Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindungswirkung einer aufgehobenen vZTA (mit unrichtiger Tarifierung als Getränk)
Leitsatz (NV)
1. Zum zolltariflichen Getränkebegriff (sog. Apfellimonade).
2. Die befristet fortdauernde Bindungswirkung einer aufgehobenen verbindlichen Zolltarifauskunft im Falle gutgläubig geschlossenen Bezugsvertrags entfällt selbst dann nicht, wenn der Antragsteller die Möglichkeit hatte, sich von der Bezugsverpflichtung zu lösen.
Normenkette
GZT Tarifst. 22.02 A, 21.07 G I d 1, 21.07 F; ZG § 23 Abs. 2 S. 2; NacherhVO Art. 5 Abs. 1
Tatbestand
In der Zeit von Juni bis November 1986 ließ die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) 165 Sendungen Orangensaft bzw. Apfellimonade, bezogen von der Firma X in A, zum freien Verkehr abfertigen, als letzte Sendung am 26. November 1986 24010 kg Apfellimonade. Die Abfertigungszollstellen wiesen die Waren - vorläufig - der Tarifst.22.02 A des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) - Limonaden und andere nichtalkoholische Getränke, ohne Milch(-fett) - zu; dies entsprach hinsichtlich der letzten Sendung einer der Klägerin erteilten verbindlichen Zolltarifauskunft - vZTA - vom 24. Juni 1985, die die zuständige Oberfinanzdirektion jedoch mit am 23. November 1986 bekanntgegebenem Verwaltungsakt vom 2. November 1986 aufgehoben hatte. Das beklagte und revisionsbeklagte Hauptzollamt (HZA) wertete die Waren später als (andere) anderweit weder genannte noch inbegriffene Lebensmittelzubereitungen der Code-Nr. 2107 42000 (= Tarifst.21.07 G I d 1) und forderte für die letzte Sendung ... DM Zoll nach (Änderungsbescheid vom 18. Januar 1988 i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom 13. Dezember 1988).
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, das Erzeugnis bestehe aus in Wasser aufgelösten Zuckerarten, denen Apfelaroma beigefügt worden sei. Es stelle sich als aromatisierter Zuckersirup der Tarifst.21.07 F GZT dar, nicht aber als Getränk. Für eine unmittelbare Verwendung als Getränk sei es weder geeignet noch bestimmt. Es werde vielmehr Getränken (aus Apfelsaftkonzentrat, Aromen, Wasser usw.) als Flüssigzucker zugesetzt. Die vZTA beruhe auf unrichtiger zolltariflicher Auslegung und sei erkennbar von unzutreffenden Angaben der Klägerin beeinflußt. Die Voraussetzungen für eine Bindungswirkung nach Aufhebung der vZTA lägen nicht vor. Die Klägerin hätte jederzeit die Lieferungen der von ihr beherrschten Lieferfirma stoppen können. Die (letzte) Sendung sei lediglich durchgerutscht (versehentlich eingeführt); eine Abnahmeverpflichtung der Klägerin hätte nicht bestanden. Es könne daher dahinstehen, ob die Bindungswirkung auch schon deshalb entfallen sei, weil die vZTA auf unrichtigen Angaben der Klägerin beruht hätte.
Mit der Revision gegen dieses Urteil trägt die Klägerin vor, zolltariflich handele es sich um trinkbare Limonaden. Wie der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - entschieden habe (Urteil vom 18. April 1991 C-219/89, EuGHE 1991 I, 1904), ständen selbst hohe Zuckerzusätze einer entsprechenden Einreihung nicht entgegen. Die Feststellungen des FG über die Beschaffenheit der Ware seien unzutreffend. Die Ware stelle im wesentlichen das Endprodukt dar; dieses werde lediglich durch Hinzufügen von Wasser und ggf. einzelner Aromen veredelt. Die Bindungswirkung der aufgehobenen vZTA habe das FG zu Unrecht verneint. Es sei aus nicht nachvollziehbaren Gründen davon ausgegangen, daß die Lieferfirma von der Klägerin beherrscht werde. Es beständen lediglich gute geschäftliche Kontakte zu der Lieferfirma. Die mit dieser geschlossenen Verträge seien jedoch einzuhalten gewesen. Die letzte Einfuhr hätte daher nicht gestoppt werden können.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Dessen Feststellungen tragen zwar noch das Ergebnis, daß die Nachforderung an sich begründet ist. Die Urteilsgründe vermögen jedoch nicht die weitere Entscheidung zu rechtfertigen, daß die Klägerin für die Einfuhr vom 26. November 1986 keine der aufgehobenen vZTA entsprechende Tarifierung verlangen könne (vgl. § 23 Abs. 2 Satz 2 des Zollgesetzes - ZG -). Insoweit ist die Sache noch nicht entscheidungsreif.
1. Die tatsächlichen Feststellungen, auf die der Senat seine Entscheidung zu stützen hat (§ 118 Abs. 2 FGO), reichen aus für die Folgerung, daß die am 26. November 1986 eingeführten und abgefertigten Waren - sog. Apfellimonade - nicht Getränke der Tarifst.22.02 A, sondern Lebensmittelzubereitungen der Tarifnr.21.07 GZT 1986 sind.
Festgestellt ist, daß es sich dabei um gelöste Zuckerarten mit beigefügtem Apfelaroma handelt (Flüssigzucker für Getränke). Daneben hat sich das FG auf die vZTA bezogen, in der die Ware als glasklare Flüssigkeit ohne Kohlensäure, Geruch nach Apfelaroma, Geschmack sehr süß, nach Apfelaroma, beschrieben worden war. Die Klägerin hält diese Feststellungen für unzutreffend. Da sie aber keine Verfahrensrüge erhoben hat, ist bei der Entscheidung von den von der Vorinstanz getroffenen Feststellungen auszugehen.
Getränke - Tarifnr.22.02 - sind Flüssigkeiten, die zum menschlichen Genuß geeignet und bestimmt sind (EuGH, Urteil vom 26. März 1981 Rs. 114/80, EuGHE 1981, 895, 903; vgl. auch Urteil des Senats vom 22. Januar 1985 VII K 12/84, BFHE 143, 183, 186, in dem aufgrund eigener tatsächlicher Feststellungen die Trinkbarkeit des damals zu bewertenden Erzeugnisses bejaht wurde), Flüssigkeiten also, die unmittelbar genußfertig sind (vgl. Erläuterungen zu Tarifnr.22.02 Teil I Rz. 6). Das FG hat die vorliegenden Waren nach ihrer festgestellten Beschaffenheit - glasklare, sehr süße Flüssigkeit - als nicht zum menschlichen Genuß geeignet und bestimmt beurteilt. Diese Beurteilung einer solchen Flüssigkeit ist möglich und damit für das Revisionsgericht in gleicher Weise bindend wie die eigentliche Feststellung (vgl. Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl. 1987, § 118 Anm. 29). Auch die Klägerin räumt im übrigen ein, daß die Erzeugnisse noch (in bestimmter Weise) veredelt werden.
Das Urteil in EuGHE 1991 I, 1904 steht dieser zolltariflichen Bewertung - keine Getränke - nicht entgegen. Es betrifft die Abgrenzung zwischen Lebensmittelzubereitungen und Fruchtsäften und besagt nichts zur Auslegung des zolltariflichen Getränkebegriffs. Fruchtsäfte werden überdies im allgemeinen zwar an sich auch Getränke sein (Wortlaut der Tarifnr.22.02; ... ausgenommen Fruchtsäfte ...; EuGHE 1981, 895, 903), doch gibt es auch Ausnahmen, nämlich Fruchtsäfte, die nicht unmittelbar genußfertig sind (Senat, Urteil vom 5. April 1990 VII K 1/89, BFHE 161, 217, 220, BStBl II 1990, 990).
Allerdings hat das FG, obgleich es den Nachforderungsbescheid (in der Fassung der Einspruchsentscheidung) vorbehaltlos bestätigt hat, entschieden, daß die Waren aromatisierte Zuckersirupe der Tarifst.21.07 F seien (also keine anderen anderweit weder genannten noch inbegriffenen Lebensmittelzubereitungen der Tarifst.21.07 G I d 1, wie vom HZA angenommen). Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Sirupe mit entsprechender Konsistenz (dazu Senat, Urteil vom 2. Februar 1993 VII K 9/92, BFH/NV 1993, 339 - nicht aromatisierte Fruchtsirupe) liegen schon nach der feststehenden Beschaffenheit der Erzeugnisse - Flüssigkeit - nicht vor. Vielmehr handelt es sich um eine (andere) zusammengesetzte Zubereitung (Erläuterungen zu Tarifnr.21.07 Teil I Rz. 25, 30), die nach ihrer Zusammensetzung, insbesondere im Hinblick auf ihren Saccharosegehalt, zu Tarifst.21.07 G I d 1 gehört.
Zweifel bei der Auslegung der maßgebenden Zolltarifvorschriften bestehen nicht. Der zolltarifliche Getränkebegriff ist durch die angeführte Rechtsprechung und die Erläuterungen geklärt. Es ist mithin nicht veranlaßt, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen (vgl. dessen Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415, 3430).
2. Eine fortdauernde Bindungswirkung der aufgehobenen vZTA bis zum Abfertigungzeitpunkt (26. November 1986) hat das FG hingegen aus Erwägungen verneint, die der rechtlichen Überprüfung nicht standhalten. Nach der hier noch maßgebenden Vorschrift des innerstaatlichen Rechts - § 23 Abs. 2 Satz 2 ZG - kann der Antragsteller, dem eine vZTA erteilt worden ist, nach deren Aufhebung noch über drei Monate eine entsprechende Tarifierung derjenigen Waren verlangen, für die er Bezugsverträge im guten Glauben an die Richtigkeit der Auskunft geschlossen hat, es sei denn - was erst nach erfolgter Aufhebung der vZTA rechtserheblich ist (Senat, Urteil vom 11. Oktober 1988 VII K 5/88, BFHE 155, 1, 3, BStBl II 1989, 149) - diese beruht auf unrichtigen Angaben des Antragstellers.
Die Vorinstanz hat nicht geprüft, ob die Klägerin hinsichtlich der Einfuhr am 26. November 1986 - gutgläubig - einen Bezugsvertrag geschlossen hatte. Sie hat eine Bindungswirkung der aufgehobenen vZTA vielmehr schon deshalb abgelehnt, weil die Klägerin die Lieferung aufgrund ihrer Beziehungen zu dem Lieferer hätte anhalten können, dies jedoch versehentlich unterblieben sei. Das FG geht also davon aus, daß die Bindungswirkung selbst bei einem gutgläubig geschlossenen Vertrag entfällt, wenn der Einführer die Möglichkeit hat, sich von dem Vertrag - einer Abnahmeverpflichtung - zu lösen (hier durch Einflußnahme aufgrund eines Herrschaftsverhältnisses). Diese Auffassung ist nicht frei von Rechtsirrtum. § 23 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz ZG stellt nur auf einen nachweislich gutgläubig (mündlich oder schriftlich) geschlossenen Bezugsvertrag ab, nicht auf die Unmöglichkeit, einen Bezugsvertrag aufzuheben oder von ihm zurückzutreten (ebenso zu der mit § 23 Abs. 2 Satz 2 ZG im wesentlichen übereinstimmenden Gemeinschaftsregelung in Art. 16, Art. 14 Abs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1715/90 des Rates vom 20. Juni 1990, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - L 160/1, Lux, Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern 1991, 66, 73). Unerheblich ist auch, ob der Beteiligte sich aus sonstigen Gründen, etwa wegen seines beherrschenden Einflusses auf den Lieferer, von der Bezugsverpflichtung lösen kann. Auf die fehlende Möglichkeit, sich - wie auch immer - von der Bezugsverpflichtung aus einem einmal geschlossenen Vertrag zu befreien, kommt es für den Vertrauensschutz nicht an. Entsprechende Bemühungen werden nicht gefordert.
Da die Klägerin sich auf den Schutz der vZTA beruft, das FG aber die erforderlichen Feststellungen nicht getroffen hat, wird im zweiten Rechtsgang festzustellen sein, ob die Klägerin einen gutgläubig - ggf. formlos - geschlossenen Bezugsvertrag (Abnahmeverpflichtung) nachweisen kann. Gelingt der Nachweis, so ist ferner zu prüfen - in der Vorentscheidung letztlich offengelassen -, ob die aufgehobene vZTA auf - objektiv - unrichtigen Angaben der Klägerin beruht (nicht nur von solchen beeinflußt ist). Dabei wird es darauf ankommen, ob Angaben der Klägerin hinsichtlich der Verwendung der Waren zu der Tarifierung als Getränk geführt haben. In diesem Zusammenhang wird zu berücksichtigen sein, daß die Eignung und Bestimmung einer Flüssigkeit zum menschlichen Genuß zolltariflich nach der Beschaffenheit des betreffenden Erzeugnisses zu beurteilen ist.
Sollte sich ergeben, daß die Voraussetzungen von § 23 Abs. 2 Satz 2 ZG, wie vorstehend dargestellt, vorliegen, so wäre die Nacherhebung gemäß Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 des Rates vom 24. Juli 1979 (ABlEG L 197/1) ausgeschlossen. Bindend im Sinne dieser Vorschrift sind auch nach innerstaatlichem Recht erteilte verbindliche Auskünfte, soweit sie nach ihrer Aufhebung noch Bindungswirkung äußern.
Fundstellen
Haufe-Index 419191 |
BFH/NV 1994, 283 |