Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Fristenkontrolle durch den Prozeßbevollmächtigten; zur Unternehmereigenschaft bei Ehegatten
Leitsatz (NV)
1. Auf Vorfristen kann ausnahmsweise verzichtet werden, wenn die zur Fristwahrung notwendige Handlung auch am letzten Tag der Frist ausgeführt werden kann, ohne daß die Gefahr einer Fristüberschreitung besteht.
2. Für die Frage, ob der Ehemann, die Ehefrau oder eine aus den Eheleuten bestehende Gemeinschaft Unternehmer ist, kommt es darauf an, wer als Unternehmer nach außen auftritt.
Normenkette
FGO § 56; UStG 1967/1973 § 2 Abs. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betrieb in den Jahren 1968 bis 1974 einen auf ihren Namen angemeldeten Güternahverkehr, ferner von 1968 bis 1971 einen Kohlen- und Kokshandel und ab 1972 einen Sand- und Kieshandel.
Der Ehemann der Klägerin, der in dem Unternehmen beschäftigt war, führte - teilweise zusammen mit einem weiteren Angestellten des klägerischen Transportunternehmens - in der Zeit von 1971 bis 1974 illegale Geschäfte mit Heizöl (sogenannte Verdieselung von Heizöl) durch. Hierbei transportierten sie mit Tankfahrzeugen der Klägerin außerhalb der üblichen Geschäftszeit (nachts und an Samstagen) für den Kaufmann D, der den illegalen Handel mit steuerbegünstigtem Heizöl organisiert hatte, das verdieselte Heizöl an die von D benannten Kunden. Die Ölankäufe und -verkäufe, über die keine Rechnungen erstellt wurden, waren in der Buchführung des klägerischen Unternehmens nicht erfaßt. Die von D ausgestellten Schecks über insgesamt . . . DM wurden auf Privatkonten der Klägerin gutgeschrieben.
Der Ehemann der Klägerin wurde wegen Mineralölsteuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Er wurde ferner durch Haftungsbescheid des zuständigen Hauptzollamts (HZA) für hinterzogene Mineralölsteuer in Anspruch genommen. Gegen die Klägerin wurde weder ein Strafverfahren noch ein Steuerhaftungsverfahren durchgeführt.
Im Rahmen eines durch die Mineralölsteuerhinterziehung ausgelösten Steuerstrafverfahrens wurde die Buchführung der Klägerin wegen nicht verbuchter Zahlungseingänge und ungeklärter Vermögenszuflüsse als nicht ordnungsgemäß verworfen. In einem vom Prüfer zur Ermittlung des Vermögenszuwachses aufgestellten Vermögensvergleich wurden als geleistete Ausgaben unter anderem Beträge für Schuldentilgung und Unterhaltszahlungen des B in folgender Höhe angesetzt: . . .
Die sich nach diesem Vermögensvergleich ergebenden Fehlbeträge wurden den von der Klägerin erklärten Umsätzen hinzugerechnet.
Der Prüfer wertete ferner Gutschriften auf den Privatkonten der Klägerin als Geldeingänge von Kunden und nahm entsprechende Umsatzzuschätzungen vor. Ab dem Jahr 1971 wurden auch die auf den illegalen Mineralölhandel entfallenden Umsätze, die ebenfalls im Schätzungswege ermittelt wurden, den betrieblichen Umsätzen zugerechnet.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) legte in den geänderten (1968 bis 1973) bzw. erstmaligen (1974) Umsatzsteuerveranlagungen der Streitjahre die von der Steuerfahndungsprüfung geschätzten Besteuerungsgrundlagen zugrunde. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Mit der hiergegen erhobenen Klage, die die Klägerin auf die wesentlichsten Schätzungsfehler beschränken wollte, beantragte sie, die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide um die Zuschätzungen wegen Schuldentilgung und Unterhalt von B zu ermäßigen, ferner die Umsätze im Zusammenhang mit der Heizölverdieselung nicht ihrem Unternehmen zuzurechnen.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage teilweise statt. Es verminderte die Umsätze um die für Schuldentilgung und Unterhalt angesetzten Beträge, hielt jedoch die Zurechnung der Umsätze aus dem illegalen Heizölhandel zum Unternehmen der Klägerin für zutreffend.
Gegen das am 8. August 1983 den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin mit Postzustellungsurkunde zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16. September 1983 Revision eingelegt und gleichzeitig die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist beantragt.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs tragen die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin vor, daß die Fristversäumnis aufgrund eines einmaligen Fehlverhaltens des für die Fristüberwachung zuständigen Sachbearbeiters eingetreten sei. Dieser habe bei der Bearbeitung des Fristenbuches die am 8. September 1983 (Donnerstag) ablaufende Klagefrist übersehen, obwohl sie ordnungsgemäß im Fristenbuch notiert gewesen sei. Dies sei ihm erst am folgenden Tag bei der Kontrolle der laufenden Fristen aufgefallen. Die Fristenbücher und deren sorgfältige Überwachung seien auch von den Prozeßbevollmächtigten selbst überwacht und die pflichtgemäße Bearbeitung der Angelegenheiten durch die hiermit betrauten Angestellten durch Stichproben in unregelmäßigen Abständen ständig kontrolliert worden. Die Tätigkeit habe hierbei zu keinerlei Beanstandungen Anlaß gegeben. Es handele sich vorliegend um die erste Versäumnis.
Da nach den örtlichen Gegebenheiten bei Einreichung von Schriftsätzen an das FG keine Versendung durch die Post erforderlich sei, reiche es aus, wenn mit einer kurzen Vorfrist der Tag des Fristablaufs selbst notiert werde, da wegen der Kürze des Weges der rechtzeitige Eingang beim FG gewährleistet sei.
Zur Glaubhaftmachung ihres Wiedereinsetzungsgesuchs hat die Klägerin zusammen mit dem Antrag eidesstattliche Versicherungen des Rechtsanwalts Dr. H und des Steuerbevollmächtigten C eingereicht.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet, soweit sie die Umsatzsteuer für 1971 bis 1974 betrifft; im übrigen ist sie unzulässig.
1. Die Klägerin hat zwar die Frist zur Einlegung der Revision (§ 120 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) versäumt, doch ist ihr insoweit antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO zu gewähren.
Die Revision war innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen. Die Vorentscheidung war der Klägerin nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) zuzustellen (§ 53 Abs. 1 und 2 FGO; vgl. auch § 104 Abs. 2 FGO). Im Streitfall wurde die Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde gemäß § 3 VwZG i. V. m. § 183 der Zivilprozeßordnung (ZPO) am 8. August 1983 ausgeführt. Die Frist zur Einlegung der Revision lief am 8. September 1983 ab (§ 54 FGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Die Revision ging erst am 16. September 1983 beim FG ein.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist ist rechtzeitig innerhalb der in § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO bezeichneten Frist gestellt worden. Es ist hinreichend glaubhaft gemacht worden, daß die Klägerin ohne ein ihr zuzurechnendes Verschulden ihrer Prozeßbevollmächtigten verhindert war, die Revisionsfrist einzuhalten (§ 56 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 FGO). Nach den eidesstattlichen Versicherungen des Rechtsanwalts Dr. H und des Steuerbevollmächtigten kann angenommen werden, daß die Überwachung der im Fristenkontrollbuch eingetragenen Frist infolge Büroversehens unterblieben ist.
Ein Anwalt darf grundsätzlich die Fristenberechnung und die Überwachung der gesetzlichen Fristen seinen Büroangestellten übertragen, sofern das beauftragte Personal gut ausgebildet ist und sorgfältig überwacht wird. Voraussetzung dafür ist, daß klare und unmißverständliche Anweisungen erteilt werden, die sicherstellen, daß Fristversäumnisse ausgeschlossen sind (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. September 1976 II R 154/75, BFHE 120, 137, BStBl II 1977, 35; vgl. auch Beschluß des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 30. Oktober 1979 VI ZB 10/79, Versicherungsrecht - VersR - 1980, 192). Dazu ist es unerläßlich, daß ein Fristenkalender geführt wird und die Einhaltung der laufenden Fristen durch tägliche Einsichtnahme in den Fristenkalender gesichert wird (Beschluß des erkennenden Senats vom 18. Januar 1984 I R 196/83, BFHE 140, 146, BStBl II 1984, 441). Eine ordnungsgemäße Handhabung des Fristenkalenders verlangt ferner, daß der Fristablauf für jede einzelne Sache sofort nach Eingang endgültig vermerkt wird (BFH-Urteil vom 26. Mai 1977 V R 139/73, BFHE 122, 251, BStBl II 1977, 643).
Aus den Angaben in den eidesstattlichen Versicherungen ergibt sich, daß die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin hinsichtlich der Überwachung des Fristablaufs die nötigen Vorkehrungen für einen ordnungsgemäßen Bürobetrieb getroffen haben. Zwar ist nicht vorgetragen worden, welche weiteren Maßnahmen zur zeitgerechten Bearbeitung der Fristsachen getroffen und in welcher Form insbesondere die Vorfristen festgehalten und überwacht worden sind. Im Streitfall konnten jedoch die zur Fristwahrung notwendigen Handlungen, die keine zeitaufwendige Bearbeitung erforderten, wegen der räumlichen Nähe des FG auch am letzten Tage der Frist ausgeführt werden, ohne daß die Gefahr einer Fristüberschreitung zu befürchten gewesen wäre.
2. Die Revision ist gleichwohl unzulässig, soweit sie sich gegen die Vorentscheidung wegen Umsatzsteuer 1968 bis 1970 richtet. Sie war daher zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO).
Die Klägerin geht mit der Revision über ihre im Klageverfahren gestellten Anträge hinaus. Die hierin liegende Klageänderung ist nach § 123 FGO unzulässig.
Die Klägerin hatte mit ihrer Klage beantragt, die Umsatzsteuer entsprechend einer der Höhe nach genau bezifferten Minderung der steuerpflichtigen Umsätze herabzusetzen. Das FG hat diesen Anträgen in vollem Umfang entsprochen. Da die Vorinstanz nach § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO über das insoweit eindeutige Klagebegehren nicht hinausgehen durfte, blieb ihr auch eine Überprüfung der übrigen Schätzungsgrundlagen und der sich durch die Umsatzminderung ergebenden Folgerungen verwehrt.
Über ein Begehren, das erstmals im Revisionsverfahren durch Erweiterung des Klageantrags erhoben wird, ist gerichtlich nicht entschieden; es fehlt insoweit an einem Gegenstand der revisionsrechtlichen Nachprüfung (BFH-Urteil vom 4. April 1974 IV R 7/71, BFHE 112, 331, BStBl II 1974, 522). Eine formelle Beschwer als Zulässigkeitsvoraussetzung einer Revision ist nur gegeben, soweit das FG dem Klagebegehren nicht voll entsprochen oder über dieses nicht befunden hat (vgl. BFH-Urteil vom 3. Juni 1976 IV R 236/71, BFHE 120, 348, BStBl II 1977, 62).
3. Die Revision ist begründet, soweit sie die Streitjahre 1971 bis 1974 betrifft. Sie führt in diesem Umfang zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Die Vorentscheidung enthält keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen zu der Frage, wem die Umsätze aus den illegalen Mineralölgeschäften zuzurechnen sind. Der Senat kann ohne diese Feststellungen nicht prüfen, ob das FG ohne Rechtsverstoß zu dem Ergebnis gelangen konnte, daß insoweit ausschließlich die Klägerin und nicht ihr Ehemann oder beide Ehegatten gemeinsam als Unternehmer tätig geworden sind.
Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1967/1973 (UStG) unterliegen der Umsatzsteuer die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Unternehmer ist gemäß § 2 Abs. 1 UStG, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Wer Leistender im Sinne des Umsatzsteuerrechts ist, ergibt sich im allgemeinen aus den dem Leistungsaustausch zugrunde liegenden zivilrechtlichen Rechtsbeziehungen. Leistender ist danach regelmäßig der zivilrechtlich zur Leistung Verpflichtete, der die Leistung auch tatsächlich erbracht hat. Da das UStG tatsächliche wirtschaftliche Vorgänge besteuert, kann Leistender grundsätzlich auch derjenige sein, der einen Umsatz im eigenen Namen tatsächlich ausführt, obwohl er eine Leistung zivilrechtlich nicht schuldet (vgl. BFH-Urteil vom 13. März 1987 V R 33/79, BFHE 149, 313, BStBl II 1987, 524).
Umsatzsteuerlich ist grundsätzlich derjenige als Unternehmer anzusehen, der als solcher im Außenverhältnis in Erscheinung tritt, in dessen Namen also die Lieferungen oder sonstigen Leistungen bewirkt worden sind. Denn nur bei demjenigen, der sich nach außen erkennbar am wirtschaftlichen Wettbewerb beteiligt, spricht eine Vermutung dafür, daß er wirtschaftliche Leistungen erbringt, die ihn zum Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuerrechts machen (Mößlang in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuer, § 2 Rdnr. 8). Auch für die Frage, ob der Ehemann, die Ehefrau oder eine aus den Eheleuten bestehende Gemeinschaft Unternehmer ist, kommt es darauf an, wer als Unternehmer nach außen auftritt (BFH-Urteil vom 25. Juli 1968 V 150/65, BFHE 93, 194, BStBl II 1968, 731).
Das FG hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Ehemann der Klägerin, der die illegalen Heizölgeschäfte tatsächlich ausgeführt hat, hierbei im eigenen Namen oder im Namen der Klägerin aufgetreten ist. Einer weiteren Sachverhaltsaufklärung hätte es schon deshalb bedurft, weil es sich insoweit weder um Hilfs- noch um Nebengeschäfte gehandelt hat, die mit dem klägerischen Transportbetrieb in einem wirtschaftlichen Sachzusammenhang gestanden haben. Zwar konnte der Ehemann der Klägerin, soweit er im Innenverhältnis unselbständig tätig war, allein durch ein Auftreten nach außen nicht zum Unternehmer werden (Mößlang, a. a. O., § 2 Rdnr. 33); er unterlag jedoch lediglich im Rahmen des Transportbetriebs deren Weisungen.
Soweit das FG darauf abgestellt hat, daß die Klägerin von den Geschäften ihres Ehemannes positive Kenntnis hatte und Inhaberin der Bankkonten war, auf denen die vom Ehemann vereinnahmten Schecks gutgeschrieben worden sind, lassen sich hieraus für dessen Auftreten gegenüber dem Leistungsempfänger keine Folgerungen ziehen. Auch das vom FG angenommene Zusammenwirken der Ehegatten bei den Verdieselungsgeschäften spricht nicht für die Unternehmereigenschaft der Klägerin, sondern allenfalls für eine gemeinschaftliche unternehmerische Tätigkeit beider Ehegatten.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen, damit das FG die erforderlichen Feststellungen nachholen kann. Der Umstand, daß die von der Vorinstanz ausgesprochene Rechtsfolge nicht durch ausreichende tatsächliche Feststellungen gedeckt ist, bedeutet eine fehlerhafte Anwendung sachlichen Rechts, die auch ohne Vorliegen eines Verfahrensfehlers zur Aufhebung der Vorentscheidung führt (vgl. BFH-Urteil vom 17. April 1975 II R 144/74, BFHE 116, 1, BStBl II 1975, 671). Es braucht deshalb nicht entschieden zu werden, ob das FG durch das Übergehen des Schriftsatzes vom 28. April 1983, der sich, obwohl ihn die Klägerin innerhalb der nachgelassenen Frist eingereicht haben will, nicht bei den Gerichtsakten befindet, das rechtliche Gehör verletzt hat.
Das FG, das sich in dem angefochtenen Urteil im wesentlichen auf die Erkenntnisse der Steuerfahndung aus der im Jahre 1974 durchgeführten Prüfung gestützt hat, wird bei seiner erneuten Entscheidung ohnehin die Feststellungen des gegen den Ehemann ergangenen Strafurteils vom 5. Mai 1981 und des Haftungsbescheids vom 26. Januar 1981 zu berücksichtigen haben, soweit diese für die Beurteilung der Unternehmereigenschaft der Klägerin von Bedeutung sind.
Fundstellen
Haufe-Index 415200 |
BFH/NV 1988, 673 |