Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifierung unvollständiger Hauptplatinen
Leitsatz (NV)
Trotz Fehlens des Hauptspeichers und eines eigenen Gehäuses bilden die übrigen Bestandteile einer Hauptplatine zolltariflich jedenfalls dann eine (unvollständige) Zentraleinheit, wenn Steckplätze für einen Schreib-Lesespeicher mit wahlfreiem Zugriff (sog. RAM-Speicherbausteine) vorhanden sind.
Normenkette
Zolltarif (KN) Pos. 8471 91, 8473, Anm.5B zu Kap. 84, AV 2a
Tatbestand
Die beklagte Oberfinanzdirektion (OFD) erteilte der Klägerin neun verbindliche Zolltarifauskünfte (vZTA) über näher beschriebene und durch Muster veranschaulichte Hauptplatinen (Mainboards expandable und Baby Boards). Nach den Warenbeschreibungen handelt es sich dabei um gedruckte Schaltungen, die im wesentlichen mit einem Mikroprozessor, Steckkartensockeln, Ein/Ausgabebausteinen, Transistoren, Widerständen, Kondensatoren und anderen Bauelementen sowie Steckplätzen für RAM-Speicherbausteine mit unterschiedlichen Speicherkapazitäten zwischen maximal 640 Kilobyte und 8 Megabyte bestückt sind. Bei den Baby Boards befinden sich die Steckplätze auf einem separaten Speicherboard. Die Hauptplatinen haben sämtlich kein eigenes Gehäuse; sie sollen - nach Ausstattung mit RAM-Speichern - als digitale Verarbeitungseinheiten für automatische Datenverarbeitungsmaschinen Verwendung finden.
Die OFD reihte alle Waren in die Unterpos. 8471 9190 der Kombinierten Nomenklatur 1990 (KN) - digitale Verarbeitungseinheiten für automatische Datenverarbeitungsmaschinen mit einem Schreib-Lesespeicher mit wahlfreiem Zugriff (sog. RAM) mit einer Speicherkapazität von mehr als 512 Kilobyte - ein. Die von der Klägerin erstrebte Einreihung als Teile und Zubehör für Maschinen der Pos. 8471 - Pos. 8473 3000 - lehnte die OFD ab. Die Hauptplatinen seien sämtlich unvollständige digitale Zentraleinheiten für automatische Datenverarbeitungsmaschinen. Trotz des fehlenden Haupt-(Arbeits-)speichers seien die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale einer vollständigen Zentraleinheit vorhanden. Die für Teile vorgesehene Position scheide daher aus, auch wenn die Maschine wegen Fehlens von Bestandteilen noch nicht funktionsfähig sei.
Hiergegen macht die Klägerin im wesentlichen geltend, bei den Waren handele es sich um völlig unselbständiges, funktionsuntüchtiges Zubehör, das nicht die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale der vollständigen Zentraleinheit verkörpere und auch nicht in einem gemeinsamen Gehäuse mit anderen unter Pos. 8471 KN genannten Einheiten untergebracht sei. Insbesondere fehle der Schreib-Lesespeicher mit wahlfreiem Zugriff, nach dessen Speicherkapazität die von der OFD für richtig gehaltene Unterposition sogar differenziere. Eine bloße Erweiterungsmöglichkeit hinsichtlich des Speichers reiche für Unterpos. 8471 9190 nicht aus. Weiter fehlten auf den Boards die Ein- und Ausgabeeinheiten, d.h. die für den Anschluß der externen Ein- und Ausgabegeräte notwendigen Schnittstellen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Verwaltungsakte verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Wie in den vZTA zutreffend festgestellt ist, sind die Hauptplatinen (unvollständige) digitale Verarbeitungseinheiten für automatische Datenverarbeitungsmaschinen.
1. Entgegen der Ansicht der Klägerin handelte es sich bei den Hauptplatinen, wären sie auch mit den noch fehlenden Teilen ausgerüstet, um digitale Verarbeitungseinheiten (Zentraleinheiten) automatischer Datenverarbeitungsmaschinen der Unterpos. 8471 91 KN. Denn nach Anmerkung 5 B Abs. 1 zu Kap.84 KN können automatische Datenverarbeitungsmaschinen in Form von Systemen vorkommen, die aus einer unterschiedlichen Anzahl von jeweils in einem eigenen Gehäuse untergebrachten Einheiten bestehen. Dabei ist die Zentraleinheit bereits dann als zu einem vollständigen System gehörenden Teil anzusehen, wenn sie ihrer Beschaffenheit nach als Teil für ein solches System bestimmt (Buchst. b), d.h. insbesondere in der Lage ist, Daten in einer Form zu empfangen oder zu liefern, die vom System verwendet werden kann. Entscheidend ist dabei die sich aus der objektiven Beschaffenheit ergebende Zweckbestimmung der Einheit im System (vgl. auch Senatsurteil vom 27. Mai 1975 VII K 10/73, BFHE 116, 238). Die in Streit befindlichen Hauptplatinen erfüllen diese Voraussetzungen. Unerheblich ist hierfür, daß sie, für sich betrachtet, in ihrem konkreten Zustand (noch) nicht funktionstauglich sind, weil eben die Ein- bzw. Ausgabeeinheit fehlt.
Das Erfordernis nach Buchst. a dieser Vorschrift - Möglichkeit des Anschlusses an die Zentraleinheit - gilt für die Zentraleinheit selbst nicht (Senatsurteil vom 26. November 1985 VII K 19/84, BFHE 145, 280, 284). Auch bei gesonderter Gestellung ist eine solche Einheit der Pos. 8471 zuzuweisen (Abs. 2).
Im übrigen weisen auch nach den Ergebnissen der Warenuntersuchungen die Hauptplatinen die spezifischen Beschaffenheitsmerkmale auf, die erkennen lassen, daß die jeweilige Zentraleinheit zu einem System in seiner Eigenschaft als Datenverarbeitungsmaschine gehört (Senatsurteil vom 10. November 1987 VII K 10/84, BFHE 151, 276, 279); darüber hinausgehende eigenständige Funktionen der Hauptplatinen, die nach Anmerkung 5 B Abs. 3 zu Kap.84 KN ihre Einreihung in die Pos.8471 ausschlössen (vgl. Senatsurteile vom 12. Juli 1988 VII K 43/87, BFH/NV 1989, 337; vom 14. Februar 1989 VII K 14/87, BFH/NV 1989, 677) sind nicht ersichtlich.
2. Den Hauptplatinen fehlen indessen einige Bestandteile. Sie sind nicht vollständig. Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es daher darauf an, ob die Hauptplatinen in ihrem konkreten Zustand noch als Teile für Maschinen der Pos.8471 - dann fielen sie unter Pos.8473 - oder, was vorrangig zu prüfen ist, bereits als unvollständige ,,Maschinen" - hier Zenraleinheiten der Unterpos. 8471 91 - i.S. der Allgemeinen Vorschrift (AV) 2a Satz 1 anzusehen (zum ,,Stufenverhältnis" vgl. Senatsurteil vom 13. Oktober 1987 VII K 12/87, BFHE 151, 263, 265 m.w.N.), also schon so weit vervollständigt sind, daß sie die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale der vollständigen Maschine aufweisen (s. auch Erläuterungen Harmonisiertes System - ErlHS - zu Abschnitt XVI Rz.54.0). Die Prüfung dieser Frage ergibt, daß bereits unvollständige Zentraleinheiten vorliegen.
a) Die Zentraleinheit ist das ,,Herz" eines jeden Computers. Sie veranlaßt und kontrolliert alle Verarbeitungsvorgänge einer automatischen Datenverarbeitungsmaschine. Alle Daten und Programme nehmen den Weg über die Zentraleinheit. Sie enthält nach den ErlHS zu Pos.8471 Rz.21.0 in der Regel den Hauptspeicher (Arbeitsspeicher), die arithmetischen und logischen Elemente (Rechenwerk), die zusammen mit den Steuer- und Kontrollelementen (Steuerwerk) den sog. Prozessor bilden, sowie als weiteres Steuerelement die Ein-/Ausgabesteuerung, die die Kommunikation mit den peripheren Einheiten herstellt. Diese, je nach Zählweise, drei oder vier Bauelemente kennzeichnen tariflich - im übrigen in Übereinstimmung mit der einschlägigen Fachliteratur (vgl. Duden, Sachlexikon ,,Informatik", 1988, S. 653f.) - eine vollständige Zentraleinheit. Fehlt eines dieser Elemente, so liegt jedenfalls keine vollständige Zentraleinheit vor; gleichwohl können die vorhandenen übrigen Elemente u.U. ,,die" wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale der vollständigen Ware im Sinne der AV 2a Satz 1 verkörpern (vgl. Senat in BFHE 151, 263, 264).
Im Streitfall weisen die Zentraleinheiten mit dem Mikroprozessor und den Ein-/ Ausgabebausteinen sowohl das erforderliche Steuer- und Rechenwerk als auch die notwendige Ein-/Ausgabesteuerung auf; sie haben jedoch unstreitig keinen Hauptspeicher (auch Arbeitsspeicher oder Schreib-Lesespeicher genannt). Das Fehlen des Hauptspeichers läßt eine eigenständige Funktionsfähigkeit der ,,Restzentraleinheit" nicht zu. Der Hauptspeicher ist nämlich für die Datenverarbeitung unabdingbar. Alle Daten und Programme, die unmittelbar für eine Verarbeitung benötigt werden, müssen zunächst in den Hauptspeicher gebracht werden. Daten, die dort nicht präsent sind, können auch nicht verarbeitet werden. Insofern kann der Hauptspeicher als ,,Gedächtnis" des Computers angesehen werden.
Allerdings hat das Fehlen einer eigenständigen Funktionsfähigkeit der vorhandenen Elemente einer Ware für sich allein nicht zwingend zur Folge, daß (noch) nicht vorhandene Element notwendig zu den wesentlichen Beschaffenheitsmerkmalen der vollständigen Ware zu rechnen. Anderenfalls könnte z.B. ein Laufwerk ohne System zur Erzeugung von Schallwellen kein unvollständiges Tonwiedergabegerät (so Senat in BFHE 151, 263) und ein Werkzeug ohne Motor kein unvollständiges Elektrowerkzeug (so ErlHS zu Abschnitt XVI Rz.54.0) sein.
Im Streitfall mag es Anhaltspunkte dafür geben, daß der Hauptspeicher zu den wesentlichen Beschaffenheitsmerkmalen einer vollständigen Zentraleinheit zu zählen ist. Neben der bereits angeführten ,,Gedächtnisfunktion" ist insoweit insbesondere die Einteilung der Unterpos. 8471 91 von Bedeutung, bei der der Tarifgesetzgeber gerade nach der Speicherkapazität des Schreib-Lesespeichers differenziert hat. Ob der Hauptspeicher daher schon formal als wesentliches Beschaffenheitsmerkmal einer vollständigen Zentraleinheit angesehen werden kann, braucht jedoch nicht entschieden zu werden. Es ist nämlich zu berücksichtigen, daß bei den streitbefangenen Waren die Hauptspeicher nicht völlig fehlen.
Alle Mainboards weisen Steckplätze für RAM-Speicherbausteine auf, also für Schreib-Lesespeicher mit wahlfreiem Zugriff im Sinne der Unterpos. 8471 91, wobei die jeweilige Höchstkapazität des Speichers durch die Art und Anzahl der Steckplätze vorgegeben ist. Bei den Baby Boards sind die Steckplätze darüber hinaus auf einem separaten Speicherboard angebracht. Dies bedeutet in der modernen Halbleitertechnik, daß durch bloßes Aufstecken der RAM-Speicherbausteine auf die Steckplätze aus der unvollständigen Zentraleinheit ohne weiteres Dazutun eine vollständige Zentraleinheit wird. Damit erweisen sich die streitbefangenen Hauptplatinen nicht nur als auf eine Vervollständigung mit einem Hauptspeicher hin angelegt, sondern geradezu technisch speziell als darauf hin vorbereitet und ausgestattet, so daß mit einfachen Handgriffen der Hauptspeicher eingefügt werden kann, wodurch die Hauptplatinen im Rahmen der jeweils vorgegebenen maximalen Kapazität zu vollständigen Zentraleinheiten ausgebaut werden können.
Unter diesen Umständen ist nach Auffassung des Senats bei den streitbefangenen Waren das nach Auffassung der Klägerin noch wesentliche fehlende Element, der Hauptspeicher, jedenfalls insoweit technisch angelegt und vorbereitet, daß die Waren unter Berücksichtigung der vorhandenen Elemente insgesamt als Verkörperung der wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale vollständiger Zentraleinheiten im Sinne der AV 2a Satz 1 angesehen werden können. Es verhält sich ähnlich wie bei ohne Motor gestellten Maschinen, die dann als vollständige Maschinen eingereiht werden, wenn der Einbau eines Motors vorgesehen und ein Funktionieren nur mit eingebautem Motor möglich ist (ErlHS zu Abschn. XVI Rz.54.0).
b) Zu einer anderen Entscheidung kann auch nicht das Fehlen der Gehäuse führen. Wie der Senat bereits in seinem Urteil in BFHE 145, 280 entschieden hat (dort zu Tarifnr.84.53 des alten Tarifsystems, die der Pos.8471 des HS entspricht), steht das Fehlen eines Gehäuses der Einreihung einer Ware als Einheit automatischer Datenverarbeitungsmaschinen nicht entgegen. Dies gilt auch dann, wenn bereits aufgrund des fehlenden Gehäuses eine unvollständige Einheit anzunehmen wäre (vgl. Senatsurteil vom 8. Mai 1984 VII K 16-17/83, BFHE 141, 92, 94f. ,,Ware 2"), denn das Gehäuse gehört jedenfalls nicht zu den wesentlichen Beschaffenheitsmerkmalen einer Zentraleinheit (zustimmend Lux in Bail/Schädel/Hutter, Kommentar Zollrecht, Stand: 46. Lfg. September 1992, F II 2 Anm.20).
Ebenfalls unerheblich ist das Fehlen von auf den Boards angebrachten Schnittstellen für den Anschluß der externen Ein- und Ausgabeeinheiten. Im Gegensatz zur Ansicht der Klägerin gehören die mittels Schnittstellen-Karten herzustellenden Verbindungen zu den peripheren Einheiten jedenfalls nicht zu den wesentlichen Beschaffenheitselementen der vollständigen Zentraleinheit (vgl. allgemein zur Schnittstellenverbindung Senat in BFHE 116, 238). Sie sind auch nicht identisch mit der Ein- und Ausgabesteuerung, denn jene die Impulse ausgebenden Ein-/Ausgabebausteine waren unstreitig auf allen Boards vorhanden.
Schließlich hindert auch die Gesamtheit der fehlenden Teile nicht die zolltarifliche Beurteilung der Hauptplatinen als unvollständige Zentraleinheiten. Ist nämlich keine dieser Teile für sich wesentlich, so kann beim vorhandenen Rest auch kein wesentliches Teil fehlen. Eine ähnliche Überlegung gilt für die Anwendung der Anmerkung 5 B Abs. 1 Buchst. b zu Kap.84 KN. Wenn eine vollständige Zentraleinheit ihrer Beschaffenheit nach als Teil für ein System automatischer Datenverarbeitungsmaschinen bestimmt ist, so kann sich daran durch die Anwendung der AV 2a nichts ändern: Auch die unvollständige Hauptplatine, die alle wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale einer vollständigen Hauptplatine aufweist, erfüllt die erforderliche Bestimmung.
3. Die Einreihung innerhalb der Unterpos. 8471 91 zur Codenummer 8471 9190 KN durch die OFD ist ebenfalls nicht zu beanstanden (wird ausgeführt).
4. Der Senat hält die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts für offenkundig. Er ist daher nicht nach Art.177 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) verpflichtet (vgl. EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs.283/81, EuGHE 1982, 3415).
Fundstellen
Haufe-Index 418813 |
BFH/NV 1993, 451 |