Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Erhält der aus einer Personengesellschaft ausscheidende Gesellschafter mehr als den Buchwert seines Kapitalkontos und seinen Anteil an den stillen Reserven, so ist in der Regel davon auszugehen, daß der Mehrbetrag für einen entsprechenden Anteil am Geschäftswert bezahlt wird. Das gilt besonders bei hoher Ertragsfähigkeit des Unternehmens.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 4, §§ 5, 6/2, § 6/1/2
Tatbestand
Aus der im Jahr 1946 von Sch. und seinem Schwager R. gegründeten offenen Handelsgesellschaft (Bgin.) schied R. am 31. Dezember 1951 aus. Sch. führte den Betrieb als Einzelunternehmer weiter. Eine Einigung über die Höhe des Auseinandersetzungsguthabens des R. kam erst durch den notariellen Vertrag vom 14. Dezember 1955 zustande, in dem sich Sch. zur Abgeltung aller Ansprüche des R. zur Zahlung von 20.000 DM verpflichtete, die R. dem Sch. zunächst als Darlehen zur Verfügung stellen mußte. Als das Finanzamt im Jahr 1956 von diesem Vertrag Kenntnis erhielt, berichtigte es nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO die nach den Angaben des Sch. vorgenommene, rechtskräftig gewordene einheitliche Gewinnfeststellung 1951, in der der Gesamtgewinn von 5.846 DM mit 5.623 DM auf Sch. und mit 223 DM auf R. verteilt war. Da der Abfindungsbetrag von 20.000 DM das Kapitalkonto des R. am 31. Dezember 1951 von 2.943,89 DM um 17.056,11 DM überstieg, rechnete das Finanzamt den Unterschiedsbetrag dem R. als Veräußerungsgewinn zu und erhöhte in der Auseinandersetzungsbilanz die Sch. verbleibenden Aktiven in der Weise, daß es stille Reserven in Höhe von 4.885 DM auflöste und einen Geschäftswert in Höhe von 12.171,11 DM aktivierte. Da diese Aktivposten von 4.885 DM + 12.171,11 DM 17.056,11 DM mit dem R. als Veräußerungsgewinn zugerechneten Betrag übereinstimmten, änderte sich der Gewinnanteil des Sch. in Höhe von 5.623 DM nicht.
In dem von Sch. eingelegten Einspruch vertrat die Bgin. die Auffassung, daß ein höherer Geschäftswert als 1.500 DM nicht angesetzt werden dürfe und daß deshalb ein Betrag von 10.671,11 DM bei Sch. als Betriebsausgabe anerkannt werden müsse. Wenn R. auch im Zeitpunkt des Ausscheidens kein lästiger Gesellschafter gewesen sei, so habe sich doch Sch. aus betrieblichen Gründen zu einer den wahren Wert des Kapitalkontos des R. übersteigenden Abfindung bereitfinden müssen. Eine weitere Verzögerung der Einigung über das Auseinandersetzungsguthaben hätte zu einer Schädigung des Betriebs geführt. Die Höhe der Abfindung sei durch verschiedene Erwägungen bestimmt worden, wobei der Versorgungsgedanke, die R. entgehende Beteiligung an späteren Gewinnen und die verwandtschaftlichen Beziehungen eine gewisse Rolle gespielt hätten. Da bei der Höhe der bis 1951 erzielten Gewinne von einem 1.500 DM übersteigenden Geschäftswert keine Rede sein könne und im realen Betriebsvermögen keine höheren stillen Rücklagen vorhanden seien, müsse der streitige Betrag von 10.671,11 DM als Betriebsausgabe anerkannt werden.
Der Einspruch blieb erfolglos. Die von Sch. eingelegte Berufung hatte Erfolg und führte zur Aufhebung des Berichtigungsbescheids.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Dem Finanzgericht kann darin nicht zugestimmt werden, daß die Auseinandersetzung im Vertrag vom 14. Dezember 1955 bei der Gewinnermittlung 1951 nicht berücksichtigt werden dürfe. Das Finanzgericht geht in übereinstimmung mit dem Akteninhalt und der Auffassung der Beteiligten davon aus, daß R. am 31. Dezember 1951 tatsächlich aus der Personengesellschaft ausschied. Damit stand fest, daß am 31. Dezember 1951 die wirksam gewordene Auflösung der OHG einen bei der einheitlichen Gewinnfeststellung 1951 zu beachtenden Geschäftsvorfall des Jahres 1951 bildete. Am 31. Dezember 1951 stand R. ein Auseinandersetzungsanspruch gegen den das Unternehmen fortführenden Sch. zu, dessen Höhe allerdings noch ungewiß war. Sollten die Ausführungen des Finanzgerichts dahin zu verstehen sein, daß Sch. bei Aufstellung der Bilanz höchstens mit einer das Kapitalkonto des R. um 1.860 DM übersteigenden Abfindung habe rechnen können und daß es sich bei dem Vertrag vom 14. Dezember 1955 um eine nachträgliche zusätzliche Abfindung an R. gehandelt habe, so würde diese auf tatsächlichem Gebiet liegende Feststellung mit dem Akteninhalt und dem Vortrag der Beteiligten nicht vereinbar sein. Denn es besteht unter den Beteiligten kein Streit darüber, daß die kurz nach dem Ausscheiden des R. am 31. Dezember 1951 von den Beteiligten aufgenommenen Verhandlungen bis zum 14. Dezember 1955 nicht einmal zu einer Teileinigung führten und daß sich Sch. gerade deshalb nach jahrelangen Verhandlungen zu einer so hohen Abfindung entschloß, weil er endlich Gewißheit über die Höhe seiner finanziellen Verpflichtungen haben wollte.
Die angefochtene Entscheidung muß aufgehoben werden. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Finanzgericht zurückverwiesen, das nunmehr sachlich zu dem Antrag der Bgin. Stellung nehmen muß, bei Sch. eine Betriebsausgabe in Höhe von 10.671,11 DM und damit statt eines Gewinnanteils von 5.623 DM einen Verlust von 5.048,11 DM anzuerkennen. Die Entscheidung hängt allein davon ab, welche stillen Rücklagen in den von Sch. übernommenen realen Wirtschaftsgütern am 31. Dezember 1951 enthalten waren und von welchem Geschäftswert die Beteiligten bei der Auseinandersetzung am 14. Dezember 1955 ausgingen. Hierzu bemerkt der Senat folgendes.
Nach dem Akteninhalt ist die Annahme nicht von der Hand zu weisen, daß die realen Wirtschaftsgüter höhere stille Rücklagen enthielten, als das Finanzamt annahm. Das gilt besonders von dem mit 5.421 DM zu Buche stehenden Grundstück, das Anfang 1959 zu 64.380 DM veräußert worden sein soll. Entscheidend ist die Beurteilung der Verhältnisse am 31. Dezember 1951, wie sie sich den Beteiligten bei Abschluß des Vertrages vom 14. Dezember 1955 darstellten. Es ist also möglich, daß die Beteiligten bei der Bewertung des Betriebes am 31. Dezember 1951 ihre bis zum 14. Dezember 1955 gewonnene bessere Erkenntnis der Verhältnisse berücksichtigten. Der Einwand der Bgin., daß die Preise für Grundstücke noch dem Preisstopp unterlegen hätten, schließt nicht aus, daß die Beteiligten tatsächlich bei der Auseinandersetzung von einem höheren Wert des Grundstücks als dem Buchwert ausgingen.
Auch bei der Bemessung des Geschäftswerts kann die Entwicklung der Verhältnisse bis zum 14. Dezember 1955 nicht außer Betracht bleiben, weil sie R. zu einer wesentlich höheren Forderung veranlaßt haben könnte, als er sie bei einer schon Jahre vorher getroffenen Vereinbarung geltend gemacht hätte. Es ist möglich, daß sich Sch. gerade wegen dieser künftigen Entwicklung bereitfand, der Forderung des R. nachzugeben. Die Tatsache, daß kein Kaufmann mehr zahlt, als er zu erhalten glaubt, ist auch hier für die Beurteilung entscheidend. Die spätere Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs gehen bei dem Erwerb eines Anteils an einem Unternehmen ebenso wie bei dem Erwerb jedes anderen Wirtschaftsguts von dem aus der Lebenserfahrung gewonnenen Grundsatz aus, daß der Kaufmann für das, was er zahlt, einen Gegenwert erhält, der seinen Aufwendungen entspricht. Es muß deshalb selbst bei der an einen lästigen Gesellschafter gezahlten Abfindung insoweit, als sie den Buchwert des Kapitalkontos des Ausgeschiedenen und seinen Anteil an den stillen Reserven übersteigt, in der Regel davon ausgegangen werden, daß sie den zu aktivierenden Anschaffungspreis für den von den verbleibenden Gesellschaftern übernommenen Geschäftsanteil darstellt (Urteil des Reichsfinanzhofs VI 362, 363/41 vom 15. Juli 1942, RStBl 1942 S. 900, und Urteil des Bundesfinanzhofs I 229/59 U vom 11. Oktober 1960, BStBl 1960 III S. 509, Slg. Bd. 71 S. 695). Nur wenn die Beteiligten dartun können, daß und aus welchen Gründen dem ausscheidenden Gesellschafter ausnahmsweise aus betrieblichen Gründen mehr gezahlt werden mußte, als dem wahren Wert seines Geschäftsanteils entspricht, kann ein Teil der Abfindung sofort abzugsfähige Betriebsausgabe sein. Deshalb sind, wie in den bezeichneten Urteilen ausgesprochen ist, Fälle der sofortigen Verbuchung eines Teils der Abfindung als Betriebsausgabe selten.
In der Regel beruht der Geschäftswert des Unternehmens, aus dem ein Gesellschafter ausscheidet, auf den künftigen Gewinnchancen und der erwarteten und nachhaltigen Ertragsfähigkeit des Unternehmens. Erhält der ausscheidende Gesellschafter dafür, daß er in Zukunft an diesen Gewinnchancen nicht mehr beteiligt ist, mehr als sein buchmäßiges Kapitalkonto, so beruht das, soweit keine stillen Reserven im Anlagevermögen liegen, in der Regel auf einem entsprechenden Anteil an dem Geschäftswert des Unternehmens, der auf den verbleibenden Gesellschafter übergeht. Denn die Beteiligten gehen davon aus, daß der ausscheidende Gesellschafter mit seinem Kapital und seiner Arbeitsleistung im bisherigen Unternehmen mehr erzielt hätte, als ihm an anderer Stelle mit dem gleichen Kapital und der gleichen Arbeitsleistung zu erlangen möglich sein wird. Wenn im Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 1203/32 vom 22. November 1933 (RStBl 1934 S. 329) die Verbuchung einer Abfindung für künftige Gewinne als sofort abzugsfähige Betriebsausgabe anerkannt wird, so beruht das auf der vom Reichsfinanzhof übernommenen tatsächlichen Unterstellung aller Beteiligten, daß das Unternehmen keinen Geschäftswert hatte. Im übrigen ist es zweifelhaft, ob der Senat in dem vom Reichsfinanzhof entschiedenen Sonderfall die gleiche Auffassung vertreten würde.
Dem Grundsatz, daß aus der hohen Ertragsfähigkeit eines Unternehmens auf einen entsprechenden Geschäftswert geschlossen werden muß, kann in der Regel nicht entgegengehalten werden, daß diese Erträge auf der besonderen Tätigkeit des verbleibenden Gesellschafters beruhten und deshalb nicht als ein dem Unternehmen innewohnendes, den Geschäftswert begründendes Moment betrachtet werden dürften. Denn auch die Tüchtigkeit des Unternehmers und seiner Angestellten gehört zu den den Geschäftswert schaffenden Tatumständen. Die Rechtsprechung hat diese Grundsätze sogar hinsichtlich des Praxiswertes des freien Berufes vertreten. Siehe im einzelnen Entscheidung des Bundesfinanzhofs I 61/57 U vom 15. April 1958 (BStBl 1958 III S. 330, Slg. Bd. 67 S. 151). Der Erwerber eines Betriebes wird in der Regel davon ausgehen, daß er mit dem übernommenen Betrieb, den Angestellten und der Organisation den gleichen Erfolg erzielen kann wie der Veräußerer und daß kein Anlaß besteht, seine Tüchtigkeit geringer einzuschätzen als die des Veräußerers. Es kommt hinzu, daß es in tatsächlicher Beziehung kaum möglich ist festzustellen, in welchem Umfang die den Geschäftswert bedingende hohe Ertragsfähigkeit auf der Tüchtigkeit eines bestimmten Gesellschafters oder einer Angestellten, der günstigen Konjunktur oder anderen zur Schaffung eines Geschäftswerts geeigneten Umständen beruht. Aus der Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 62/60 U vom 10. November 1960 (BStBl 1961 III S. 95) können, wie in übereinstimmung mit dem IV. Senat festgestellt wird, keine anderen Schlußfolgerungen gezogen werden. Es handelt sich dort um einen Sonderfall, dessen Entscheidung im wesentlichen auf den tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts beruhte.
Die Akten bieten keinen Anhalt für die Annahme, daß Sch. an R. deshalb eine die Teilwerte und den Geschäftswert übersteigende Abfindung zu zahlen bereit war, weil er einen lästigen Gesellschafter aus betrieblichen Gründen loswerden mußte. Denn R. war bereits am 31. Dezember 1951 endgültig aus der OHG ausgeschieden. Zur Zahlung einer Versorgungsrente bestand für Sch. kaum eine Veranlassung, weil R. schon seit langem nicht mehr im Betrieb mitarbeitete und das Unternehmen erst im Jahre 1946 gegründet worden war. Soweit verwandtschaftliche Erwägungen bei der Höhe der Abfindung eine Rolle spielten, kommt zwar keine Aktivierung, aber auch keine Gewinnminderung in Betracht.
Fundstellen
Haufe-Index 410082 |
BStBl III 1961, 365 |
BFHE 1962, 267 |
BFHE 73, 267 |