Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Handelsrecht Gesellschaftsrecht
Leitsatz (amtlich)
1. Wegen des Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB, den ein Handelsvertreter nach Lösung des Vertretervertrags möglicherweise gegen den Geschäftsherrn erheben kann, darf der Geschäftsherr vor Lösung des Vertretervertrags grundsätzlich keine Rückstellung bilden.
2. Mehrsteuern, die sich aus einer Betriebsprüfung ergeben, können nicht willkürlich zu Lasten eines Wirtschaftsjahres passiviert werden, das mit den nachgeforderten Steuern keinen wirtschaftlichen Zusammenhang hat.
Normenkette
EStG §§ 5, 6/1/2; HGB § 89b
Tatbestand
Die Beschwerdeführerin (Bfin.) passivierte zum 31. Dezember 1953 als "Rückstellung für künftige Verpflichtungen gegenüber Handelsvertretern gemäß § 89b des Handelsgesetzbuchs (HGB)" einen Betrag von 87 437 DM. Sie beschäftigt vier ältere Vertreter, die seit langer Zeit bei ihr tätig sind. Sie begründete die Rückstellung damit, daß die nach § 89b HGB an die Vertreter bei Beendigung des Vertragsverhältnisses zu zahlenden Ausgleichsbeträge wirtschaftlich zusätzliche Provisionen für die vermittelten Geschäfte seien. Das Finanzamt erkannte die Rückstellung nicht an. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht folgte im Streitpunkt der Auffassung des Finanzamts und führte im wesentlichen aus: Der Kaufmann, der mit Handelsvertretern arbeite, müsse damit rechnen, daß die Handelsvertreter später Ausgleichsansprüche gegen ihn erhöben. Schon während der Dauer der Vertretung hätte ein Handelsvertreter eine Anwartschaft auf die Ausgleichsleistung. Mit Schröder ("Der Betriebs-Berater" 1954 S. 763), Merkel ("Der Betriebs-Berater" 1956 S. 420) und Theis ("Der Betrieb" 1955 S. 248) nehme das Finanzgericht aber an, daß der Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB ein bedingter Anspruch sei; eine Schuld des Geschäftsherrn entstehe erst mit der Beendigung des Vertretervertrags; vorher liege ein schwebendes Geschäft vor, bei dem sich, wenn nicht besondere Verhältnisse gegeben seien, Leistung und Gegenleistung ausglichen. Mit der Ausgleichszahlung sollten Vorteile ausgeglichen werden, die dem Geschäftsherrn nach Beendigung des Vertretungsvertrags aus der geleisteten Arbeit des Handelsvertreters erwüchsen. Der Anwartschaft des Handelsvertreters auf eine künftige Ausgleichszahlung entspreche keine konkrete Schuldverpflichtung auf Seiten des Geschäftsherrn. Ob der Geschäftsherr eine Ausgleichszahlung zu leisten habe, hänge vor Lösung des Vertragsverhältnisses von so vielen Voraussetzungen ab, daß eine gegenwärtige passivierungsfähige Last nicht angenommen werden könne. Die Belastung des Geschäftsherrn aus § 89b HGB könne mit der Belastung, die einem Unternehmer aus einer Pensionszusage an seine Arbeitnehmer entstehe (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 113/52 U vom 10. Februar 1953, Slg. Bd. 57 S. 254, Bundessteuerblatt - BStBl - 1953 III S. 102), nicht verglichen werden. Denn im letztgenannten Fall liege eine echte Schuldverpflichtung des Unternehmers vor.
Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) tritt die Bfin. weiterhin für die Zulässigkeit der Rückstellung ein. Sie beruft sich insbesondere auf die Ausführungen von Risse ("Der Betrieb" 1955 S. 461, 1956 S. 311; "Der Betriebs-Berater" 1956 S. 1135, 1957 S. 920) und Winterberg ("Der Betrieb" 1957 S. 1139). Ferner beantragt sie im Rechtsbeschwerdeverfahren erstmalig, für die aus der Betriebsprüfung 1955 entstandenen Gewerbesteuernachzahlungen für II/1948 bis 1952 in der Bilanz zum 31. Dezember 1953 noch eine Rückstellung von 40 178 DM einsetzen zu können. Sie stützt ihren Antrag auf das Urteil des Senats I 32/55 U vom 17. Juli 1956 (Slg. Bd. 63 S. 181, BStBl 1956 III S. 268), von dem sie erst nach Abschluß des Berufungsverfahrens Kenntnis erlangt habe.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist in beiden Streitpunkten nicht begründet.
1. Rückstellung für Ausgleichsansprüche nach § 89b HGB
Die Frage, ob ein Unternehmer vor Lösung eines Vertretervertrags eine Rückstellung wegen künftiger Ausgleichsansprüche des Vertreters nach § 89b HGB bilden kann, ist, wie das Finanzgericht zutreffend ausgeführt hat, im Schrifttum umstritten. Neben den vom Finanzgericht und der Bfin. angeführten äußerungen sei noch hingewiesen auf Waldner ("Der Betrieb" 1958 S. 113 mit übersicht über Rechtsprechung und Schrifttum), der die Zulässigkeit der Rückstellung bejaht, und Theis ("Der Betrieb" 1957 S. 1083) sowie Littmann (Einkommensteuerrecht, 5. Aufl., Anm. 283 zu §§ 4, 5 des Einkommensteuergesetzes - EStG -), die die Frage verneinen.
§ 89b HGB ist durch das Gesetz zur änderung des Handelsgesetzbuchs (Recht der Handelsvertreter) vom 6. August 1953 (Bundesgesetzblatt I S. 771) mit Wirkung ab 1. Dezember 1953 eingeführt worden. Danach kann der Handelsvertreter von dem Unternehmer nach Beendigung des Vertragsverhältnisses einen angemessenen Ausgleich unter folgenden Voraussetzungen verlangen:
Der Unternehmer muß aus der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat, auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile haben;
der Handelsvertreter muß infolge der Beendigung des Vertragsverhältnisses Ansprüche auf Provision verlieren, die er bei Fortsetzung des Vertragsverhältnisses aus bereits abgeschlossenen oder künftig zustandekommenden Geschäften mit den von ihm geworbenen Kunden hätte;
die Zahlung eines Ausgleichs muß unter Berücksichtigung aller Umstände der Billigkeit entsprechen;
die Beendigung des Vertragsverhältnisses darf nicht auf einer Kündigung des Vertreters beruhen, es sei denn, daß der Unternehmer begründeten Anlaß zur Kündigung gegeben hat;
der Vertreter darf nicht durch schuldhaftes Verhalten dem Unternehmer einen wichtigen Grund zur Kündigung gegeben haben.
Der Ausgleich beträgt höchstens eine nach dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre berechnete Jahresprovision. Der Ausgleichsanspruch ist innerhalb von drei Monaten nach Beendigung des Vertragsverhältnisses geltend zu machen.
Der V. Senat des Bundesfinanzhofs hat im Urteil V 106/57 U vom 27. Juni 1957 (BStBl 1957 III S. 282) entschieden, daß die Ausgleichszahlung vom Vertreter der Umsatzsteuer unterliegt, weil es sich nicht um Schadenersatz handelt, sondern um eine Vergütung für einen geschäftlichen Vorteil, den der Geschäftsherr durch den Vertreter erlangt hat. Wie der Bundesgerichtshof entschieden hat, kann auch die Witwe des Vertreters als Erbin den Ausgleichsanspruch erheben, wenn das Vertragsverhältnis durch den Tod des Vertreters erloschen ist (Urteil des Bundesgerichtshofs II ZR 318/56 vom 13. Mai 1957, "Der Betrieb" 1957 S. 528). Der Bundesgerichtshof legt § 89b HGB dahin aus, daß dem Handelsvertreter oder seinem Erben ein Ausgleich dafür zugebilligt werde, daß der Unternehmer nach Beendigung des Vertragsverhältnisses noch Vorteile aus den vom Handelsvertreter begründeten Geschäftsverbindungen ziehe, ohne daß der Vertreter dafür eine Vergütung erhalte; durch die laufenden Provisionen während der Vertragsdauer seien die nach Beendigung des Vertrags dem Unternehmer noch zufließenden Vorteile nicht abgegolten; der Ausgleichsanspruch entspreche dem Grundsatz des § 354 HGB, daß ein Kaufmann grundsätzlich für seine Dienste zu entlohnen sei. Wegen der bürgerlich-rechtlichen Zweifelsfragen im Zusammenhang mit § 89b HGB vgl. Schröder ("Der Betrieb" S. 43).
Die Gründe, aus denen das Finanzgericht die von der Bfin. begehrte Rückstellung abgelehnt hat, sind rechtlich nicht zu beanstanden. Zutreffend ist das Finanzgericht davon ausgegangen, daß bei schwebenden Dauerverträgen, zu denen auch Vertreterverträge gehören, jeweils Leistung und Gegenleistung sich in der Regel ausglichen und deshalb für künftige mögliche Belastungen eines Unternehmers aus einem solchen Vertrag im allgemeinen keine Rückstellungen gebildet werden könnten. Darum hat z. B. der Reichsfinanzhof Rückstellungen für künftige Abfertigungen an Angestellte (nach österreichischem Recht) nicht zugelassen (Urteil des Reichsfinanzhofs I 129/43 vom 11. Januar 1944, Reichssteuerblatt 1944 S. 365). Auch der erkennende Senat hat aus den gleichen Gründen Rückstellungen für künftige mögliche Verpflichtungen auf Grund des Kündigungsschutzgesetzes (Urteil des Bundesfinanzhofs I 50/54 U vom 7. September 1954, Slg. Bd. 59 S. 311, BStBl 1954 III S. 330) und für künftige mögliche Sozialleistungen (Urteil des Bundesfinanzhofs I 122/56 U vom 25. September 1956, Slg. Bd. 63 S. 354, BStBl 1956 III S. 333) nicht anerkannt. Der künftige Ausgleichsanspruch eines Handelsvertreters ist, wie das Finanzgericht zutreffend angenommen hat, an so viele Bedingungen geknüpft, daß er vor Lösung des Vertrags nicht ausreichend konkretisiert ist, um eine gegenwärtige Last für das Unternehmen zu sein.
Die Bfin. verweist darauf, daß nach ständiger Rechtsprechung Unternehmer wegen Pensionszusagen an Arbeitnehmer Rückstellungen bilden könnten. Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters stehe nach ihrer Ansicht der Pensionsanwartschaft eines Arbeitnehmers wirtschaftlich gleich.
Der Senat tritt dieser Auffassung nicht bei. Richtig ist, daß dem Grunde nach Rückstellungen gebildet werden können, wenn ein Unternehmen seinen Arbeitnehmern vertraglich eine künftige Versorgung durch Begründung von Pensionsanwartschaften zugesagt hat. Diese Versorgungslast hat indessen einen anderen Charakter als der Ausgleichsanspruch des Vertreters nach § 89b HGB. Der Ausgleichsanspruch des Vertreters entsteht grundsätzlich, wenn bei Beendigung des Vertrags der Geschäftsherr aus den vom Vertreter geschaffenen Geschäftsverbindungen noch Vorteile zu erwarten hat. Die Höhe des Ausgleichs hängt von der Höhe des zu erwartenden Vorteils ab. Der Ausgleichsanspruch hat zwar seine Grundlage in der Tätigkeit des Vertreters während der Vertragszeit. Aber die laufende Tätigkeit des Vertreters ist mit der vertraglich vereinbarten Provision grundsätzlich abgegolten. Ist bei Beendigung des Vertragsverhältnisses aus der Tätigkeit des Vertreters für die Zukunft kein Vorteil für den Geschäftsherrn mehr zu erwarten, so hat der Vertreter auch keinen Ausgleichsanspruch. Muß also der Geschäftsherr eine Ausgleichszahlung leisten, so handelt es sich wirtschaftlich um ein Entgelt für die künftigen Gewinnaussichten des Unternehmens, die der Vertreter durch seine Tätigkeit begründet hat, nicht um eine Nachzahlung auf die in der Vertragszeit verdienten Provisionen. Damit steht im Einklang, daß der Bundesgerichtshof auch den Erben des Vertreters unter den Voraussetzungen des § 89b HGB den Ausgleichsanspruch zuerkannt hat. Die Gewinnaussichten für die Zukunft, die mit der Ausgleichszahlung abgegolten werden, sind aber ein bewertungsfähiges Wirtschaftsgut im Sinne des EStG, weil ein Erwerber des ganzen Betriebs dafür ein Entgelt zahlen würde (vgl. Entscheidung des Senats I 209/55 U vom 13. März 1956, Slg. Bd. 62 S. 401, BStBl 1956 III S. 149). Die Ausgleichszahlung an einen ausgeschiedenen Vertreter oder seinen Erben ist deshalb grundsätzlich zu aktivieren. Ob und in welcher Frist das Aktivum abgeschrieben werden kann, ist im Streitfall nicht zu entscheiden.
Geht man davon aus, daß Ausgleichszahlungen die Gegenleistung für ein Wirtschaftsgut sind, also zu den Anschaffungskosten rechnen, so entfällt die Möglichkeit einer Rückstellung. Wollte man aber eine Rückstellung passivieren, so müßte der künftige Vorteil in gleicher Höhe aktiviert werden, so daß der Vorgang sich auf den Gewinn nicht auswirkt.
Die Versorgungslast der Unternehmen auf Grund von Pensionszusagen an Arbeitnehmer hat, wie gesagt, einen anderen Charakter. Die Versorgung ist ein später zu leistendes zusätzliches Entgelt für eine gegenwärtige Leistung der Arbeitnehmer. Sie hängt nicht davon ab, ob der Unternehmer bei Eintritt des Versorgungsfalls noch Vorteile aus den Diensten des Arbeitnehmers hat. Die Versorgungsleistungen sind also nicht Anschaffungskosten für ein Wirtschaftsgut, sondern nachträglicher Aufwand für eine gegenwärtige Leistung. Mit Recht hat deshalb das Finanzgericht abgelehnt, die Fälle des Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB und der Pensionsanwartschaft für Arbeitnehmer steuerlich gleichzubehandeln.
2. Rückstellung für DIE Gewerbesteuernachzahlung.
Die Nachzahlungen auf die Gewerbesteuer für II/1948 bis 1952 ergaben sich aus der Betriebsprüfung im Jahre 1955 und den Prüferbilanzen, die den rechtskräftig gewordenen berichtigten Gewerbesteuer-Meßbescheiden zugrunde lagen. Die Bfin. hatte weder bei der Betriebsprüfung noch im Wege der Anfechtung der berichtigten Steuerbescheide für II/1948 bis 1952 verlangt, daß Rückstellungen für die zu erwartenden Gewerbesteuernachzahlungen gebildet würden. Die Bfin. hat offensichtlich von dem ihr in Abschn. 22 der Einkommensteuer-Richtlinien 1951 eingeräumten Wahlrecht Gebrauch gemacht, die Gewerbesteuer im Jahr der Nachzahlung als Betriebsausgabe zu verrechnen. Es kann dahingestellt bleiben, ob es überhaupt zulässig wäre, daß die Bfin. erstmalig in der Rechtsbeschwerdeinstanz eine andere als die bisher von ihr gewählte Handhabung verlangte. Denn auch in den Tatsacheninstanzen hätte die Bfin. nicht verlangen können, daß in die Bilanz vom 31. Dezember 1953 eine Rückstellung für die im Jahre 1955 erhobene Gewerbesteuernachforderung für II/1948 bis 1952 eingesetzt würde. Sie beruft sich zu Unrecht auf die Entscheidung des Senats I 32/55 U vom 17. Juli 1956 (Slg. Bd. 63 S. 181, BStBl 1956 III S. 268). Dort handelte es sich nicht um Steuernachforderungen aus einer Betriebsprüfung, sondern um Rückstellungen für die laufende Gewerbesteuer. Die Steuerpflichtige hatte damals für die Gewerbesteuer 1950 eine der Höhe nach geschätzte Rückstellung gebildet, die sich später als zu gering erwies. Sie wollte auf Grund nachträglich gewonnener besserer Erkenntnis die Rückstellung in der Bilanz vom 31. Dezember 1951 erhöhen. Das Finanzamt hielt die Erhöhung der Rückstellung zum 31. Dezember 1951 für unzulässig; es wollte den Mehrbetrag der Gewerbesteuer gegenüber der Rückstellung 1950 erst im Zahlungsjahr 1952 als Betriebsausgabe berücksichtigen. Der Senat billigte damals das Verfahren der Steuerpflichtigen. Entscheidend war, daß keine Willkür vorlag. Im Streitfall wäre es aber wirtschaftlich ungerechtfertigt und willkürlich, das Jahr 1953 mit der Gewerbesteuernachforderung zu belasten. Die Bfin. hätte die Wirtschaftsjahre II/1948 bis 1952 mit den auf sie entfallenden Teilen der Nachforderung belasten können, weil die Nachforderung mit diesen Jahren wirtschaftlich zusammenhing. Sie konnte statt dessen auch die Nachforderungen im Jahre 1955, in dem sie vom Finanzamt erstmals erhoben wurden, berücksichtigen. Willkürlich ist es aber, das Ergebnis des Zwischenjahres 1953 zu belasten. Es steht mit der Nachforderung in keinem wirtschaftlichen Zusammenhang. Der Umstand allein, daß die Bfin. den Veranlagungsbescheid 1953 aus einem anderen Grund angefochten hatte, rechtfertigt nicht, in die Bilanz vom 31. Dezember 1953 eine Rückstellung für die aus der Betriebsprüfung 1955 entstandene Steuernachforderung für II/1948 bis 1952 einzusetzen.
Fundstellen
Haufe-Index 409004 |
BStBl III 1958, 110 |
BFHE 1958, 285 |
BFHE 66, 285 |
BB 1958, 332 |
DB 1958, 295 |