Leitsatz (amtlich)
Hat der Steuerpflichtige wegen vorübergehender Abwesenheit von seiner Wohnung einen Nachsendungsantrag bei der Deutschen Bundespost gestellt, der sich nicht auf Postzustellungsaufträge bezieht, so genügt es für eine wirksame Ersatzzustellung eines Steuerbescheides gemäß § 122 Abs.5 AO 1977, § 3 Abs.3 VwZG, § 182 1.Alternative ZPO, daß die schriftliche Mitteilung in den Hausbriefkasten der Wohnung eingeworfen und der Steuerbescheid bei der zuständigen Postanstalt niedergelegt wird.
Orientierungssatz
1. Die Unwirksamkeit eines Verwaltungsakts wegen Mängel bei der Bekanntgabe und Zustellung kann durch Feststellungsklage geltend gemacht werden (vgl. BFH- und BVerwG-Rechtsprechung).
2. Die Ersatzzustellung durch Niederlegung bei der Postanstalt nach § 182 1. Alternative ZPO setzt u.a. voraus, daß ein Zustellungsversuch in der "Wohnung" des Zustellungsempfängers unternommen und dieser dort nicht angetroffen wird. Für den Begriff der "Wohnung" i.S. der §§ 181, 182 ZPO kommt es grundsätzlich auf das tatsächliche Wohnen an. Nicht jede vorübergehende Abwesenheit, selbst wenn sie länger dauert, hebt die Eigenschaft als "Wohnung" i.S. der Zustellungsvorschriften auf (vgl. BGH- und BVerwG-Rechtsprechung). Ausführungen und Rechtsprechungshinweise zur weiteren Voraussetzung der Ersatzzustellung nach § 182 ZPO, daß die schriftliche Mitteilung über die Niederlegung "in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben" wird, sowie zum Sinn und Zweck des § 182 ZPO.
3. Die Ersatzzustellung gemäß § 182 1. Alternative ZPO ist erst durch die Niederlegung des zuzustellenden Schriftstücks und die "Abgabe" der Mitteilung über die Niederlegung vollzogen. Sofern die Niederlegung und die "Abgabe" der Mitteilung i.S. des § 182 ZPO an verschiedenen Tagen erfolgt ist, ist der zeitlich letzte Teilakt für die Bestimmung des Zeitpunkts der Ersatzzustellung maßgeblich.
Normenkette
ZPO §§ 181, 182 Alt. 1, § 418 Abs. 1; VwZG § 3 Abs. 3; AO 1977 § 122 Abs. 5; FGO § 41
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) schätzte wegen Nichtabgabe der Umsatzsteuer-Jahreserklärung im Umsatzsteuerbescheid vom 24.Juni 1983 für 1980 die Besteuerungsgrundlagen.
Das FA ordnete die Zustellung dieses Umsatzsteuerbescheids mit Postzustellungsurkunde (PZU) an. Ausweislich der PZU hatte die Postzustellerin, da sie weder die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) selbst in deren Wohnung in D noch andere für sie empfangsberechtigte Personen angetroffen hatte, den Steuerbescheid am 25.Juni 1983 bei der Postanstalt D niedergelegt und eine schriftliche Mitteilung über die Niederlegung unter der Anschrift der Klägerin in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben. Die Mitteilung über die Niederlegung wurde in den Briefkasten der Klägerin eingelegt und nicht nach W nachgesandt, wo sich die Klägerin aufhielt. Die Klägerin hatte für den Zeitraum ihrer Abwesenheit einen Antrag auf Nachsendung bestimmter Sendungen bei der Deutschen Bundespost gestellt, der auch den 25.Juni 1983 miteinschloß.
Nachdem das FA die Tilgung der auf dem Umsatzsteuerbescheid für 1980 beruhenden Steuerschuld bei der Klägerin angemahnt hatte, teilte diese mit Schreiben vom 21.September 1983 mit, daß ihr der Bescheid nicht zugegangen sei, da er ihr trotz des Nachsendungsantrags nicht nach W nachgesandt worden sei.
Der beim Postamt D niedergelegte Umsatzsteuerbescheid für 1980 wurde nicht abgeholt und am 27.September 1983 an das FA zurückgeschickt.
Ein außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren gegen den Umsatzsteuerbescheid für 1980 wurde nicht durchgeführt.
Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin nach einer Klageänderung, in die das FA gemäß § 67 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eingewilligt hatte, festzustellen, daß der Umsatzsteuerbescheid für 1980 vom 24.Juni 1983 nicht wirksam bekanntgegeben worden sei. Die Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, der Umsatzsteuerbescheid sei der Klägerin ordnungsgemäß bekanntgegeben worden. Die Mitteilung über die Niederlegung sei durch den Einwurf in den Briefkasten der Klägerin unter ihrer Anschrift in D trotz des Nachsendungsantrags gemäß § 182 der Zivilprozeßordnung (ZPO) "in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben worden".
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung der §§ 182, 418 ZPO und des § 3 Abs.3 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG). Zur Begründung trägt sie im wesentlichen vor, die Mitteilung über die Niederlegung des Umsatzsteuerbescheids für 1980 hätte ihr nach W nachgesandt werden müssen. Nur bei dieser Verfahrensweise wäre die Mitteilung über die Niederlegung gemäß § 182 ZPO "in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise" abgegeben worden.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung festzustellen, daß der Umsatzsteuerbescheid für 1980 vom 24.Juni 1983 nicht wirksam bekanntgegeben worden ist.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
1. a) Die Klägerin hat vor dem FG ihr Klagebegehren als Feststellungsklage (§ 41 FGO) formuliert. Das war zutreffend, weil die Unwirksamkeit eines Verwaltungsaktes wegen Mängel bei der Bekanntgabe und Zustellung durch Feststellungsklage geltend gemacht werden kann (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 25.Mai 1976 VIII R 66/74, BFHE 119, 36, 39, BStBl II 1976, 606, 607; vom 18.Februar 1986 VIII R 257/83, BFH/NV 1986, 711; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 21.November 1986 VIII C 127.84, Bayerische Verwaltungsblätter --BayVBl-- 1987, 217).
b) Die Klägerin hat an der beantragten Feststellung ein berechtigtes Interesse i.S. des § 41 Abs.1 FGO, weil damit auch der Rechtsschein eines wirksamen Umsatzsteuerbescheids (d.h. seiner wirksamen Bekanntgabe) beseitigt würde.
2. Rechtsfehlerfrei hat das FG entschieden, daß der Umsatzsteuerbescheid vom 24.Juni 1983 der Klägerin mittels Ersatzzustellung durch die Post (§ 122 Abs.5 der Abgabenordnung --AO 1977--, § 3 Abs.3 VwZG, § 182 1.Alternative ZPO) durch die am 25.Juni 1983 erfolgte Niederlegung bei dem Postamt D und den Einwurf der Mitteilung über diese Niederlegung in den Briefkasten der Klägerin in D wirksam bekanntgegeben worden ist (§ 124 Abs.1 AO 1977). Die Förmlichkeiten der genannten Zustellungsart sind eingehalten.
a) Die Ersatzzustellung durch Niederlegung bei der Postanstalt nach § 182 1.Alternative ZPO setzt u.a. voraus, daß ein Zustellungsversuch in der "Wohnung" des Zustellungsempfängers unternommen und dieser dort nicht angetroffen wird (vgl. BVerwG-Beschluß vom 20.August 1985 I DB 35.85, BVerwGE 83, 40). Für den Begriff der "Wohnung" i.S. der §§ 181, 182 ZPO kommt es grundsätzlich auf das tatsächliche Wohnen an, d.h. darauf an, ob der Zustellungsempfänger hauptsächlich in den Räumen lebt und insbesondere, ob er dort schläft. Nicht jede vorübergehende Abwesenheit, selbst wenn sie länger dauert, hebt die Eigenschaft als "Wohnung" im Sinne der Zustellungsvorschriften auf (Entscheidungen des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 2.Oktober 1951 II StR 545/51, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1951, 931; vom 24.November 1977 III ZR 1/76, NJW 1978, 1858; vom 12.Juli 1984 IVb ZB 71/84, NJW 1985, 2195). Jedenfalls kann die "Wohnung" im Sinne der Zustellungsvorschriften auch bei längerer Abwesenheit, wenn die Rückkehr zu erwarten ist, erhalten bleiben (BGH-Urteil vom 18.September 1957 V ZR 209/55, Lindenmaier/Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, § 328 BGB Nr.15).
Die vom FG vorgenommene Würdigung dahingehend, daß die Klägerin eine "Wohnung" im Sinne der Zustellungsvorschriften in D innehatte, bindet das Revisionsgericht (§ 118 Abs.2 FGO). Es handelt sich um eine Tatfrage (Urteil des Bayerischen Obersten Landesgerichts --BayObLG-- vom 9.März 1961, RReg. 4 St 49/61, Monatsschrift für Deutsches Recht --MDR-- 1961, 785; Beschluß des Oberlandesgerichts --OLG-- Hamm vom 13.November 1961 3 Ss 1186/81, NJW 1962, 264; Urteil des OLG Celle vom 11.Februar 1971 1 Ss 268/70, NJW 1971, 1227). Die Würdigung ist möglich und verstößt nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze.
Das FG konnte zu dem Ergebnis kommen, daß die Klägerin sich trotz eines mehrmonatigen Aufenthalts in W aus beruflichen Gründen dort nur vorübergehend aufhielt und --auch vor ihrer Rückkehr nach D-- im Zeitpunkt des vergeblichen Zustellungsversuchs am 25.Juni 1983 dort weiterhin ihre Wohnung innehatte.
b) Die Ersatzzustellung durch Niederlegung bei der Postanstalt gemäß § 182 1.Alternative ZPO setzt weiterhin voraus, daß die schriftliche Mitteilung über die Niederlegung "in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben" wurde.
aa) Ob die schriftliche Mitteilung über die Niederlegung in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben worden ist, richtet sich nach der bei dem einzelnen Empfänger praktizierten und von diesem akzeptierten oder jedenfalls hingenommenen Übung (BVerwG-Urteil vom 13.November 1984 9 C 23.84, NJW 1985, 1179). Übliche Weise der Abgabe bei der Klägerin war es, wie regelmäßig (vgl. § 50 Abs.4 Satz 1 der Postordnung --PostO--), Briefe in den Hausbriefkasten der Wohnung des Zustellungsempfängers einzuwerfen. Die Mitteilung über die Niederlegung ist damit i.S. des § 182 ZPO "abgegeben" worden, da sie in den Empfangsbereich des Zustellungsadressaten gelangt ist und dieser von ihr hat Kenntnis nehmen können (BGH-Beschlüsse vom 19.Oktober 1983 VIII ZB 30/83, Versicherungsrecht --VersR-- 1984, 81, und vom 12.März 1986 IVb ZB 115/85, VersR 1986, 787). Aus den Feststellungen des FG ergibt sich keine andere Übung. Damit entfielen auch die in § 182 ZPO angeführten, hilfsweisen Möglichkeiten, falls die übliche Weise "nicht tunlich" sei. Ein Post-Nachsendungsverfahren hat keinen Einfluß auf die "übliche Weise" der Abgabe i.S. des § 182 ZPO. Daher genügt auch dann, wenn der Zustellungsadressat für Briefsendungen unter der Anschrift seiner (nicht aufgegebenen) Wohnung einen Nachsendungsantrag bei der Deutschen Bundespost gestellt hat (§ 58 Abs.1 PostO), der sich nicht auf Postzustellungsaufträge bezieht (§ 39 PostO), der Einwurf der Mitteilung in den Hausbriefkasten der Wohnung des Zustellungsadressaten für die Wirksamkeit der Ersatzzustellung gemäß § 182 Abs.1 1.Alternative ZPO. Denn auch in diesem Fall gelangt die Mitteilung in den Macht- und Empfangsbereich des Zustellungsadressaten. Dieser Bereich umfaßt nämlich auch für den Zeitraum, für den die Nachsendung bestimmter Briefsendungen an eine andere Anschrift beantragt wurde, die Wohnung des Zustellungsadressaten. Es reicht aus, daß der Zustellungsadressat von der Mitteilung Kenntnis nehmen kann. Kommt es dabei zu Fristüberschreitungen, ist die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung zu prüfen.
bb) Trotz gewisser Unverträglichkeiten dieser Handhabung wird damit Sinn und Zweck des § 182 ZPO nicht verletzt. Dieser besteht u.a. darin, aus Gründen der Rechtssicherheit den Zeitpunkt der Zustellung, an den sich wichtige außergerichtliche und prozessuale Wirkungen knüpfen, nachweisen zu können (vgl. hierzu Beschluß des 1.Senats des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 11.Juli 1984 1 BvR 1269/83, BVerfGE 67, 208, 211; BVerwG-Entscheidung vom 11.Mai 1979 6 C 70.78, NJW 1980, 1480, 1481). Um einen --der Bedeutung dieses Zeitpunkts angemessenen-- sicheren und zuverlässigen Nachweis zu gewährleisten, soll sich aus einer Urkunde (PZU) Ort und Zeit der Zustellung ergeben (Rosenberg/Schwab, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 14.Aufl., 1986, § 73, S.431). Entgegen dem dargelegten Sinn und Zweck der Zustellungsvorschriften könnte ein Nachweis des Zeitpunkts der Zustellung nicht mehr anhand der Eintragungen des Postzustellers in der PZU geführt werden, wenn die Wirksamkeit der Ersatzzustellung durch Niederlegung gemäß § 182 1.Alternative ZPO voraussetzte, daß bei beantragter Nachsendung die Mitteilung über die Niederlegung dem Zustellungsadressaten nachgesandt werden muß (so aber Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs --VG-- vom 30.Dezember 1971 Nr.188 I 68, BayVBl 1973, 15, Betriebs-Berater --BB-- 1972, 295). Dies hätte Rechtsunsicherheit über den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Zustellung zur Folge, weil nicht mit der notwendigen Sicherheit beurkundet werden kann, in welchem Zeitpunkt die Zustellung im Falle der Nachsendung der Mitteilung über die Niederlegung abgeschlossen wird (Florian/Weigert, Kommentar zur Postordnung, 2.Aufl., Teil 2, § 39, S.92a, m.w.N.). Denn der Postzusteller könnte in diesem Fall nur den Zeitpunkt der Absendung der Mitteilung i.S. des § 182 ZPO beurkunden und nicht den Zeitpunkt, an dem die Mitteilung beim Zustellungsempfänger eingetroffen ist, der unter Umständen geraume Zeit nach dem Zeitpunkt der Absendung liegen kann (Beschluß des BayObLG vom 27.August 1980 2 Z 71/80, MDR 1981, 60). In jenem Zeitpunkt aber ist die Ersatzzustellung gemäß § 182 1.Alternative ZPO noch nicht vollzogen. Denn mit der Absendung durch den Postzusteller an die im Nachsendungsantrag genannte Anschrift wäre die schriftliche Mitteilung noch nicht --wie erforderlich (BGH-Beschlüsse in VersR 1984, 81 und in VersR 1986, 787)-- in den Empfangsbereich des Zustellungsempfängers gelangt (vgl. BFH-Urteil vom 4.März 1977 VI R 242/74, BFHE 121, 389, BStBl II 1977, 523) und damit eine wirksame Ersatzzustellung in diesem Zeitpunkt noch nicht durchgeführt. Die Ersatzzustellung gemäß § 182 1.Alternative ZPO ist erst durch die Niederlegung des zuzustellenden Schriftstücks bei der zuständigen Postanstalt und die "Abgabe" der Mitteilung über die Niederlegung vollzogen. Sofern die Niederlegung und die "Abgabe" der Mitteilung i.S. des § 182 ZPO an verschiedenen Tagen erfolgt ist, ist der zeitlich letzte Teilakt für die Bestimmung des Zeitpunkts der Ersatzzustellung maßgeblich.
cc) Weitere Zielsetzung des § 182 ZPO ist es zwar, daß der Zustellungsadressat möglichst bald und zuverlässig Kenntnis von der Niederlegung nehmen und seine Rechtsverteidigung und Rechtsverfolgung darauf einrichten kann (BVerwG-Urteil in NJW 1985, 1179, und Beschluß des BVerfG in BVerfGE 67, 199, 211). Unzulänglichkeiten der fingierten Zustellung, durch die die Rechtsverfolgung im außergerichtlichen Vorverfahren und gerichtlichen Verfahren erschwert werden könnte, werden aber gemildert durch die Möglichkeit, gegen die unverschuldete Versäumung einer Rechtsmittelfrist alsbald Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen. Sie sind daher nicht unzumutbar (BVerwG-Urteil in NJW 1980, 1480, 1481, linke Spalte).
Die Frage einer Wiedereinsetzung der Klägerin in versäumte Rechtsmittelfristen war aber im vorliegenden Feststellungsverfahren nicht zu prüfen. Die gegen die Vorentscheidung eingelegte Revision konnte somit keinen Erfolg haben.
Fundstellen
Haufe-Index 61685 |
BStBl II 1988, 392 |
BFHE 150, 305 |
BFHE 1987, 305 |
DB 1987, 1924-1924 (ST) |