ihrer Nutzung dem Betrieb angepasst und für eine dauerhafte Nutzung vorgesehen. In den überlassenen Räumen wurde ein erheblicher Anteil der Geschäftstätigkeit abgewickelt. Bei dem Anteil der im SBV stehenden Räumlichkeiten von 43,6 % kann auch die von der Rechtsprechung anerkannte "quantitative" Ausnahme für Baulichkeiten von geringer Größe nicht zum Zuge kommen (vgl. BFH-Urteil vom 4. November 1992 XI R 1/92, BFHE 169, 452, BStBl II 1993, 245; Schmidt/Wacker, a.a.O., § 15 Rz. 812).
Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt es nicht darauf an, ob der Betrieb in anderen Räumen oder ohne diese Räume ohne einschneidende Änderungen hätte fortgeführt werden können. Die Möglichkeit der Beschränkung ist ebenso wenig von entscheidender Bedeutung wie die Möglichkeit, am Markt jederzeit ein anderes ebenfalls geeignetes Gebäude anmieten oder erwerben zu können (vgl. BFH-Urteil vom 26. Mai 1993 X R 78/91, BFHE 171, 476, BStBl II 1993, 718; Schmidt/Wacker, a.a.O., § 15 Rz. 811). Entscheidend ist die tatsächliche funktionale Bedeutung, die sich aus der tatsächlichen Nutzung der überlassenen Baulichkeiten ergibt.
4. Aber auch im Hinblick auf den Umfang der im SBV enthaltenen und nicht aufgedeckten stillen Reserven sind die Räume als eine wesentliche Betriebsgrundlage zu qualifizieren. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist nicht nur der relative Anteil der nicht aufgedeckten stillen Reserven von Bedeutung; auch deren absoluter Betrag muss in die Beurteilung einfließen. Im Streitfall überschreitet der Wert der nicht aufgedeckten stillen Reserven diesen Betrag bei weitem; stille Reserven ―nach Berechnungen der Klägerin selbst mindestens― in einer Höhe von 186 000 DM können in jedem Fall nicht als unwesentlich angesehen werden, wobei der Senat offen lassen kann, wo genau die (absolute und relative) Grenze zu ziehen ist.
Auch unter "quantitativen" Gesichtspunkten wurden daher wesentliche Betriebsgrundlagen zurückbehalten, so dass auch aus diesem Grund eine begünstigte Versteuerung des Veräußerungsgewinns nicht in Betracht kommen konnte.
Fundstellen
Haufe-Index 1523520 |
BFH/NV 2006, 1455 |
HFR 2006, 879 |