Leitsatz (amtlich)
Einheitlich gestaltete Fässer und Kisten zum Transport von Materialien sind auch dann als der selbständigen Nutzung fähige Wirtschaftsgüter i. S. des § 6 Abs. 2 EStG a. F. anzusehen, wenn sie zum Zwecke der Vermietung angeschafft wurden und im Rahmen eines bis zu einem bestimmten Zeitpunkt fest abgeschlossenen Mietvertrags einem anderen Unternehmen überlassen werden.
Normenkette
EStG § 6 Abs. 2 a.F.
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) wurde durch Gesellschaftsvertrag vom ... gegründet. Gegenstand des Unternehmens ist der Ankauf oder Verkauf von Verpackungsmaterial und dessen Verwertung durch Abschluß von Miet- oder Leasingverträgen oder dessen sonstige Nutzung. Mit Kaufvertrag vom 20. Dezember 1974 erwarb die Klägerin von der Fa. X sämtliche in deren Eigentum befindliche verzinkten Fässer mit einem Fassungsvermögen von 200 I und Kisten des Typs t und y. Der Gesamtkaufpreis ohne Mehrwertsteuer betrug 467 844 DM. Aufgrund eines ebenfalls am 20. Dezember 1974 abgeschlossenen Mietvertrags vermietete die Klägerin die erworbenen Kisten für 61 500 DM jährlich und die Fässer für 10 440 DM jährlich bis zum 31. Dezember 1977 an die Fa. X, die die Kisten wie bisher zum Transport von ... und anderen Materialien und die Fässer insbesondere zum Transport von ... verwendete.
Auf den Inhalt der abgeschlossenen Verträge (Gesellschaftsvertrag, Mietvertrag und Kaufvertrag) ist im Urteil der Vorinstanz Bezug genommen.
Die Kisten und Fässer sind einheitlich gestaltet. Als Beschriftung tragen die Kisten lediglich rote Aufkleber, die den Hinweis auf den Inhalt geben; die Fässer sind nicht beschriftet oder tragen lediglich Versandhinweise. Die Kisten wurden nach Zeichnung der Fa. X gefertigt, wobei technische Besonderheiten der Produktionsanlage nicht beachtet werden mußten. Die Kisten sind geeignet, in jedem Betrieb zu Transport- und Lagerzwecken verwendet zu werden, insbesondere für Waren, die gegen Feuchtigkeit geschützt werden sollen. Die in Serie gefertigten Fässer werden auch in vielen anderen Industriebetrieben verwendet.
Die von der Klägerin für das Streitjahr in Anspruch genommene Bewertungsfreiheit gemäß § 6 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erkannte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) nicht an. Die dagegen erhobene Sprungklage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) begründete seine Entscheidung damit, daß der Nutzungszusammenhang der einzelnen Fässer und Kisten nicht unauflösbar sei. Unerheblich sei, daß die Wirtschaftsgüter einem Dritten gegen Entgelt überlassen seien. Nicht entscheidend sei auch, daß alle Kisten und Fässer an einen einzigen Kunden vermietet worden seien, zumal der Mietvertrag nur bis zum 31. Dezember 1977 befristet abgeschlossen sei.
Die Neufassung des § 6 Abs. 2 EStG durch Art. 9 Nr. 2 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) sei für das Streitjahr ohne Bedeutung, da die Neufassung erst ab 1. Januar 1977 in Kraft getreten sei (Art. 102 EGAO 1977).
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es macht unter Hinweis auf die Drucksache des Deutschen Bundestages (BT) 7/5458 - S. 4 geltend, daß die Neufassung des § 6 Abs. 2 EStG auch bei der Gewinnermittlung für Wirtschaftsjahre zu beachten sei, die vor dem Inkrafttreten des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung endeten. Da der von der Klägerin abgeschlossene Mietvertrag vom 21. Dezember 1974 bis 31. Dezember 1977 gelaufen sei, seien die einzelnen Kisten und Fässer im Betrieb der Klägerin zu keinem Zeitpunkt selbständig nutzungsfähig.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das FG hat der Klägerin zu Recht die Bewertungsfreiheit gemäß § 6 Abs. 2 EStG in der für das Streitjahr gültigen Fassung gewährt. Nach dieser Vorschrift können unter weiteren hier nicht streitigen Voraussetzungen die Anschaffungskosten oder Herstellungskosten von beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, die einer selbständigen Bewertung und Nutzung fähig sind, im Jahr der Anschaffung oder Herstellung in voller Höhe als Betriebsausgaben abgesetzt werden, wenn die Anschaffungskosten oder Herstellungskosten 800 DM für das einzelne Wirtschaftsgut nicht übersteigen.
Bei den Fässern und Kisten handelte es sich jedenfalls nach der für das Streitjahr maßgebenden Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) um Wirtschaftsgüter, die diese Voraussetzungen erfüllen.
Die Kisten und Fässer stellten Anlagevermögen dar; sie dienten dauernd dem Geschäftsbetrieb der Klägerin (§ 5 EStG i. V. m. § 151 Abs. 1, § 152 Abs. 1 des Aktiengesetzes 1965 - AktG 1965 -). Dem steht nicht entgegen, daß die Kisten und Fässer im Betrieb der Mieterin eingesetzt wurden; auch vermietete Gegenstände können dem Betrieb des auf Vermietung ausgerichteten Unternehmens dienen (vgl. BFH-Urteile vom 2. Mai 1961 I 63/60 S, BFHE 73, 744, BStBl III 1961, 537 und vom 29. November 1972 I R 178/70, BFHE 107, 468, BStBl II 1973, 148).
Auch die übrigen Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 EStG in der für das Streitjahr gültigen Fassung lagen vor.
Die Kisten und Fässer konnten ohne wesentliche Veränderung aus ihrem bisherigen Nutzungszusammenhang herausgelöst und in einen anderen Nutzungszusammenhang gestellt werden, ohne die Funktionsfähigkeit zu verlieren; der bestehende Nutzungszusammenhang war nicht unauflöslich (vgl. Urteile des erkennenden Senats vom 28. März 1973 I R 105/71, BFHE 109, 323, BStBl II 1974, 2 - Straßenleuchten - und des VIII. Senats vom 18. November 1975 VIII R 9/73, BFHE 117, 243, BStBl II 1976, 214 - Schriftenminima -). Es wäre ohne weiteres denkbar gewesen, aus dem Gesamtbestand Fässer und Kisten herauszulösen und in einem anderen Betrieb einzusetzen. Eine Änderung in der Funktion wäre dabei weder hinsichtlich der bei der Fa. X verbliebenen Bestände noch bei den herausgelösten Beständen eingetreten. Sämtliche Fässer und Kisten hätten weiterhin ihre Funktion gehabt, dem Transport bestimmter Materialien zu dienen, die in einem Produktionsprozeß benötigt werden.
Dem steht nicht entgegen, daß die Klägerin die Fässer und Kisten bis zum 31. Dezember 1977 an die Fa. X vermietet hatte; denn maßgebend ist allein, ob das einzelne Wirtschaftsgut im Falle seiner Herauslösung aus dem Nutzungszusammenhang funktionsfähig bleibt. Unerheblich ist dabei, ob gerade der die Bewertungsfreiheit gemäß § 6 Abs. 2 EStG in Anspruch Nehmende gewillt und rechtlich in der Lage ist, den Nutzungszusammenhang zu lösen.
Die einheitliche Gestaltung allein führte nicht dazu, die Kisten bzw. Fässer als einheitliches Wirtschaftsgut anzusehen. Dem steht das BFH-Urteil vom 17. Mai 1968 VI R 227/67 (BFHE 92, 386, BStBl II 1968, 567) nicht entgegen; denn es betraf einen Sonderfall, nämlich einheitlich gestaltete Gaststättenstühle, deren Rückenlehnen mit dem Zeichen einer Brauerei und anderen auf die Brauerei hinweisenden Schnitzereien versehen waren. Die besonderen Verhältnisse dieses Sachverhalts haben Annahmen nahegelegt, daß die einzelnen Stühle nicht aus dem Nutzungszusammenhang herausgelöst werden können, ohne ihre spezielle Funktionsfähigkeit zu verlieren.
Der Klägerin steht die Bewertungsfreiheit gemäß § 6 Abs. 2 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung auch zu, wenn man die Funktion der Kisten und Fässer nicht nur in ihrer technischen Verwendungsmöglichkeit sieht, sondern speziell im Zusammenhang mit dem Betrieb der Klägerin, der sich mit der mietweisen Überlassung der Fässer und Kisten befaßte. Die Fässer und Kisten konnten verschiedenen Mietern überlassen werden, d. h. die Wirtschaftsgüter konnten aus ihrem bisherigen Nutzungszusammenhang - Überlassung an die Fa. X - herausgelöst und in einen anderen Nutzungszusammenhang gestellt werden. Unerheblich ist, daß die Überlassung einer einzelnen Kiste oder eines einzelnen Fasses als anderer Nutzungszusammenhang ausschied. Auch im Rahmen der Vermietung als Funktion der Wirtschaftsgüter ist es unerheblich, daß die Klägerin für einen gewissen Zeitraum aus rechtlichen Gründen nicht in der Lage war, den Nutzungszusammenhang zu lösen; denn im Rahmen des § 6 Abs. 2 EStG kommt es auf die technisch-betrieblichen Verhältnisse an und nicht auf rechtliche Bindungen, die äußerlich bei dem betreffenden Wirtschaftsgut nicht in Erscheinung treten.
Nicht entscheidend für die Beurteilung der Bewertungsfreiheit nach § 6 Abs. 2 EStG ist es, daß die Wirtschaftsgüter das gesamte Aktivvermögen der Klägerin darstellten. Der Wortlaut des § 6 Abs. 2 EStG gibt keinerlei Anlaß für eine in diesem Sinne einschränkende Auslegung der Vorschrift.
Auch die Tatsache, daß die Wirtschaftsgüter an ein anderes Unternehmen vermietet waren, hindert die Anwendung des § 6 Abs. 2 EStG nicht (vgl. bereits BFH-Urteil vom 27. März 1963 I 201/62 U, BFHE 76, 837, BStBl III 1963, 304 - Grubenlampen -). Der Senat hält die von der Finanzverwaltung (vgl. Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen Aktenzeichen 32 - S 2297 - 6/31 - 83 055/74 I, Betriebs-Berater 1975 S. 913 - BB 1975, 913 -) vertretene Ansicht, wonach § 6 Abs. 2 EStG keine Anwendung finden soll, wenn eine Leasinggesellschaft, die in Form einer mit Verlustzuweisungen werbenden Abschreibungsgesellschaft betrieben wird, Wirtschaftsgüter in größerem Umfang kauft und an Leasingnehmer vermietet, jedenfalls für den Streitfall nicht für erheblich. Die Klägerin wirbt nämlich nicht mit Verlustzuweisungen.
Selbst wenn man davon ausginge, daß der Klägerin aufgrund der Neufassung des § 6 Abs. 2 EStG die Bewertungsfreiheit nicht zustünde, hätte dies keine Auswirkung auf den Streitfall; denn die dann zur Versagung der Bewertungsfreiheit gemäß § 6 Abs. 2 EStG führende Fassung der Bestimmung gilt erst ab 1. Januar 1977 (so auch Urteil des III. Senats vom 9. Dezember 1977 III R 94/74, BFHE 124, 182, BStBl II 1978, 322; Urteil des IV. Senats vom 26. Juli 1979 IV R 170/74, BFHE 129, 315, BStBl II 1980, 176 und Entscheidung vom 19. Februar 1981 IV R 161/77, BFHE 132, 559, BStBl II 1981, 652).
Fundstellen
Haufe-Index 74198 |
BStBl II 1982, 246 |
BFHE 1981, 107 |