Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Zulässigkeit einer Klage gegen einen Folgebescheid
Leitsatz (NV)
1. Die Klage gegen einen Einkommensteuerbescheid (Folgebescheid) ist auch dann zulässig, wenn mit der Klagebegründung nur Einwendungen gegen einen dem Folgebescheid zugrunde liegenden Gewinnfeststellungsbescheid (Grundlagenbescheid) geltend gemacht werden.
2. Im Rahmen der Begründetheit der Klage gegen den Folgebescheid hat das FG zu prüfen, ob und welche Bindungswirkung der Feststellungsbescheid entfaltet bzw. ob die Klage aus einem anderen Grunde begründet ist.
Normenkette
FGO § 40 Abs. 2, §§ 42, 74; AO 1977 § 182 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin war zusammen mit anderen Personen Mitglied einer Tanzkapelle. Das FA stellte Einkünfte der Tanzkapelle für das Streitjahr 1977 durch Feststellungsbescheid fest. Gegen den Feststellungsbescheid wurde Einspruch eingelegt, über den noch nicht entschieden ist. Auf der Grundlage des Feststellungsbescheides erließ das FA gegenüber der Klägerin einen ESt-Bescheid 1977. Der Einspruch und die Klage gegen den ESt-Bescheid 1977, mit denen die Klägerin gravierende Mängel des Feststellungsbescheides geltend machte, blieben erfolglos.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
1. Die Klage ist zulässig.
a) Die Erhebung einer zulässigen Anfechtungsklage i.S. des § 40 Abs. 1 FGO setzt u.a. voraus, daß der klagende Steuerpflichtige geltend macht, durch den angefochtenen Steuerbescheid in seinen Rechten verletzt zu sein (§ 40 Abs. 2 FGO). An dieser Voraussetzung soll es nach einer im Schrifttum (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 351 AO 1977 Rz. 38; Kühn / Kutter / Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 351 AO 1977 Anm. 4; Ziemer / Haarmann / Lohse / Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 1457 ff.; Söhn, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1974, 50, 53 ff.) und von einem Teil der FG (vgl. Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 4. November 1980 III 172/80, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1981, 218; FG Münster, Urteil vom 15. Dezember 1981 X-II 962/79 E, EFG 1982, 338; FG Bremen, Urteil vom 16. März 1983 I 154/82 K, EFG 1983, 332; FG Köln, Beschluß vom 13. Januar 1984 I A 665/83, EFG 1984, 267; FG Berlin, Urteil vom 2. Juni 1986 VIII 12/85, EFG 1986, 610; FG Hamburg, Urteil vom 29. April 1986 III 341/83, EFG 1986, 627) vertretener Auffassung fehlen, wenn mit der Klage gegen einen Folgebescheid nur Einwendungen geltend gemacht werden, die sich gegen einen zuvor ergangenen Grundlagenbescheid richten (§ 42 FGO). Die hier wiedergegebene Auffassung, die sich insbesondere auf die Stellung des § 42 im Abschnitt I des Zweiten Teils der FGO stützt, versteht die in § 42 FGO enthaltene Regelung als lex specialis gegenüber § 40 Abs. 2 FGO mit der Folge, daß es unter den Voraussetzungen des § 42 FGO an einer in zulässiger Weise geltend gemachten Beschwer für die Klage gegen den Folgebescheid fehlt. Demgegenüber hat der Bundesfinanzhof (BFH) in ständiger Rechtsprechung (vgl. Beschluß vom 27. September 1972 I B 27/72, BFHE 107, 8, BStBl II 1973, 24; Urteile vom 30. November 1979 VI R 159/76, nicht veröffentlicht - NV -; vom 9. Mai 1984 I R 25/81, BFHE 141, 252, BStBl II 1984, 726; vom 16. Oktober 1984 IX R 93/84, NV; vom 23. Juli 1985 VIII R 211/84, BFH/NV 1986, 168) die Auffassung vertreten, daß eine Klage, die sich gegen einen Folgebescheid richtet, jedoch ausschließlich mit Einwendungen begründet wird, die den Grundlagenbescheid betreffen, allenfalls unbegründet und nicht unzulässig ist. Diese Rechtsprechung stützt sich auf die Überlegung, daß es für die Geltendmachung einer Beschwer i.S. des § 40 Abs. 2 FGO ausreicht, wenn der klagende Steuerpflichtige - wie im Streitfall die Klägerin - behauptet, die Steuer sei in dem mit der Klage angefochtenen Bescheid zu hoch festgesetzt worden. Für die Geltendmachung einer Rechtsverletzung i.S. des § 40 Abs. 2 FGO bedarf es keiner weiteren Darlegungen, aus welchem Sachverhalt die Klägerin die Rechtsverletzung ableitet. Die mit der Klage gegen den Folgebescheid verbundene Behauptung, die Steuer sei in dem angefochtenen Steuerbescheid zu hoch festgesetzt, führt zu der Verpflichtung des FG, den Steuerbescheid im Rahmen des Klageantrags zumindest nach Aktenlage von Amts wegen und ohne Bindung an eine wie auch immer geartete Klagebegründung in formeller und materieller Hinsicht zu überprüfen. Bei dieser Überprüfung ist die an einen Feststellungsbescheid ggf. bestehende Bindungswirkung zu beachten. Eine Bindungswirkung besteht in diesem Sinne jedoch nur dann, wenn der Feststellungsbescheid rechtswirksam ergangen ist, d.h., wenn er sich gegen den klagenden Steuerpflichtigen richtet und ihm bekanntgegeben wurde (§ 124 Abs. 1 i.V.m. § 183 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Soweit Anhaltspunkte dafür bestehen, daß einzelne dieser Voraussetzungen nicht erfüllt sind, hat das FG sie im Rahmen der Begründetheit der gegen den Folgebescheid gerichteten Klage zu prüfen (vgl. BFH-Beschluß vom 25. März 1986 III B 6/85, BFHE 146, 225, BStBl II 1986, 477). Da die Bindungswirkung nur soweit reicht, als einzelne Besteuerungsgrundlagen des Folgebescheides in dem Feststellungsbescheid festgestellt wurden, hat das FG auch von Amts wegen zu prüfen, ob der Feststellungsbescheid die interessierende Feststellung enthält und ob sie zutreffend in den Folgebescheid übernommen wurde.
b) Der erkennende Senat hält an der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung fest. Unbeschadet der Stellung des § 42 FGO ist aufgrund des Wortlauts der Vorschrift nicht zu erkennen, daß sie die Möglichkeit einschränken soll, eine Rechtsverletzung i.S. des § 40 Abs. 2 FGO durch den bloßen Hinweis auf eine (angeblich) zu hohe Steuerfestsetzung geltend zu machen. Es ist auch nicht einsichtig, daß derjenige, der nur die zu hohe Steuerfestsetzung als Klagebegründung rügt, eine zulässige Klage erhoben haben soll, während derjenige, der seine Klage ,,zusätzlich" mit Einwendungen gegen den Grundlagenbescheid begründet, deshalb ihre Abweisung als unzulässig riskieren soll. Vor allem übersieht die von dem erkennenden Senat abgelehnte Auffassung, daß § 42 FGO seinem Inhalt nach nur die verfahrensrechtlichen Konsequenzen zieht, die sich aus der in § 182 Abs. 1 AO 1977 geregelten Bindungswirkung ergeben. Da aber die sich aus dem Feststellungsbescheid ergebenden Rechtsfolgen materiell-rechtlicher Natur sind, kann nur im Rahmen der Begründetheit der sich gegen den Folgebescheid richtenden Klage geprüft werden, ob überhaupt und wenn ja in welchem Umfang eine Bindungswirkung für den Folgebescheid an den Grundlagenbescheid eingetreten ist.
c) Der erkennende Senat versteht damit § 42 FGO als eine Vorschrift, die klarstellend die sich aus der Bindungswirkung des § 182 Abs. 1 AO 1977 ergebenden verfahrensrechtlichen Folgen regelt. Die Vorschrift berührt die Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 FGO nicht. Mag die Bindungswirkung an einen Feststellungsbescheid auch vorwiegend aus verfahrensökonomischen Gründen vorgeschrieben worden sein, so schließt dies die Auffassung des Senats in keiner Weise aus. Zwar bedarf es zur Durchsetzung einer sog. Folgeberichtigung in der Regel der Anfechtung des Folgebescheides nicht. Vielmehr genügt auch in den Fällen des § 171 Abs. 10 AO 1977 die rechtzeitige Antragstellung nach Erlaß des geänderten Feststellungsbescheides (§ 171 Abs. 3 AO 1977). Jedoch geht es darum letztlich nicht. Entscheidend ist allein, daß das FG aufgrund der Klagebegründung den angefochtenen Folgebescheid von Amts wegen auf seine formelle und materielle Richtigkeit hin im Rahmen des Klageantrags zu überprüfen hat. Sollte das FG dabei zu der Auffassung gelangen, daß der Folgebescheid (nur) mit Rücksicht auf die Bindungswirkung an den Feststellungsbescheid rechtmäßig ist, so hat es im Rahmen seines Ermessens darüber zu befinden, ob es das Klageverfahren gemäß § 74 FGO aussetzt oder aber die Klage als unbegründet abweist. Dazu nimmt der Senat auf die BFH-Urteile vom 24. April 1979 VIII R 57/76 (BFHE 128, 136, BStBl II 1979, 678) und vom 14. Februar 1984 VIII R 126/82 (BFHE 141, 124, BStBl II 1984, 580) Bezug.
2. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Die Vorentscheidung kann insoweit keinen Bestand haben. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Wegen der insoweit fehlenden tatsächlichen Feststellungen kann der Senat nicht darüber befinden, ob der Feststellungsbescheid rechtswirksam ergangen ist, d.h. ob er sich auch an die Klägerin richtet, ob er ihr bekanntgegeben wurde, ob die im Folgebescheid angesetzten Besteuerungsgrundlagen festgestellt und aus dem Feststellungsbescheid zutreffend übernommen wurden. Die fehlenden Feststellungen nachzuholen ist Sache des FG. Aus diesem Grunde war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache war an das FG zurückzuverweisen.
Der erkennende Senat kann auch nicht - wie von der Klägerin beantragt - selbst das Verfahren gemäß § 74 FGO aussetzen. Für eine Aussetzung des Revisionsverfahrens fehlt jeder Grund, weil insoweit die Voraussetzungen des § 74 FGO nicht erfüllt sind. Eine Aussetzung des Verfahrens bei gleichzeitiger Aufhebung der Vorentscheidung wird durch § 126 Abs. 3 Nrn. 1 und 2 FGO ausgeschlossen. Danach kann der Senat nur entweder in der Sache selbst entscheiden oder aber die Sache an das FG zurückverweisen. Die Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens kann im übrigen immer nur von dem Gericht getroffen werden, dessen Verfahren ausgesetzt werden soll. Da die Klägerin die Aussetzung des Klageverfahrens begehrt, ist es allein Sache des FG, darüber zu befinden.
Fundstellen
Haufe-Index 415303 |
BFH/NV 1988, 383 |