Entscheidungsstichwort (Thema)
Geltung des Gemeinschaftszollrechts für die Einfuhrumsatzsteuer; "zu einem Zollverfahren angemeldete" Waren
Leitsatz (amtlich)
1. Zu den nach § 21 Abs.2 UStG 1980 für die Einfuhrumsatzsteuer sinngemäß geltenden "Vorschriften für Zölle" zählt auch das Gemeinschaftszollrecht.
2. Die Anwendung der Verordnung (EWG) Nr.1697/79 (NacherhebungsVO) auf die Einfuhrumsatzsteuer steht im Einklang mit Sinn und Zweck dieser Steuer.
3. "Zu einem Zollverfahren angemeldet" i.S. des Art.2 Abs.1 Satz 1 NacherhebungsVO sind auch solche Waren, die im Reiseverkehr gestellt und unter Verzicht auf Aufforderung zur Anmeldung (§ 13 ZG) freigegeben worden sind.
Orientierungssatz
Die Vorschriften der AO gelten für die Einfuhrumsatzsteuer nur, soweit nicht die nach § 21 Abs. 2 UStG 1980 sinngemäß anzuwendenden Vorschriften für Zölle etwas anderes bestimmen (vgl. Literatur). Die sinngemäße Anwendung der Zollvorschriften für die Einfuhrumsatzsteuer bedeutet noch nicht ohne weiteres die Anwendbarkeit aller Zollvorschriften. Die Frage, ob und inwieweit eine Vorschrift des Zollrechts im Einklang mit Sinn und Zweck der Einfuhrumsatzsteuer als Teil der Mehrwertsteuer steht, bedarf für jede Bestimmung einer eigenen Prüfung.
Normenkette
UStG 1980 § 21 Abs. 1-2; EWGV 1697/79 Art. 2 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
FG München (Entscheidung vom 10.02.1988; Aktenzeichen III 164/83 Z) |
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) reiste am 21.Februar 1981 in das Zollgebiet ein. Dabei führte er eine Halskette mit Anhänger im Wert von umgerechnet 543,46 DM mit. Mit am 19.Januar 1983 zugestelltem Steuerbescheid vom 22.Dezember 1982 forderte deshalb der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt --HZA--) hierfür vom Kläger Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von 70,60 DM an. Nach erfolglosem Einspruch erhob der Kläger Klage, mit der er die Verjährung der Abgabenforderung geltend machte. Das Finanzgericht (FG) hob den Steuerbescheid und die Einspruchsentscheidung ersatzlos auf (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1988, 539).
Entscheidungsgründe
Die Revision des HZA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
1. Für den vom Kläger bei der Einfuhr gestellten, aber nicht angemeldeten (vgl. § 13 des Zollgesetzes --ZG--) Schmuck ist, wie sich aus der Vorentscheidung ergibt, nach § 13 Abs.3, § 21 Abs.2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) i.V.m. § 35a Abs.1 ZG am 21.Februar 1981 eine Einfuhrumsatzsteuerschuld in der vom HZA geltend gemachten Höhe entstanden. Der Nachforderung des HZA durch den Steuerbescheid steht die Festsetzungsverjährung nach § 169 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht entgegen. Denn entgegen der Auffassung des FG war das HZA nach § 21 Abs.2 UStG 1980 i.V.m. Art.2 der Verordnung (EWG) Nr.1697/79 des Rates vom 24.Juli 1979 --NacherhebungsVO-- (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- L 197/1) befugt, die Einfuhrumsatzsteuer noch drei Jahre nach ihrer Entstehung nachzufordern. Das HZA hat diese Frist eingehalten.
2. a) Nach § 21 Abs.2 Satz 1 UStG 1980 gelten --von einigen hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen-- die "Vorschriften für Zölle" sinngemäß. Vorschriften für Zölle sind alle in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) unmittelbar anwendbaren Rechtsnormen, die Zölle betreffen. Dazu zählen grundsätzlich auch die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften für Zölle, die --wie z.B. alle Verordnungen der Organe der Gemeinschaften-- in den Mitgliedstaaten unmittelbar gelten (vgl. Art.189 Abs.2 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft --EWGV--) und --nach dem Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts-- zur Unanwendbarkeit entgegenstehender deutscher Vorschriften für Zölle führen (so Bail/Schädel/Hutter, Kommentar Zollrecht, E I/21 Anm.9 und F IX Anm.16; Plückebaum/Malitzky, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, 10.Aufl., § 21 Anm.15; Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, 6.Aufl., § 21 Anm.14; Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Umsatzsteuergesetz (Mehrwertsteuer), Kommentar, 5.Aufl., § 21 Anm.42; Peter/Burhoff, Umsatzsteuergesetz 1980, 5.Aufl., § 21 Anm.18; Vogel/Reinisch/Hoffmann, Umsatzsteuergesetz, § 21 Abs.1 Anm.18; Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, § 21 Anm.10).
Diese Auffassung entspricht auch Sinn und Zweck des § 21 Abs.2 UStG 1980. Da die Einfuhrumsatzsteuer von der Zollverwaltung erhoben wird, muß sie grundsätzlich auch die gleiche technische Erledigung finden wie Zölle (schriftlicher Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages vom 30.März 1967, zu BTDrucks V/1581, zu § 21 Abs.2). Diesen Zweck erfüllte aber die Verweisungsnorm des § 21 Abs.2 UStG 1980 unvollkommen, wenn sie nur das nationale Zollrecht für sinngemäß anwendbar erklären würde. Denn dieses mußte --für den Gesetzgeber des UStG voraussehbar-- im Zuge der Harmonisierung des Zollrechts innerhalb der EG in zunehmendem Maß dem Gemeinschaftsrecht weichen (vgl. z.B. Bail/Schädel/Hutter, a.a.O., A Rz.72 ff.). Die grundsätzliche Nichtanwendbarkeit des Gemeinschaftszollrechtes auf die Einfuhrumsatzsteuer würde also gerade zu einer unterschiedlichen technischen Erledigung der Einfuhrumsatzsteuer und der Zölle führen, die zu verhindern Sinn und Zweck des § 21 Abs.2 UStG 1980 ist.
Aus den vorgenannten Erwägungen ergibt sich auch, daß die Verweisung des § 21 Abs.2 UStG 1980 nur eine "dynamische" sein kann, d.h. die jeweils geltenden Vorschriften für Zölle für sinngemäß anwendbar erklärt. Denn andernfalls ergäbe sich wiederum ein Auseinanderfallen der für die Zölle und die Einfuhrumsatzsteuer in einem bestimmten Zeitpunkt anwendbaren Vorschriften.
Daß die Vorschriften für Zölle im Sinne des § 21 Abs.2 UStG 1980 nach der Absicht des Gesetzgebers auch die unmittelbar anwendbaren gemeinschaftsrechtlichen Zollvorschriften sind, belegt eindeutig die letzte Änderung, die § 21 Abs.2 UStG 1980 durch das Steuerreformgesetz 1990 erfahren hat. Nach Art.12 Nr.5 dieses Gesetzes ist die Liste der von der sinngemäßen Geltung ausgenommenen Zollvorschriften erweitert worden auf "die Vorschriften über den aktiven Veredelungsverkehr nach dem Verfahren der Zollrückvergütung und über den passiven Veredelungsverkehr". Es kann sich bei diesen Vorschriften schon im Hinblick auf den bezeichneten Inhalt und auf das Fehlen eines besonderen Hinweises auf Vorschriften des ZG nur um die entsprechenden Vorschriften des Gemeinschaftszollrechtes handeln.
Das gleiche ergibt sich aus den Regelungen für die einzelnen Verbrauchsteuern (die zusammen mit Zoll und Einfuhrumsatzsteuer die Eingangsabgaben bilden; vgl. § 1 Abs.3 ZG). Durch das Siebzehnte Gesetz zur Änderung des Zollgesetzes vom 12.September 1980 hat der Gesetzgeber die Verweisungsnormen in einigen speziellen Verbrauchsteuergesetzen neu so gefaßt, daß sie jetzt --ebenso wie § 21 Abs.2 UStG 1980-- auf die sinngemäße Geltung der "Vorschriften für Zölle" verweisen. In der Gesetzesbegründung dazu ist ausdrücklich klargestellt (vgl. BRDrucks 57/80 S.32), daß damit auch das Gemeinschaftszollrecht gemeint ist. Es kann ausgeschlossen werden, daß der Begriff "Vorschriften für Zölle" verschieden auszulegen ist, je nachdem, ob er in den Regelungen für die Einfuhrumsatzsteuer oder für die speziellen Verbrauchsteuern gebraucht wird.
b) § 21 Abs.2 UStG 1980 ordnet demnach die sinngemäße Anwendung u.a. des Gemeinschaftszollrechts und damit auch der NacherhebungsVO an, die nach ihrem Art.1 Abs.2 Buchst.a u.a. für Zölle gilt. Das FG setzt dem zu Unrecht entgegen, § 21 Abs.1 UStG 1980 i.V.m. § 169 AO 1977 sei der NacherhebungsVO vorgehendes Spezialrecht.
Nach § 21 Abs.1 UStG 1980 ist die Einfuhrumsatzsteuer eine Verbrauchsteuer im Sinne der Reichsabgabenordnung (AO). Soweit die AO also Vorschriften für die Verbrauchsteuern enthält, gelten diese auch für die Einfuhrumsatzsteuer. Regelungsgrundlage dafür ist aber die AO 1977, nicht § 21 Abs.1 UStG 1980, der keine Verweisungsvorschrift enthält, sondern nur eine Legaldefinition. Nach einhelliger Auffassung sind die speziellen Verbrauchsteuergesetze im Verhältnis zur AO vorgehende Sondervorschriften. Entsprechend geht auch die spezielle Regelung des § 21 Abs.2 UStG 1980 für die Einfuhrumsatzsteuer den AO-Vorschriften vor; das zeigt schon die systematische Stellung nach der Legaldefinition des § 21 Abs.1 UStG 1980. Die Vorschriften der AO gelten also für die Einfuhrumsatzsteuer nur, soweit nicht die nach § 21 Abs.2 UStG 1980 sinngemäß anzuwendenden Vorschriften für Zölle etwas anderes bestimmen (ebenso Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, a.a.O., § 21 Anm.27; Hartmann/Metzenmacher, a.a.O., § 21 Anm.5; Schüle/Teske/Wendt, Kommentar zur Umsatzsteuer, § 21 Anm.25; Sölch/ Ringleb/List, a.a.O., § 21 Anm.5; Felix/Benda, Umsatzsteuergesetz, § 21 Anm.4; Vogel/Reinisch/Hoffmann, a.a.O., § 21 Anm.10; Christiansen, Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern --ZfZ-- 1980, 354, 358; a.A. Schwarz, Recht der Internationalen Wirtschaft --RIW-- 1980, 481, 484; Schwarz/Wockenfoth, a.a.O., C Anm.114 und 199).
c) Wie der Senat mit Urteil vom 26.April 1988 VII R 124/85 (BFHE 153, 463, 464 ff.) entschieden hat, soll durch die sinngemäße Anwendung der Zollvorschriften insbesondere sichergestellt werden, daß die bei der Einfuhr zu erhebenden Abgaben von ein und derselben Behörde in einem Bescheid nach dem gleichen Verfahren aufgrund einheitlich getroffener Feststellungen einfach und zweckmäßig erhoben werden. Dieser Zweck wird nur erreicht, wenn es regelmäßig zur Anwendung der Zollvorschriften auf die Einfuhrumsatzsteuer kommt. Das bedeutet aber noch nicht ohne weiteres die Anwendbarkeit aller Zoll- vorschriften. Vielmehr bedarf die Frage, ob und inwieweit eine Vorschrift des Zollrechts im Einklang mit Sinn und Zweck der Einfuhrumsatzsteuer als Teil der Mehrwertsteuer steht, für jede Bestimmung einer eigenen Prüfung. Diese Prüfung ergibt hier aber, daß die Anwendung der NacherhebungsVO dem Sinn und Zweck der Einfuhrumsatzsteuer nicht widerspricht (so FG Hamburg, Urteil vom 21.September 1984 IV 23/83 N, ZfZ 1985, 123; Hartmann/Metzenmacher, a.a.O., § 21 Anm.23; Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, a.a.O., § 21 Anm.356 ff.; Bail/Schädel/Hutter, a.a.O., F IX Anm.16; Christiansen, ZfZ 1980, 354, 358; Müller in Regul, Gemeinschaftszollrecht, S.1353 f.; a.A. Schwarz, RIW 1980, 481; Schwarz/Wockenfoth, a.a.O., C Anm.201, 210, und NacherhebungsVO Anm.7; Friedrich, Recht der Internationalen Wirtschaft/Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters --RIW/AWD-- 1982, 35; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13.Aufl., § 4 AO 1977 Anm.22 a.E., und § 169 AO 1977 Anm.3; wohl auch Schwarz, Reichsabgabenordnung, Nebengesetze, EWG-Verordnungen Anm.3, und Plückebaum/Malitzky, a.a.O., § 5 Anm.340, § 21 Anm.15, 35 ff.).
Das UStG enthält keine Regelungen für die Nacherhebung der Umsatzsteuer oder der Einfuhrumsatzsteuer; diese ergeben sich vielmehr grundsätzlich aus der AO. Sie gelten im wesentlichen für die Steuern allgemein, sind also nicht auf etwaige Besonderheiten der Umsatzsteuer oder der Einfuhrumsatzsteuer abgestellt. Schon daraus ergibt sich, daß die Anwendung der --insbesondere von den Vorschriften der AO über die Festsetzungsverjährung abweichenden-- Vorschriften der NacherhebungsVO für die Eingangsabgaben im Sinne des Gemeinschaftsrechts dem Sinn und Zweck der Einfuhrumsatzsteuer nicht widersprechen. Es ist auch nicht ersichtlich, warum die Anwendung der dreijährigen Frist des Art.2 NacherhebungsVO bei der Nacherhebung der Einfuhrumsatzsteuer mit den speziellen Erfordernissen der Einfuhrumsatzsteuer oder dem Umsatzsteuersystem im allgemeinen nicht vereinbar sein sollte. Das gilt um so mehr, als auch § 169 AO 1977 Umsatzsteuer und Einfuhrumsatzsteuer hinsichtlich der Verjährungsfrist unterschiedlich behandelt.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz (vgl. auch Schwarz in RIW 1980, 481, 484, und --ihm folgend-- Tipke/Kruse, a.a.O.) ist § 21 Abs.2 UStG 1980 nicht dahin auszulegen, daß er Vorschriften für Zölle von der Anwendung auf die Einfuhrumsatzsteuer ausschließt, die materiell-rechtliche Regelungen enthalten oder nicht in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Einfuhrabfertigung stehen. Der Begriff "Vorschriften für Zölle" ist eindeutig und umfaßt auch die nach Auffassung der Vorinstanz von der Anwendung auszuschließenden Zollvorschriften. Für eine richterliche Rechtsfortbildung im Wege einer teleologischen Reduktion dieses Begriffes fehlt es an allen Voraussetzungen; es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß die Auslegung des Begriffes "Vorschriften für Zölle" im Rahmen seines möglichen Wortsinnes im Widerspruch zum ursprünglichen Plan des UStG 1980 selbst oder zu leitenden Prinzipien der Rechtsordnung steht (vgl. im einzelnen Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5.Aufl., S.351 ff.).
Auch der Begriff "sinngemäß" des § 21 Abs.2 UStG 1980 kann nicht dahin ausgelegt werden, daß er eine solche Reduktion des Begriffes "Vorschriften für Zölle" erfordert. Das ergibt schon die Überlegung, daß der Ausschluß aller nicht nur verfahrensrechtlichen oder nicht allein die Einfuhrabfertigung betreffenden Zollvorschriften von der Anwendung auf die Einfuhrumsatzsteuer den Rechtsanwender zu einer relativ schwierigen Differenzierung zwänge, die im Widerspruch stünde zu dem oben dargestellten Ziel der Verweisungsnorm des § 21 Abs.2 UStG 1980, die technische Abwicklung der Einfuhrumsatzsteuererhebung zu vereinfachen. Es trifft auch nicht zu, daß die Anwendung von Vorschriften wie die der NacherhebungsVO deswegen nicht mehr mit Sinn und Zweck der Verweisungsnorm zu vereinbaren sei, weil sie nicht den eigentlichen Abfertigungsvorgang betreffe (so aber Schwarz in RIW 1980, 484). Das Gegenteil ist der Fall, weil die einheitliche Anwendung der Zollvorschriften auch bei der Nacherhebung von Zoll, Verbrauchsteuer und Einfuhrumsatzsteuer in vielen Fällen zur Vereinfachung bei der technischen Abwicklung führt, die Ziel des § 21 Abs.2 UStG 1980 ist. Tipke/Kruse (a.a.O.) weisen im übrigen zu Recht darauf hin, daß die von ihnen und Schwarz vertretene Ansicht zu einer Aufspaltung der Gemeinschaftsregelungen für Erstattung und Erlaß einerseits und Nacherhebung andererseits im Hinblick auf die Einfuhrumsatzsteuer führte, die gleichfalls Probleme aufwürfe.
Entgegen der Auffassung von Schwarz (RIW 1980, 484) kann es nach dem eindeutigen Wortlaut des § 21 Abs.2 UStG 1980 für die Anwendung der Zollvorschriften keinen Unterschied machen, ob diese für den jeweiligen Steuerschuldner möglicherweise ungünstiger sind als andere Vorschriften (so auch FG Hamburg, a.a.O.; Friedrich, RIW/AWD 1982, 36 ff.). Es ist daher ohne Bedeutung, ob die NacherhebungsVO, wie Schwarz (a.a.O.) offenbar annimmt, für den betroffenen Steuerpflichtigen tatsächlich ungünstiger ist oder ob die ungünstigere längere Frist für die Nacherhebung ausgeglichen wird durch den Wegfall einer Reihe von Regelungen, die bisher der Zollbehörde ermöglichten, den Ablauf der Verjährungsfrist hinauszuschieben (vgl. im einzelnen Christiansen, ZfZ 1980, 358, und Tipke/Kruse, a.a.O.).
Nach Auffassung der Vorentscheidung "befindet sich die Einfuhrumsatzsteuer in einem Ablösungsprozeß vom Zollrecht". Damit läßt sich aber die Nichtanwendung bestimmter ausgewählter Vorschriften für Zölle auf die Einfuhrumsatzsteuer nicht begründen, sondern allenfalls in Frage stellen, ob § 21 Abs.2 UStG 1980 de lege ferenda noch zweckmäßig ist. Mit der zuletzt durch das zitierte Steuerreformgesetz 1990 bestätigten Verweisung auf die Zollvorschriften hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, daß er den genannten Ablösungsprozeß jedenfalls zur Zeit des Erlasses dieses Gesetzes noch nicht für genügend fortgeschritten gehalten hat, um eine Gesetzesänderung zu rechtfertigen. Das muß erst recht gelten für die Rechtslage im für den vorliegenden Fall maßgebenden Zeitpunkt.
3. Nach Art.2 Abs.1 Satz 1 NacherhebungsVO sind Eingangsabgaben (nach § 21 Abs.2 UStG 1980 sinngemäß hier die Einfuhrumsatzsteuer) nachzuerheben, die zu Unrecht nicht angefordert worden waren. Das gilt für alle Fälle, in denen Waren "zu einem Zollverfahren angemeldet wurden, das die Verpflichtung zur Zahlung derartiger Abgaben beinhaltet". Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Kläger habe den streitbefangenen Schmuck "zu einem Zollverfahren angemeldet", ohne daß die gesetzlich geschuldete Einfuhrumsatzsteuer (§ 21 Abs.2 UStG 1980 i.V.m. § 35a ZG) erhoben worden ist (vgl. Bail/Schädel/Hutter, a.a.O., F IX 5/1-2 Art.1 Anm.1, Art.2 Anm.8; Schwarz/Wockenfoth, a.a.O., NacherhebungsVO Art.1 Anm.2-4, Art.2 Anm.16; Schwarz, RIW 1980, 482, 483; Friedrich, RIW/AWD 1982, 39; a.A. Müller in ZfZ 1980, 98, 99 und derselbe in Regul, Gemeinschaftszollrecht S.1359). Dem steht nicht entgegen, daß gegenüber dem Kläger, wie mit der Vorentscheidung anzunehmen ist, nach § 13 ZG auf eine Zollanmeldung im Sinne des § 12 ZG verzichtet worden ist. Denn Art.2 Abs.1 Satz 1 NacherhebungsVO versteht unter Anmeldung zu einem Zollverfahren nicht die "Zollanmeldung" im technischen Sinn des deutschen Zollrechts. Vielmehr ist nach Sinn und Zweck der NacherhebungsVO eine "unzulängliche Abgabenerhebung" (vgl. Abs.1 der Erwägungsgründe) nachträglich zu heilen und die Abgaben für davon betroffene Waren nachzuerheben (vgl. Art.1 Abs.1 NacherhebungsVO). Eine solche unzulängliche Abgabenerhebung muß nach Sinn und Zweck der NacherhebungsVO als vorliegend erachtet werden, wenn die Zollbehörde wie hier mit dem Einfuhrvorgang nach Gestellung der Ware befaßt und --in der irrtümlichen Annahme, es gäbe nichts zu verzollen bzw. zu versteuern-- die unter Verzicht auf die Aufforderung zur Zollanmeldung ordnungsgemäß gestellte Ware mittels "Durchwinken" freigegeben hat.
4. Nach allem ist die Vorentscheidung aufzuheben. Die Feststellungen der Vorinstanz ermöglichen es dem Senat, in der Sache selbst zu entscheiden (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Klage war daher abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 63386 |
BFH/NV 1990, 86 |
BFHE 161, 260 |
BFHE 1991, 260 |
BB 1990, 2254 (L) |
HFR 1991, 77 (LT) |
StE 1990, 412 (K) |