Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundstückskaufvertrag zur Abwendung einer Enteignung; Entschädigungsleistungen zum Ausgleich für Vermögensnachteile als Teil der Gegenleistung
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einem zur Abwendung einer Enteignung geschlossenen Grundstückskaufvertrag über einen Teil eines Betriebsgrundstücks gehören neben dem Kaufpreis auch Entschädigungsleistungen, die dem Verkäufer zum Ausgleich für Vermögensnachteile infolge der Grundstücksveräußerung (insbesondere für eine Betriebseinschränkung oder -verlegung) gezahlt werden, zur Gegenleistung nach § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG.
2. § 9 Abs. 1 Nr. 7 Satz 2 GrEStG nimmt ausschließlich die besondere Entschädigung für eine Wertminderung der nicht enteigneten Grundstücke von der als Gegenleistung anzusetzenden Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer aus. Keine Wertminderung der nicht enteigneten Grundstücke sind Vermögensnachteile, die an anderen Vermögensgütern des Veräußerers eintreten.
Normenkette
GrEStG § 1 Abs. 1 Nr. 1, §§ 2, 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Nrn. 1, 7 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erwarb von B mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 7. April 2000 noch zu vermessende Teilflächen aus zwei Grundstücken. Die Teilflächen wurden nach einem Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahn-Bundesamtes für den Bau einer Bahnstrecke benötigt; der Grundstückskauf erfolgte zur Abwendung einer sonst drohenden Enteignung. B betrieb auf beiden Grundstücken, die eine wirtschaftliche Einheit bildeten, u.a. einen Baustoffhandel. Der Besitz an den erworbenen Teilflächen war aufgrund einer dem Grundstückskaufvertrag vorausgegangenen Vereinbarung bereits 1996 auf die Klägerin übergegangen. Die Inanspruchnahme der Teilflächen durch die Klägerin führte für den Betrieb des B zu Einschränkungen, die infolge der vorzeitigen Besitzüberlassung zunächst eine provisorische Teilverlagerung und später die endgültige Teilverlagerung des Betriebs auf ein räumlich entferntes Ersatzgrundstück erforderten.
Die von der Klägerin nach dem Grundstückskaufvertrag an B zu zahlende Entschädigung "zum Ausgleich aller Einbußen an eigentumsmäßig geschützten Rechtspositionen" betrug 7 765 955 DM. In diesem Betrag enthalten war die Entschädigung für den Erwerb der Grundstücksteilflächen (2 908 340 DM), für die provisorische Teilverlagerung des Betriebs bereits zum 1. Oktober 1996 (1 367 850 DM), für Mehrkosten infolge der Aufspaltung des Betriebs (1 202 000 DM zuzüglich "Einigung über streitige Vermögenspositionen" in Höhe von 164 150 DM, insgesamt 1 366 150 DM) sowie für "Folgekosten" (Suche eines Ersatzstandorts, verlorenes Inventar, Verlagerungskosten, Verluste im Warenbestand, verlagerungsbedingter Ausfall) in Höhe von 1 249 000 DM. Weitere Entschädigungsposten entfielen u.a. auf die von der Klägerin übernommenen Rechtsverfolgungskosten des B.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) setzte gegen die Klägerin mit vorläufigem Bescheid vom 27. Juli 2000 Grunderwerbsteuer fest, deren Bemessungsgrundlage er unter Zugrundelegung der gesamten an B zu zahlenden Entschädigung (mit Ausnahme der von der Klägerin übernommenen Rechtsverfolgungskosten) und Zinsen ermittelte. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) setzte die Grunderwerbsteuer auf 241 196 DM (123 321 €) herab und wies die Klage im Übrigen ab. Die Entschädigungszahlungen für die Betriebseinschränkung und teilweise Betriebsverlagerung sowie für die Folgekosten seien in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer einzubeziehen, da die Klägerin diese als sonstige Leistungen für den Grundstückserwerb und nicht für die Wertminderung des B verbliebenen Restgrundstücks gezahlt habe. § 9 Abs. 1 Nr. 7 Satz 2 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) sei daher nicht anwendbar. Ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, dass bei Grundstückserwerben zur Vermeidung einer Enteignung nur die für den Grundstückswert gezahlte Entschädigung als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer anzusetzen sei, bestehe nicht. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 757 veröffentlicht.
Hiergegen richtet sich die Revision, mit der die Klägerin Verletzung des § 9 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 7 GrEStG rügt.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung und des Grunderwerbsteuerbescheids vom 27. Juli 2000 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26. Juni 2001 die Grunderwerbsteuer auf 101 792 DM (52 045,42 €) herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Das FG hat zutreffend entschieden, dass bei einem zur Vermeidung einer Enteignung geschlossenen Grundstückskaufvertrag neben dem Kaufpreis auch dem Verkäufer gewährte Entschädigungen, die zum Ausgleich für Vermögensnachteile infolge der Grundstücksveräußerung (insbesondere für eine Betriebseinschränkung oder -verlegung) gezahlt werden, in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer einzubeziehen sind.
1. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG unterliegt der Erwerb eines Anspruchs auf Übereignung eines inländischen Grundstücks der Grunderwerbsteuer. Bemessungsgrundlage ist gemäß § 8 Abs. 1 GrEStG der Wert der Gegenleistung. Bei einem Grundstückskauf gilt nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG als Gegenleistung u.a. der Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen sonstigen Leistungen. Als sonstige Leistungen sind alle Verpflichtungen des Käufers anzusehen, die zwar nicht unmittelbar Kaufpreis für das Grundstück im bürgerlich-rechtlichen Sinne, aber gleichwohl Entgelt für den Erwerb des Grundstücks sind. Es gehören mithin alle Leistungen zur grunderwerbsteuerrechtlichen Bemessungsgrundlage, die der Erwerber als Entgelt für den Erwerb des Grundstücks gewährt oder die der Veräußerer als Entgelt für die Veräußerung des Grundstücks empfängt (vgl. etwa Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 11. Februar 2004 II R 31/02, BFHE 204, 489, BStBl II 2004, 521). Der Erwerb des Grundstücks und die Gegenleistung müssen kausal verknüpft sein (BFH-Urteil vom 27. Oktober 2004 II R 22/03, BFHE 208, 55, BStBl II 2005, 301, m.w.N.). Dabei ist nicht ausschlaggebend, was die Vertragschließenden als Gegenleistung für das Grundstück bezeichnen, sondern zu welchen Leistungen sie sich verpflichtet haben (BFH-Urteil vom 16. Februar 1994 II R 114/90, BFH/NV 1995, 65).
2. Auch bei einem Grundstückskaufvertrag, der zur Vermeidung einer Enteignung abgeschlossen wird, bestimmt sich die Gegenleistung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG (BFH-Urteil vom 18. Dezember 1991 II R 54/89, BFHE 166, 399, BStBl II 1992, 301). Dazu zählen alle Leistungen, die der Grundstückskäufer (Enteignungsberechtigte) für den Erwerb des Grundstücks i.S. des § 2 GrEStG gewährt oder der Verkäufer (Enteignungsverpflichtete) als Entgelt für das Grundstück erhält. Jedoch gehört gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 7 Satz 2 GrEStG bei der zur Vermeidung einer Enteignung erfolgenden freiwilligen Veräußerung eines Grundstücks, das zusammen mit anderen Grundstücken eine wirtschaftliche Einheit bildet, die besondere Entschädigung für eine Wertminderung der nicht enteigneten Grundstücke nicht zur Gegenleistung.
a) Bei einem Grundstückskaufvertrag zur Vermeidung einer Enteignung umfasst die Gegenleistung die neben dem Grundstückskaufpreis gezahlten Entschädigungen, mit denen im Zusammenhang mit der Veräußerung bzw. Inanspruchnahme eines Teils eines Betriebsgrundstücks eintretende Vermögensnachteile des Veräußerers (z.B. "gewerbliche Folgeschäden" aufgrund einer Betriebseinschränkung oder Betriebsverlegung) ausgeglichen werden. Der Grundstücksverkäufer erbringt auch diese Leistungen, sofern sie mit dem Erwerb des Grundstücks kausal verknüpft sind, für den Erwerb des Grundstücks (BFH-Urteil vom 24. Juni 1992 V R 60/88, BFHE 168, 484, BStBl II 1992, 986). Auch bei Grundstückerwerben zur Vermeidung einer Enteignung verbleibt es bei der Maßgeblichkeit des als Bemessungsgrundlage anzusetzenden Werts der Gegenleistung (§ 8 Abs. 1 GrEStG). Für diesen ist der (gemeine) Wert des Grundstücks ohne Bedeutung, weil das GrEStG nicht auf das abstellt, was der Käufer erhält, sondern was für den Erwerb hinzugeben ist (BFH-Urteil vom 10. Juni 1969 II 172/64, BFHE 96, 429, BStBl II 1969, 668).
b) Entschädigungszahlungen scheiden allerdings aus der Gegenleistung aus, wenn sie nicht den der Grunderwerbsteuer unterliegenden Rechtsvorgang betreffen, insbesondere für eine andere Leistung aufgewendet werden als für die Verpflichtung, Eigentum an dem Grundstück i.S. des § 2 GrEStG zu verschaffen. Vom Grundstückskäufer gezahlte Entschädigungen etwa für Grundstückszubehör (§ 97 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ―BGB―) oder für Maschinen und sonstige Betriebsvorrichtungen (§ 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 GrEStG) gehören daher nicht zur Gegenleistung. Dies gilt bei einer Grundstücksveräußerung zur Vermeidung einer Enteignung auch für eine vom Erwerber gezahlte Entschädigung zur Abgeltung von bereits vor der Veräußerung eingetretenen Schäden (BFH-Urteile vom 29. Januar 1975 II R 79/71, nicht veröffentlicht; vom 5. Februar 1975 II R 80/73, BFHE 115, 147, BStBl II 1975, 454).
c) Das FG hat zutreffend erkannt, dass sich bei einem zur Vermeidung einer Enteignung abgeschlossenen Grundstückskaufvertrag aus § 9 Abs. 1 Nr. 7 Satz 2 GrEStG keine über den Wortlaut dieser Vorschrift hinausgehenden Einschränkungen des allgemeinen Gegenleistungsbegriffs ergeben. Dieser Vorschrift kann nicht entnommen werden, dass ausschließlich der vom Grundstückskäufer für den Grundstückswert gezahlte Kaufpreis bzw. Entschädigungsbetrag als Bemessungsgrundlage anzusetzen ist.
§ 9 Abs. 1 Nr. 7 Satz 2 GrEStG ordnet lediglich an, dass eine besondere Entschädigung für eine "Wertminderung der nicht enteigneten Grundstücke" nicht zur Gegenleistung gehört. Eine solche Wertminderung betrifft nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift ausschließlich die Minderung des (Substanz-)Werts des dem Verkäufer verbliebenen Grundstücks. An anderen Vermögensgütern des Veräußerers infolge der Veräußerung eines Grundstücksteils eintretende Vermögensnachteile (so etwa durch die Grundstücksveräußerung veranlasste Betriebseinschränkungen, Bewirtschaftungserschwernisse oder Räumungskosten) sind keine Wertminderung des Restgrundstücks. Hierfür gezahlte Entschädigungen sind daher nach dem allgemeinen Gegenleistungsbegriff zu behandeln (a.A. Hofmann, Grunderwerbsteuergesetz, 8. Aufl., § 9 Rz. 47; Pahlke/Franz, Grunderwerbsteuergesetz, 2. Aufl., § 9 Rz. 146, 151).
Dem steht nicht die der Vorschrift des § 9 Abs. 1 Nr. 7 Satz 2 GrEStG zugrunde liegende Erwägung des Gesetzgebers entgegen, eine zum Ausgleich für die Wertminderung des Restgrundstücks gezahlte Entschädigung werde ohne Rücksicht auf den enteigneten Grundstücksteil bemessen und der Enteignungsberechtigte erhalte für die besondere Entschädigung keinen entsprechenden Gegenwert (Begründung GrEStG 1940 zu § 11 Abs. 1 Nr. 7, RStBl 1940, 497). Daraus ergibt sich nicht, dass die bei Teilenteignungen bzw. der freiwilligen Veräußerung von Grundstücksteilen zur Vermeidung einer Enteignung anzusetzende Bemessungsgrundlage ausschließlich an der vom Grundstückskäufer (Entschädigungsverpflichteten) für den (Substanz-)Wert des entzogenen Grundstücks gezahlten Entschädigung auszurichten ist.
3. Nach diesen Grundsätzen sind die Entschädigungsleistungen, die die Klägerin zum Ausgleich für die Mehrkosten des B infolge der Aufspaltung des Betriebs (insgesamt 1 367 850 DM) sowie für "Folgekosten" (Suche eines Ersatzstandorts, verlorenes Inventar, Verlagerungskosten, Verluste im Warenbestand, verlagerungsbedingter Ausfall) in Höhe von 1 249 000 DM gezahlt hat, als Gegenleistung anzusetzen. Die Klägerin hat sich zu diesen Entschädigungsleistungen verpflichtet, um die Grundstücksflächen erwerben zu können; damit liegt eine kausale Verknüpfung von Grundstückserwerb und Gegenleistung vor.
Ebenfalls Gegenleistung ist die von der Klägerin für die vorzeitige Besitzübertragung (provisorische Teilverlagerung des Betriebs des B aufgrund des bereits zum 1. Oktober 1996 erfolgten vorzeitigen Besitzübergangs) gezahlte Entschädigung. Zwar ist ―anders als das FG meint― ein gesondert vereinbartes Entgelt, das ein Grundstücksverkäufer für eine bereits vor der Kaufpreiszahlung gewährte vorzeitige Nutzungsüberlassung vom Grundstückskäufer erhält, keine Gegenleistung i.S. der §§ 8 Abs. 1, 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG (BFH-Urteile vom 8. August 2001 II R 49/01, BFHE 196, 312, BStBl II 2002, 98; vom 23. Oktober 2002 II R 81/00, BFHE 200, 416, BStBl II 2003, 199). Dies gilt jedoch nicht für Entschädigungsleistungen, die der Veräußerer ―wie vorliegend― zum Ausgleich von infolge der vorzeitigen Nutzungsüberlassung erforderlichen Aufwendungen für eine provisorische Teilverlagerung von Betriebsteilen erhält. Anhaltspunkte dafür, dass die Entschädigungsleistung ganz oder teilweise für bereits vor Abschluss des Grundstückskaufvertrags eingetretene Schäden im Betrieb des B gezahlt wurde, bestehen nicht.
Fundstellen
Haufe-Index 1401856 |
BFH/NV 2005, 1951 |
BStBl II 2005, 651 |
BFHE 2006, 60 |
BFHE 210, 60 |
BB 2005, 1894 |
DB 2005, 2225 |
DStRE 2005, 1289 |
DStZ 2005, 621 |
HFR 2005, 1100 |