Leitsatz (amtlich)
Ob im Einzelfall ein firmenwertähnliches Wirtschaftsgut oder ein immaterielles Einzelwirtschaftsgut erworben wurde, entscheidet sich danach, ob sich sein Wert für das erworbene Unternehmen innerhalb einer bestimmten oder annähernd bestimmbaren Zeit erschöpft.
Normenkette
EStG § 6 Abs. 1 Nrn. 1-2; KStDV § 15
Tatbestand
Streitig ist, ob die von der Revisionsklägerin (Steuerpflichtige) auf Grund des Übernahmevertrags vom 11. März 1955 an die Firma D bzw. deren Rechtsnachfolgerin geleisteten Zahlungen als Betriebsausgaben abzugsfähig sind.
Die Steuerpflichtige befaßt sich mit der Herstellung und dem Vertrieb pharmazeutischer Erzeugnisse. Alleinige Aktionärin der Steuerpflichtigen ist seit September 1958 die Firma A. Diese hatte mit Vertrag vom 29. Juni 1954 ihrer Tochtergesellschaft, der Firma D, das alleinige Recht für die Bundesrepublik übertragen, ihre Erzeugnisse - insbesondere das Medikament X - unter Benutzung ihrer Patentrechte herzustellen und zu vertreiben. Die Firma D erforschte zunächst die Marktlage und die Möglichkeiten der Lohnherstellung. Sie bemühte sich um die Anmietung geeigneter Produktionsräume, verhandelte mit Behörden sowie mit Lieferanten über Materialqualitäten, Liefertermine und Preise der für die Produktion des Medikamentes X benötigten Maschinen und Materialien.
Durch Vertrag vom 11. März 1955 übertrug die Firma D ihre Rechte aus dem Lizenzvertrag mit der Firma A mit deren Genehmigung auf die Steuerpflichtige, die - nach den von ihr bestrittenen Feststellungen des FG - gleichzeitig den Kundenstamm und die Vertriebsorganisation der Firma D mit übernahm. In dem Vertrag verpflichtete sich die Steuerpflichtige, an die Firma D für die Übertragung der Vertragsrechte im Hinblick auf die von der Firma D geleisteten Einführungs- und Vorbereitungsarbeiten für die Herstellung des Medikamentes X in der Bundesrepublik bis zum 30. April 1956 15 %, vom 1. Mai 1956 bis zum 30. April 1959 5 % des Nettoverkaufserlöses zu zahlen. Die von ihr geleisteten Zahlungen behandelte die Steuerpflichtige als Betriebsausgaben.
Die Feststellung dieses Sachverhalts durch eine vom Revisionsbeklagten (dem FA) Ende 1960/Anfang 1961 bei der Steuerpflichtigen vorgenommene Betriebsprüfung führte zur Berichtigung der Veranlagung der Steuerpflichtigen für die Jahre 1956 bis 1958 sowie zur endgültigen Veranlagung der Steuerpflichtigen für die Jahre 1959 und 1960. Prüfer und FA sahen im Vertrag vom 11. März 1955 eine entgeltliche Betriebsveräußerung im ganzen und stellten die von der Steuerpflichtigen in den Streitjahren an die Firma D bzw. deren Rechtsnachfolgerin geleisteten Beträge als Firmenwert in die Bilanzen der entsprechenden Jahre ein.
Einspruch und Berufung der Steuerpflichtigen blieben ohne Erfolg. Das FG führte aus:
Ein rechtsgeschäftlich erworbener Geschäfts- oder Firmenwert sei nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG mit den Anschaffungskosten anzusetzen. Der Geschäfts- oder Firmenwert verkörpere die Gewinnaussichten, die für ein Unternehmen auf Grund seines Ansehens, des Rufs seiner Erzeugnisse und seiner Leistung, seiner Beziehungen zu Abnehmern und Lieferanten für die Zukunft bestehen (Blümich-Falk, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 9. Aufl., Anm. 18 zu § 6).
Im Streitfall habe die Steuerpflichtige mit der nach dem Vertrag vom 11. März 1955 geleisteten Zahlung von insgesamt 94 958 DM einen Firmenwert oder ein ihm steuerrechtlich gleichzuerachtendes firmenwertähnliches Recht (Urteil des BFH I 209/55 U vom 13. März 1956, BFH 62, 401, BStBl III 1956, 149) erworben. Die Firma D habe der Steuerpflichtigen das Recht zur Herstellung des Medikamentes X unter Ausnutzung der Patentrechte der Firma A übertragen; die Steuerpflichtige habe auf den Einführungs- und Vorbereitungsarbeiten der Firma D aufbauen können; auch hätten mit den geleisteten Zahlungen die Anlauf- und Organisationskosten abgegolten werden sollen, die der Firma D aus der Anmietung geeigneter Produktionsräume und während der Zeit der Verhandlungen über die Anschaffung von Maschinen und Materialien erwachsen waren. Dabei komme es nicht darauf an, ob das so erworbene Recht wertmäßig der Höhe der geleisteten Zahlungen entspreche.
Auch soweit die Steuerpflichtige die Zulassung von Abschreibungen auf dieses Recht begehre, könne ihr nicht gefolgt werden. Es unterliege nicht wie ein abnutzbares Wirtschaftsgut einem zeitlich befristeten Wertverzehr, so daß § 7 EStG insoweit nicht anwendbar sei (BFH-Urteil I 61/57 U vom 15. April 1958, BFH 67, 151, BStBl III 1958, 330). Angesichts der steigenden Umsätze der Steuerpflichtigen komme auch ein Ansatz mit dem niedrigeren Teilwert nicht in Betracht.
Hiergegen richtet sich die als Revision zu behandelnde Rechtsbeschwerde der Steuerpflichtigen, zu deren Begründung sie folgendes vortragen läßt:
Im Gegensatz zur Auffassung des FG habe die Steuerpflichtige kein fundiertes Unternehmen erworben. Übernommen worden sei lediglich der mit der Firma A bestehende Lizenzvertrag, nicht aber ein Betrieb und dessen Geschäftsgrundlagen (einschließlich des Kundenstammes) und somit nichts von dem, was das FG hinsichtlich der einen Geschäfts- oder Firmenwert begründenden Momente aufgeführt habe. Die Firma D sei erst Mitte 1953 ins Leben gerufen worden, habe mit Verlust gearbeitet und sich auch ihrer rechtlichen Konstruktion nach als so wenig ansprechend erwiesen, daß man sich zur Gründung der Steuerpflichtigen entschlossen habe, um so eine geeignete und angesehene Plattform für die geschäftliche Betätigung zu besitzen. Dabei habe man auf die bei der Firma D geleisteten Vorarbeiten zurückgegriffen und diese entsprechend der Zielsetzung der Steuerpflichtigen genutzt.
Für die Aufgabe und die Übertragung der Ausschließlichkeitsrechte an den Herstellungs- und Vertriebsrechten der Firma A habe die Firma D eine Entschädigungsleistung für die bei ihr angefallenen Kosten für Vorbereitungsarbeiten, die jetzt seitens der Steuerpflichtigen genutzt würden, verlangt. Wenn diese Entschädigungsleistung auf die Dauer von fünf Jahren verteilt auf den bei der Steuerpflichtigen anfallenden Umsatz abgestellt sei, so sei darin eine Lösung gefunden worden, die beiden Seiten gerecht werde und deshalb - wäre der Vertrag mit einem Dritten geschlossen worden - auch auf diesen Anwendung gefunden hätte. Wenn das FG die Zahlungen für das Recht zur Herstellung des Medikamentes X als Leistungen für die Erlangung eines wirtschaftlichen Vorteils mit firmenwertähnlichem Charakter beurteile, so müsse dem entschieden widersprochen werden. Einmal sei schon der Begriff "firmenwertähnlich" sehr schwer zu fassen; zum anderen setze sich das FG mit dieser Ansicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des BFH, die den Eintritt eines Kaufmanns in die bereits laufenden Geschäfte eines anderen und die Zahlung eines Geldbetrages für die mit diesen Geschäften verbundenen Gewinnchancen nicht einem Geschäftswert gleichachte (BFH-Urteile I 207/57 U vom 9. Juli 1958, BFH 67, 370, BStBl III 1958, 416, und I 266/61 U vom 20. November 1962, BFH 76, 164, BStBl III 1963, 59).
Im Laufe des Revisionsverfahrens hat das FA den angefochtenen Steuerbescheid für das Jahr 1960 durch den Bescheid vom 16. April 1968 ersetzt. Die Steuerpflichtige, die die Änderung der Besteuerungsgrundlagen und ihre Auswirkung auf den festgesetzten Steuerbetrag nicht angreift, hat beantragt, den neuen Bescheid anstelle des angefochtenen zum Gegenstand des Verfahrens zu machen (§§ 68, 123 Satz 2 FGO).
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
1. Da der neue, an die Stelle des angefochtenen Steuerbescheides für das Jahr 1960 getretene Bescheid vom 16. April 1968 von der Steuerpflichtigen bis auf die Möglichkeit des Abzugs von Vorjahresverlusten (die gegeben wäre, wenn die Steuerpflichtige mit ihrer Rechtsauffassung bezüglich der Streitjahre 1956 bis 1959 durchdringen würde) anerkannt wird, bedarf es im Streitfall einer Zurückverweisung der Sache an das FG aus diesem Grunde nicht (§ 127 FGO; BFH-Urteil II 113/65 vom 30. Januar 1968, BFH 91, 27, BStBl II 1968, 210).
2. Der Steuerpflichtigen ist darin zuzustimmen, daß zwischen dem Erwerb eines immateriellen Wirtschaftsguts und dem Erwerb eines Firmen- oder Geschäftswerts zu unterscheiden ist. Nur bei Erwerb eines lebenden Unternehmens im ganzen ist der Erwerb auch eines Firmen- oder Geschäftswerts denkbar (BFH-Urteile VI 320/64 vom 28. März 1966, BFH 85, 433, BStBl III 1966, 456; VI 266/65 vom 7. Dezember 1966, BFH 88, 115, BStBl III 1967, 306). Denn der Erwerb eines Firmen- oder Geschäftswerts setzt voraus, daß die Leistung des Erwerbers den Buchwert der übernommenen Wirtschaftsgüter und die Abgeltung der in ihnen liegenden stillen Reserven übersteigt. Zum Begriff des Geschäftswerts, zu seiner Abgrenzung vom immateriellen Einzelwirtschaftsgut sowie zur Frage seiner (verneinten) Abschreibungsfähigkeit hat der erkennende Senat zuletzt im Urteil I 77/64 vom 18. Januar 1967 (BFH 88, 198, BStBl III 1967, 334) noch einmal ausführlich Stellung genommen. Auf dieses Urteil nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug.
Während der Geschäftswert sich - steuerrechtlich verstanden - nicht mit einer gewissen Regelmäßigkeit innerhalb einer ungefähr bestimmten Zeit erschöpft (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG), gilt das für Gegenstände und Rechte, die Teil eines Betriebsvermögens sind, im allgemeinen nicht (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG); ihr Wert für das Unternehmen - ausgedrückt in den Anschaffungskosten - verzehrt sich innerhalb einer bestimmten oder ungefähr bestimmbaren Zeit. Damit unterscheidet sich das immaterielle Einzelwirtschaftsgut vom firmenwertähnlichen Wirtschaftsgut, dessen Wert für das Unternehmen sich - ähnlich wie der Firmen- oder Geschäftswert - ebenfalls nicht innerhalb einer ungefähr bestimmbaren Zeit erschöpft (BFH-Urteil I 207/57 U, a. a. O.).
3. Wie das FG in Übereinstimmung mit dem Vertrag vom 11. März 1955 in tatsächlicher Hinsicht zutreffend festgestellt hat, hat die Steuerpflichtige die streitigen Leistungen "für die Übertragung der Vertragsrechte", d. h. der der Firma D zustehenden Rechte aus dem Lizenzvertrag mit der Firma A über Herstellung und Vertrieb des Medikamentes X in der Bundesrepublik, gezahlt. Dagegen ist nicht dargetan worden, worin das FG die Übernahme eines Unternehmens im ganzen erblickt, die die Steuerpflichtige bestreitet. Denn wie die Steuerpflichtige im Schreiben vom 23. November 1961 (Stellungnahme zum Betriebsprüfungsbericht vom 2. Mai 1961) und in der Revisionsbegründung vom 6. September 1965 dargelegt hat, waren neben dem Lizenzvertrag greifbare Wirtschaftsgüter anderer Art nicht vorhanden oder nicht Gegenstand des Vertrages vom 11. März 1955, ging es der Firma D bei Abschluß des Vertrages vielmehr allein um einen Ersatz derjenigen Aufwendungen, die sie selbst in Ausübung ihrer Rechte aus dem Lizenzvertrag gemacht hatte und die sie vor dem FG mit insgesamt 60 356 DM beziffert hat.
Das FG wird deshalb noch zu prüfen bzw. darzulegen haben, ob - und anhand welcher Umstände belegbar - die Steuerpflichtige das Unternehmen der Firma D im ganzen erwarb, welche Aktiven vorhanden waren, von der Steuerpflichtigen übernommen wurden und mit ihrer Leistung nach dem Vertrag vom 11. März 1955 abgegolten werden sollten. Kann das FG die Übernahme des Unternehmens der Firma D im ganzen in tatsächlicher Hinsicht feststellen, so ist zu prüfen, welcher Teil der Leistung der Steuerpflichtigen gegebenenfalls auf einen Firmen- oder Geschäftswert entfällt. Dabei wird es für die Zuweisung der anteiligen, auf die Übernahme der Rechte aus dem Lizenzvertrag entfallenden Leistung zum Firmen- oder Geschäftswert oder für ihre Zuordnung als ein immaterielles Einzelwirtschaftsgut darauf ankommen, ob die hinter der Lizenz stehenden Rechte (Patente) zeitlich befristet sind und damit auch das von der Steuerpflichtigen erworbene Recht auf Ausübung der Lizenz nach Ablauf einer bestimmten Zeit gegenstandslos wird. Kann dagegen das FG die Übernahme eines Unternehmens im ganzen in tatsächlicher Hinsicht nicht feststellen, so wird die Behandlung der auf die Übernahme der Rechte aus dem Lizenzvertrag entfallenden Leistung der Steuerpflichtigen als firmenwertähnliches oder als immaterielles Einzelwirtschaftsgut nach den gleichen Merkmalen auszurichten sein.
Fundstellen
Haufe-Index 68356 |
BStBl II 1969, 66 |
BFHE 1969, 52 |