Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Sonstiges Verbrauchsteuern
Leitsatz (amtlich)
1.ß 96 AO findet keine Anwendung auf Verfügungen, mit denen Finanzverwaltungsorgane in der Annahme, hierzu berechtigt zu sein, in Wirklichkeit aber ohne entsprechende Ermächtigung eine von der gesetzlichen Regelung abweichende steuerliche Begünstigung gewähren wollen.
2.Eine ordnungsgemäße Versendung von unversteuertem Mineralöl mit Versendungsanmeldung liegt nur vor, wenn der Versender die in der Versendungsanmeldung geforderten Angaben über Menge, Art und Steuersatz des Mineralöls objektiv richtig gemacht hat.
3.Zur Frage
a)der Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben bei der Nachforderung von Verbrauchsteuern,
b)der Abgrenzung zwischen Billigkeitsmaßnahmen nach § 131 AO und der Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben.
GG Art. 20 Abs. 3; AO §§ 96, 131, 223; MinöStG § 15 Abs. 2 und 3; MinöStDV §§ 15, 17, 22 Abs. 1, 23 Abs. 1 und 33 Abs. 2 und 3.
-I. -
Normenkette
AO §§ 96, 131, 223; GG Art. 20 Abs. 3; MinöStG § 15; MinöStDV §§ 15, 17, 22/1, § 23/1, § 33
Tatbestand
Streitig ist, ob Flüssiggas, das nach dem Inkrafttreten (1. Juni 1953) des § 2 Abs. 2 Nr. 6 des Mineralölsteuergesetzes (MinöStG) in der Fassung vom 21. Mai 1953 (BGBl 1953 I S. 234, Bundeszollblatt - BZBl - 1953 S. 304) aus inländischem und ausländischem Rohöl zwar getrennt hergestellt, im Herstellungsbetrieb aber dann vermischt wurde, zum Steuersatz von 10 DM / 100 kg oder 14,25 DM zu versteuern ist, ob im letzteren Falle die Angabe eines Steuersatzes von 10 DM / 100 kg in der Versendungsanmeldung eine nicht ordnungsgemäße Versendung des Mineralöls zur Folge hatte und ob die dadurch veranlaßte Nachforderung der Mineralölsteuer gegen Treu und Glauben verstößt, weil das Zustandekommen der Nachforderung ganz überwiegend durch ein rechtsirriges Verhalten des Hauptzollamts verursacht wurde.
Die Bgin., die aus Kostenersparnisgründen die aus inländischem und ausländischem Erdöl gewonnenen Flüssiggasmengen auch nach dem 1. Juni 1953 gemischt in gemeinsamen Tanks lagern wollte, hat mit Schreiben vom 4. Juni 1953 beim Hauptzollamt beantragt, daß die Versteuerung des Flüssiggases nach der Jahresprognose für den Rohöleinsatz ausgerichtet werde und daß, falls das Verhältnis der zur Verarbeitung gelangten inländischen und ausländischen Rohölmengen von der Prognose abweiche, diese Abweichung jeweils bis zum Jahresschluß ausgeglichen werde. Nach Überprüfung der Angelegenheit durch den zuständigen Oberbeamten des Steueraufsichtsdienstes teilte das Hauptzollamt der Bgin. mit Schreiben vom 22. Juni 1953 mit, daß es unter dem Vorbehalt jederzeitigen Widerrufs keine Einwendungen gegen das beabsichtigte Verfahren habe, falls auf eine übersichtliche buchmäßige Auseinanderhaltung der aus ausländischen und inländischen Mineralölen hergestellten Flüssiggase Bedacht genommen werde. Auf Grund eines an die für den Streitfall zuständige Oberfinanzdirektion gerichteten Erlasses des Bundesministers der Finanzen vom 29. Oktober 1954, in welchem die Auffassung vertreten wurde, daß der Sondersteuersatz des § 2 Abs. 1 Nr. 6 a MinöStG von 10 DM / 100 kg nur für Flüssiggas gelte, das ausschließlich aus im Erhebungsgebiet gefördertem unbearbeitetem Erdöl hergestellt würde, und daß diese Voraussetzung für keine Teilmenge eines Gemisches zutreffe, das durch die Vermischung von Flüssiggasen aus der zunächst getrennten Verarbeitung von inländischem und verzolltem Rohöl entstanden sei, widerrief das Hauptzollamt durch Verfügung vom 23. November 1954 die mit seiner Verfügung vom 22. Juni 1953 gegebene Zustimmung zu dem von der Bgin. beantragten Verfahren. Weiter forderte es mit Steuerbescheid vom 9. Dezember 1955 von der Bgin. den Betrag von ... DM an Mineralölsteuer nach, und zwar für ... kg Flüssiggas, das versteuert von der Bgin. abgegeben und für das bereits ein Steuerbetrag von 10 DM / 100 kg entrichtet worden war, den Betrag von ... DM, und für ... kg Flüssiggas, das unversteuert auf Versendungsanmeldungen abgegeben worden war, den Betrag von ... DM. Das Hauptzollamt vertrat die Auffassung, daß hinsichtlich der unversteuert abgegebenen Mengen keine ordnungsgemäße Versendung im Sinne der §§ 17, 33 der Verordnung zur Durchführung des Mineralölsteuergesetzes (MinöStDV) vorgelegen habe, weil in den Versendungsanmeldungen anstatt des zutreffenden Steuersatzes von 14,25 DM / 100 kg der zu niedrige Steuersatz von 10 DM angegeben worden sei.
Die Sprungberufung hatte insofern Erfolg, als die Bgin. nur für die zum Satze von 10 DM / 100 kg versteuerten ... kg Flüssiggas in Höhe von ... DM in Anspruch genommen wurde, während sie hinsichtlich des restlichen Abgabenbetrages von ... DM für die mit Versendungsanmeldungen unversteuert versandten ... kg Flüssiggas freigestellt wurde. Die Vorinstanz vertrat die Auffassung, daß trotz der irrigen Angabe eines falschen Steuersatzes in den Versendungsanmeldungen jeweils eine ordnungsgemäße Versendung vorgelegen habe und daß selbst bei Annahme einer nicht ordnungsgemäßen Versendung die Steuernachforderung gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoße, weil das von der Bgin. angewandte Verfahren von den zuständigen Zollstellen ausdrücklich gebilligt und über ein Jahr lang geduldet worden sei.
Zur Begründung der vom Vorsteher des Hauptzollamts eingelegten Rb. wiederholt der Bundesminister der Finanzen, der dem Verfahren beigetreten ist, daß im Streitfalle das Verfahren bei der Versendung des unversteuerten Flüssiggases deshalb nicht ordnungsmäßig gewesen sei. weil die Bgin. in den Versendungsanmeldungen einen falschen Steuersatz angegeben habe. Die Ansicht der Vorinstanz, die Versendung müsse deshalb nach Treu und Glauben als ordnungsmäßig angesehen werden, weil die Verwaltung selbst das Verfahren der Bgin. ausdrücklich gebilligt und über ein Jahr lang geduldet habe, könne nicht durchgreifen. Ob ein Verfahren ordnungsmäßig sei, könne nicht nach Treu und Glauben entschieden werden, sondern nur in der Weise, daß man das Verfahren an dem objektiven Maßstab der Rechtsordnung messe. Eine Abgabennachforderung scheide nur aus bei absichtlich schädigendem Verhalten der Zollbeamten, wie aus der Entscheidung des BundesfinanzhofsV z 60/55 vom 13. Dezember 1955 (Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 1956 S. 146) ersichtlich sei.
Entscheidungsgründe
Die Rb. kann keinen Erfolg haben.
-II. -
1.Nach § 2 Abs. 1 Nr. 6 a MinöStG in der für den Streitfall maßgebenden Fassung galt für Flüssiggas, ausschließlich aus im Erhebungsgebiet gefördertem unbearbeitetem Erdöl hergestellt, ein Steuersatz von 10 DM / 100 kg, während nach Nr. 6 b a. a. O. für anderes Flüssiggas ein solcher von 14,25 DM zur Anwendung kam. Da nach § 3 a. a. O. die Steuerschuld mit der Entfernung des Mineralöls aus dem Herstellungsbetrieb oder der Entnahme zum Verbrauch innerhalb des Betriebes zu anderen Zwecken als zur Aufrechterhaltung des Betriebes entsteht, kommt es für die Höhe des in Betracht kommenden Steuersatzes auf die Beschaffenheit des Flüssiggases in diesen Zeitpunkten an. Ist Flüssiggas, das ausschließlich aus im Erhebungsgebiet gefördertem unbearbeitetem Mineralöl hergestellt wurde, zu den genannten Zeitpunkten mit Flüssiggasen, bei denen dies nicht der Fall ist, vermischt gewesen, so muß, wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, die gesamte Flüssiggasmenge als sonstiges Flüssiggas im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 6 b MinöStG zum Steuersatz von 14,25 DM / 100 kg versteuert werden, weil kein gegenständlicher Teil des Gemisches die Voraussetzung für die Anwendung des niedrigeren Steuersatzes erfüllt.
2.Der Vorinstanz ist auch darin beizupflichten, daß sich die Bgin. für ihre Zwecke nicht auf § 96 AO berufen kann. Diese Vorschrift betrifft nur Finanzverwaltungsakte konstitutiven Rechtscharakters, d. h. solche, die auf Grund besonderer gesetzlicher Ermächtigung einen von der normalen gesetzlichen Regelung abweichenden Rechtszustand schaffen, nicht jedoch solche, die lediglich deklaratorischen Charakter haben (vgl. Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, Randziffer 5 zu § 96). § 96 AO kann daher keine Anwendung finden auf Verfügungen, mit denen die Verwaltungsorgane in der Annahme, hierzu ermächtigt zu sein, in Wirklichkeit aber ohne entsprechende Ermächtigung eine von der gesetzlichen Regelung abweichende Steuervergünstigung gewähren wollen. Denn die Verwaltung kann begünstigende Verfügungen nach § 96 AO nur im Rahmen des Gesetzes erlassen. Das Hauptzollamt konnte daher, da es an einer Ermächtigung hierzu fehlte, im Streitfall nicht im Wege einer Verfügung ein im Gesetz nicht vorgesehenes Verfahren zulassen, das im Ergebnis einer Änderung des Steuersatzes für das Flüssiggas gleichkommt. Eine solche Ermächtigung kann auch nicht aus § 4 MinöStDV (in der für den Streitfall geltenden Fassung) hergeleitet werden. Diese Vorschrift bezieht sich ausdrücklich nur auf das Vermischen von Benzinen verschiedener Steuersätze bzw. von steuerbaren und nichtsteuerbaren Gasölen, nicht aber auf Flüssiggase verschiedener Steuersätze (vgl. dazu Schädel, Mineralölsteuer und Mineralölzoll, Kommentar, 1. Aufl., Anm. 16 zu ß 2).
3.Der Einwand der Bgin., durch die Regelung des § 4 MinöStDV, die sich nur auf Benzine und Gasöle beziehe, nicht aber auf Flüssiggas, werde der Grundsatz der gleichmäßigen Besteuerung und damit der Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) verletzt, kann nicht durchgreifen. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz liegt nur dann vor, wenn wesentlich gleiche Tatbestände ungleich behandelt werden (vgl. v. Mangoldt-Klein, Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., Anm. III 1 zu Art. 3 und die dort zitierte Rechtsprechung). Der für Benzin und Gasöl in § 4 MinöStDV getroffenen Regelung liegen aber, wie der Bundesminister der Finanzen überzeugend dargelegt hat, wirtschaftlich und mineralölsteuerrechtlich wesentlich andere Tatbestände zugrunde, als sie bei Flüssiggas gegeben sind.
4.Wird Mineralöl unversteuert aus einem Herstellungsbetrieb an einen anderen angemeldeten Herstellungsbetrieb zur weiteren Verarbeitung abgegeben (ß 8 MinöStG) oder in ein Steuerlager (ß 9 MinöStG) verbracht, so hat es der Inhaber des abgebenden Betriebs (Versender) spätestens am Tage (nunmehr am 4. Tage) nach der Entfernung aus dem Betrieb der für den Empfänger zuständigen Zollstelle mit Versendungsanmeldung nach vorgeschriebenem Muster in zwei Stücken anzumelden (ßß 15, 31 MinöStDV). Zufolge des Erlasses des Bundesministers der Finanzen vom 29. Mai 1953 - Nr. 28 - (BZBl 1953 S. 344), ergangen auf Grund des § 15 Abs. 3 MinöStG in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. Mai 1953 (BGBl 1953 I S. 234, BZBl 1953 S. 304), waren zunächst die bisher gebräuchlichen Muster für Versendungsanmeldungen weiter zu verwenden. Die Angabe des Steuersatzes war in dem damals geltenden Muster der Versendungsanmeldung im Bezirk der hier in Betracht kommenden Oberfinanzdirektion vorgeschrieben. Die Bgin. hat den Steuersatz jedoch jeweils zu niedrig angegeben. Der erkennende Senat ist der Auffassung, daß schon bei Angabe eines objektiv unzutreffenden, zu niedrigen Steuersatzes in der Versendungsanmeldung keine ordnungsgemäße Versendung des Mineralöls im Sinne der §§ 17, 33 Abs. 2 MinöStDV vorliegt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die zu niedrige Angabe des Steuersatzes auf einem Versehen des Steuerpflichtigen oder einem rechtsirrigen Verhalten der Zollorgane beruht, da für die Ordnungsmäßigkeit des Versendungsverfahrens allein der objektive, den Anforderungen der Rechtsordnung entsprechende Tatbestand maßgebend ist. Sinn des Versendungsverfahrens ist es nämlich, das versandte Mineralöl im Interesse des Steueraufkommens steuerlich zu überwachen. Bei der unterschiedlichen steuerlichen Belastung der Mineralöle entsprechend ihrer Herkunft, Art, Herstellungsweise usw. ist es unerläßlich, daß neben der mengenmäßigen Überwachung auch eine Kontrolle der jeweiligen Steuerbelastung gewährleistet ist. Auf die Art des Mineralöls, die ihren Ausdruck auch in den unterschiedlichen Steuersätzen findet, kommt es auch entscheidend für die Zulässigkeit der etwaigen späteren Verwendung zu steuerbegünstigten Zwecken durch Erlaubnisscheininhaber an (vgl. Anlage 2 zu § 19 Minö-StDV). Die in der Versendungsanmeldung geforderten Angaben, soweit sie den steuerlichen Charakter, die steuerliche Belastung (Steuersatz) und damit allgemein die Steuerbelange betreffen, sind für die künftige Behandlung des Mineralöls, das sich im Steuersicherungsverkehr befindet, erforderlich. Sie sind ein wesentlicher Teil der Überwachungsvorschriften bei der Versendung des Mineralöls. Die Angabe eines zu niedrigen Steuersatzes, wie es im Streitfalle geschehen ist, trägt die Gefahr erheblicher Steuerausfälle mit sich, da die Zollaufsichtsorgane meist nicht ohne weiteres in der Lage sein werden, die zutreffenden Verhältnisse zu erkennen, und sich daher weitgehend auf die Angaben in den Versendungsanmeldungen müssen verlassen können. Bei dem großen Umfang der Versendungen von unversteuertem Mineralöl auf Versendungsanmeldungen ist es auch praktisch nicht durchführbar, von jeder Warenversendung Proben zur Untersuchung zu entnehmen, abgesehen davon, daß auch bei Probenuntersuchungen nicht immer die steuerliche Belastung festzustellen sein wird, so z. B., wenn die Höhe des Steuersatzes - wie im Streitfall - davon abhängt, ob das Mineralöl aus inländischem oder ausländischem Erdöl hergestellt wurde. Das Versendungsverfahren - das eine bedeutsame Vergünstigung für die beteiligte Wirtschaft darstellt - würde seinen eigentlichen Sinn, der steuerlichen Überwachung zu dienen und das Steueraufkommen zu sichern, verlieren, wollte man den für die künftige steuerliche Behandlung notwendigen und in den Versendungsanmeldungen geforderten Angaben im Falle ihrer Unrichtigkeit nicht materiell-rechtliche Bedeutung zukommen lassen. Daß auch der Gesetzgeber die Angabe des zutreffenden Steuersatzes in der Versendungsanmeldung als für die künftige steuerliche Behandlung des Mineralöls wesentlich ansieht, ist aus § 15 Abs. 6 MinöStDV zu folgern, wonach im Falle der Genehmigung nachträglicher Abgabe von Sammelversendungsanmeldungen die Genehmigung von der Bedingung abhängig zu machen ist, daß der Versender auf den kaufmännischen Versandpapieren (Lieferschein oder dgl.) den zutreffenden Steuersatz vermerkt. Man kann auch nicht annehmen, daß die Steuerschuld etwa in der in der Versendungsanmeldung angegebenen Steuersatzhöhe auf den Abnehmer übergehe, da die in Betracht kommenden gesetzlichen Vorschriften den Begriff einer teilweisen ordnungsgemäßen Versendung nicht kennen. Eine Versendung, die auf einer nur teilweise ordnungsgemäß abgegebenen Versendungsanmeldung beruht, ist eben nicht ordnungsgemäß. Daß der Gesetzgeber dabei selbst mit der Möglichkeit einer mehrmaligen Entstehung einer Steuerschuld im Verlauf des weiteren Absatzweges der Ware rechnet, ergibt sich eindeutig aus § 15 Abs. 2 Nr. 4 d MinöStG in Verbindung mit § 33 Abs. 3 MinöStDV.
Da im Streitfall nach den vorstehenden Ausführungen keine ordnungsgemäße Versendung des Mineralöls vorliegt, ist die mit der Entfernung des Flüssiggases aus den Herstellungsbetrieb der Bgin. in ihrer Person zunächst bedingt entstandene Mineralölsteuerschuld für die im Steuerbescheid angegebenen, hier strittigen ... kg Flüssiggas mit der Versendung an einen anderen Herstellungsbetrieb daher nicht entsprechend § 17 MinöStDV weggefallen oder im Falle der Versendung an ein Steuerlager oder einen Erlaubnisscheininhaber nicht entsprechend § 23 Abs. 1 bezw. § 33 Abs. 2 MinöStDV auf die Abnehmer übergegangen, sondern in Höhe von 14,25 DM / 100 kg in der Person der Bgin. unbedingt geworden.
-III. - Der erkennende Senat ist jedoch nach Prüfung der Sach- und Rechtslage - insoweit im Ergebnis mit der Vorentscheidung übereinstimmend, wenn auch zum Teil aus anderen Gründen - der Auffassung, daß der in der Person der Bgin. unbedingt gewordene Steueranspruch nach dem auch das Steuerrecht beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben nicht geltend gemacht werden kann. Das nachstehend gewürdigte Verhalten der Zollverwaltung hinderte zwar nicht die Entstehung des Steueranspruchs, da nach § 3 Abs. 1 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) die Steuerschuld entsteht, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Steuer knüpft, schließt es aber aus, die entstandene Steuerschuld von der Bgin. anzufordern (vgl. dazu Kruse in Steuer und Wirtschaft 1958 Spalten 719, 735 ff.).
1.Dem Hauptzollamt mußte aus dem Schreiben der Bgin. vom 4. Juni 1953 klar geworden sein, daß diese auch nach Inkrafttreten der neuen Steuersätze für Flüssiggas die aus inländischem und ausländischem Mineralöl hergestellten Flüssiggasmengen gemischt lagern wollte. Andernfalls wäre der Vorschlag der Bgin. wegen der Erfassung dieser Mengen zum Zwecke der Besteuerung weder notwendig noch verständlich gewesen. Insbesondere aber konnte das Hauptzollamt auf Grund des Schreibens des Bezirkszollkommissars vom 16. April 1953 über das von der Bgin. angestrebte Verfahren keinen Zweifel mehr haben; denn dort ist ausgeführt, daß die Bgin. für Flüssiggas der verschiedenen Steuersätze eine entsprechende Regelung anstrebe wie sie in § 4 MinöStDV für Benzin und Gasöle vorgesehen ist. Aus der zusagenden Verfügung des Hauptzollamts vom 22. Juni 1953 konnte die Bgin. jedenfalls mit Recht folgern, daß die gemischte Lagerung der aus unbearbeitetem inländischem Erdöl und aus importiertem ausländischem Erdöl hergestellten Flüssiggasmengen und die anteilige Versteuerung zu den verschiedenen Steuersätzen rechtmäßig sei. Daß sich das Hauptzollamt den Widerruf dieser Verfügung vorbehalten hat, kann hieran nichts ändern. Denn der Widerruf hätte nach der gegebenen Sachlage nur mit Wirkung ex nunc ausgesprochen werden können, so daß die Bgin. jedenfalls bis dahin auf die Rechtmäßigkeit des ihr bewilligten Verfahrens vertrauen konnte. Es ist weiter zu berücksichtigen, daß sich dieses vom Hauptzollamt genehmigte Verfahren, an dem auch der zuständige Bezirkszollkommissar im Rahmen seiner Steueraufsicht mitwirkte, über ein Jahr hingezogen hat.
2.Das vom Hauptzollamt genehmigte, für die Bgin. vermeintlich steuerlich unschädliche Verfahren, das sich später bei zutreffender rechtlicher Betrachtung für sie als steuerlich nachteilig herausgestellt hat, beruht also ganz überwiegend auf einem rechtsirrigen Verwaltungsakt des Hauptzollamts und wurde von ihm und dem zuständigen Aufsichtsdienst über ein Jahr lang geduldet. Während die Bgin. bei richtiger Behandlung der Angelegenheit durch das Hauptzollamt die verschiedenen Flüssiggasmengen entweder nicht vermischt oder aber das Gemisch unter Angabe des zutreffenden Steuersatzes versandt hätte, so daß insoweit die Steuerschuld in ihrer Person nur bedingt entstanden und bei der dann ordnungsmäßigen Versendung auf die Abnehmer übergegangen bzw. weggefallen, der Bgin. also die Steuernachforderung in beiden Fällen erspart geblieben wäre, steht sie im Streitfall als Folge des fehlerhaften Verhaltens der Verwaltungsorgane einer für sie nicht mehr abwälzbaren Abgabenforderung von beträchtlicher Höhe gegenüber. Der erkennende Senat ist deshalb der Ansicht, daß es bei der gegebenen Sachlage, bei der das Hauptzollamt das von der Bgin. beantragte Verfahren durch einen rechtsirrigen Verwaltungsakt ausdrücklich gebilligt und nachhaltig, d. h. über einen längeren Zeitraum hin, an seiner Durchführung mitgewirkt hat, einen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben bedeuten würde, falls die auf Grund dieses Verhaltens der Zollverwaltung in voller Höhe in der Person der Bgin. unbedingt gewordene Steuerschuld nunmehr von ihr nachgefordert würde. Denn dieses nachhaltige Verhalten der Zollverwaltung mußte bei der Bgin. den Glauben erwecken, daß die Behandlung des Steuerfalles dem Recht entspreche. Sie durfte auch darauf vertrauen und konnte daher ihre wirtschaftlichen Dispositionen entsprechend einrichten. Anders läge der Fall, wenn die Bgin. die rechtliche Möglichkeit gehabt hätte, sich gegen eine spätere Nachforderung zu schützen, wie z. B. im Zollrecht durch Einholung einer verbindlichen Zollauskunft (vgl. § 63 des Zollgesetzes - ZG - und § 86 der Allgemeinen Zollordnung - AZO -), und sie dies unterlassen hätte oder wenn die Zollverwaltung bereits nach kurzer Zeit in Erkenntnis ihres Rechtsirrtums ihre Verfügung widerrufen hätte.
3.Die Berufung des Bundesministers der Finanzen auf das amtlich nicht veröffentlichte, in der Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 1956 S. 146 abgedruckte Urteil des damals für Zoll- und Verbrauchsteuersachen zuständigen V. SenatsV z 60/55 vom 13. Dezember 1955, in dem er der Ansicht des Reichsfinanzhofs in seinen UrteilenIV A 130/36 vom 10. Februar 1937, Mrozek-Kartei, Ausfuhrzollordnung, § 6 Rechtsspruch 1, und Vz A 182/35 vom 27. August 1937, Reichszollblatt 1937 S. 538, Slg. Bd. 42 S. 92 und 95, beigetreten ist, daß eine Nachforderung von zunächst zu niedrig erhobenen Eingangsabgaben unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nur bei einem absichtlich schädigenden Verhalten der Zollbeamten ausgeschlossen sei, kann gegenüber der sich zwischenzeitlich in der Rechtsprechung aus rechtsstaatlichen Gründen in verstärktem Maße durchsetzenden Anerkennung der allgemeingültigen Rechtsnorm von Treu und Glauben auch im Bereich der Besteuerung nicht durchgreifen. Der erkennende Senat ist bereits in seinem Urteil VII 207/57 U vom 17. Dezember 1958 (BStBl 1959 III S. 146, BZBl 1959 S. 214, Slg. Bd. 68 S. 378, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 1959 S. 207) von dieser Auffassung abgewichen. Er hat dort zur Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben im Zollrecht - der in gleicher Weise für das Verbrauchsteuerrecht zu gelten hat - ausgeführt, daß in besonders gelagerten Ausnahmefällen gegenüber einer aus § 223 AO sich ergebenden Steuernachforderung ein Anspruch des Zollbeteiligten auf Vertrauensschutz gegen eine Verhaltensänderung der Verwaltung gegeben sein könne. Wenn Tipke in Steuer und Wirtschaft 1958 Spalten 737 ff., 750 meint, daß der Grundsatz von Treu und Glauben im Steuerrecht nicht unumschränkt anwendbar sei, daß vielmehr das öffentliche Interesse an gesetzmäßiger Verwaltung, d. h. auch einer Durchsetzung des gesetzmäßigen Steueranspruchs, dem privaten Interesse, auf die Richtigkeit von Auskünften und Zusagen vertrauen zu dürfen, vorgehe, so kann dies eben nur mit der Einschränkung gelten, daß nicht jeder Fall einer falschen Auskunft oder einer auf einer rechtsirrigen Ansicht beruhenden Zusage ("nicht unumschränkt") einen Anspruch auf Vertrauensschutz unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben begründen kann. Es muß sich vielmehr um Fälle handeln, die so außergewöhnlich gelagert sind, daß die Geltendmachung des gesetzlich entstandenen Abgabenanspruchs - weil mit dem vorausgehenden nachhaltigen Verhalten der Verwaltung in nicht vertretbarem Widerspruch stehend - mit dem allgemeinen Rechtsempfinden unvereinbar ist. In solchen Fällen hat die Abgabenanforderung aus Rechtsgründen zu unterbleiben. Denn es darf nicht übersehen werden, daß die Pflicht zur gesetzmäßigen Verwaltung von den Organen der Finanzverwaltung nicht nur die Anwendung der in den Steuergesetzen enthaltenen Vorschriften fordert, sondern auch die Beachtung im rechtsstaatlichen Leben allgemein gültiger Rechtsnormen, wozu in erster Linie der Grundsatz von Treu und Glauben gehört. Die vollziehende Gewalt ist ebenso wie die Rechtsprechung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden. Die Verwaltung hat daher nicht nur die Steuergesetze anzuwenden, sondern allgemein das Recht, also auch ungesetztes Recht.
4.Auch die von Rümelin in Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 1959 S. 195, 197 vertretene Ansicht, daß der dem Zollbeteiligten durch ein gegen Treu und Glauben verstoßendes Verhalten der Zollorgane erwachsener Schaden auf dem Wege des Zivilrechts oder durch eine Billigkeitsmaßnahme auszugleichen sei, daß hierfür aber im Besteuerungsverfahren kein Raum sei und daß daher die Steuergerichte lediglich zu prüfen hätten, ob nach dem Steuergesetz eine Steuerschuld entstanden ist (vgl. auch Tipke in Deutsche Steuer-Zeitung A 1958 S. 28), kann nicht überzeugen. Die Prüfung der Abgabenbescheide durch die Steuergerichte hat sich nicht nur darauf zu erstrecken, daß die Ermittlung und Feststellung des Steueranspruchs anhand der gegebenen Besteuerungsgrundlagen den Steuergesetzen entspricht, sondern auch darauf, daß die zum Wensen jedes Steuerbescheids gehörende Abgabenanforderung nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstößt. Denn die Geltendmachung eines Abgabenanspruchs entgegen dem Grundsatz von Treu und Glauben macht die Anforderung als solche unrechtmäßig, ohne daß es auf ein einen Schadensersatzanspruch begründendes Verschulden der Beamten im Sinne von § 839 BGB ankommt. Ebensowenig ist es daher möglich, anzunehmen, für die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben im Rahmen der Steuerfestsetzung durch Steuerbescheid sei deshalb kein Raum, weil § 131 AO die Möglichkeit biete, die Unbilligkeit einer Abgabenforderung durch Erlaß auszuräumen. Abgesehen davon, daß die Geltendmachung einer Abgabenforderung entgegen dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht nur "unbillig", sondern unrechtmäßig ist, setzen Entscheidungen der Verwaltung auf Grund von § 131 AO als Ermessensentscheidung begrifflich einen durch die Ermessensgrenzen bestimmten Spielraum voraus. Wenn jedoch die Voraussetzungen für die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben gegeben sind, ist die Versagung der sich daraus ergebenden Rechtsfolgen ein Rechtsverstoß; in diesen Fällen besteht kein Ermessensspielraum. Während daher bei Billigkeitsmaßnahmen nach § 131 AO der Abgabenpflichtige keinen Rechtsanspruch auf Gewährung eines Erlasses hat und nur durch die vom Gesetz gezogenen Grenzen für die Ermessensausübung gegen eine willkürliche Handhabung durch die Verwaltung geschützt ist, steht ein Umstand, der die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben erfordert, der Geltendmachung einer Abgabenforderung de jure entgegen (vgl. das vorgenannte Urteil VII 207/57 U vom 17. Dezember 1958).
Fundstellen
Haufe-Index 409565 |
BStBl III 1960, 127 |
BFHE 1960, 341 |
BFHE 70, 341 |